Urteil
Keine Eignung für Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben
Gericht:
LSG Bayern 8. Senat
Aktenzeichen:
L 8 AL 308/05
Urteil vom:
28.04.2006
LSG Bayern 8. Senat
L 8 AL 308/05
28.04.2006
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 15. Juni 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben streitig.
Der 1974 geborene Kläger absolvierte von 1995 bis 1998 ein Lehramtsstudium, welches wegen der vorliegenden Hörschädigung abgebrochen wurde. Von 1998 bis 1999 nahm er ein Studium der Medizinischen Dokumentation auf, welches er wegen fehlender Grundkenntnisse als Gymnasiast einer Technischen Fachhochschule, speziell in DTP-Computervorkenntnissen, abbrach. Das sich anschließende Studium der Geo-Informatik von 1999 bis 2000 brach er wegen fehlender Grundkenntnisse am PC ab. Seine Berufsausbildung als Rechtspfleger von 2000 bis 2001 brach er ebenfalls ab.
Am 09.06.2004 beantragte der Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Nach dem medizinischen Abschlussbericht des Berufsförderungswerks Bad P. vom 26.11.2004, wo sich der Kläger vom 25.10. bis 03.12.2004 zur Arbeitserprobung und Berufsfindung aufhielt, liegen bei ihm eine "schwere psychische Minderbelastbarkeit, eine statische Minderbegabung und eine Minderbelastbarkeit des Hörorgans" mit einem Gesamt-GdB von 50 vor. In der Beurteilung heißt es, dass die psychische Belastbarkeit für Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht vorhanden sei. Zurzeit sei der Kläger für eine berufliche Reha-Maßnahme nicht belastbar. Im Vordergrund müssten Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation stehen. Es lägen massive Defizite in der psychosozialen Kompetenz vor. Eigen- und Fremdwahrnehmung würden erheblich auseinander klaffen. Erst nach ausreichender Stabilisierung könne erneut über die Möglichkeiten der beruflichen Wiedereingliederung nachgedacht werden.
Mit Bescheid vom 13.01.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ab. Nach Auswertung des Abschlussberichts der erweiterten Arbeitserprobung und Berufsfindung beim Berufsförderungwerk Bad P. sei der Kläger für Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht geeignet. Zunächst seien medizinische Hilfen erforderlich.
Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, aus dem Bericht von Bad P. gehe eindeutig hervor, dass der ihm angebotene Kurs keine Arbeitserprobung gewesen sei, sondern nur eine Berufsfindung und eine psychologische Beobachtung. In Bad P. habe ausschließlich eine psychiatrische Untersuchung stattgefunden, ohne einen Facharzt für HNO zuzuziehen. Wenn mitgeteilt werde, dass zunächst medizinische Hilfen erforderlich seien, so müsse er diese unnötigen Behandlungen nach dem Sozialgesetz nicht wahrnehmen, sondern könne von der Beklagten sofort eine Umschulung verlangen. Nach § 24 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) könne man, müsse sich aber nicht Heil- und Krankenbehandlungen unterwerfen. Nach § 63 SGB I müsse man sich auch keiner Heilbehandlung unterziehen. Die im Bericht von Bad P. vorgeschlagene Therapie würde einer freiheitsentziehenden Maßnahme in einer Psychiatrie entsprechen, ohne eine von ihm begangene Straftat.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Voraussetzung für die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sei unter anderem, dass der Behinderte an einer Maßnahme zur beruflichen Rehabilitation tatsächlich teilnehmen könne, um dadurch seine Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern oder wieder herzustellen. Dies sei beim Kläger nicht der Fall, was sich aus dem Abschlussbericht des Berufsförderungswerks Bad P. ergebe. Somit bestehe keine Aussicht, dass der Kläger an einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme erfolgreich teilnehmen könne und damit seine Erwerbsfähigkeit gebessert oder (wieder-) hergestellt werden könne.
Zur Begründung der zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger ausgeführt, das psychologische Gutachten vom Berufsförderungswerk Bad P. sei rechtswidrig. Aus dem Gutachten gehe eindeutig hervor, dass der besuchte Kurs keine Arbeitserprobung für Mediengestalter gewesen sei, sondern eine interne Begutachtung mit psychologischer Beobachtung. Am 13.01.2005 sei ihm von der Beklagten eine Kopie des psychologischen Gutachtens ausgehändigt worden. Das medizinische Gutachten habe er nie erhalten, dieses wäre aber ohnehin rechtswidrig. Insoweit verweise er auf seine Willenserklärungen in seinem psychiatrischen Testament.
Das SG hat sich an die Ärztin für Psychiatrie in Bad P. gewandt und um Mitteilung gebeten, ob die Bekanntgabe der Gutachten an den Kläger aus medizinischer Sicht vertretbar sei, was die Ärztin bejahte. Sie hat mitgeteilt, dass ein medizinisches Gutachten, das im Rahmen einer Berufsfindung erstellt werde, ein ausschließlich arbeitsmedizinisches Gutachten sei. Es sei kein Gutachten, das Stellung nehme zu den Möglichkeiten und Grenzen einer therapeutischen Begleitung. Aus diesem Grunde werde z.B. auch bei der Anamneseerhebung keine ausführliche biographische Anamnese erhoben. Diese Aufteilung stamme noch aus einer Zeit, als man davon habe ausgehen können, dass die medizinische Rehabilitation vor Beginn der beruflichen Rehabilitation abgeschlossen sei. Immer häufiger sei dies, wie im Falle des Klägers, bedauerlicherweise nicht der Fall. Die arbeitsmedizinische Begutachtung nehme immer nur einen kleinen Teil der Berufsfindung ein. Der Großteil der Arbeit geschehe zum einen gemeinsam mit dem Team, das die Gruppe betreue, zum anderen in den verschiedenen Ausbildungsabteilungen, wo praktische Erprobungen stattfinden würden. Insofern sei die ärztliche Stellungnahme nicht vergleichbar mit einem psychiatrischen Gutachten, das z.B. mit spezieller Fragestellung von einem Rentenversicherungsträger oder auch in noch größerem Umfang z.B. von einem Sozialgericht in Auftrag gegeben werde.
Das SG hat dem Kläger daraufhin die gesamten Unterlagen des Berufsförderungswerks übersandt.
Mit Gerichtsbescheid vom 15.07.2005 hat das SG die Klage abgewiesen. Bei der Auswahl der Leistungen seien Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes angemessen zu berücksichtigen. Soweit es erforderlich sei, schließe das Verfahren zur Auswahl der Leistungen eine Abklärung der beruflichen Eignung oder einer Arbeitserprobung ein (§ 97 Abs. 1 und 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III -). Zu Recht habe die Beklagte darauf hingewiesen, dass der Kläger derzeit für Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht geeignet sei. Aufgrund der Gesamtheit der vorhandenen medizinischen Unterlagen, insbesondere aufgrund des Abschlussberichts des Berufsförderungswerks Bad P., stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger für eine berufliche Reha-Maßnahme zurzeit nicht belastbar sei. Erst nach ausreichender Stabilisierung der vorliegenden psychischen Störungen könnten die Möglichkeiten der beruflichen Wiedereingliederung mit hinreichender Sicherheit abgeklärt werden. Dies gelte insbesondere auch für die vom Kläger angestrebten Umschulungsziele (Mediengestalter für Digital- und Printmedien; Werbekaufmann; Reiseverkehrskaufmann). Vordergründig seien beim Kläger gegenwärtig medizinische Maßnahmen zur Reha notwendig. Im Übrigen sehe das SG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ab.
Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, vom Berufsförderungswerk, der Beklagten und dem SG sei seine Patientenverfügung/sein psychiatrisches Testament (rechtsgültiges Dokument) nicht beachtet worden. Im Übrigen verweise er auf diverse Befundberichte vom Institut für Medizinische Diagnostik - Laboratoriumsmedizin -.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 15.07.2005 sowie den Bescheid vom 13.01.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid des vom 17.01.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über seinen Antrag vom 09.06.2004 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Ergänzend zu ihrem bisherigen Vorbringen führt die Beklagte aus, die vom Kläger im Rahmen des Berufungsverfahrens eingereichten Unterlagen könnten zu keinem anderen Ergebnis führen. So hätten die ärztlichen Befundberichte, die der Kläger hinsichtlich des Vorliegens von Allergien eingereicht habe, dem leitenden Arzt vorgelegen, der die Auffassung vertrete, dass die besprochenen Allergien in keinem Zusammenhang mit den psychischen Einschränkungen des Klägers stehen würden, sodass die Tatsache, dass im Abschlussbericht aus Bad P. auf eine mögliche Allergieproblematik des Klägers nicht eingegangen worden sei, die abschließende Leistungsbeurteilung weder ändern noch infrage stellen würde.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
R/R4599
Informationsstand: 14.07.2010