I.
Die am 2. Oktober 1955 geborene Klägerin legte am 25. Februar 1976 am Katechetenseminar der Evangelisch-Lutherischen Kirche in F. die Katechetenprüfung ab. Im Jahre 1978 wurde sie ihren Angaben zufolge aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen. Nach Erlangung der Allgemeinen Hochschulreife am 8. Dezember 1980 am Bergischen Kolleg Wuppertal nahm sie zunächst das Studium der Mathematik auf und wechselte nach drei Semestern zum Studium der Medizin. Dieses schloss sie mit Bestehen des dritten Abschnitts der ärztlichen Prüfung am 13. November 1989 ab. Anschließend promovierte die Klägerin und war als Ärztin im Praktikum tätig.
Mit Bescheid vom 28. Februar 2001 stellte das Versorgungsamt E. den Grad der bei der Klägerin vorliegenden Behinderung mit 40 v.H. fest.
Unter dem 11. Juli 2003 beantragte die Klägerin die Einstellung in den Vorbereitungsdienst für das Lehramt. Mit Bescheinigung vom 20. Januar 2004 erkannte die Bezirksregierung E. die ärztliche Prüfung und die Katechetenprüfung als erste Staatsprüfung für das Lehramt am Berufskollegs in den Fächern Chemie und evangelische Religionslehre an. Am 1. Februar 2004 trat die Klägerin in den Vorbereitungsdienst für das Lehramt für die Sekundarstufe II am Studienseminar E. ein; den Grad der Behinderung gab sie im Personalbogen an.
Mit Schreiben vom 6. Mai 2004 beantragte die Klägerin unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung des
Dr. T. vom selben Tage, in der dieser ausführte, die Klägerin sei "im Augenblick" nicht in der Lage, das Referendariat fortzusetzen, sie aus gesundheitlichen Gründen unter Fortfall der Bezüge zu beurlauben. Diesen Antrag lehnte die Bezirksregierung E. mit Bescheid vom 17. Mai 2004 ab und wies darauf hin, dass nur eine Entlassung aus den Vorbereitungsdienst in Betracht komme. Die Klägerin nahm ihren Dienst nach dem 6. Mai 2004 bis zu ihrer Entlassung nicht wieder auf.
Unter dem 18. Oktober 2004 ordnete die Bezirksregierung E. eine amtsärztliche Untersuchung der Klägerin an.
Der Stadtarzt
S. beim Gesundheitsamt der Stadt E. stellte in seinem Gutachten vom 6. April 2005 auf der Grundlage eines psychiatrischen Zusatzgutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie
Dr. Q. vom 10. März 2005 fest, dass die Klägerin aufgrund einer psychischen Erkrankung (chronifizierte Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis - Differentialdiagnose affektive Erkrankung) dienstunfähig sei. In dem beigefügten Formblatt vom 13. Mai 2005 gab er an, es werde für aussichtslos gehalten, dass innerhalb von sechs Monaten die volle Dienstfähigkeit der Klägerin wieder hergestellt sein werde.
Mit Schreiben vom 31. Mai 2005 hörte die Bezirksregierung E. die Klägerin zu der beabsichtigten Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf an.
Auf Bitte des Prozessbevollmächtigten der Klägerin übersandte die Bezirksregierung E. diesem mit Schreiben vom 8. Juni 2005 eine Kopie des amtsärztlichen Gutachtens und verlängerte die im Anhörungsschreiben eingeräumte Frist zur Stellungnahme bis zum 23. Juni 2005. Nachdem der Prozessbevollmächtigte unter dem 20. Juni 2005 mitgeteilt hatte, das Gutachten sei bisher nicht versandt worden, übermittelte die Bezirksregierung E. das Schreiben vom 8. Mai 2005 sowie das Gutachten dem Prozessbevollmächtigten am selben Tage per Fax.
Unter dem 22. Juni 2005 unterrichtete die Bezirksregierung E. den Personalrat für Lehrerinnen und Lehrer an Berufskollegs von der beabsichtigten Maßnahme; dieser erteilte am 7. Juli 2005 seine Zustimmung.
Mit Schreiben vom 22. Juni 2005 rügte die Klägerin, die gestellte Diagnose und die im Rahmen der Differentialdiagnose für möglich gehaltene affektive Erkrankung sei nicht gesichert. Ein Teil der Symptome, die die Diagnose stützen sollten, stünden im Zusammenhang mit der ebenfalls diagnostizierten Schilddrüsenüberfunktion. Zudem sei die Angabe über die Behandlungsdauer unbelegt. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass die psychischen Beeinträchtigungen und Angstzustände direkt auf Unsicherheiten im Hinblick auf die Ausbildung zur Lehrerin zurückzuführen seien, deren ordnungsgemäßer Ablauf durch die widerrufene Anerkennung ihres kirchlichen Ausbildungsabschlusses unmöglich gemacht worden sei. Aufgrund des Verhaltens der Bezirksregierung E. und der Evangelischen Kirche in dieser Angelegenheit sowie des Drucks, der auf sie ausgeübt werde, um sie zum Ausscheiden aus dem Vorbereitungsdienst zu veranlassen, habe sie Existenzängste entwickelt. Da sie bereit sei, die in dem Gutachten angesprochenen therapeutischen Maßnahmen zu ergreifen, sei eine dauerhafte Dienstunfähigkeit nicht feststellbar.
Mit Verfügung vom 15. Juli 2005 entließ die Bezirksregierung E. die Klägerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Ablauf des 30. September 2005 aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf. Zur Begründung führte sie aus, die Entlassung sei auch unter Berücksichtigung der sich aus § 35
Abs. 2 Satz 1
LBG NRW ergebenden Einschränkung des dem Dienstherrn zustehenden Ermessens gerechtfertigt. Die Klägerin sei bereits seit dem 6. Mai 2004 ununterbrochen dienstunfähig erkrankt. Ausweislich der in dem eingeholten amtsärztlichen Gutachten getroffenen Feststellungen sei sie auch in Zukunft auf Dauer unfähig, die Dienstpflichten einer Studienreferendarin auszufüllen; eine Nachuntersuchung werde erst in 1 ½ Jahren empfohlen.
Gegen die Entlassungsverfügung legte die Klägerin am 15. August 2005 Widerspruch ein. Zur Begründung machte sie im Wesentlichen geltend, sie habe nach Eintritt in den Vorbereitungsdienst schutzwürdig darauf vertraut, diesen absolvieren und mit dem Zweiten Staatsexamen abschließen zu dürfen. Die Entlassung stelle faktisch ein Berufsverbot dar. Überdies sei nicht berücksichtigt worden, dass die Entlassung zur Folge habe, dass ihr Rechtsschutzbedürfnis für die Fortführung ihrer Klage vor der Verwaltungskammer der Evangelischen Landeskirche entfalle. Demgegenüber sei es von untergeordneter Bedeutung, sie noch drei oder vier Monate länger im Vorbereitungsdienst zu belassen, zumal die Mitarbeiter der Bezirksregierung E. durch ihr Verhalten im Zusammenhang mit der Erteilung der kirchlichen Unterrichtserlaubnis und der Beanstandung der Anerkennung der Katechetenausbildung durch die Evangelische Landeskirche die kirchengerichtliche Klage zumindest zeitlich hinausgezögert hätten. Außerdem sei das Integrationsamt entgegen der Vorschrift des
§ 85 SGB IX nicht beteiligt worden. Diesem Schreiben hatte die Klägerin u.a. eine schriftliche Bestätigung des Versorgungsamtes E. vom 6. Juli 2005 über den von ihr am 29. Juni 2005 gestellten Antrag auf Änderung der Feststellung des Grades der Behinderung beigefügt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 2005 wies die Bezirksregierung E. den Widerspruch zurück. Die mit dem Widerspruch vorgetragenen Gründe rechtfertigten auch unter Berücksichtigung des Ermessensspielraums kein Absehen von der Entlassung. Diese sei auch nicht mangels Beteiligung des Integrationsamtes rechtswidrig. Eine solche sei nicht erforderlich gewesen, weil die Klägerin weder einen Schwerbehindertenausweis noch die Bestätigung eines Antrags auf Anerkennung einer Behinderung vorgelegt habe. Im Übrigen liege eine vom Dienstherrn zu berücksichtigende Schwerbehinderung erst bei einem Grad der Behinderung von 50 v.H. vor; die Klägerin sei jedoch nur mit einem Grad von 40 v.H. behindert.
Die Klägerin hat am 19. September 2005 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie über die Wiederholung ihres Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren hinaus geltend gemacht, die Entlassung erweise sich auch mit Blick auf die unterbliebene Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung als rechtswidrig, da mittlerweile eine Schwerbehinderung (Grad der Behinderung von 70) mit Bescheid des Versorgungsamtes E. vom 12. Dezember 2005 rückwirkend ab dem 29. Juni 2005 festgestellt worden sei. Dass die Schutzvorschriften für Arbeitnehmer nach den §§ 85
ff. SGB IX in ihrem Falle zu beachten gewesen seien, ergebe sich auch aus
Nr. 15.2 der Richtlinie zur Durchführung der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (
SGB IX) im öffentlichen Dienst im Lande Nordrhein-Westfalen (RdErl. des Innenministeriums vom 20. Mai 2005). Soweit die Vertrauensfrau der Schwerbehinderten mit Schreiben vom 19. Juli 2006 erklärt habe, dass sie angesichts der langen Erkrankung der Klägerin die Entlassung sicher gebilligt hätte, zumal der Amtsarzt diagnostiziert habe, dass die Klägerin dauernd unfähig sei, den Dienstpflichten einer Studienreferendarin nachzukommen, führe dies nicht zur Heilung des Mangels der fehlenden Anhörung; andernfalls werde die mit der vorherigen Anhörung bezweckte Warnfunktion gegenstandslos.
Die Klägerin hat beantragt,
die Entlassungsverfügung des Beklagten vom 15. Juli 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2005 aufzuheben.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Einer Anhörung des Integrationsamtes habe es nicht bedurft, nachdem die Vorschrift des
§ 128 Abs. 2 SGB IX, die insoweit gegenüber § 85
SGB IX eine Sonderregelung für Beamte beinhalte, durch
Art. 1
Nr. 32 lit. a) des Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23. April 2004 (BGBl. I, Seite 606) mit Wirkung zum 1. Mai 2004 aufgehoben worden sei. Ein Beteiligungserfordernis ergebe sich auch nicht aufgrund der Richtlinie des Innenministeriums. Diese sei nur eine Verwaltungsvorschrift und als solche nicht geeignet, die bestehende Rechtslage abzuändern. Überdies würden seit der Änderung des § 128
SGB IX die Integrationsämter auch tatsächlich keine Stellungnahmen zu beabsichtigten Entlassungen von Beamten mehr abgeben. Die unterbliebene Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung sei gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich, weil die Vertrauensfrau der Schwerbehinderten ausweislich ihrer nachträglich abgegebenen Erklärung ohnehin keine Einwände erhoben hätte.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das angefochtene Urteil abgewiesen. Eine Beteiligung des Integrationsamtes habe vor der Entlassung nicht erfolgen müssen. Der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes nach § 85
SGB IX habe es schon deshalb nicht bedurft, weil die Anwendung dieser Vorschrift nach ihrem Wortlaut auf Arbeitsverhältnisse beschränkt sei und daher nicht die Beendigung des Dienstverhältnisses der Beamten erfasse. Soweit die für Beamte geltende Sonderregelung des § 128
Abs. 2
SGB IX im Falle der nicht freiwilligen Beendigung des Beamtenverhältnisses eine vorherige Anhörung des Integrationsamtes vorgeschrieben habe, sei die Vorschrift bereits mit Wirkung zum 1. Mai 2004 entfallen. Die Schwerbehindertenrichtlinie des Innenministeriums ändere hieran nichts. Dass die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung gemäß
§ 95 Abs. 2 SGB IX unterblieben sei, sei unbeachtlich. Zwar habe eine Anhörung stattfinden müssen, weil die Klägerin im Rahmen ihrer amtsärztlichen Begutachtung auf ihre bis dahin bekannte Behinderung mit einem Grad von 40% hingewiesen und im Rahmen der Widerspruchsbegründung die Stellung eines Änderungsantrages belegt habe. Auch scheide eine Heilung dieses Fehlers nach § 45
Abs. 1
Nr. 5 VwVfG NRW aus, da der mit der vorherigen Anhörung verfolgte Zweck in diesem Fall verfehlt würde. Jedoch sei die fehlende Anhörung der Schwerbehindertenvertretung in Anwendung des Rechtsgedankens des § 46 VwVfG NRW unbeachtlich. Da die Vertrauensfrau der Schwerbehinderten nachträglich erklärt habe, sie hätte die Maßnahme sicher gebilligt, könne ausgeschlossen werden, dass eine rechtzeitige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung die Entscheidung der Bezirksregierung E. über die beabsichtigte Entlassung zugunsten der Klägerin hätte beeinflussen können. Dabei bedürfe es keiner Entscheidung, ob der Schwerbehindertenvertretung nachträglich die Einwände der Klägerin gegen das amtsärztliche Gutachten mitgeteilt worden seien. Denn dem Erfordernis einer rechtzeitigen Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung wäre auch genügt worden, wenn diese vor Bekanntwerden der Einwendungen der Klägerin erfolgt wäre. Die angefochtene Verfügung sei auch materiell rechtmäßig. Die Entlassung aus dem Vorbereitungsdienst sei auch unter Berücksichtigung der sich aus § 35
Abs. 2 Satz 1
LBG NRW ergebenden Einschränkung des dem Dienstherrn eingeräumten Ermessens gerechtfertigt, wenn während der Dienstzeit Zweifel an der gesundheitlichen Eignung in einem Maße aufgetreten seien, dass wegen der gesundheitlichen Probleme das Erreichen oder Bestehen der Zweiten Staatsprüfung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten sei. Erst recht sei die Entlassung nicht zu beanstanden, wenn die Voraussetzungen des § 45
Abs. 1
LBG NRW gegeben seien. Im Falle der Klägerin liege jedenfalls eine Dienstunfähigkeit im Sinne des § 45
Abs. 1 Satz 2
LBG NRW vor, da sie bereits seit dem 7. Mai 2004 durchgehend erkrankt sei und nach den Feststellungen im amtsärztlichen Gutachten keine Aussicht bestehe, dass die volle Dienstfähigkeit innerhalb von sechs Monaten wiederhergestellt werden könne. Die Einwände der Klägerin gegen das Gutachten griffen nicht durch. Anhaltspunkte dafür, dass eine wechselseitige Beeinflussung der psychischen Erkrankung und der Erkrankung der Schilddrüse nicht bedacht worden sein könnten, seien nicht erkennbar, zumal beide Erkrankungen in dem Gutachten aufgeführt seien. Auch seien die Aussagen zur Behandlungsdauer, die der Amtsarzt auf der Grundlage des eingeholten fachpsychiatrischen Zusatzgutachtens getroffen habe, nicht zu beanstanden. Ob das Verhalten der Bediensteten der Bezirksregierung E. zur Dienstunfähigkeit beigetragen habe, sei ohne Belang.
Gegen das der Klägerin am 27. Oktober 2006 zugestellte Urteil hat diese am 27. November 2006 die Zulassung der Berufung beantragt. Mit Beschluss vom 22. April 2009, der Klägerin zugestellt am 23. April 2009, hat der Senat die Berufung zugelassen.
Mit der am 20. Mai 2009 bei Gericht eingegangenen Berufungsbegründung macht die Klägerin geltend, die unterbliebene Anhörung der Schwerbehindertenvertretung sei nicht nach § 46 VwVfG NRW unbeachtlich. Es stelle sich bereits die Frage, ob diese Vorschrift auf Ermessensentscheidungen anwendbar sei. Jedenfalls hätte sie bei einer rechtzeitigen Beteiligung ihre Einwände gegen das amtsärztliche Gutachten geltend machen können. Diese wären auch sicherlich berücksichtigt worden, weil die von dem Amtsarzt festgestellten Beeinträchtigungen gerade in der unsicheren Situation während ihres Vorbereitungsdienstes begründet gewesen seien. Zumindest könne nicht angenommen werden, dass die Sachentscheidung offensichtlich nicht beeinflusst worden wäre. Dies setze voraus, dass jeder vernünftige Zweifel ausgeschlossen sei, dass bei Vermeidung des Verfahrensfehlers eine andere Entscheidung in der Sache getroffen worden wäre. Zweifel ergäben sich hier aber bereits daraus, dass die Schwerbehindertenvertretung sich mit den Einwänden gegen das amtsärztliche Gutachten nicht auseinandergesetzt habe. Darüber hinaus sei fraglich, ob das Kriterium der Offensichtlichkeit erfüllt sei, wenn zu dieser Feststellung noch eine bestätigende Erklärung der zu beteiligenden Stelle eingeholt werden müsse.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
Das beklagte Land beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Es hat eine weitere Stellungnahme der Vertrauensfrau der Schwerbehinderten vom 18. Juni 2009 vorgelegt und unter Bezugnahme auf die darin enthaltenen Ausführungen geltend gemacht, das amtsärztliche Gutachten sei Gegenstand von Gesprächen zwischen der Schwerbehindertenvertreterin und der Klägerin gewesen. Deren Einwände gegen das Gutachten hätten sich jedoch darauf beschränkt, die Kompetenz des Amtsarztes in Frage zu stellen, der ihre Erkrankung nicht richtig habe beurteilen können, weil ihm die Erfahrung in einem totalitären Regime fehle. Dieser Einwand habe die Schwerbehindertenvertretung nicht überzeugt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des beklagten Landes Bezug genommen.
II.
Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten über die Berufung durch Beschluss nach § 130a
VwGO, weil er sie einstimmig für begründet und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die dem angegriffenen Urteil zugrunde liegende Klage ist zulässig und begründet. Die Entlassungsverfügung der Bezirksregierung E. vom 15. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. August 2005 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113
Abs. 1 Satz 1
VwGO).
Die Entlassungsverfügung ist jedenfalls deshalb fehlerhaft, weil die Bezirksregierung E. die Vertrauensfrau der schwerbehinderten Lehrerinnen und Lehrer an Berufskollegs vor der Entscheidung über die Entlassung der Klägerin aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf nicht beteiligt hat.
Gemäß § 95
Abs. 2 Satz 1
SGB IX hat der Arbeitgeber - wozu nach
§§ 71,
73 Abs. 1 SGB IX auch der Dienstherr der Beamten zählt - die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, so ist nach Satz 2 der Vorschrift die Durchführung oder Vollziehung der ohne Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung getroffenen Entscheidung auszusetzen und die Beteiligung innerhalb von sieben Tagen nachzuholen; sodann ist endgültig zu entscheiden.
Zur Anhörung der Schwerbehindertenvertretung war die Bezirksregierung E. verpflichtet.
1. Die Pflicht zur Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 95
Abs. 2 Satz 1
SGB IX besteht in allen Fällen, in denen ein schwerbehinderter Mensch von der vom Arbeitgeber beabsichtigten Entscheidung betroffen ist. Die Klägerin ist seit dem 29. Juni 2005 mit einem Grad von 70 v.H. behindert und damit schwerbehindert im Sinne des
§ 2 Abs. 2 SGB IX. Dass die Schwerbehinderung erst mit Bescheid des Versorgungsamtes E. vom 12. Dezember 2005 festgestellt wurde, ist insoweit unmaßgeblich. Die Schwerbehinderteneigenschaft hängt nicht vom Vorliegen eines Feststellungsbescheides des Versorgungsamtes ab. Schwerbehindert sind Menschen nach § 2
Abs. 2
SGB IX vielmehr schon dann, wenn bei ihnen eine Behinderung im Sinne des § 2
Abs. 1
SGB IX vorliegt und der Grad der Behinderung mindestens 50 beträgt; die Feststellung nach
§ 69 SGB IX hat somit nur deklaratorische Wirkung.
Vgl.
BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1988 -
5 C 67.85 -, DÖV 1989, 819; Christians in:
GK-SGB IX, Stand: Februar 2010, § 2 Rn. 102, 113.
2. Allerdings bedeutet dies nicht, dass der mit der Anhörung der Schwerbehindertenvertretung bezweckte Schutz der schwerbehinderten Menschen diesen von Amts wegen gewährt würde. Vielmehr wird aus dem Umstand, dass die Feststellung einer Behinderung und die Ausstellung eines Ausweises über die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch von einem dahingehenden Antrag des schwerbehinderten Menschen abhängen (
vgl. § 69
Abs. 1 Satz 1,
Abs. 5 Satz 1
SGB IX), deutlich, dass der gesetzliche Schutz nicht ohne Weiteres eintritt, sondern von dem schwerbehinderten Menschen in Anspruch genommen werden muss. Dies setzt neben einem auf Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft gerichteten Antrag insbesondere voraus, dass der Beamte seinen Dienstherrn von dem Antrag
bzw. der Schwerbehinderung in Kenntnis setzt. Will der Beamte - möglicherweise aus wohlüberlegten Gründen - seine Schwerbehinderteneigenschaft dem Dienstherrn gegenüber nicht offenbaren und den gesetzlichen Schutz nicht in Anspruch nehmen, so besteht auch unter Berücksichtigung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn keine Veranlassung, ihm den Schutz von Amts wegen aufzudrängen. Eine Maßnahme, die von dem Dienstherrn in Unkenntnis der Schwerbehinderteneigenschaft des Beamten diesem gegenüber getroffen wird, ist daher nicht wegen einer unterbliebenen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung rechtswidrig, wenn der Beamte es unterlassen hat, den Dienstherrn von der Schwerbehinderung zu informieren.
Vgl.
BVerwG, Beschluss vom 22. August 1990 -
2 B 15.90 -, juris;
OVG NRW, Beschluss vom 4. Januar 2010 - 6 B 1482/09 - juris; Urteile vom 8. Juni 1993
6 A 2076/91 -, und vom 15. November 1989 -
1 A 2745/87 -, juris; VGH BW, Beschluss vom 22. Februar 1995 -
4 S 2359/94 -, juris.
Vorliegend hat die Klägerin am 29. Juni 2005 die Feststellung der Schwerbehinderung beantragt und die Bezirksregierung E. mit Schreiben vom 15. August 2005 von der Antragstellung informiert. Damit hat sie zum Ausdruck gebracht, ihre aus der Schwerbehinderteneigenschaft folgenden Rechte geltend machen zu wollen.
3. Dass die Mitteilung über die beantragte Feststellung der Schwerbehinderung erst im Widerspruchsverfahren erfolgte, hatte nicht zur Folge, dass eine Anhörung der Schwerbehindertenvertretung unterbleiben durfte.
Die Bezirksregierung E. war allerdings erst ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von dem Antrag der Klägerin auf Feststellung der Schwerbehinderung Kenntnis erlangt hatte, verpflichtet, die Vertrauensfrau der Schwerbehinderten anzuhören. Der Umstand, dass dieser Zeitpunkt nach dem Erlass des Bescheides vom 15. Juli 2005 lag, ist unerheblich. Zwar bestimmt § 95
Abs. 2 Satz 1
SGB IX, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung vor einer Entscheidung anzuhören hat. Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass die nach Ergehen des (Ausgangs-) Bescheides erfolgte Berufung auf die Schwerbehinderung generell unbeachtlich wäre. Schließt sich an den Erlass einer Verfügung wie hier ein Widerspruchsverfahren nach § 68
VwGO an, so ist die zuständige Behörde verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung vor Erlass des Widerspruchsbescheides anzuhören.
Gemäß § 68
Abs. 1 Satz 1
VwGO hat die Widerspruchsbehörde die Ausgangsentscheidung in vollem Umfang - in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht - auf ihre Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Das Ausgangsverfahren bildet mit dem Widerspruchsverfahren eine verfahrensmäßige Einheit und wird erst mit dem Widerspruchsbescheid, der dem ursprünglichen Verwaltungsakt seine maßgebende Gestalt verleiht, abgeschlossen (§ 79
Abs. 1
Nr. 1
VwGO); erst zu diesem Zeitpunkt ist die behördliche Entscheidung endgültig getroffen. Handelt es sich wie hier um einen in die Rechte des Betroffenen eingreifenden Verwaltungsakt, so ist auch Gegenstand der Anfechtungsklage der Ausgangsbescheid in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 113
Abs. 1 Satz 1
VwGO). Daraus folgt in der Regel, dass sich die Rechtmäßigkeit der angefochtenen behördlichen Entscheidung nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides beurteilt, wenn sich dem anzuwendenden materiellen Recht Anhaltspunkte für einen davon abweichenden Beurteilungszeitpunkt nicht entnehmen lassen. Bis zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung eingetretene Veränderungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, sind daher von der zuständigen Behörde zu berücksichtigen und ihrer abschließenden Entscheidung zugrunde zu legen.
Vgl.
OVG NRW, Beschluss vom 19. Juni 2007 -
6 B 383/07 -.
Eine Ausnahme von dieser Regel, die auf Streitigkeiten über die Entlassung eines Beamten Anwendung findet, ist § 95
Abs. 2 Satz 2
SGB IX nicht zu entnehmen.
Hiermit tritt der Senat der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung sei im Widerspruchsverfahren nicht nachholbar,
vgl. Urteile vom 22. August 1990 - 2 B 15.90 -, juris, vom 23. Oktober 1969 -
II C 128.67 -, ZBR 1970, 18 und vom 13. Dezember 1963 -
VI C 203.61 -, DVBl 1964, 629,
nicht entgegen. Das
BVerwG hatte in den genannten Entscheidungen, die zu § 35 des Schwerbeschädigtengesetzes vom 16. Juni 1953 (BGBl. I,
S. 389)
bzw. zu § 36 des Schwerbeschädigtengesetzes vom 14. August 1961 (BGBl. I,
S. 1234) sowie zu § 47 des Schwerbehindertengesetzes vom 8. Oktober 1979 (BGBl. I,
S. 1649) ergangen sind, ausschlaggebend darauf abgestellt, dass dem ausgeprägten Schutzzweck der Vorschriften, die ausnahmslos eine Anhörung vor Ergehen der Entscheidung forderten, eine Anhörung erst nach Erlass nicht gerecht werde. Die diesen Entscheidungen zugrunde liegende Rechtslage hat sich jedoch maßgeblich geändert. § 95
Abs. 2 Satz 2
SGB IX sieht wie schon die Vorgängervorschrift des § 25
Abs. 2 Satz 2 des Schwerbehindertengesetzes in der ab dem 1. August 1986 geltenden Fassung (BGBl. I,
S. 1421, berichtigt
S. 1550) nunmehr ausdrücklich vor, dass eine vor der vom Arbeitgeber getroffenen Entscheidung unterbliebene Anhörung der Schwerbehindertenvertretung mit heilender Wirkung nachgeholt werden kann und sodann endgültig zu entscheiden ist. Damit geht der Gesetzgeber aber ersichtlich davon aus, dass auch eine Anhörung, die zu einem Zeitpunkt vorgenommen wird, zu dem der Arbeitgeber sich bereits eine Meinung gebildet und seine Entscheidung nach außen bekanntgegeben hat, den ihr zugedachten Schutz noch erfüllen kann. Für eine von den Grundgedanken des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts abweichende Beurteilung der Sach- und Rechtslage, die allein auf den Zeitpunkt der Ausgangsentscheidung abstellt, besteht daher nach der gesetzlichen Konzeption des § 95
Abs. 2
SGB IX keine Veranlassung mehr.
Auf den Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung abstellend nunmehr offenbar auch
BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2007 -
2 A 6.06 -, juris.
Davon abgesehen war unter den besonderen Gegebenheiten des Streitfalls eine Anhörung der Schwerbehindertenvertretung im Widerspruchsverfahren mit Blick darauf geboten, dass die Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin erstmals zu diesem Zeitpunkt Berücksichtigung finden konnte. Die Klägerin hat, nachdem ihr am 20. Juni 2005 das amtsärztliche Gutachten vom 6. April/13. Mai 2005 zugegangen war, am 29. Juni 2005 gegenüber dem Versorgungsamt E. die Feststellung ihrer Schwerbehinderung beantragt. Zu diesem Zeitpunkt war die ihr mit Schreiben der Bezirksregierung E. vom 8. Juni 2005 eingeräumte Frist zur Stellungnahme aber bereits abgelaufen. Die Frist ist seitens der Bezirksregierung E. trotz des Umstandes, dass das Schreiben vom 8. Juni 2005 sowie das Gutachten dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin offenbar bis zu der nochmaligen Versendung am 20. Juni 2005 nicht vorlagen, auch nicht (von Amts wegen) verlängert worden. Vor diesem Hintergrund konnte die Klägerin davon ausgehen, dass eine Entscheidung unmittelbar im Anschluss an den Ablauf der Anhörungsfrist zum 23. Juni 2005 erfolgen würde und eine Mitteilung über den beim Versorgungsamt gestellten Antrag nicht mehr rechtzeitig vor der beabsichtigten Entscheidung der Bezirksregierung E. zugehen würde. Danach muss sie sich nicht entgegenhalten lassen, eine frühere Mitteilung vorwerfbar (als "Verschulden gegen sich selbst") unterlassen zu haben. Bei dieser Sachlage ist es nicht gerechtfertigt, der Klägerin den durch die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vermittelten - wenn auch möglicherweise im Widerspruchsverfahren in der Wirkung geminderten - Schutz zu versagen.
Vgl. in diesem Zusammenhang
BVerwG, Urteil vom 29. November 1961 -
VI C 124.61 -, DVBl 1962, 305 (307/308).
4. Die unterbliebene Anhörung der Vertrauensfrau der Schwerbehinderten führt zur Rechtswidrigkeit der streitigen Entlassungsverfügung.
Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 19. Juni 2007 im Verfahren 6 B 383/07 ausgeführt hat, ist dem Gesetzeswortlaut des § 95
Abs. 2
SGB IX eine Regelung der Rechtsfolgen einer unterbliebenen Anhörung, insbesondere der Frage, ob die ohne Anhörung getroffene Entscheidung zunächst rechtswidrig ist, nicht zu entnehmen. Auch die Entstehungsgeschichte der Vorgängernorm des § 25
Abs. 2
SchwbG, die unverändert in § 95
SGB IX übernommen wurde, ist im Wesentlichen unergiebig. Der federführende Ausschuss des Bundestages war zwar mehrheitlich der Auffassung, dass eine ohne Anhörung der Schwerbehindertenvertretung getroffene Entscheidung nicht als unwirksam behandelt werden dürfe, weil dies zu Rechtsunsicherheit führe und mögliche Auswirkungen auf die Rechte Dritter nicht vertretbar seien. Beratungsgegenstand waren aber erkennbar nur privatrechtliche Arbeitsverhältnisse.
Vgl. BT-Drs. 10/5701,
S. 7 f.
Die Ablehnung der zivilrechtlichen Unwirksamkeit einer Maßnahme des Arbeitgebers lässt jedoch nicht den Schluss zu, der Gesetzgeber habe bei dienstrechtlichen Maßnahmen im Beamtenverhältnis nicht nur die Unwirksamkeit (Nichtigkeit), sondern auch deren bloße Rechtswidrigkeit ausschließen wollen. Die Gesetz gewordene Regelung entspricht im Gegenteil strukturell der Heilung einer unterbliebenen Verfahrenshandlung, wie sie § 45
Abs. 1 VwVfG für formell rechtswidrige Verwaltungsakte allgemein vorsieht. Eine solche Heilung des Anhörungsmangels setzt aber voraus, dass die Maßnahme bis zur Nachholung der Anhörung rechtswidrig ist und - wenn die Nachholung nicht stattfindet - rechtswidrig bleibt.
Der Senat geht daher weiterhin davon aus, dass bereits der in der unterbliebenen Anhörung liegende Verfahrensverstoß - wie dies regelmäßig auch in anderen Fällen der Verletzung von Vorschriften über das einzuhaltende Verfahren der Fall ist - zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung führt. Hiervon ist auch das
BVerwG für die Vorgängernormen der § 95
Abs. 2 Satz 1
SGB IX bzw. § 25
Abs. 2
SchwbG sowie § 128
Abs. 2
SGB IX a.F. in ständiger Rechtsprechung ausgegangen,
vgl. Urteile vom 17. September 1981
2 C 4.79 , ZBR 1982, 116, vom 13. Dezember 1963
VI C 203.61 , a.a.O., und vom 13. Mai 1959 VI C 290.57 , MDR 1959, 687,
teilweise allerdings mit der Einschränkung, dass es sich um eine "in die Sphäre des Beamten einschneidend eingreifende Maßnahme" handelt muss.
Vgl.
BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 1985 2 C 40.82 , ZBR 1986, 274.
Das ist aber bei statusverändernden Maßnahmen der hier vorliegenden Art zweifelsohne der Fall.
Hat die gebotene Anhörung der Schwerbehindertenvertretung eine Entscheidung zum Gegenstand, die in das pflichtgemäße Ermessen des Dienstherrn gestellt ist, so führt die Vernachlässigung des Anhörungsgebots außerdem zur Ermessensfehlerhaftigkeit der Entscheidung. Die Anhörung dient dazu, den Dienstherrn über die besonderen mit der Schwerbehinderung des Beamten im Zusammenhang stehenden Umstände und die spezifischen Auswirkungen der beabsichtigten Maßnahme zu informieren, um ihn so in die Lage zu versetzen, diese Gegebenheiten in seine Ermessenserwägungen einzubeziehen und entsprechend ihrem Gewicht zu berücksichtigen. Unterbleibt die Anhörung, so kann der Dienstherr deren Ergebnis nicht in seine Erwägungen einbeziehen, mit der Folge, dass die Entscheidung unvollständig ist, weil ihr eine gesetzlich vorgegebene Grundlage fehlt.
Vgl.
BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2007 -
2 A 6.06 -, a.a.O., und Beschluss vom 15. Februar 1990
1 WB 36.88 , ZBR 1990, 323;
vgl. ferner zur Anhörung der Personalvertretung:
BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 1999 - 2 C 4.99 -, ZBR 2000, 242, und Beschluss vom 27. Januar 1998 - 1 WB 51.97 -, juris.
5. Der in der unterbliebenen Anhörung der Schwerbehindertenvertretung und der fehlenden Einbeziehung ihrer Überlegungen in die Ermessensentscheidung liegende Mangel, der nicht entsprechend der Vorschrift des § 95
Abs. 2 Satz 2
SGB IX durch Nachholung der Anhörung binnen sieben Tagen nach Ergehen der fehlerhaften Entscheidung geheilt worden ist, ist auch nicht ausnahmsweise nach dem Rechtsgedanken des § 46 VwVfG NRW unbeachtlich.
Zwar ist diese Vorschrift an sich anwendbar. Insbesondere tritt sie nicht hinter § 42
SGB X zurück. Nach § 1
Abs. 1 Satz 1
SGB X gelten die Vorschriften des Ersten Kapitels (§§ 1-66
SGB X), also auch § 42
SGB X, für die gesamte öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden, die nach dem SGB ausgeführt wird. Das beklagte Land übt jedoch keine Tätigkeit aus, die auf den Vollzug des
SGB IX gerichtet ist. Die Wahrnehmung von Aufgaben nach dem
SGB IX obliegt allein den hierfür zuständigen Leistungsträgern, den Integrationsämtern sowie der Bundesagentur für Arbeit (
vgl. §§ 101
ff. SGB IX, § 29
SGB I). Dem beklagten Land werden durch das
SGB IX keine Verwaltungstätigkeiten übertragen, sondern ihm werden in seiner Eigenschaft als öffentlicher Arbeitgeber wie jedem anderen Arbeitgeber auch zum Schutz und zur Förderung schwerbehinderter Menschen Pflichten auferlegt, deren Befolgung von den für den Vollzug des
SGB IX zuständigen Behörden überwacht wird.
Der Anwendung des § 46 VwVfG NRW steht auch nicht von vornherein entgegen, dass es sich bei der Entscheidung über die Entlassung der Klägerin aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf um eine Ermessensentscheidung handelt. Zwar wird die von § 46 VwVfG NRW geforderte Alternativlosigkeit der Sachentscheidung bei Ermessensentscheidungen wegen des ihnen immanenten Entscheidungsspielraums in der Regel nicht gegeben sein.
Vgl. Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Auflage, 2008, § 46 Rn. 80.
Dies hat jedoch nicht zur Folge, dass ein Fehler immer als beachtlich anzusehen ist. Vielmehr ist auch bei Ermessensentscheidungen in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine Kausalität des Fehlers für die Entscheidung in der Sache - d.h. die Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung - auszuschließen ist. Für das Vorliegen dieser für sie günstigen Voraussetzungen trägt die Behörde die Darlegungslast.
Die Feststellung fehlender Kausalität wird regelmäßig nur dann möglich sein, wenn der hypothetische Wille der Behörde zweifelsfrei feststeht. Nachträgliche Bekundungen der Behörde, dass sie ohne den Fehler in der Sache die gleiche Entscheidung getroffen hätte, sind daher für sich genommen ohne Belang. So kann im Falle der Nichtberücksichtigung von Überlegungen der Schwerbehindertenvertretung die Erklärung des Dienstherrn, die Erwägungen der Schwerbehindertenvertretung hätten seine Entscheidung unter keinen Umständen zu beeinflussen vermocht, nicht maßgeblich sein. Nach der Rechtsprechung des
BVerwG kann aber je nach den Umständen des Einzelfalles entscheidend sein, wie sich die Schwerbehindertenvertretung nachträglich geäußert hat. Ist nach dem Inhalt der Erklärung der Schwerbehindertenvertretung zur Überzeugung des Gerichts davon auszugehen, dass diese die Maßnahme des Dienstherrn gebilligt hätte, so kann danach ausgeschlossen werden, dass der Dienstherr bei deren rechtzeitiger Beteiligung zu einer für den Betroffenen günstigeren Entscheidung gelangt wäre.
Vgl.
BVerwG, Beschluss vom 15. Februar 1990 1 WB 36.88 , a.a.O.
Der Senat vermag diesem Ansatz nicht zu folgen. § 46 VwVfG NRW setzt voraus, dass der Verfahrensverstoß die Entscheidung in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst hat. Von einer solchen Situation kann nur dann die Rede sein, wenn von vornherein und nach jeder Betrachtungsweise feststeht, dass die Sachentscheidung auch bei ordnungsgemäßem Verfahren nicht anders ausgefallen wäre. Damit unvereinbar ist die Vorstellung, die nachträgliche Auskunft der zu Unrecht übergangenen Interessenvertretung könne eine Antwort darauf geben, ob eine solche Situation gegeben ist. Die Notwendigkeit einer solchen Auskunft schließt es jedenfalls aus, den Verfahrensfehler als offensichtlich folgenlos zu bewerten. Erst recht gilt dies, wenn zur Klärung der Frage wie von dem beklagten Land angeregt eine Beweisaufnahme durchgeführt werden soll. Ein weitergehendes Verständnis des § 46 VwVfG NRW wäre überdies auch gesetzessystematischen Einwänden ausgesetzt: Die nachträgliche Auskunftserteilung der Interessenvertretung träte neben die in § 45
Abs. 1 Nrn. 3 und 5 VwVfG NRW vorgesehenen Heilungsmöglichkeiten, wäre aber an die in
Abs. 2 der Vorschrift enthaltenen Begrenzungen nicht gebunden.
Das bedarf aber keiner weiteren Vertiefung. Auch auf der Grundlage der Rechtsprechung des
BVerwG ergibt sich im vorliegenden Fall kein für das beklagte Land günstigeres Ergebnis. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Schwerbehindertenvertretung bei einer rechtzeitigen und ordnungsgemäßen Beteiligung Einwände erhoben hätte, die bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen gewesen wären. Zwar hat die Vertrauensfrau der Schwerbehinderten im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens unter dem 19. Juli 2006 und nochmals unter dem 18. Juni 2009 angegeben, sie hätte gegen die beabsichtigte Entlassung der Klägerin keine Einwände erhoben. Die Erklärungen lassen aber nicht mit der notwendigen Gewissheit den Schluss zu, dass sie auch bei einer rechtzeitigen Beteiligung keine Einwände geltend gemacht hätte. Dies gilt ungeachtet der zeitlichen Ferne der Erklärungen zu der Entlassungsverfügung
bzw. dem Widerspruchsbescheid jedenfalls mit Blick darauf, dass ihnen erkennbar ein unvollständiger Sachverhalt zugrunde liegt. Die Einwände, die die Klägerin gegen das amtsärztliche Gutachten erhoben hat, sind von der Vertrauensfrau der Schwerbehinderten ausweislich des Inhalts der von dieser abgegebenen Erklärungen nicht vollständig zur Kenntnis genommen worden. So verweist sie in der Erklärung vom 18. Juni 2009 darauf, die Klägerin habe ihr gegenüber allein die Kompetenz des Amtsarztes mit der Begründung angezweifelt, dieser habe nie in einem totalitären Regime gelebt. Dass die Klägerin nur diesen Einwand der Schwerbehindertenvertretung mitgeteilt hat, kann insoweit als wahr unterstellt werden. Der Einwand entspricht jedoch nicht denjenigen, die der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit an die Bezirksregierung E. gerichtetem Schriftsatz vom 22. Juni 2005 erhoben hat. Dass die Schwerbehindertenvertretung (nachträglich) über die in dem genannten Schriftsatz enthaltenen Einwände der Klägerin gegen das Gutachten unterrichtet worden ist, ist aber weder von dieser selbst noch von dem beklagten Land vorgetragen worden oder sonst ersichtlich. Auch ist auszuschließen, dass die Vertrauensfrau der Schwerbehinderten - anders als deren Stellungnahme vom 18. Juni 2009 nahelegt - das Entlassungsverfahren an der Seite der Klägerin gleichsam begleitet hat und sie aus diesem Grunde umfassend informiert war. Denn ausweislich ihrer Aussage in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 17. November 2009 im Verfahren 2 K 1327/09 hat sie das erste Gespräch mit der Klägerin im Herbst 2005 und damit nach Abschluss des behördlichen Verfahrens geführt. Da nicht ersichtlich ist, dass die Schwerbehindertenvertretung über alle für ihre Entscheidung wesentlichen Informationen verfügte, kann auf der Grundlage ihrer nachträglichen Äußerungen eine fehlende Kausalität des Anhörungsmangels für die Sachentscheidung des beklagten Landes nicht festgestellt werden. Bei dieser Sachlage kam es auf die von dem beklagten Land beantragte Beweiserhebung mangels Entscheidungserheblichkeit der unter Beweis gestellten Tatsachen nicht an.
Es kann ferner nicht unterstellt werden, dass die Schwerbehindertenvertretung im Falle ihrer Beteiligung vor dem Eingang des anwaltlichen Schriftsatzes von den Einwänden (auch) keine Kenntnis erlangt hätte und diese daher für die Frage, wie die Schwerbehindertenvertretung sich bei rechtzeitiger Beteiligung geäußert hätte, außer Acht bleiben könnten.
Entsprechend dem Sinn und Zweck des Unterrichtungs- und Anhörungserfordernisses nach § 95
Abs. 2 Satz 1
SGB IX, die Schwerbehindertenvertretung in die Lage zu versetzen, die ihr nach § 95
Abs. 1
SGB IX auferlegten Pflichten wahrzunehmen, insbesondere die Interessen der schwerbehinderten Menschen sachgerecht zu vertreten und ihnen beratend und helfend zur Seite zu stehen, genügt der Dienstherr seiner Unterrichtungspflicht nur, wenn er die Schwerbehindertenvertretung so informiert, dass diese ihre Aufgaben wahrnehmen kann. Eine Unterrichtung muss daher Angaben zu der Art der beabsichtigten Maßnahme, den hierfür maßgeblichen Erwägungen des Dienstherrn und namentlich den Einwendungen des schwerbehinderten Beamten umfassen, die dieser im Zusammenhang mit der beabsichtigten Entscheidung erhoben hat. Dabei erstreckt sich die Informationspflicht grundsätzlich auf alle relevanten Tatsachen, die dem Dienstherrn bis zum Zeitpunkt seiner Entscheidung im Sinne des § 95
Abs. 2 Satz 1
SGB IX bekannt werden. Insoweit folgt bereits aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit, dass der Dienstherr auch nach einer bereits erfolgten Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung gehalten ist, dieser nachträglich bekannt gewordene Umstände mitzuteilen, sofern sie für die in Rede stehende Maßnahme erkennbar von Gewicht sind. Vorliegend kommt hinzu, dass der Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin noch vor Ablauf der von der Bezirksregierung E. gesetzten Frist zur Stellungnahme einging. Eine Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung zu einem (davorliegenden) Zeitpunkt, zu dem mit einer abschließenden Äußerung des Beamten noch nicht gerechnet werden kann, kann aber schwerlich den ihr zugedachten Zweck erfüllen.
Nach alledem ist nicht auszuschließen, dass die Schwerbehindertenvertretung im Fall einer rechtzeitigen Beteiligung die Entlassung der Klägerin anders bewertet hätte, als sie nunmehr geltend macht. Damit kann zugleich nicht ausgeschlossen werden, dass der Dienstherr eine andere Entscheidung getroffen hätte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154
Abs. 1
VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167
VwGO i.V.m. den §§ 708
Nr. 10 und 711
ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132
Abs. 2
VwGO und des § 127 BRRG nicht gegeben sind.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47
Abs. 1 und 52
Abs. 5
S. 1
Nr. 2 GKG.