Urteil
Entschädigung aufgrund Benachteiligung wegen der Behinderung bei Stellenbewerbung

Gericht:

ArbG Frankfurt


Aktenzeichen:

17 Ca 8469/02


Urteil vom:

19.02.2003


Grundlage:

Nicht-amtlicher Leitsatz:

Der Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Verpflichtung gem. § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX, unter anderem den schwerbehinderten Bewerber um eine Stelle über die getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu unterrichten, lässt eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten.

(Anmerkung: Die Berufung gegen dieses Urteil hat durch Vergleich vor dem LAG ihre Erledigung gefunden).

Hinweis:

Einen Fachbeitrag zum Urteil finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
https://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/b/B_2006-...

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Behindertenrecht 07/2004

Aus den Gründen:

I. Die Parteien streiten um einen Entschädigungsanspruch.

Die Beklagte schaltete in der Zeitschrift "Das Orchester" Ausgabe 4/2002 eine Stellenanzeige, in der für das Museumsorchester mehrere Stellen für Musiker ausgeschrieben wurden. Darüber hinaus heißt es in der Stellenanzeige, wegen deren weiterer Einzelheiten auf die Kopie Bl. 34 d.A. Bezug genommen wird: "Außerdem ist im Orchesterbüro die Stelle einer/ eines Büroangestellte/n für die Sachbearbeitung der Notenbibliothek/ Vertretung der Orchesterinspektoren ( BAT Vc) neu zu besetzen."

Auf diese Stellenanzeige hin bewarb sich der Kläger mit Schreiben vom 25.4.2002... Der Kläger arbeitete zuvor 30 Jahre lang als Musikwissenschaftler und Musikpädagoge. 13 Jahre lang war er Orchesterleiter und 17 Jahre lang Hochschullehrer an der Staatsuniversität für Kultur und Künste. Ferner ist er Autor mehrerer musikwissenschaftlicher Werke. Der Kläger ist mit einem Grad der Behinderung von 60 als Schwerbehinderter anerkannt.

Am 13.6.2002 fand unter Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ein Bewerbungsgespräch statt. Mit Schreiben vom 19.6. 2002 lehnte die Beklagte die Einstellung des Klägers ohne Begründung ab. Mit Schreiben seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 26.6.2002 verlangte der Kläger unter Fristsetzung bis zum 10.7.2002 eine Entschädigungszahlung.

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 4.7.2002 eine Entschädigungszahlung ab und erklärte, in dem Bewerbungsgespräch habe sich herausgestellt, dass der Kläger das Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle nicht erfülle. Der Kläger behauptet, die Beklagte habe ihn lediglich aufgrund seiner Behinderung nicht eingestellt. Er verfüge über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, um die ausgeschriebene Tätigkeit auszuüben. Das Argument der Beklagten in ihrem Schreiben vom 4. 7.2002, seine Deuschkenntnisse seien nicht ausreichend, stelle lediglich einen versteckten Hinweis auf seine Behinderung ( Stottern) dar. Der Kläger behauptet, ihm sei während des Vorstellungsgesprächs mitgeteilt worden, dass er ein Gehalt in Höhe von EUR 2600 zu erwarten habe.

II. Die Klage ist teilweise begründet.

Der Kläger kann von der Beklagten aus § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB IX eine Entschädigung in dem tenorierten Umfang verlangen, weil die Beklagte ihn wegen seiner Behinderung benachteigt hat.

§ 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 gewährt dem schwerbehinderten Menschen einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung, wenn er im Auswahlverfahren wegen seiner Behinderung ausgeschlossen wurde, alleine wegen dieser Benachteiligung, auch wenn er bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht berücksichtigt worden wäre (vgl. Großmann, GK-SGB IX § 81 RZ 273 mit weiteren Nachweisen). Eine solche Benachteiligung liegt insbesondere vor, wenn der Arbeitgeber die ihm obliegende Prüfungspflicht nach § 81 Abs. 1 SGB IX in wesentlichen Teilen verletzt (vgl. Großmann a.a.O. Rz 274, 221). Ein wesentlicher Teil des Verfahrens nach § 81 Abs. 1 SGB IX ist die in Satz 9 normierte Pflicht des Arbeitgebers, alle Beteiligten, zu denen auch der Bewerber zählt, über die von ihm getroffene Entscheidung unter Darlegung der gründe unverzüglich zu unterrichten. Zweck der Vorschrift ist es, dass die Entscheidung des Arbeitgebers in einem überprüfbaren Verfahren transparent gemach wird. Insbesondere soll der Bewerber in die Lage versetzt werden zu prüfen, ob er im Verlauf des Bewerbungs- und Einstellungsverfahrens wegen seiner Behinderung unzulässig benachteiligt worden ist (vgl. Großmann a.a.O. Rz 176 f.). Zwar schreibt das Gesetz für die Unterrichtung nicht ausdrücklich eine Schriftform vor. Der Zweck der Norm gebietet es jedoch, dass die Unterrichtung schriftlich stattzufinden hat, weil nur so eine exakte, alle Beteiligten gleichmäßig berücksichtigende und überprüfbare Information möglich ist. Nur eine schriftliche Unterrichtung unter Darlegung der Gründe genügt deshalb dem § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX.

Gegen diese gesetzliche Verpflichtung, alle Beteiligten unverzüglich über ihre getroffene Entscheidng unter Darlegung der Gründe zu unterrichten, hat die Beklagte verstoßen. Sie hat in ihrem Schreiben vom 19.6.2002 keine Gründe genannt, weshalb sie den Kläger nicht eingestellt hat. Damit liegen Umstände vor, die eine Benachteiligung des Klägers wegen der Behinderung vermuten lassen.

In diesem Falle bestimmt § 81 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX, dass der Arbeitgeber unter anderem die Beweislast dafür trägt, dass nicht auf die Behinderung bezogene, sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Dabei ist es ihm jedoch grundsätzlich verwehrt, sich auf Gründe zu beziehen, die er dem betroffenen Bewerber im Rahmen seiner Unterrichtung nach § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX nicht mitgeteilt hat. Ein Nachschieben kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Der Arbeitgeber könnte anderenfalls unter Missachtung der Formvorschriften das Benachteiligungsverbot umgehen. Nachträglich, d. h. vor allem in dem Verfahren nach § 81 Abs. 2 SGB IX vorgebrachte Gründe können ausnahmsweise nur dann herangezogen werden, wenn der Arbeitgeber sie vorher nicht geltend machen konnte. Das kann der Fall sein, wenn sich während des Einstellungsverfahrens z.B. die Aufgabenstellung und damit die Anforderungen an die Qualifikation des einzustellenden Arbeitnehmers geändert haben oder wenn auf Seiten der Bewerber Veränderungen eingetreten sind. Im Übrigen ist der Arbeitgeber inhaltlich an die Begründung gebunden, die er im Rahmen seiner Mitteilung nach § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX abgegeben hat (vgl. auch Großmann a.a.O. Rz 246).

Unter Zugrundelegung dieser Rechtsgrundsätze vermag die Beklagte sich nunmehr nicht darauf zu berufen, der Kläger sei nicht ausreichend für die ausgeschriebene Stelle qualifiziert. Sie ist vielmehr an ihr Ablehnungsschreiben vom 19.6.2002 gebunden. Da sie dort keine Begründung dafür nennt, weshalb sie den Kläger nicht einstellt, kann sie jetzt in dem Verfahren nach § 81 Abs. 2 SGB IX keine neuen Gründe nachschieben.

Hinsichtlich der Höhe des Entschädigungsanspruchs bestimmt § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB IX, dass diese höchstens drei Monatsverdienste betragen darf. Als Monatsverdienst war in der Stellenausschreibung eine Vergütung nach Vergütungsgruppe BAT Vc angegeben. Diese hätte EUR 2313,04 betragen. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob dem Kläger während des Bewerbungsgesprächs eine Vergütung in Höhe von EUR 2600,00 genannt worden ist.

Selbst wenn eine entsprechende Erklärung von Seiten der Vertreter der Beklagten abgegeben worden sein sollte, bedeutet dies nicht, das eine Vergütungszusage gegeben werden sollte, die über die Vergütung nach dem Bundesangestelltentarifvertrag hinaus geht. Vielmehr wären entsprechende Erklärungen der Vertreter der Beklagten lediglich so zu verstehen, dass nach ihrer Einschätzung eine Vergütung nach BAT Vc in etwa dem genannten Betrag entspricht.

Das Gericht hält vorliegend eine Entschädigung von etwa 1,5 Monatsverdiensten, mithin einem runden Betrag von EUR 3 500 für angemessen, weil kein besonders schwerer Fall einer Benachteiligung eines schwerbehinderten Menschen vorliegt.

Darüber hinaus gehende Entschädigungsansprüche gemäß § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB IX stehen dem Kläger nicht zu. Dieser Anspruch verlangt neben dem Vorliegen einer Benachteiligung des Weiteren eine Kausalität zwischen der Benachteiligung und der Nichteinstellung. Für die Ursächlichkeit ist der Kläger darlegungs- und beweispflichtig. Für einen solchen Kausalzusammenhang zwischen der Benachteiligung und der Nichteinstellung ist der Kläger beweispflichtig geblieben.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB. Nachdem der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 10.7.2002 zur Zahlung einer Entschädigung aufgefordert hatte, befindet sich die Beklagte seit dem 11.7.2002 mit der Leistung in Verzug.

Referenznummer:

R/R1749


Informationsstand: 11.08.2003