Urteil
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - Kosten für Unterkunft- und Heizung

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 5. Senat


Aktenzeichen:

L 5 B 10/08 AS ER


Urteil vom:

11.02.2008


Tenor:

Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Dezember 2007 wird geändert.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin für die Monate November 2007 bis einschließlich April 2008 Leistungen in Höhe von insgesamt 234,00 Euro monatlich als Darlehen zu gewähren.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen zu tragen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit welcher der Antragsgegner verpflichtet wird, ihr ab November 2007 monatlich 216,00 Euro für Unterkunft und Heizung sowie 18,00 Euro als Vorauszahlung auf die Stromkosten zu leisten.

Die 1986 geborene Antragstellerin ist gehörlos; der Grad der Behinderung wurde mit 100 festgestellt. Aufgrund ihrer Gehörlosigkeit erhält sie monatlich 117,00 Euro Pflegegeld nach dem Landespflegegeldgesetz (LPflGG). Die alleinstehende Antragstellerin ist seit Mai 2006 Mieterin einer Einzimmerwohnung. Eine Ausbildung zur Tischlerin brach sie im Jahr 2006 ab. Die Bundesagentur für Arbeit (BAA) erkannte einen wichtigen Grund für den Abbruch an und sagte die Kostenübernahme für eine Reha-Ausbildung zur Tischlerin im Berufsbildungswerk L für Hör- und Sprachgeschädigte g GmbH (BBW) zu. Bis zum Beginn der Ausbildung werde die Antragstellerin, so führte die BAA in einem Schreiben aus, vermittlerisch durch den Antragsgegner betreut, der entsprechend informiert werde.

Im April 2007 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von monatlich 548,26 Euro und mit Bescheid vom 31. Juli 2007 für die Monate September und Oktober 2007 solche in Höhe von monatlich 550,26 Euro.

Mit Bescheid vom 20. August 2007 gewährte die BAA der Antragstellerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 97 ff Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) in Verbindung mit § 33 und §§ 44 ff Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Bewilligt wurden für die Zeit vom 27. August 2007 bis zum 26. August 2010 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form von Lehrgangskosten, ferner einmalige An- und Abreisekosten in Höhe von jeweils 36,40 Euro sowie für den genannten Zeitraum monatlich 147,20 Euro für Familienheimfahrten und für die Zeit vom 27. August 2007 bis zum 28. Februar 2009 monatlich 93,00 Euro an Ausbildungsgeld. In dem Bescheid heißt es, Auszubildende in einer förderfähigen Ausbildung seien grundsätzlich von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II ausgeschlossen. In bestimmten Fällen sei jedoch auf Antrag die Zahlung eines Zuschusses zu den ungedeckten Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 7 SGB II möglich. Am 10. September 2007 rief der Bevollmächtigte der Antragstellerin bei dem Antragsgegner an und erkundigte sich nach der Leistung für den Monat September 2007. Er gab an, die Arbeitsagentur habe zugesichert, dass das Arbeitslosengeld II unter Anrechnung des Ausbildungsgeldes in Höhe von 93,00 Euro weiterhin gezahlt werde. Mit Bescheid vom 11. September 2007 hob der Antragsgegner die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Wirkung vom 01. September 2007 auf, weil eine Ausbildung mit Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß § 97 ff SGB III begonnen worden sei. Die Entscheidung beruhe, so wird ausgeführt, auf § 7 Abs. 5, § 8 und § 9 Abs. 1 SGB II und § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X i. V.m. § 40 Abs. 1 SGB II und § 330 Abs. 3 SGB III.

Unter dem 13. September 2007 lehnte der Antragsgegner die Gewährung eines Zuschusses zu den ungedeckten Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 7 SGB II ab und teilte zur Begründung mit, die Antragstellerin erfülle die Anspruchsvoraussetzungen nicht, da sie in einem Internat untergebracht sei und die Agentur für Arbeit die Kosten für Unterbringung und Verpflegung übernommen habe, sie also Leistungen gemäß § 105 Abs. 1 Nr. 2 SGB III erhalte.

Mit Beschluss vom 17. Oktober 2007 (Az.: S 104 AS 22929/07 ER) ordnete das Sozialgericht Berlin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Aufhebungsbescheid vom 11. September 2007 insoweit an, als der Antragsgegner verpflichtet sei, der Antragstellerin für die Monate September und Oktober 2007 ein monatliches Arbeitslosengeld II in Höhe von 234,00 Euro zu zahlen. In der Begründung des Beschlusses ist ausgeführt, der Antragstellerin seien für die Monate September und Oktober 2007 die Kosten der Unterkunft und Heizung als Darlehen zu gewähren, weil ein besonderer Härtefall vorliege. Beim Vorliegen eines Härtefalls sei die Hilfeleistung indiziert, sie könne nur in Ausnahmefällen abgelehnt werden. Da für das Vorliegen eines Ausnahmefalls nichts ersichtlich sei, stehe auch das dem Antragsgegner an sich eingeräumte Ermessen der getroffenen Entscheidung nicht entgegen. Soweit die Antragstellerin allerdings eine einstweilige Anordnung für die Zeit ab dem 1. November 2007 begehre, könne diese schon deshalb nicht ergehen, weil sie einen entsprechenden Antrag nicht gestellt habe.

Einen am 1. November 2007 gestellten Antrag auf Arbeitslosengeld II lehnte der Antragsgegner unter Hinweis auf einen Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 und 6 SGB II mit Bescheid vom 15. November 2007 ab. Dagegen hat die Antragstellerin unter dem 21. November 2007 Widerspruch eingelegt und vorgetragen, es sei für sie nicht nachvollziehbar, dass sie vor Beginn der Ausbildungsmaßnahme eine eigenständige Bedarfsgemeinschaft mit Übernahme der Kosten für Wohnung und Heizung gewesen sei und nun die Wohnung aufgeben müsse.

Am 22. November 2007 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und ausgeführt, sie begehre einen Zuschuss zu den ungedeckten Kosten für Unterkunft und Heizung für die Zeit ab dem 1. November 2007. Ihre Wohnung benötige sie auch während der Ausbildung im BBW L und zwar für die Zeit der Schließung des Internats an jedem zweiten Wochenende, während der Praktikumszeit und im Falle der Krankheit. Sie habe sich dort eingerichtet und könne die Wohnung weder einfach auflösen noch die Kosten von dem durch die BAA gewährten Ausbildungsgeld bestreiten. Dass sie mit Aufnahme der Ausbildung die Wohnung aufgeben müsse, sei ihr im Vorfeld nicht gesagt worden. Verliere sie die Wohnung und müsse sie die Lehre abbrechen, so werde vielleicht die aufgrund ihrer Behinderung letzte Chance vertan. Ihrem Antrag beigefügt hat die Antragstellerin unter anderem die Ablichtung einer Zahlungsaufforderung des Vermieters vom 13. November 2007. Danach weist ihr Mietkonto zum 13. November 2007 einen Rückstand von 608,00 Euro auf. Beigefügt hat sie des weiteren die Ablichtung eines Schreibens der BAA vom 29. November 2007, in welchem es heißt, sie benötige eine besondere Reha - Maßnahme, um zum Ausbildungserfolg zu kommen. Diese müsse im Internat im BBW durchgeführt werden, da die Antragstellerin in Berlin bei einem freien Bildungsträger nicht hinreichend habe gefördert werden können. Die Antragstellerin habe Anspruch auf Maßnahmekosten, Kosten der Unterbringung im Internat, Heimfahrten und Ausbildungsgeld. Mietzuschüsse habe der Gesetzgeber im Rahmen des Ausbildungsgeldes nicht vorgesehen. Die Gewährung des Ausbildungsgeldes schließe die Gewährung von Arbeitslosengeld II aus, auch wenn die monatliche Höhe sehr viel niedriger sei, könne nicht aufgestockt werden. Ohne einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II könnten normalerweise keine Kosten der Unterkunft nach dem SGB II übernommen werden. Die Klärung, ob in diesem Härtefall ausnahmsweise nur die Kosten der angemessenen Unterkunft als Zuschuss durch den Antragsgegner gewährt werden könnten, sei dort zu entscheiden. Eine Rücksprache mit der Geschäftsführerin sei bislang ohne Ergebnis geblieben.

Der Antragsgegner hat die Auffassung vertreten, die Antragstellerin sei nach § 7 Abs. 5 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen; auch die Voraussetzungen des § 7 Abs. 6 SGB II lägen nicht vor. Schließlich bestehe auch nicht die Möglichkeit der zuschussweisen Übernahme ungedeckter Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II, weil die Antragstellerin die Kosten für anderweitige Unterbringung und Verpflegung nicht selbst tragen müsse, so dass die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 Nr. 4 SGB III nicht vorlägen. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2007, zugestellt am 20. Dezember 2007, hat das Sozialgericht Berlin den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es bestehe kein Anordnungsanspruch, denn die Antragstellerin sei nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Danach hätten Auszubildende, deren Ausbildung unter anderem nach §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig sei, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Antragstellerin befinde sich in einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung in diesem Sinne.

Über die wörtliche Erwähnung in § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II hinaus fielen auch berufliche Ausbildungen bzw. berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen unter den Anspruchsausschluss, die nach §§ 97 ff SGB III Gegenstand einer Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben und einer Förderung durch Ausbildungsgeld gemäß § 104 Abs. 1 SGB III zugänglich seien. Denn nach § 104 Abs. 2 SGB III gälten die Vorschriften über die Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) in §§ 59 ff SGB III entsprechend, soweit im Folgenden nichts Abweichendes bestimmt sei. Nach der Gesetzesbegründung zu § 102 SGB III sei es wegen der Vergleichbarkeit von Ausbildungsgeld und BAB sachgerecht, hinsichtlich der Voraussetzungen des Anspruchs auf Ausbildungsgeld auf die Vorschriften über die BAB zu verweisen, soweit nicht die Besonderheiten der Situation Behinderter abweichende Regelungen erforderten. Demzufolge handele es sich unter anderem bei beruflichen Ausbildungen im Rahmen der Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben der Sache nach um berufliche Ausbildungen im Sinne von § 60 SGB III. Die abweichenden Regelungen in §§ 105 bis 107 SGB III beträfen lediglich die Bedarfssätze und in § 108 SGB III die Einkommensanrechnung. Für diese Auslegung spreche auch die Regelung des § 22 Abs. 7 SGB II, die an den Anspruchsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II anknüpfe und für Auszubildende, die Ausbildungsgeld erhielten und deren Bedarf sich unter anderem nach §§ 105 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4, 106 Abs. 1 Nr. 2 SGB III richte, einen Zuschuss zu ihren ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung vorsehe.
Die Regelung liefe nämlich ins Leere, wenn nicht gerade auch Bezieher von Ausbildungsgeld im Rahmen der Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben nach §§ 104 Abs. 2, 59 ff SGB III unter den Anspruchsausschluss des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II fielen. Nach alledem falle die Antragstellerin unter den persönlichen Anwendungsbereich des Anspruchsausschlusses. § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II bezwecke, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende davon zu befreien, eine (versteckte) Ausbildungsförderung sozusagen auf einer zweiten Ebene zu sein. Leistungen zur Grundsicherung sollten in aller Regel nicht dazu dienen, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung der in § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II genannten Art zu ermöglichen. Allerdings beziehe sich der Anspruchsausschluss nur auf den ausschließlich ausbildungsgeprägten Bedarf, das heißt den regelmäßig während einer Ausbildung anfallenden. Dieser umfasse neben dem eigentlichen Ausbildungsbedarf vor allem den notwendigen Lebensunterhalt des Auszubildenden. Die Antragstellerin begehre insbesondere Leistungen für Unterkunft und Heizung und damit die Deckung eines Bedarfs, der regelmäßig während der Ausbildung anfalle. Schließlich liege hier ein besonderer Härtefall nicht vor.
Eine besondere Härte im Sinne von § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II bestehe nur dann, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgingen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden und vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden sei. Dies sei dann der Fall, wenn im Einzelfall Umstände hinzuträten, die einen Ausschluss von einer Ausbildungsförderung im Wege der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart, das heißt als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig erscheinen ließen. Die Antragstellerin aber befinde sich in einer typischen Ausbildungssituation und werde durch die Versagung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht härter getroffen als andere Auszubildende, die vom Anspruchsausschluss betroffen seien. Insbesondere sei gerade nicht glaubhaft gemacht worden, dass mit dem Anspruchsausschluss tatsächlich ein Ausbildungsabbruch einhergehe und ein solcher der Antragstellerin zudem jede Chance auf eine künftige Eingliederung in das Arbeitsleben nehme. Das Vorliegen einer Behinderung führe nicht von selbst zur Annahme einer besonderen Härte, was sich auch aus § 22 Abs. 7 SGB II ergebe, der gerade auch auf Leistungen zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen Bezug nehme. Nach alledem sei deutlich, dass gegenwärtig keine existenzielle Notlage der Antragstellerin erkennbar sei, die erst den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigen könnte. Denn für die überwiegende Zeit seien Unterkunft und Heizung bereits durch die Teilhabeleistungen gesichert, mit der Folge, dass der Erhalt der Wohnung in Berlin nicht mehr als unabdingbar erscheine.

Gegen diesen Beschluss hat die Antragstellerin am 2. Januar 2008 Beschwerde eingelegt und vorgetragen, ihre besondere Lebenssituation, insbesondere der Umstand, dass sie sich bei der Schließung des Internats an jedem zweiten Wochenende in Berlin aufhalten müsse, sei nicht hinreichend gewürdigt worden. Der Vollständigkeit halber wolle sie auch erwähnen, dass sie die Wohnung bei Krankheit, so zurzeit für etwa vier Wochen nach einer Operation am Kopf, bei Urlaub und Praktika nutze. Man habe ihr damals gesagt, ihr Status bleibe erhalten, nur werde das Ausbildungsgeld mit dem Arbeitslosengeld II verrechnet. Zwar sei dies zu akzeptieren, doch müsse sie wenigstens für den Erhalt ihrer Wohnung Bestandsschutz haben, die sie bescheiden eingerichtet habe. Bei Kenntnis der wirklichen Bedingungen hätte sie andere Ausbildungsmöglichkeiten in Betracht gezogen. Es müsse ihr doch möglich sein, mit einer bescheidenden Grundsicherung die Fortsetzung der Lehre zu sichern und sie vor einem erneuten Rückfall in das Arbeitslosengeld II zu bewahren.

Der Antragsgegner hält den erstinstanzlichen Beschluss für zutreffend. § 7 Abs. 5 SGB II konkretisiere den Nachrang der Grundsicherung für Arbeitsuchende gegenüber weiteren vorgelagerten Sozialleistungssystemen zur Sicherung des Lebensunterhalts und gehe von der Annahme aus, dass Leistungen nach dem BAföG und dem SGB III den entsprechenden Bedarf abdeckten, so dass grundsätzlich keine Aufstockung dieser Leistungen in Betracht komme. Dass der Gesetzgeber den Leistungsausschluss in § 7 Abs. 5 SGB II auch auf dem Grunde nach mit Ausbildungsgeld förderfähige Ausbildungen habe erstrecken wollen, ergebe sich darüber hinaus auch im Umkehrschluss aus § 22 Abs. 7 SGB II. Würden die Regelungen der §§ 104 ff SGB III nicht auch von § 7 Abs. 5 SGB II erfasst, so gäbe es für die Zuschussgewährung für Personen, die Ausbildungsgeld nach §§ 104 ff SGB III erhielten, keinen Anwendungsbereich. Aus der Begründung zu dem Gesetzesentwurf ergebe sich, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, dass Auszubildende, die Ausbildungsgeld nach dem SGB III bezögen, vom Anspruchsausschluss erfasst seien. Aus dem Umstand, dass Bezieher von Ausbildungsgeld nach § 105 Abs. 1 Nr. 2 SGB III nicht unter die Neuregelung des § 22 Abs. 7 SGB II fielen, sei demnach die gesetzgeberischere Intention zu entnehmen, dass für diesen Personenkreis gerade nicht die Möglichkeit einer Zuschussgewährung habe eröffnet werden sollen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners verwiesen, der Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen ist.

Hinweis:

Einen Fachbeitrag zum Einstweiligen Rechtsschutz finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
https://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/a/2013/A4...

Rechtsweg:

SG Berlin Urteil vom 14.12.2007 - S 55 AS 30208/07 ER

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Dezember 2007 ist gemäß §§ 172 Abs. 1 und 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung [ZPO]).

Die zu treffende Eilentscheidung kann, wie das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung in Zusammenhang mit Leistungen nach dem SGB II bzw. XII betont hat (Beschluss vom 12. Mai 2005, NVwZ 2005, S. 927 ff), sowohl auf eine Folgenabwägung (Folgen einer Stattgabe gegenüber den Folgen bei Ablehnung des Eilantrages) als auch alternativ auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Im Vordergrund steht dabei für den Senat die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache (Anordnungsanspruch), ergänzt um das Merkmal der Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund), um differierende Entscheidungen im Eil- und Hauptsacheverfahren möglichst zu vermeiden. In diesem Zusammenhang ist das Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern im Rahmen des im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Möglichen abschließend zu prüfen, besonders wenn das einstweilige Verfahren im Wesentlichen oder vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und einem Beteiligten eine endgültige Grundrechtsbeeinträchtigung droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Unter Beachtung der auf dem Spiel stehenden Grundrechte dürfen dabei die Anforderungen an die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, a.a. O.).

Hieran gemessen hat die Antragstellerin für die von ihr begehrte einstweilige Anordnung sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund in einem die (zeitweise) Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Maße glaubhaft gemacht.
Soweit das Sozialgericht das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs verneint hat, kann ihm nicht gefolgt werden. Ein solcher besteht, denn die Antragstellerin wird im Hauptsacheverfahren voraussichtlich obsiegen.

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten diejenigen Personen Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches, die das 15., nicht aber das 65. Lebensjahr vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Zu den zu gewährenden Leistungen gehören als Arbeitslosengeld II insbesondere die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Dass die Antragstellerin danach als erwerbsfähige Hilfebedürftige anzusehen ist, scheint unstreitig zu sein. Sowohl der Antragsgegner als auch das Sozialgericht halten sie jedoch für einem Personenkreis zugehörig, der keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hat. Im Ablehnungsbescheid des Antragsgegners wie auch im Beschluss des Sozialgerichts Berlin heißt es, die Antragstellerin sei nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Davon ist der Senat nicht überzeugt.

Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAFöG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Eine Ausbildungsförderung nach dem BAföG kommt im vorliegenden Fall von Vornherein nicht in Betracht, weil dieses Gesetz nicht für betriebliche oder außerbetriebliche Berufsausbildungen gilt. Auch die Voraussetzungen der §§ 60 bis 62 SGB III dürften hier nicht vorliegen. Zwar ist der von der Antragstellerin gewählte Ausbildungsberuf der Tischlerin nach § 25 der Handwerksordnung staatlich anerkannt (Verordnung über die Berufsausbildung zum Tischler/zur Tischlerin, BGBl I 2006, S. 245 ff), und es dürfte mit dem BBW Leipzig auch ein Berufsausbildungsvertrag abgeschlossen worden sein, so dass die Förderungsfähigkeit nach § 60 Abs. 1 SGB III gegeben wäre. Liegen jedoch - wie hier - , weil es sich um einen behinderten Menschen handelt, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 97 ff SGB III und insbesondere für die Bewilligung besonderer Leistungen nach §§ 102 ff SGB III vor, so verdrängen diese spezielleren Regelungen die allgemeinen.

Wer - wie die Antragstellerin - während einer beruflichen Ausbildung nach § 104 Abs. 1 Nr. 1 SGB III Anspruch auf Ausbildungsgeld hat, hat nicht daneben noch Anspruch auf BAB nach § 59 ff SGB III. Zwar gelten nach § 104 Abs. 2 SGB III für das Ausbildungsgeld die Vorschriften über die BAB entsprechend, soweit im Folgenden nichts Abweichendes bestimmt ist. Dass BAB und Ausbildungsgeld sich aber nicht nur hinsichtlich der Bedarfssätze und der Einkommensanrechnung (§§ 105 ff SGB III) unterscheiden, sondern auch in Bezug auf die als förderungsfähig angesehenen Ausbildungen, zeigt § 102 Abs. 1 Satz 2 SGB III, demzufolge in besonderen Einrichtungen für behinderte Menschen - anders als nach § 60 Abs. 1 SGB III - auch Aus- und Weiterbildungen außerhalb des Berufsbildungsgesetzes und der Handwerksordnung gefördert werden. Handelt es sich bei dem Ausbildungsgeld nach § 104 SGB II um ein aliud zur BAB nach § 59 SGB III, so kann der für nach §§ 60 bis 62 SGB III förderungsfähige Ausbildungen geltende Ausschluss gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II nicht ohne weiteres dahingehend ausgelegt werden, dass er auch für nach § 102 ff SGB III förderungsfähige Ausbildungen gelten soll. Hätte der Gesetzgeber auch insoweit einen Ausschlusstatbestand schaffen wollen, so hätte er die entsprechenden Vorschriften in Bezug nehmen können und müssen.

Soweit es in dem angegriffenen Beschluss heißt, die Regelung des § 22 Abs. 7 SGB II, die an den Anspruchsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II anknüpfe und für Auszubildende, die Ausbildungsgeld erhielten und deren Bedarf sich unter anderem nach §§ 105 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4, 106 Abs. 1 Nr. 2 SGB III richte, einen Zuschuss zu ihren ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung vorsehe, spreche dafür, dass Auszubildende, die eine nach § 102 ff SGB III förderungsfähige Ausbildung absolvierten, vom Anspruchsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II erfasst seien, überzeugt dies nicht. Zwar trifft es zu, dass die Regelung im Hinblick auf Auszubildende, die Ausbildungsgeld nach § 104 SGB III erhalten, ins Leere läuft, wenn diese nicht unter den Anspruchsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II fallen. Dies dürfte jedoch die Konsequenz eines gesetzgeberischen Irrtums sein. Dass behinderte Menschen, die Anspruch auf besondere Leistungen nach dem SGB III haben, dem von der Neuregelung in § 22 Abs. 7 SGB II erfassten Personenkreis zugeordnet wurden, ist darauf zurückzuführen, dass der Gesetzgeber bei der Einfügung von § 22 Abs. 7 SGB II davon ausging, Auszubildende, die Ausbildungsgeld nach dem SGB III bezögen, seien gleichermaßen von dem Anspruchsausschluss nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II betroffen wie Schüler, Studierende oder Auszubildende, die Leistungen nach dem BAFöG oder BAB beziehen (vgl. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Deutscher Bundestag, Drucksache 16/ 1410, S. 24).

So war indessen weder § 26 Abs. 1 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), die bis zum Inkrafttreten des SGB II insoweit maßgebliche und wortgleiche Regelung, noch § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II bis dahin (erweiternd) ausgelegt worden (vgl. Wenzel in Fichtner, Kommentar zum BSHG, 2. Aufl., München 2003, Rdnr. 6 zu § 26 BSHG; ebenso in der folgenden Auflage: Wenzel in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl., München 2005, Rdnr. 7 zu [dem insoweit ebenfalls wortgleichen] § 22 SGB XII; Berlit in LPK-SGB II, Rdnr. 127 zu § 22). Dass der Irrtum des Gesetzgebers nun dadurch korrigiert werden müsste, dass eine über Jahrzehnte zu Recht eng ausgelegte, da Ansprüche ausschließende Norm nun (wegen der Einfügung von § 22 Abs. 7 SGB II) über den Wortlaut hinaus erweiternd auszulegen wäre, scheint dem Senat weder erforderlich noch sinnvoll. Selbst wenn man aber die Auffassung verträte, dass § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II so auszulegen wäre, dass die Antragstellerin von dem Anspruchsausschluss erfasst wäre, so hätte sie zwar nicht nach § 22 Abs. 7 Satz 1 SGB II einen Anspruch auf einen Zuschuss zu ihren ungedeckten Kosten für Unterkunft und Heizung, weil ihr Bedarf sich nicht nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 4 SGB III, sondern, da sie in einem Internat untergebracht ist, nach § 105 Abs. 1 Nr. 2 SGB III bemisst. Jedenfalls aber wären ihr zur Sicherung ihres Lebensunterhalts Leistungen in der benötigten Höhe als Darlehen zu gewähren, weil es sich in ihrem Fall um einen besonderen Härtefall im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II handelt.

Der früher in § 26 Abs. 1 Satz 1 BSHG und heute in § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II sowie in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB XII geregelte grundsätzliche Ausschluss Auszubildender von Hilfe zum Lebensunterhalt beruht darauf, dass die Förderung von Ausbildungen nur durch die dafür eigens vorgesehenen Leistungen erfolgen soll. In Fällen, in denen diese ausnahmsweise nicht ausreichen, soll nicht durch Sozialhilfe- bzw. Grundsicherungsleistungen eine (versteckte) Förderung auf einer "zweiten Ebene" stattfinden ( vgl. Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Beschluss vom 13.5.1993, ZfS 1993, S. 274 f., m.w.N. und Urteil vom 14.10.1993, BVerwGE 94, 224 ff).

Der Gesetzgeber ging davon aus, dass es sich bei den vom Anspruchsausschluss Betroffenen im Regelfall um junge, anpassungsfähige und belastbare Menschen handeln würde, die Einschränkungen hinnehmen oder auch durch Gelegenheits-, Ferien- oder Wochenendarbeiten hinzuverdienen könnten (vgl. Hamburgisches OVG, Beschluss vom 9.9.1997, FEVS 48, S. 327 ff, m.w.N.). Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind sie notfalls gehalten, von der Ausbildung ganz oder vorübergehend Abstand zu nehmen. Die damit einhergehenden Unbequemlichkeiten und Belastungen sind eine zwangsläufige Folge der gesetzlichen Regelung und werden vom Gesetzgeber als hinnehmbar in Kauf genommen. Eine besondere Härte ist danach erst dann gegeben, wenn Umstände hinzutreten, die einen Ausschluss von Hilfe zum Lebensunterhalt als übermäßig hart, das heißt als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig erscheinen lassen (BVerwG, Urteil vom 14.10.1993, a.a.O.).

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist eine solche "besondere" Härte hier anzunehmen. Die Antragstellerin hat dadurch, dass sie eine eigene kleine Wohnung besitzt, im Rahmen ihres ausbildungsbedingten Bedarfs besondere Aufwendungen, die es ihr unmöglich machen, ihren Lebensunterhalt ohne zusätzliche Hilfe allein aus ihren monatlichen Einkünften in Höhe von 93,00 Euro Ausbildungsgeld und, rechnete man dies an, Pflegegeld nach dem LPflGG in Höhe von 117,00 Euro zu bestreiten. Selbst wenn sie für Kleidung, neben der Internatskost erforderliche Verpflegung und sonstigen Bedarf nichts aufwenden würde, könnte sie nicht einmal die Miete für die Wohnung tragen.

Dem oben beschriebenen Leitbild, das der Gesetzgeber von einem in Ausbildung befindlichen Menschen hatte, entspricht die Antragstellerin nicht. Es ist ihr, die als Gehörlose eine spezielle Ausbildungsstätte besucht, aller Wahrscheinlichkeit weder möglich noch ist es ihr zuzumuten, ihre finanzielle Lage durch einen Hinzuverdienst aufzubessern. Ebenso wenig kann ihr zugemutet werden, die Wohnung aufzugeben, denn dann hätte sie, worauf sie zu Recht hinweist, zu den Schließzeiten des Internats wie auch bei Krankheit und für die Zeiten, in welchen sie Praktika zu absolvieren hat, keine Bleibe. Dass ein Umzug in eine kostengünstigere Wohnung eine Kostensenkung herbeiführen könnte, erscheint angesichts des Umstands, dass die Antragstellerin bereits eine preisgünstige Einzimmerwohnung bewohnt, ausgeschlossen. Nicht zugemutet werden kann ihr schließlich die Aufgabe der Ausbildung. Angesichts ihrer Gehörlosigkeit und des Umstands, dass sie in der Vergangenheit bereits eine Ausbildung hat abbrechen müssen, weil sie aufgrund ihrer Behinderung den Anforderungen nicht gewachsen war, ist ihre Situation nicht vergleichbar mit derjenigen einer nicht behinderten Gleichaltrigen. Der ungestörte Fortgang der nun begonnenen, speziell auf ihre Bedürfnisse ausgerichteten Ausbildung hat für die Antragstellerin und ihr weiteres Leben eine herausragende Bedeutung. Vor dem Hintergrund, dass die BAA der Antragstellerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Höhe von insgesamt fast 4.000,00 Euro monatlich gewährt, um ihre Eingliederung in das Arbeitsleben zu ermöglichen, wäre die Forderung, die Ausbildung jetzt abzubrechen, auch wirtschaftlich nicht nachvollziehbar.

Nach alledem liegt ein besonderer Härtefall vor, so dass die in das pflichtgemäße Ermessen des Antragsgegners gestellte Entscheidung nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II hier sachgerecht nur in der Weise getroffen werden kann, dass der Antragstellerin Hilfe als Darlehen gewährt wird (vgl. VGH Kassel, Urteil vom 10.12.1991, FEVS 42, S. 426 ff, m.w.N.).

Der Senat sieht auch einen Anordnungsgrund als glaubhaft gemacht an. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens, mithin der Erfüllung einer verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, a.a.O.). Ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung bliebe das Existenzminimum der Antragstellerin für mehrere Monate nicht in vollem Umfange gedeckt. Dabei handelt es sich um eine erhebliche Beeinträchtigung, die auch nachträglich bei einem erfolgreichen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht mehr bzw. nur mit längerer Verzögerung ausgeglichen werden kann, weil der elementare Lebensbedarf eines Menschen grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden kann, in dem er entsteht. Müsste die Antragstellerin jetzt ihre Wohnung aufgeben, so wäre dies im Nachhinein kaum auszugleichen. Die damit erforderliche Vorwegnahme der Hauptsache ist in Kauf zu nehmen, weil der zu befürchtenden Beeinträchtigung der Menschenwürde durch die Vorenthaltung von Leistungen zur Existenzsicherung lediglich die Möglichkeit ungerechtfertigter Geldzahlungen seitens des Antragsgegners gegenüber steht.

Angesichts des von der Antragstellerin formulierten Begehrens und des Umstands, dass die Entscheidung im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens ergeht, kann der Antragsgegner lediglich zur Gewährung von Leistungen für den aus dem Tenor ersichtlichen Zeitraum verpflichtet werden. Grundsätzlich kann nach Auffassung des Senats zwar die Verpflichtung zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - ausgehend von der Antragstellung bei Gericht - nur für in der Zukunft liegende Zeiträume ausgesprochen werden. Der Fall der Antragstellerin, der es insbesondere darum geht, die im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Wohnung in Berlin stehenden Kosten abgesichert zu sehen, zeigt jedoch, dass der Existenzsicherung dienende Maßnahmen auch bezüglich bereits in der Vergangenheit entstandener Verbindlichkeiten erforderlich sein können (vgl. auch § 22 Abs. 5 SGB II). Da die Antragstellerin den Antrag bei Gericht in demselben Monat angebracht hat, in welchem der Antrag bei dem Antragsgegner gestellt wurde, stehen ihr Leistungen bereits ab dem 1. November 2007 zu. Weil Leistungen der Grundsicherung nach § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II im Regelfall für sechs Monate bewilligt werden sollen, gibt es im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens keinen Grund, diesen Zeitraum zu überschreiten, so dass über den Monat April 2008 hinaus keine Verpflichtung des Antragsgegners erfolgen kann.

Hinsichtlich der Höhe, in welcher der Antragstellerin monatlich Leistungen zustehen, bedurfte es nach Auffassung des Senats keiner weiteren Ermittlungen. Dass die Antragstellerin das ihr zur freien Verfügung stehende Ausbildungsgeld von 93,00 Euro monatlich zur Deckung ihrer unabhängig von Wohnkosten bestehenden Bedarfe benötigt, erscheint nicht klärungsbedürftig. Das Pflegegeld dürfte, da es dem Ausgleich behinderungsbedingter Mehraufwendungen dient, zweckgebunden und anrechnungsfrei sein. Dass der Bedarf in dieser Höhe nicht bestünde, hat im Übrigen auch der Antragsgegner nicht behauptet.

Der Antragsgegner hat die Leistungen (nur) als Darlehen zu gewähren. Dies ergibt sich zum einen aus dem einstweiligen Charakter der getroffenen Anordnung, zum anderen aber auch aus § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II. Danach können in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen geleistet werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung. Ausgehend vom Interesse der Antragstellerin, die Kosten der Wohnung in Berlin einstweilen abgesichert zu sehen, fällt der Umstand, dass ihr (nur) eine darlehensweise Hilfe für einen der vom Gesetz vorgesehenen üblichen Bewilligungsdauer entsprechenden Zeitraum zugesprochen werden konnte, kaum ins Gewicht, so dass der Senat eine Quotelung nicht für angemessen hält.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Referenznummer:

R/R3023


Informationsstand: 17.09.2008