II.
Die an sich statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und innerhalb verlängerter Begründungsfrist ordnungsgemäß ausgeführte Beschwerde der Beteiligten Ziffer 2 ist zulässig, aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat dem zulässigen Anfechtungsbegehren des Beteiligten Ziffer 1 zu Recht und mit zutreffender Begründung entsprochen. Die am 06.02.2002 durchgeführte Wahl der Schwerbehindertenvertretung im Betrieb des Beteiligten Ziffer 1, der durch die Verkaufsstellen im Bezirk ..... gebildet wird, ist ungültig. Die von der Beteiligten Ziffer 2 in der Beschwerdebegründung gegen die erstinstanzliche Entscheidung vorgebrachten Argumente überzeugen nicht.
1. Entgegen der Rechtsauffassung der Beteiligten Ziffer 2 hat der Beteiligte Ziffer 1 die Wahl der Schwerbehindertenvertretung vom 06.02.2002 form- und fristgerecht in zulässiger Weise angefochten.
Unstreitig hat der Beteiligte Ziffer 1 nicht vor dem 09.02.2002, einem Samstag, vom Ergebnis der Wahl der Schwerbehindertenvertretung Kenntnis nehmen können. Denn erst am diesen Tag war das Schreiben des Betriebsrates vom 07.02.2002 über das Ergebnis der Wahlen vom 06.02. dem Verkaufsbüro des Beteiligten Ziffer 1 in ..... zugefaxt worden, wie sich aus dem Eingangsstempel auf dem Dokument
ABl. 7 der Arbeitsgerichtsakte ergibt. Der per Telefax am 25.02.2002 (einem Montag) beim Arbeitsgericht Heilbronn eingereichte Schriftsatz des Beteiligten Ziffer 1 ging deshalb rechtzeitig innerhalb der Anfechtungsfrist des
§ 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG, der sinngemäß auch bei der Anfechtung einer Wahl der Vertrauensperson der Schwerbehinderten gemäß
§ 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX Anwendung findet, bei Gericht ein. Die Anfechtung genügt auch den einschlägigen Formvorschriften. Der Telefaxschriftsatz ist nämlich schriftlich, und zwar von dem - unbestritten vertretungsberechtigten - Personalleiter ..... des Beteiligten Ziffer 1 handschriftlich unterschrieben, eingereicht worden,
vgl. §§ 253
Abs. 4, 130
Nr. 6
ZPO in Verbindung mit § 81
Abs. 1
ArbGG.
Die Anfechtungsschrift genügt zugleich den Anforderungen an die Bestimmtheit eines entsprechenden Antrags, da aus ihrem Text eindeutig der Umfang des Rechtsschutzbegehrens, nämlich das Ziel, sowohl die Wahl der Vertrauensfrau als auch ihrer Stellvertreterin anfechten zu wollen, hinreichend deutlich erkennbar geworden ist. In der kurzgefassten Auflistung der Rügen und der aus ihnen hergeleiteten Schlussfolgerungen liegt eine hinreichende Angabe des Gegenstandes und des Grundes der erfolgten Anfechtung (Durchführung der Wahlen in mehreren Betrieben
bzw. Dienststellen ohne Einschaltung der zuständigen Hauptfürsorgestelle und des Arbeitgebers; fehlende Einladung zu einer Versammlung der Schwerbehinderten zum Zwecke der Wahl eines Wahlvorstandes; fehlende Bekanntmachung der Wahl im Sinne des
§ 15 SchwbVWO; Nichterrichtung einer Wählerliste; Ordnungswidrigkeit der Stimmabgabe sowie mangelnde Feststellungen des Wahlergebnisses). Dass die Wahlanfechtung innerhalb der Anfechtungsfrist schlüssig begründet werden müsste, ist keine Zulässigkeitsvoraussetzung. Ist aber die Wahlanfechtung form- und fristgerecht erfolgt, so hat das angerufene Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und sämtliche Anfechtungsgründe, auf die es im Laufe des Verfahrens stößt, von Amts wegen zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob sich die Beteiligten darauf berufen oder nicht (
vgl. beispielsweise Schneider in Däubler/Kittner/Klebe, Betriebsverfassungsgesetz, 8. Auflage, § 19 Rn. 45
m.w.N.).
Das Arbeitsgericht war deshalb nicht daran gehindert, den erst im Laufe des Beschlussverfahrens vorgetragenen Tatsachenstoff zu verwerten und zu einer Sachentscheidung über die Zulässigkeit des vereinfachten Wahlverfahrens zu gelangen.
2. Entgegen der Rechtsauffassung der Beteiligten Ziffer 2 hat der Betriebsrat des Beteiligten Ziffer 1 bei der Durchführung der Wahl der Schwerbehindertenvertretung gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen, ohne dass eine Berichtigung erfolgt wäre; denn die rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung des vereinfachten Wahlverfahrens gemäß
§ 94 Abs. 6 S. 3 SGB IX in Verbindung mit den §§ 18
ff. SchwbVWO waren auch nach Auffassung des Beschwerdegerichts nicht erfüllt. Nach diesen Bestimmungen ist die Schwerbehindertenvertretung in einem vereinfachten Wahlverfahren nach Maßgabe der §§ 19 - 21
SchwbVWO zu wählen, wenn ein Betrieb nicht aus räumlich weit - so § 94
Abs. 6 Satz 3
SGB IX -
bzw. weiter - so
§ 18 SchwbVWO - auseinanderliegenden Teilen besteht und weniger als 50 wahlberechtigte schwerbehinderte Menschen dort beschäftigt sind. Zwar sind in dem nach § 3
Abs. 1
Nr. 3
BetrVG a.F. durch Tarifvertrag gebildeten Betrieb (bestehend aus den Verkaufsstellen der Region .....) weniger als 50 schwerbehinderte Menschen beschäftigt; doch besteht dieser Betrieb aus räumlich weit
bzw. weiter auseinanderliegenden Teilen im Sinne der zitierten Vorschriften.
Zur Beantwortung der Frage, wann im Einzelfall ein Betrieb aus weit
bzw. weiter auseinanderliegenden Teilen besteht, schlägt die Mehrheit der Kommentatoren zu den §§ 94
Abs. 6 Satz 3
SGB IX bzw. 18
SchwbVWO vor, auf die Rechtsprechung zu
§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG sowie § 6
Abs. 3 BPersVG zurückzugreifen (
vgl. etwa Ernst/Adelhoch/Seel,
SGB IX, § 94 Rn. 76; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen,
SGB IX, 10. Auflage, § 18
SchwbVWO - jeweils
m.w.N.), insbesondere unter Hinweis auf das Urteil des
OVG Münster vom 27.09.2000, Behindertenrecht 2001,
S. 147, dass das Merkmal der räumlich weiten oder weiteren Entfernung nicht aufgrund eines absoluten Maßstabes zu bestimmen sei, sich also nicht nach der bloßen
km-mäßigen Distanz zwischen der Zentrale und ihren Teilen bemessen könne, sondern danach, ob trotz der Entfernung noch eine sinnvolle, interessengerechte Arbeit der Vertretungsorgane möglich sei, so dass auch der Zeitaufwand für den Weg zwischen den einzelnen Betriebsteilen und der Zentrale, also deren verkehrliche Erreichbarkeit mit privaten PKW oder öffentlichen Verkehrsmitteln und die kommunikative Vernetzung zwischen den Betriebsteilen eine gewichtige Rolle spiele (
vgl. Adelhoch a.a.O. Rnrn. 24 und 76). Ferner wird vorgeschlagen, dann einen vergleichsweise großzügigeren Maßstab als sonst bei den §§ 4
Abs. 1 Satz 1
Nr. 1
BetrVG bzw. 6
Abs. 3 BPersVG anzulegen, wenn nur eine geringe Anzahl schwerbehinderter Menschen in den Außenstellen beschäftigt sei, da es im Anwendungsbereich des § 18
SchwbVWO in Verbindung mit § 94
Abs. 6 Satz 3
SGB IX lediglich um die Alternative zu dem mit einer Reihe von Förmlichkeiten verbundenen normalen Wahlverfahren gehe, nicht aber um die betriebsmäßige Wahlbasis als solche.
Andererseits soll bei Wegstrecken von über 20
km zwischen Betriebsteil und Zentrale die Vermutung einer räumlich weiten Entfernung vorliegen, wenn nicht besondere Umstände eine besondere betriebliche Verbundenheit zwischen den Betriebsteilen nahe legen würden.
Bei all diesen Betrachtungen wird jedoch - ausgehend vom Wortlaut des
§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG und des § 6
Abs. 3 BPersVG, wo es um die Distanz des Betriebsteils vom Hauptbetrieb
bzw. der Dienststelle von ihren Außenstellen geht - einfach unterstellt, dass § 94
Abs. 6 Satz 3
SGB IX und § 18
SchwbVWO identisch strukturiert seien und denselben Normzweck verfolgten. Dieser Prämisse vermag die erkennende Kammer nicht zu folgen. Denn schon der Wortlaut der §§ 94
Abs. 6 Satz 3
SGB IX und 18
SchwbVWO weicht von dem der §§ 4
Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 a
BetrVG sowie 6 BPersVG ab. Jener spricht von einem Betrieb, der nicht aus räumlich weit
bzw. weiter auseinanderliegenden Teilen besteht, dieser von der räumlich weiten Entfernung des Betriebsteils vom Hauptbetrieb
bzw. von Nebenstellen zur Dienststelle. Der etwas andere Sprachgebrauch in beiden Normkomplexen indiziert eine unterschiedliche Sichtweise des Gesetzgebers und daraus resultierend auch eine etwas andere Auslegung. In § 4
Abs. 1 Satz 1
Nr. 1
BetrVG bzw. § 6
Abs. 3 BPersVG dient das Merkmal der räumlichen Entfernung der Bestimmung, in welchen Fällen ein einheitlicher Betrieb oder zwei selbständige betriebliche Einheiten angenommen werden sollen, bei § 94
Abs. 6
SGB IX und § 18
SchwbVWO geht der Gesetzgeber davon aus, dass bereits ein Betrieb besteht, dass aber bei einer bestimmten Betriebsstruktur ein vom Normalverfahren abweichendes vereinfachtes Wahlverfahren zur Anwendung kommen soll. Auf die besonderen Förmlichkeiten des normalen Wahlverfahrens soll verzichtet werden können, wenn aufgrund der Überschaubarkeit der betrieblichen Verhältnisse die Einhaltung der in den §§ 1 - 17
SchwbVWO niedergelegten Wahlgrundsätze ohne Weiteres garantiert erscheint. Dies setzt voraus, dass die betrieblichen Verhältnisse und die im Betrieb ablaufenden Meinungsbildungsprozesse für die einzelnen Arbeitnehmer, insbesondere für die schwerbehinderten Menschen, noch überschaubar sind und dadurch eine demokratische Kontrolle des Wahlgeschehens im vereinfachten Verfahren möglich ist. Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung der Kammer angesichts der Betriebsstruktur in der durch Tarifvertrag künstlich geschaffenen betrieblichen Einheit "Verkaufsbezirk ..... ....." nicht mehr gegeben. Dies erhellt schon daraus, dass die räumlichen Distanzen zwischen den einzelnen Verkaufsstellen zum Teil mehr als 60
km betragen und auch die Wegezeiten zwischen einzelnen Verkaufsstellen in der Peripherie zum Sitz des Betriebsrates in ..... zum Teil länger als eine Stunde sind, wie das Arbeitsgericht festgestellt hat. Hinzu kommt, dass die betriebliche Einheit aus mehr als 50 kleineren Verkaufsstellen besteht, die auch nicht durch ein besonderes Kommunikationsnetz miteinander verknüpft sind und deren personelle Besetzung selbst dem Betriebsrat nicht immer bekannt ist, was sich schon daraus ergibt, dass die Einladung zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung am 06.02.2002 aufgrund einer veralteten Liste erfolgt war und die an und für sich wahlberechtigte schwerbehinderte Mitarbeiterin Frau ..... eine Einladung nicht erhielt.
Dass die Mehrheit der wahlberechtigten schwerbehinderten Mitarbeiter im Verkaufsbezirk ... in Verkaufsstellen beschäftigt werden, die unstreitig räumlich nahe zum Sitz des Betriebsrates in der Verkaufsstelle ... gelegen sind, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Darauf stellt der Normtext des § 18
SchwbVWO nicht ab. Er eröffnet den möglichen Organisatoren einer vereinfachten Wahl (3 Wahlberechtigte, Betriebs- oder Personalrat
bzw. das Integrationsamt,
vgl. § 19 Abs. 2 SchwbVWO) auch keinen Ermessensspielraum. Vielmehr enthält § 18 einen unbestimmten Rechtsbegriff, der bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen zur Anwendung des vereinfachten Wahlverfahrens zwingt. Die Rechtsfolgen des § 18
SchwbVWO können deshalb nicht davon abhängen, zu welchem Zeitpunkt zufälligerweise welche schwerbehinderten Menschen in welchen Betriebsteilen eingesetzt werden. Dies gilt umso mehr im Hinblick darauf, dass die Personalfluktuation in den Verkaufsstellen des Beteiligten Ziffer 1 - unbestritten - groß ist und sich auch der Kreis der wahlberechtigten behinderten Menschen ständig verändert, wie schon der Vergleich der Personallisten vom 11.12.2001 und vom 01.02.2002 zeigt (
ArbG-Akte Bl. 152-158).
Das Arbeitsgericht hat deshalb nach allem zu Recht festgestellt, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Durchführung des vereinfachten Wahlverfahrens bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung am 06.02.2001 nicht erfüllt waren und damit gegen wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens verstoßen worden ist.
Wie das Arbeitsgericht ist auch das Beschwerdegericht der Auffassung, dass durch diesen Verstoß das Wahlergebnis objektiv beeinflusst werden konnte. Nach aller Lebenserfahrung wäre der Ausgang der Wahl am 06.02.2002 mit hoher Wahrscheinlichkeit ein anderer gewesen, wenn diese im normalen Wahlverfahren durchgeführt worden wäre. Dann wäre in der Tat der Vorbereitungszeitraum zur Durchführung der Wahl deutlich länger gewesen, es hätten sich alle schwerbehinderten Menschen rechtzeitig auf die Wahl einstellen und am vorgesehenen Wahltag den Wahlakt vornehmen können. Nicht nur dass eine anders verlaufende Meinungsbildung nach Erlass eines Wahlausschreibens zu einem anderen Wahlergebnis hätte führen können; allein die Teilnahme von Frau .... hätte das Wahlergebnis bei der Wahl der Vertrauensfrau entscheidend ändern können, nachdem Frau ..... sich nur mit drei zu zwei Stimmen gegen die Mitbewerberin ..... hatte durchsetzen können (
vgl. ArbG-Akte Bl. 124). Möglicherweise hätten sich auch noch weitere wahlberechtigte schwerbehinderte Mitarbeiterinnen des Beteiligten Ziffer 1 gemeldet, die bislang noch nicht von der Personalverwaltung als Schwerbehinderte registriert worden waren.
Nach allem hat das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt, dass die am 06.02.2002 für den Bezirk ... des Beteiligten Ziffer 1 durchgeführte Wahl der Schwerbehindertenvertretung unwirksam ist. Der Beschwerde der Beteiligten Ziffer 2 konnte kein Erfolg beschieden werden. Auch bedurfte es keiner weiteren Sachaufklärung hinsichtlich der von dem Beteiligten Ziffer 1 zusätzlich ins Feld geführten angeblichen schwerwiegenden Wahlverstöße.
III
1. Dieses Beschwerdeverfahren ist kostenfrei (§§ 12
Abs. 5, 2 a
Abs. 1
ArbGG).
2. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf den §§ 92
Abs. 1 Satz 2, 72
Abs. 2 Ziff. 1
ArbGG, nachdem der Sache im Hinblick auf die Frage, unter welchen tatbestandlichen Voraussetzungen das vereinfachte Wahlverfahren zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung gemäß
§ 94 Abs. 6 Satz 3 SGB IX bzw. § 18 SchwbVWO durchzuführen ist, grundsätzliche Bedeutung beizumessen ist.