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Urteil
Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit

Gericht:

VG Aachen 1. Kammer


Aktenzeichen:

1 K 1976/05


Urteil vom:

24.05.2007


Tenor:

Die Zurruhesetzungsverfügung der C. L. vom 00.00.0000 und deren Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollsteckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Versetzung des Klägers in den vorzeitigen Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit.

Der am 13. Oktober 1945 geborene Kläger stand bis zum Eintritt in den Ruhestand als Lehrer an der katholischen Grundschule T. . K. in E. im Dienst des beklagten Landes. Wegen einer anerkannten Schwerbehinderung in Höhe von 80 vom Hundert erhielt er in der Vergangenheit eine Pflichtstundenermäßigung von 4 Wochenstunden.

Nachdem er bei dem Schulamt für den Kreis E. ein ärztliches Attest des Dr. med. U. . V. vom 5. November 2004 eingereicht hatte, in welchem dieser bat, den Kläger wegen gesundheitlicher Beschwerden von über den eigentlichen Unterricht hinausgehenden Sitzungen zu befreien, hörte die C. L. mit Verfügung vom 27. Dezember 2004 den Bezirksvertrauensmann der schwerbehinderten Lehrer an Grund- und Hauptschulen, Herrn M., zu einer beabsichtigten amtsärztlichen Untersuchung des Klägers zur Feststellung der Dienstfähigkeit an. Mit undatierter handschriftlicher Erklärung führte dieser aus: "Nach ausführlicher Beratung einverstanden".

Nach weiterer Anhörung der Bezirkspersonalvertretung, welche die beabsichtigte Maßnahme zur Kenntnis nahm, ordnete die C. L. mit Verfügung vom 28. Januar 2005 die amtsärztliche Untersuchung des Klägers nach Maßgabe des § 45 Abs. 1 des Landesbeamtengesetzes (LBG) an.

In ihrem Gutachten vom 18. März 2005 gelangte die Amtsärztin Dr. med. I. - H. zu dem Ergebnis, dass der Kläger aus amtsärztlicher Sicht dienstunfähig sei. Daraufhin hörte die C. L. mit Verfügungen vom 30. März 2005 erneut den Bezirksschwerbehindertenvertretung und die Bezirkspersonalvertretung sowie den Kläger persönlich zu der beabsichtigten Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nach Maßgabe der §§ 45 und 47 LBG an. Die Vorsitzende der Bezirksschwerbehindertenvertretung für Lehrer und Lehrerinnen an Grund- und Hauptschulen, Frau T1. C1., erklärte sich mit der Maßnahme einverstanden, die Bezirkspersonalvertretung nahm sie zur Kenntnis und der Kläger erhob keine Einwendungen.

Mit Verfügung vom 2. Mai 2005, durch Niederlegung zugestellt am 4. Mai 2005, wurde der Kläger mit Ablauf des Monats Mai 2005 gemäß §§ 45 Abs. 1, 47 Abs. 2 und 50 Abs. 1 LBG in den Ruhestand versetzt.

Hiergegen wandte er sich mit Widerspruch vom 2. Juni 2005. Er meinte, für seine Zurruhesetzung greife die Vorschrift des § 45 Abs. 4 Nr. 2 LBG ein, da er am 16. November 2000 bereits schwerbehindert gewesen sei und zu dem Zeitpunkt das 50. Lebensjahr vollendet gehabt habe. Zwar sei ihm bekannt, dass nach dieser Vorschrift eine von ihm nicht gestellte persönliche Beantragung erforderlich sei. Eine solche sei unterblieben, weil das Schulamt ein vorzeitiges Pensionierungsverfahren eingeleitet habe, das aus seiner Sicht einen persönlichen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand zum 13. Oktober 2005 überflüssig gemacht hätte. Es sei für ihn nicht nachvollziehbar, dass eine zwangsweise herbeigeführte Pensionierung zum 1. Juni 2005 bei der Berechnung seines Ruhegehalts zu dem Höchstbetrag des Versorgungsabschlags von 10,8 % führe. Dies bedeute, dass seine langjährige Behinderung keine Rolle spiele und er wie ein Nichtbehinderter behandelt werde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 2005 wies die C. L. den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie verwies darauf, dass der Kläger einen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand ohne Nachweis der Dienstunfähigkeit nach § 45 Abs. 4 Satz 2 LBG nicht gestellt habe. Im Übrigen habe er die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift nicht erfüllt, weil er im Zeitpunkt der Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt hätte. Einwendungen gegen die vorzeitige Zurruhesetzung habe er nicht erhoben.

Der Kläger hat am 6. September 2005 Klage erhoben. Er rügt, dass der Beklagte ihn unter Verletzung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn von Amts wegen in den vorzeitigen Ruhestand versetzt habe, anstatt ihm die Möglichkeit zu eröffnen, ab der kurz bevorstehenden Vollendung des 60. Lebensjahres selbst eine Versetzung in den Ruhestand zu beantragen. In diesem Fall wären seine Versorgungsbezüge nicht um den Versorgungsabschlag von 10,8 % gemindert worden. Eine unterschiedliche versorgungsrechtliche Behandlung von vorzeitigen Zurruhesetzungen mit und ohne Antrag sei sachlich nicht gerechtfertigt und bei schwerbehinderten Beamten ursprünglich auch nicht vorgesehen gewesen. Eine von der Bezirksschwerbehindertenvertretung mitgeteilte ausführliche Beratung habe nicht stattgefunden; ein Vertrauensmann namens M. sei ihm bisher unbekannt geblieben. Mit der Anfechtung der Zurruhesetzungsverfügung sei diese noch nicht bestandskräftig geworden und könne er nunmehr nach Vollendung des 60. Lebensjahres noch einen entsprechenden Antrag stellen. Schließlich sei bisher keine nach § 45 Abs. 2 Satz 2 LBG notwendige zusätzliche Untersuchung durch einen als Gutachter beauftragten Arzt erfolgt.


Der Kläger beantragt,

die Zurruhesetzungsverfügung der C. L. vom 00.00.0000 und deren Widerspruchsbescheid vom 00.00.0000 aufzuheben.


Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er die Ausführungen aus den angefochtenen Bescheiden. Ergänzend weist er darauf hin, dass nach der Feststellung der Dienstunfähigkeit des Klägers die Versetzung in den Ruhestand nach § 45 Abs. 1 LBG zwingend erforderlich gewesen sei, weil diese Vorschrift kein Ermessen zulasse. Offensichtlich habe der Kläger erst durch eine Mitteilung des LBV erfahren, dass er bei einer Entlassung nach § 45 Abs. 4 LBG versorgungsrechtlich bessergestellt wäre, als durch die tatsächlich erfolgte Zurruhesetzung nach § 45 Abs. 1 LBG. Bereits in der Anhörung zur beabsichtigten Zurruhesetzung sei er allerdings darauf hingewiesen worden, sich wegen eventueller versorgungsrechtlicher Fragen unmittelbar an das LBV zu wenden. Einen Antrag auf Zurruhesetzung nach § 45 Abs. 4 LBG habe er seinen eigenen Angaben zufolge dennoch nicht gestellt.

Mit Schriftsatz vom 6. Juni 2006 hat der Kläger "hilfsweise" die Gewährung von Schadensersatz begehrt. Mit Beschluss vom 21. Juli 2006 hat die Kammer das Verfahren zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung unter dem Aktenzeichen 1 K 1196/06 abgetrennt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Streitakte des Verfahrens 1 K 1196/06 sowie der beigezogenen Personalakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Klage ist begründet.

Die Versetzung des Klägers in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit und der Widerspruchsbescheid sind rechtswidrig und verletzen ihn in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Rechtsgrundlage für die Zurruhesetzungsverfügung ist § 45 Abs. 1 Satz 1 LBG. Nach dieser Vorschrift ist der Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn er wegen seines körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung seiner Dienstpflicht dauernd unfähig (dienstunfähig) ist. Diese Voraussetzung war im Fall des Klägers nach der amtsärztlichen Feststellung vom 18. März 2005 erfüllt.

Die Verfügung über die Zurruhesetzung erweist sich aber deshalb als fehlerhaft und rechtswidrig, weil der Beklagte das Verfahren nicht hinreichend beachtet hat. Allerdings brauchte er neben dem amtsärztlichen Gutachten nicht noch ein zusätzliches Gutachten eines beauftragten Arztes einzuholen. Denn § 45 Abs. 2 Satz 2 LBG in der seit dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung ist nicht anwendbar. Nach Art. 7 § 2 des Dienstrechtsänderungsgesetzes vom 17. Dezember 2003 sind Zurruhesetzungsverfahren weiterhin unter Beteiligung (nur) des Amtsarztes durchzuführen. Eine Ausführungsregelung zur Untersuchung durch den Amtsarzt und einen als Gutachter beauftragten Arzt, die gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 LBG durch das Innenministerium im Einvernehmen mit dem Finanzministerium und dem Ministerium für Gesundheit und Soziales, Frauen und Familie getroffen werden müsste, ist bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides im August 2005 noch nicht ergangen,

vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 13.02.2007 - 2 K 1924/06 -, juris.

Der Beklagte hat auch die Bezirksschwerbehindertenvertretung und die Bezirkspersonalvertretung vor Erlass der Zurruhesetzungsverfügung angehört. Selbst wenn die Angabe des Herrn M. über eine ausführliche Beratung des Klägers zweifelhaft sein mag, so wurde noch vor Erlass der Verfügung die neue Vertrauensfrau der schwerbehinderten Menschen, Frau C1., ordnungsgemäß beteiligt.

Rechtswidrig ist die Verfügung aber deshalb, weil die Gleichstellungsbeauftragte während des gesamten Verfahrens nicht angehört worden ist. Die Verpflichtung des Dienstherrn, die Gleichstellungsbeauftragte bei der Versetzung eines Beamten in den Ruhestand zu beteiligen, folgt aus § 17 Abs. 1 Nr. 1 des Landesgleichstellungsgesetzes (LGG). Hiernach unterstützt die Gleichstellungsbeauftragte die Dienstelle und wirkt mit bei der Ausführung dieses Gesetzes sowie aller Vorschriften und Maßnahmen, die Auswirkungen auf die Gleichstellung von Frau und Mann haben oder haben können; dies gilt insbesondere für soziale, organisatorische und personelle Maßnahmen, einschließlich Stellenausschreibungen, Auswahlverfahren und Vorstellungsgespräche. Gemäß § 18 Abs. 2 Satz 1 LGG ist die Gleichstellungsbeauftragte frühzeitig über beabsichtigte Maßnahmen zu unterrichten und anzuhören. Ihr ist innerhalb einer angemessenen Frist, die in der Regel 1 Woche nicht unterschreiten darf, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Bei fristlosen Entlassungen und außerordentlichen Kündigungen beträgt die Frist drei Arbeitstage, § 18 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 LGG. Wird die Gleichstellungsbeauftragte nicht rechtzeitig an einer Maßnahme beteiligt, so ist nach § 18 Abs. 3 Satz 1 LGG die Entscheidung über die Maßnahme für eine Woche auszusetzen und die Beteiligung nachzuholen. Nach Satz 2 beträgt die Frist bei außerordentlichen Kündigungen und fristlosen Entlassungen 3 Arbeitstage.

Eine Zusammenschau dieser Vorschriften und die Berücksichtigung des Wortlauts lassen bereits darauf
schließen, dass die Gleichstellungsbeauftragte bei allen "personellen Maßnahmen" zu beteiligen ist. Diese Auslegung wird gestützt durch die Begründung zu dem Landesgleichstellungsgesetz (Landtagsdrucksache 12/3959). Dort heißt es unter anderem in der Begründung zu § 17 LGG, dass Abs. 1 eine Generalklausel für die Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten enthalte. Weiter wird ausgeführt, dass die zuständigen Gleichstellungsbeauftragten an den entsprechenden Maßnahmen zu beteiligen sind. Dabei werden Maßnahmen im Sinne der Nr. 1 analog den §§ 72 ff. LPVG definiert und einige Beispiele genannt, bei denen die Versetzung in den Ruhestand allerdings nicht erwähnt ist. Dies ist aber nicht schädlich, weil es weiter heißt, dass die Aufzählung der Maßnahmen in Nrn. 1 und 2, an denen die Gleichstellungsbeauftragte mitwirkt, nicht abschließend sei. Folgt man dieser Definition, ist festzustellen, dass in § 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 LPVG die Mitbestimmung des Personalrats bei der vorzeitige Versetzung eines Beamten in den Ruhestand geregelt ist. Auch bei dieser "personellen Maßnahme" besteht damit eine Verpflichtung der Behörde zur Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten,

vgl. zur durchgeführten Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten: VG Düsseldorf, a.a.O.; VG Köln, Urteil vom 19. April 2004 - 19 K 8817/02 -, juris.

Dieses Ergebnis wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass es sich bei der Versetzung in den Ruhestand nach §§ 45 Abs. 1, 47 Abs. 2 Satz 3 LBG nicht um eine Ermessensentscheidung der Behörde handelt, diese bei Vorliegen der Voraussetzungen ( Dienstunfähigkeit) mithin verpflichtet ist, die Versetzung in den Ruhestand vorzunehmen. Denn auch andere in § 72 Abs. 1 Satz 1 LPVG genannten mitbestimmungspflichtigen Maßnahmen sind nicht sämtlich solche, die im Ermessen der Behörde stehen. Bei einer Auswahlentscheidung zur Besetzung eines Beförderungsdienstpostens ist die Behörde verpflichtet, denjenigen auszuwählen, der besser geeignet ist. Ferner dürfte die Kündigung einer Dienstwohnung zwingend erforderlich sein, wenn ein Beamter zu einem anderen Dienstherrn, möglicherweise in ein anderes Bundesland versetzt wird. Auch der Ausspruch einer fristloser Kündigung oder Entlassung, bei dem sich aus § 18 Abs. 2 Satz 3 LGG ergibt, dass die Gleichstellungsbeauftragte zu beteiligen ist, dürfte nur selten im freien Ermessen des Dienstherrn stehen. Der Umstand, dass eine alternative Entscheidung für die Behörde entweder aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht eröffnet ist, spielt deshalb keine entscheidende Rolle, zumal die Gleichstellungsbeauftragte lediglich "zu beteiligen" ist. Eine Maßnahme verhindern kann sie als Angehörige der Verwaltung der Dienststelle nicht, vgl. § 16 Abs. 1 Satz 1 LGG.

Das heißt jedoch nicht, dass eine Aufhebung der Zurruhesetzungsverfügung an § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) scheitern könnte. Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschrift über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Diese Vorschrift tritt nämlich hinter die spezialgesetzliche Regelungen für eine verfahrensfehlerhafte Nichtbeteiligung der Gleichstellungsbeauftragten in § 18 Abs. 2 LGG zurück,

vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl., § 46, Rdnr. 33.

Eine dort vorgesehene Nachholung der Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten ist im Fall des Klägers nicht erfolgt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO, §§ 70r. 11, 711 der Zivilprozessordnung.

Referenznummer:

R/R2740


Informationsstand: 10.08.2007