Urteil
Einstweiliger Rechtsschutz - Übernahme von Kosten für einen den Schulbesuch begleitenden Gebärdensprachdolmetscher im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII

Gericht:

SG Frankfurt 30. Kammer


Aktenzeichen:

S 30 SO 229/10 ER


Urteil vom:

13.10.2010


Grundlage:

Tenor:

1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten eines/einer im Schulunterricht der Antragstellerin an der X-Schule in X übertragenden Gebärdensprachdolmetschers/-in im Rahmen der Gewährung von Eingliederungshilfe nach dem SGB XII vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens (Az.: S 30 SO 241/10) ab 20. September 2010 zu übernehmen.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

2. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

I.

Die Antragstellerin beantragt mit ihrem beim hiesigen Sozialgericht am 20. September 2010 eingegangenen Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für die Tätigkeit eines Gebärdendolmetschers während des Grundschulunterrichts im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) zu übernehmen.

Bei der am 29. November 2003 geborenen Antragstellerin besteht seit ihrer Geburt eine Hörbehinderung mit der Resthörigkeit nach Hörgeräteversorgung beiderseits. Die Resthörigkeit ist nicht mit dem Cochlea-Implantat versorgt worden, da die Eltern der Antragstellerin diesen medizinischen Eingriff nicht vornehmen lassen wollten. Der der Verwaltungsakte beigefügte Kopie des Schwerbehindertenausweises ist zu entnehmen, dass das Hessische Amt für Versorgung und Soziales Frankfurt den Grad der Behinderung (GdB) der Antragstellerin mit 100 feststellt und ihr die Nachteilsausgleiche "H" (hilflos), "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) sowie "Gl" (gehörlos) zuerkannt hat.

Im Rahmen der Frühförderung erbrachte der Antragsgegner Eingliederungsleistungen der Übernahme der Kosten zur Einrichtung eines Integrationsplatzes und die Beschäftigung eines Integrationshelfers in dem von der Antragstellerin besuchten katholischen Kindergarten "St. L." in G. seit 01. August 2007 und bis einschließlich 31. Juli 2010.

Ferner übernahm der Antragsteller die Kosten für die Hausspracherziehung der Antragstellerin und auch den Gebärdensprachunterricht ihrer Eltern in deutscher Gebärdensprache. Zur Begründung hierfür ergibt sich aus der Verwaltungsakte des Antragsgegners, dass der Haussprachunterricht erforderlich gewesen sei, weil Gebärdensprachkurse für Kinder nicht angeboten würden, gleichwohl der Antragstellerin aber ermöglicht werden sollte, zumindest mit Menschen altersgemäß zu kommunizieren, die die Gebärdensprache beherrschen (vgl. BL. 12/3 VA). Seit Juli 2007 übernahm der Antragsgegner deshalb die Kosten der Unterrichtsstunden sowie die Fahrtkosten des Lehrpersonals. Bis Monat März 2009 gewährte der Antragsgegner diese Leistungen für zunächst 120 Unterrichtsstunden und sodann bis zur Einschulung der Antragstellerin (1. August 2010) für weitere 120 Stunden.

Mit Schreiben vom 24. Juni 2009 beantragten die Eltern der Antragstellerin die Kostenübernahme eines Gebärdendolmetschers für die Unterrichtsstunden der zum Sommer 2010 schulpflichtigen Antragstellerin. Nach deren weiteren Angaben sollte der Schulbesuch (Grundschule) in der (privaten) X Schule in X erfolgen. Dies begründeten sie damit, dass die Antragstellerin seit über zwei Jahren intensiv mit der Gebärdensprache gefördert worden und auf diese Kommunikationsform angewiesen sei. Zwar befinde sich die für sie nächstgelegene und zuständige Hörgeschädigten-Schule in F. (J.-V.-Schule). Der Besuch dieser Schule würde jedoch Fahrtzeiten von täglich zweimal 1,5 Stunden zur Folge haben. Zudem könne nach Aussage der genannten Schule kein durchgängiger Unterricht in deutscher Gebärdensprache garantiert werden. Außerdem stehe im Hinblick auf das Niveau der Schule in F. zu befürchten, dass sie - die Antragstellerin - dort unterfordert wäre. Dies erklärte die Entscheidung für eine Einschulung in einer wohnortnahen Regelschule unter Hinzuziehung eines Gebärdensprachdolmetschers. Der Schulweg würde nur 3 Minuten betragen. Auch könne die Antragstellerin weiterhin mit ihren Freunden sozialen Umgang haben sowie von ihren Eltern gebärdensprachlich gefördert werden. Nicht zuletzt könne sie die Möglichkeit nutzen, Wissen auf dem Niveau einer normalen Regelschule zu erwerben.

Mit Schreiben vom 01. Oktober 2009 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, Letztere müsse sich zunächst an der für ihre Wohnadresse zuständigen Grundschule (X-Schule) anmelden und sich dort hinsichtlich des gewünschten Schulbesuchs in Bayern beraten lassen. Voraussichtlich werde ein sonderpädagogisches Überprüfungsverfahren erforderlich, welches von der Schule beim Staatlichen Schulamt beantragt werde. Dabei werde festgestellt ob die Antragstellerin in eine Regelschule oder in eine Schule gehen könne und welche Hilfen erforderlich seien.

Mit Schreiben vom 19. Oktober 2009 und 29. Januar 2010 gab die Antragstellerin an, sich zur Schuleingangsuntersuchung in der X Schule vorgestellt zu haben und dort für schulreif befunden worden zu sein. Die amtsärztliche Untersuchung sei am 30. November 2009 durchgeführt worden. Auch sei das sonderpädagogische Gutachten an der J.-V.-Schule in F. durchgeführt worden (letzter Untersuchungstermin: 26. November 2009).

Durch Bescheid vom 25. Februar 2010 übernahm der Antragsgegner die Kosten des Gebärdensprachdolmetschers sowie eines "Relais"-Dolmetschers für den an der X-Schule von der Antragstellerin absolvierten "Schnuppertag".

Mit Schreiben vom 17. Mai 2010 übersandte die Antragstellerin dem Antragsteller das sonderpädagogische Gutachten der J.-V.-Schule vom 26. November 2009 sowie mit Schreiben vom 4. Juni 2010 den Erlass des Hessischen Kultusministeriums vom 31. Mai 2010. Darin heißt es, das Staatliche Schulamt unterstütze den Wunsch der Antragstellerin ausgehend von dem Ergebnis der Überprüfung und der Empfehlung durch die J.-V.-Schule zum Schulbesuch an der X-Schule in X am Main, da ein besonderer Förderbedarf vorliege. Die Übernahme der Kosten für den dann erforderlichen unterrichtsbegleitenden Gebärdensprachdolmetscher müsse allerdings von der Antragstellerin nach den Vorschriften des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX) als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft beim zuständigen Sozialhilfeträger beantragt werden.
Mit Schreiben vom 8. Juni 2006 teilte das Staatliche Schulamt für den Main-Kinzig-Kreis den Beteiligten mit, die Ergebnisse des sonderpädagogischen Gutachtens würden zeigen, dass die Antragstellerin die Regelschule besuchen sollte. Ein sonderpädagogischer Förderbedarf werde gegenwärtig nicht festgestellt. Es besteht jedoch ein besonderer Förderbedarf im Bereich Hören gemäß § 2 der Verordnung über die sonderpädagogische Förderung vom 22. Dezember 1998 (ABI. 1/99, S. 47 ff.). Die Antragstellerin könne ab dem 1. August 2010 (Unterrichtsbeginn sei nach den Sommerferien) die allgemeinbildende Schule, bzw. die von ihr gewünschte private allgemeinbildende X-Schule in X besuchen. Hinsichtlich der Forderung eines Gebärdensprachdolmetschers werde vorsorglich darauf hingewiesen, dass das Staatliche Schulamt die Kosten dafür nicht übernehmen könne. Ein diesbezüglicher Antrag sei vielmehr beim Sozialhilfeträger zu stellen.

Mit Schreiben vom 26. Juli 2010 forderte der Antragsteller die Antragstellerin auf, den fachärztlichen Befundbericht einer Fachklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie aus dem Jahr 2010 zur Resthörigkeit und der Chance von Sprachentwicklung bei Resthörigkeit vorzulegen sowie einen logopädischen Bericht zur Sprachentwicklung, den Behandlungszielen und den zukünftigen Chancen zur Wortschatzerweiterung (aus dem 2. Quartal 2010).

Daraufhin übersandte die Antragstellerin dem Antragsgegner per Fax am 27. Juli 2010 einen "pädagogisch-audiologischen Kurzbericht vom 28. Juni 2010.

Durch Bescheid vom 17. August 2010 lehnte der Antragsgegner die Übernahme der Kosten eines Gebärdensprachdolmetschers für den Schulbesuch der Antragstellerin zum einen wegen fehlender Mitwirkung und zum anderen deswegen ab, weil die beantragte Maßnahme nicht geeignet sei, den Eingliederungszweck zu erreichen, letzterer jedoch nach Auffassung des Leistungsträgers mit einer anderen Form der Hilfe erreicht werden könne.

Entgegen der Anforderung habe die Antragstellerin lediglich ohne weiteres Anschreiben einen "pädagogisch-audiologischen Kurzbericht" übersandt. Dieser erfülle jedoch nach Mitteilung des Gesundheitsamtes des Antragsgegners nicht die Anforderung eines fachärztlichen Befundberichts zur Resthörigkeit und zu den Chancen von Sprachentwicklung. Die der Antragstellerin zur Vorlage der genannten ärztlichen Unterlagen gesetzte Frist sei am 15. August 2010 abgelaufen. Unabhängig vom Fehlen jener Unterlagen gehe jedoch aus den bereits vorliegenden mehreren Stellungnahmen von Fachgutachtern hervor, dass bei der Antragstellerin eine Resthörfähigkeit und eine positive Entwicklung der Lautsprachfähigkeit gegeben seien. Mit dem Besuch der privaten Regelschule werde sie jedoch nur noch gebärdensprachlich unterrichtet, der Lautspracherwerb hingegen werde dabei unaufholbar vernachlässigt. Insoweit werde die Gefahr gesehen, dass die Antragstellerin durch die einseitige Festlegung auf eine Gebärdensprachkommunikation in ihrem zukünftigen Leben durchgängig auf die Unterstützung von Gebärdensprachdolmetschern angewiesen sein werde. Dies entspreche nicht dem Integrationsziel der Eingliederungshilfe. In der Förderschule in F. würde neben der schulischen, mit Regelschulen leistungsgleichen Förderung, auch der Förderung des Spracherwerbs eine wesentliche Bedeutung eingeräumt. Dazu komme auch eine Gebärdensprachförderung, die zwar nicht in allen Fächern möglich sei, aber doch auch zusätzlich stattfinde. Gerade weil bei der Antragstellerin noch eine Resthörfähigkeit vorhanden sei, die bei geeigneter medizinisch-therapeutischer Förderung noch eine verbesserte lautsprachliche Entwicklung ermöglichen würde, werde hierin eine weit größere und nachhaltige Förderung gesehen, die geeignet sei, ein unabhängiges, selbstbestimmtes und partizipatives Leben zu ermöglichen. Dagegen werde die Einzelintegration eines gehörlosen Kindes in eine Regelschule derzeitiger Organisation und pädagogischer Prägung für keine geeignete Maßnahme gehalten. Da es keine Klasse mit mehreren hörbehinderten Kindern an der X-Schule oder in einer anderen Schule im Main-Kinzig-Kreis gebe, werde der Besuch der J.-V.-Schule in F. auch unter diesem Gesichtspunkt für die geeignete Eingliederungsmaßnahme gehalten. Die von der Antragstellerin gewünschte Form und das von ihr gewünschte Maß der Hilfe sei nicht geeignet, sie optimal, wirksam und nachhaltig zu fördern.

Den Widerspruch der Antragstellerin vom 23. August 2010 wies der Antragsgegner durch Widerspruchsbescheid vom 9. September 2010 zurück, bezog sich in der Begründung zum einen auf den angefochtenen Bescheid und führte ergänzend aus, der Antragsgegner habe die Absicht, die Antragstellerin in ihren Bemühungen zu unterstützen. Dabei sei er allerdings zunächst auf ärztliche Stellungnahmen angewiesen, um die Erforderlichkeit und Geeignetheit der von der Antragstellerin beantragten Kostenübernahme eines Gebärdensprachdolmetschers zum Besuch der X-Schule in X beurteilen zu können. Die Antragstellerin sei verpflichtet, Beweisurkunden, namentlich über notwendige fachärztliche Untersuchungen zu übersenden. Dies sei als unumgänglicher Schritt zu betrachten, um eine unabhängige, objektive und breit angelegte Möglichkeitenvielfalt zu erlangen, aus der dann die am besten geeignete Integrationsmöglichkeit für die Antragstellerin herausgefiltert werden solle. Niemand spreche ihr hierbei die Letztentscheidung ab. Das Staatliche Schulamt sei ihrem Wunsch nachgekommen, sie der X-Schule zuzuweisen. Dies sei an rein schulrechtlichen Gesichtspunkten geprüft worden. Der gesetzliche Auftrag der Integration, welcher zur Finanzierung der Sozialbehörde obliegt, habe jedoch andere Ansätze als rein rechtliche. Ohne die von der Antragstellerin angeforderten medizinischen Unterlagen sei jedoch eine Aussage zur Zielerreichung einer dauerhaften Integration nicht möglich. Zudem werde in mehreren bereits vorliegenden Gutachten zum einen die Resthörfähigkeit der Antragstellerin und zum anderen deren positive Entwicklung der Lautsprachlichkeit hervorgehoben. Hierbei handle es sich um eine gute Möglichkeit für die Antragstellerin, mit Menschen in direkten Kontakt zu treten, welche nicht der Gebärdensprache mächtig seien. Als gehörloses Kind unter lauter hörenden Kindern mit anderen Kommunikationsformen laufe die Antragstellerin Gefahr, die kognitiven und emotionalen Bedürfnisse sowie die sprachliche Identität zu vernachlässigen. Auch würde dies dem Integrationsziel der Eingliederungshilfe und den Zielen einer zeitgemäßen Inklusion entgegen sprechen. Der Antrag auf Kostenübernahme eines Gebärdensprachdolmetschers sei zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund der gesetzlich geforderten Kriterien, welche nicht prüfbar seien, abgelehnt worden. Dies sei nicht zu beanstanden.

Am 20. September 2010 hat die Antragstellerin beim hiesigen Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie trägt im Wesentlichen vor, sie habe aufgrund der bisherigen intensiven Förderung durch den Antragsgegner sowie seitens ihrer Eltern (zusätzliche regelmäßige lautsprachliche Förderung durch Logopäden) einen Wissens- und Sprachstand erreicht, der über dem vergleichbaren hörbeeinträchtigter Kinder ihres Alters liege. Dieser entspreche vielmehr dem Stand eines nicht behinderten Kindes. In der zuständigen Förderschule in F. würde sie unterfordert sein. Zudem finde dort kein durchgängiger Unterricht in Gebärdensprache statt. Diese Sprache sei jedoch in Deutschland als eigenständige Sprache anerkannt. Sie habe somit einen Rechtsanspruch darauf, auch in dieser Sprache unterrichtet zu werden, für die sie sich entschieden habe. Dies ergebe sich bereits aus dem durch die Bundesrepublik Deutschland ratifizierten Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-Behinderenrechtskonvention - UN-BRK). Diese binde auch die regionale und lokale staatliche Ebene. Aufgrund der guten Erfahrungen, die sie in einer regulären Kindertagesstätte gemacht habe, wo sie ebenfalls als einziges hörgeschädigtes Kind gewesen sei, habe sie sich auch beim Schulbesuch für die inklusive Beschulung entschieden, bei der die Übernahme der Dolmetscherkosten durch den Antragsgegner erforderlich sei. Erstmals sei sie unter dem 26. Juli 2010 aufgefordert worden, eine Fachklinik aufzusuchen und weitere medizinische Untersuchungen durchführen zu lassen. Nicht nur maße sich der Antragsgegner an, ihren Erziehungsberechtigten vorzuschreiben, in welcher Form sie - die Antragstellerin - zu kommunizieren habe. Er übe darüber hinaus auch Druck auf ihre Erziehungsberechtigten aus, einen von diesen nicht gewünschten medizinischen Eingriff an ihr vornehmen zu lassen (Cochlea-Implantat, im folgenden CI). Ein solcher Eingriff stelle grundsätzlich eine schwere Körperverletzung dar. Der Druck seitens des Antragsgegners, diesen Eingriff vornehmen zu lassen, werde daher als Nötigung ihrer Erziehungsberechtigten empfunden. Gegenüber dem Antragsgegner sei stets deutlich gemacht worden, dass ein CI abgelehnt werde, da es nicht Gegenstand des Antrags sei, herauszufinden, ob sie - die Antragstellerin - mit einem CI in der Lage sein könne, dem Unterricht lautsprachlich zu folgen. Aus der ärztlichen Stellungnahme des Universitätsklinikums Würzburg vom 14. September 2010 ergeben sich, dass weitere Untersuchungen in dieser Richtung keine anderen Ergebnisse zu Tage fördern würden und solche Untersuchungen der Antragstellerin nur zuzumuten seine, wenn dann auch ein CI gesetzt werde.
Sie sei am 15. September 2010 in die Regelschule X-Schule in X eingeschult worden. Der Unterricht werde von Gebärdensprachdolmetscherinnen begleitet. Voraussetzung für die Beschulung sei die Anwesenheit dieser Dolmetscherinnen während des Unterrichts. Durch diese würden Rechnungen gestellt werden, die zu begleichen seien. Insoweit sei Dringlichkeit des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegeben. Zudem könne der Antragstellerin nicht zugemutet werden, die Dolmetscherkosten von circa 480 EUR/Schultag selbst zu finanzieren. Auch könne ihr nicht zugemutet werden, sich - gegen ihren Willen - ein CI implantieren zu lassen. Abgesehen davon würden sich ihre Chancen, bei inklusiver Beschulung einen Schulabschluss zu bewerkstelligen, um ein Vielfaches erhöhen. Denn die Quote jener behinderten Schüler, die segrativ beschult und keinen Schulabschluss erwerben würden, liege bei deutlich über 80 v. H.. Zudem komme es im Hinblick auf eine angemessene Förderung auf den individuellen Bedarf an. Der Bedarf für eine angemessenes Schulbildung ergebe sich aus dem Vergleich mit den Möglichkeiten eines gleichermaßen entwickelten nicht behinderten Kindes. Dieser werde durch den Besuch der Förderschule für Hörgeschädigte in Friedberg nicht gedeckt. Außerdem wäre sie auch dort das einzige gehörlose Kind der Klasse, da ihre Mitschüler entweder schwerhörig seien oder ein CI hätten und jedenfalls die deutsche Gebärdensprache nicht beherrschen würden. Ferner erhalte Sie eine gesonderte logopädische Förderung, die den fehlenden Sprachunterricht mehr als ausgleichen würde. Sie könne deshalb eine ihrer individuellen Situation angemessene Schulbildung nur in der allgemeinen Schule - und zwar im Rahmen des gemeinsamen Unterrichts - erhalten. Zu betonen sei nochmals ausdrücklich, dass sowohl ihre Erziehungsberechtigten als auch sie selbst die in Rede stehende Implantation ablehne. Die Möglichkeiten und Risiken eines solchen Eingriffs seien ihr schon seit 2006 bekannt.

Die Antragstellerin legt unter anderem einen logopädischen Kurzbericht vom 16. August 2010, ärztliche Stellungnahmen des Universitätsklinikums Würzburg vom 14. September 2010 sowie Bescheinigungen des Steuerberaters X vom 13. September 2010 vor. Ferner legt sie einen Bericht der Klassenlehrerin vom 5. Oktober 2010 vor.

Die Antragstellerin beantragt,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für die ihren Schulunterricht in der privaten X-Schule in X seit 15. September 2010 begleitenden Gebärdendolmetscherinnen im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII zu übernehmen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er trägt vor, die gemäß §§ 53 ff. SGB XII erforderlichen Feststellungen könnten nicht getroffen werden, solange die Antragstellerin die hierzu maßgeblichen fachärztlichen Befundberichte nicht vorlege. Es sei nicht zutreffend, dass die Antragstellerin in einer Regelgrundschule unterrichtet werden solle. Vielmehr handele es sich um eine Privatschule. Die Frühförderung sei in vollem Umfang seitens des Antragsgegners finanziert worden, wobei der Gebärdensprachunterricht für die gesamte Familie in einem Umfang bewilligt worden sei, der das übliche Maß sogar überschreite. Für den Integrationshelfer seien im Verlaufe der drei Kindergartenjahre rd. 50.000 EUR angefallen. Aus dem Hessischen Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung können kein Anspruch auf Unterrichtung in deutscher Gebärdensprache abgeleitet werden. Aus dem Bescheid des Staatlichen Schulamtes ergebe sich lediglich, dass aus schulrechtlicher Sicht keine Bedenken gegen den Besuch der Privatschule bestünden. Die Entscheidung, welche Maßnahmen im Rahmen der Eingliederungshilfe zu finanzieren seien, treffe nicht die genannte Behörde, sondern der Antragsgegner in eigener Verantwortung. Die Aufforderung weitere ärztliche Unterlagen vorzulegen, sei nicht zu beanstanden. Denn der Antragsgegner sei als Sozialverwaltung ohne kompetente ärztliche Stellungnahme zur Entscheidung über den Antrag nicht in der Lage. Der Vorwurf, er wolle nur Geld sparen, gehe an der Sache vorbei. Zwar stehe die bestmögliche Förderung der Antragstellerin im Vordergrund. Angesichts der Kosten von jährlich 70.000 EUR- was bei einer Schulzeit von 13 Jahren bei moderater Kostensteigerung einen Betrag von rund 1 Mio EUR ausmache - sei der Antragsgegner nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet zu prüfen, ob andere kostengünstigere Maßnahmen zur Verfügung stünden. Die strikte Ablehnung der Erziehungsberechtigten der Antragstellerin hinsichtlich eines CI sei nicht nachvollziehbar. Sinnvoll sei eine solche Maßnahme nur bis zum 7. Lebensjahr. Eine spätere Implantation sei nur möglich bei Personen, die nicht von Geburt an gehörlos seien. Jetzige Versäumnisse seien später nicht nachholbar. Möglicherweise stehe in 5, 10 oder auch erst in 15 Jahren ein verbessertes Implantat zur Verfügung. Von einem solchen Fortschritt wäre die Antragstellerin aufgrund der jetzigen Versäumnisse dauerhaft ausgeschlossen. Ohne ein solches Implantat könne sich die Antragstellerin dauerhaft nur in Gebärdensprache verständlich machen. Diese sei bekanntermaßen nur einem sehr kleinen Personenkreis möglich. Auf diese Weise erfolge gerade keine Integration in die Gesellschaft, sondern die Benachteiligung werde manifestiert. Bei einer erfolgreichen Implantation und anschließendem Spracherwerb wäre es indessen möglich, das die Antragstellerin anschließend die Regelschule besuche, ohne der Unterstützung eines Gebärdendolmetschers zu bedürfen. Das die Antragstellerin selbst eine Implantation ablehne, sei im Hinblick auf deren Lebensalter nicht nachvollziehbar. Soweit sich die gesetzlichen Vertreter der Antragstellerin darauf beriefen, dass ihrem Wunsch- und Wahlrecht zu entsprechen sei, frage sich, wo dann das Wahlrecht der Antragstellerin bleibe, ob sie in die Lage versetzt werden möchte zu hören oder nicht. Zudem finde das Wunsch- und Wahlrecht der Erziehungsberechtigten dort seine Grenze, wo dies mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sei, die in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem angestrebten Erfolg stünden. Letztlich sei auch fraglich, ob die Antragstellerin mit Verwendung der deutschen Gebärdensprache überhaupt in der Lage sei, dem Unterricht zu folgen.
Zudem habe die Antragstellerin einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Der Anspruch auf Eingliederungshilfe möge zwar einkommens- und vermögensunabhängig sein. Im Rahmen einer einstweiligen Anordnung sei jedoch zu prüfen, ob die Kosten nicht bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache aus eigenen Mitteln getragen werden könnten. Im Übrigen könne der Antragsgegner nur davon ausgehen, dass ein Anordnungsgrund nicht bestehe, weil der Nachweis der Einkommens- und Vermögensverhältnisse nur dem Gericht überlassen worden sei.

Am 4. Oktober 2010 hat die Antragstellerin beim hiesigen Gericht Klage erhoben (Az.: S 30 SO 241/10) und den Bescheid des Antragsgegners vom 17. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2010 angefochten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sei.

Hinweis:

Einen Fachbeitrag zum Einstweiligen Rechtsschutz finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
http://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/a/2013/A4-...

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Karin Kestner

Gründe:

II.

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist weitgehend begründet. Denn der Antragsgegner hat die Kosten für einen im Regel-Schulunterricht der hörbehinderten Antragstellerin an der privaten X-Schule übertragenden Gebärdensprachdolmetscher im Rahmen der Gewährleistung von Eingliederungsleistungen nach dem SGB XII zu übernehmen.

Einen dahingehenden Anspruch hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht. Das Gericht hält insofern das auf Übernahme der vorgenannten Kosten gerichtete Begehren der Antragstellerin für offensichtlich begründet, so dass auch der erforderliche Anordnungsgrund glaubhaft ist. Soweit durch die sich aus dem Tenor ergebende Entscheidung eine "Vorwegnahme der Hauptsache" eintritt, ist dies im Hinblick auf die täglich anfallenden Kosten für die Tätigkeit des Gebärdendolmetschers aus dem übergeordneten Gesichtspunkt der Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne der in Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) verankerten Garantie gerechtfertigt. Die Verpflichtung des Antragsgegners setzt allerdings erst mit dem Tag des Eingangs des Antrags der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei Gericht am 20. September 2010 ein, da es für Zeiten vor dem genannten Datum an einem Anordnungsgrund fehlt.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 des Sozialgesetzbuches (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.

Nach S. 2 der genannten Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, voraus, sowie einen Anordnungsgrund nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch stehen insoweit in Wechselbeziehung zueinander als die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Hauptsache (dem Anordnungsanspruch) mit zunehmender Eilbedürftigkeit und Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) sinken und umgekehrt.

Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an der Anordnungsgrund. In der Regel ist daher dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dann stattzugeben.

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO - in Verbindung mit § 86 Abs. 2 S. 4 SGG). Dabei sind soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, Az.: 1 BvR 569/05). Nach dieser Rechtsprechung müssen sich die Gerichte im Übrigen stets schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen.

Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für einen ihren Schulunterricht begleitenden Gebärdendolmetscher/-in glaubhaft gemacht.

Nach § 53 Abs. 1 S. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch einen Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 S. 1 SGB IX wesentlich in der Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach den Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.

Die Antragstellerin gehört unstreitig zum berechtigen Personenkreis im Sinne des § 53 Abs. 1 SGB XII in Verbindung mit § 2 Abs. 1. S. 1 SGB IX, §§ 1, 2 der Verordnung nach § 60 SGB XII.
Hinsichtlich der den Schulunterricht der Antragstellerin begleitenden Gebärdendolmetscher/-in sind die Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII, konkretisiert durch die auf der Grundlage der Ermächtigung in § 60 SGB XII ergangene Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglVO) erfüllt.

Leistungen der Eingliederungshilfe sind nach § 54 Abs 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des SGB IX insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulausbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht, wobei die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt bleiben.

Unter einer angemessenen Schulbildung im Sinne der genannten Vorschrift ist dabei eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbaren Bildung zu verstehen (vgl. Grube/Wahrendorf SGB XII, Sozialhilfe, Kommentar, 2. Auflage 2008, § 54 Rn. 21). Die Maßnahmen, die zur Erreichung dieses Eingliederungszieles zu ergreifen sind, werden in § 12 EinglVO näher bestimmt.

Nach § 12 Nr. 1 EinglVO umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne der § 54 Abs. 1 S. 1 SGB XII auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zu Gunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern.

Hinsichtlich dieser Voraussetzungen ist zunächst festzustellen, dass die 6-jährige Antragstellerin die X-Schule in X im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht besucht. Dabei spielt es weder eine Rolle, dass es sich bei der genannten Schule um deine Privatschule handelt, noch dass sich diese im Freistaat Bayern befindet. Denn nach dem Bescheid des Staatlichen Schulamtes für den Main-Kinzig-Kreis vom 8. Juni 2010 steht es der Antragstellerin frei, die genannte private und allgemeinbildende Schule zu besuchen. Es handelt sich bei der Entscheidung der genannten Schulbehörde zweifellos nicht um einen Zuweisungsbescheid - etwa für eine Förderschule. Denn das Staatliche Schulamt hat sogar ausdrücklich hervorgehoben, dass bei der Antragstellerin ein sonderpädagogischer Förderbedarf "gegenwärtig nicht festgestellt" worden ist. Vielmehr besteht nach dieser Entscheidung des Schulbehörde, die auf dem Ergebnis des hierzu eigens eingeholten sonderpädagogischen Gutachtens vom 26. November 2009 beruht, bei der Antragstellerin ein besonderer Förderbedarf im Bereich Hören.
Aus der Entscheidung der Schulbehörde folgt aber zum anderen, dass diese es den Erziehungsberechtigten der Antragstellerin überlassen hat, die schulrechtliche Möglichkeit der Beschulung an der X-Schule zu nutzen. Dieses schulrechtliche Wahl- bzw. Bestimmungsrecht ist vom Antragsgegner als Träger der Sozialhilfe auch zu respektieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2007, Az.: 5 C 35/06 in JURIS Rn. 21). Daraus folgt, dass der Antragsgegner die Antragstellerin aus dem schulischen Aspekt nicht etwa auf den Besuch einer anderen Schule, und somit auch nicht auf den Besuch der J.-V.-Schule in F. als Förderschule verweisen kann.

Eine Verweisung der Antragstellerin auf den Besuch der genannten Förderschule steht dem Antragsgegner ferner weder unter Berücksichtigung der weiteren Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 12 Nr. 1 EinglVO zu noch im Hinblick auf den Status Quo der Hörbehinderung der Antragstellerin mit sog. Resthörigkeit.

Denn die Begleitung der Antragstellerin durch einen Gebärdensprachdolmetscher/-in im Schulunterricht, also die Bereitstellung von Hilfen für Unterstützter ("persönliche Assistenz" vgl. Grube/Wahrendorf a.a.O. § 54 Rn. 22) i.w.S. ist als sonstige Maßnahme zu Gunsten der körperlich behinderten Antragstellerin nach der vorgenannten Vorschrift sowohl erforderlich als auch geeignet, ihr den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen.
Zwar stellt sich gerade bei Maßnahmekosten, die durch eine persönliche Assistenz während des Schulbesuchs entstehen, die Frage des Verhältnisses des sozialhilferechtlichen Nachranggrundsatzes zum Schulrecht. Besucht jedoch ein behindertes Kind - wie im vorliegenden Fall die Antragstellerin - eine Regelschule (s.o.) und ergibt sich ein spezieller Betreuungsbedarf, kann der Hilfesuchende nicht darauf verwiesen werden, er könne sich selbst durch einen Wechsel auf eine Sonderschule helfen, solange schulrechtlich eine solche Einweisung nicht besteht (vgl. Grube/Wahrendorf a.a.O. § 54 RN. m.w.N.). Der Hilfeträger ist folglich an die Entscheidung der Schulbehörde - und das ausgeübte Wahl- bzw. Bestimmungsrecht der Eltern - gebunden, ein behindertes Kind in der Regelschule unterrichten zu lassen. Hält die Schulbehörde - wie im Falle der Antragstellerin - eine derartige Beschulung für möglich, ist ihrer Einschätzung auch die Überlegung vorangegangen, dass ein solcher Schulbesuch nur mit Hilfe von Unterstützung möglich ist (vgl. Grube/Wahrendorf a.a.O.). Letzteres ergibt sich im vorliegenden Fall ausdrücklich aus dem Bescheid des Staatlichen Schulamtes vom 8. Juni 2010, in welchem der Einsatz eines Gebärdensprachdolmetschers zumindest insoweit angesprochen ist, als die Schulbehörde darauf hingewiesen hat, die dadurch entstehenden Kosten nicht zu übernehmen. Insoweit gilt aber ohnehin, dass nach den schulrechtlichen Vorschriften des Landes in der Regel kein Anspruch eines Schülers auf Übernahme bestimmter Personalkosten existiert (vgl. Grube/ Wahrendorf a.a.O.).

Aus dem Vorstehenden folgt somit, dass der Antragsgegner die Antragstellerin nicht etwa auf den Besuch der J.-V.-Schule als Förderschule für Hörgeschädigte verweisen darf. Dies ist nach Auffassung der Kammer zudem auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil der Antragsgegner in der Begründung des Bescheides vom 17. August 2010 selbst eingeräumt hat, dass eine gebärdensprachliche Förderung an der vorgenannten Schule für Hörgeschädigte "nicht in allen Fächern möglich" sei, was letztlich bedeutet, dass die Antragstellerin beim Besuch dieser Schule von Teilen des Unterrichts ausgeschlossen wäre, da ihr der entsprechende Unterrichtsstoff in den Fächern ohne Gebärdensprachdolmetscher nicht übertragen werden könnte.

Hieran wird zudem deutlich, dass die Begleitung des Schulunterrichtes durch Gebärdensprachdolmetscher für die Antragstellerin zur Erlangung einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 12 Nr 1 EinglVO erforderlich ist. Insbesondere ist dies geradezu die Konsequenz des vom Antragsgegner seither verfolgten und durch entsprechende Kostenübernahme (s.o.) intensiv geförderten Eingliederungskonzeptes. Denn schon seit Beginn der Frühförderung der Antragstellerin war deren Eingliederung gebärdensprachlich dominiert. Davon umfasst war sowohl der im Kindergarten "St. L." eingerichtete Integrationsplatz und die Beschäftigung eines Integrationshelfers, so dass die Antragstellerin schon seinerzeit in einer regulären Kindertagesstätte die Kommunikationsform der Gebärdensprache als einziges Kind praktizierte wie sie vom Antragsgegner unwidersprochen und daher glaubhaft vorgetragen hat. Darüber hinaus hat der Antragsgegner selbst hervorgehoben, über drei Jahre hinweg die Kosten für Gebärdensprachkurse auch für die gesamte Familie der Antragstellerin in einem Umfang getragen zu haben, der nach seinem Vortrag das übliche Maß sogar überschreitet. Diese Kosten für jene Gebärdensprachkurse hat der Antragsgegner immerhin in einem Umfang von insgesamt 240 Unterrichtsstunden übernommen.

Seit dem Beginn der Frühförderung der Antragstellerin war ihre Eingliederung somit vom Gebrauch der Gebärdensprache geprägt. Der Antragsgegner setzt sich deshalb in Widerspruch zu den von ihm selbst maßgeblich geschaffenen Tatsachen, wenn er nunmehr die Auffassung vertritt, im Rahmen des Schulbesuchs sei der Einsatz der Gebärdensprache nicht im Sinne des § 12 Nr. 1 EinglVO erforderlich bzw. geeignet und die Nutzung dieser Kommunikationsform sei mit dem den Eingliederungsvorschriften immanenten Eingliederungsgedanken nicht in Einklang zu bringen. Dem steht - ausgehend von dem gegenwärtigen Status der Eingliederung der Antragstellerin - bereits die allgemeine Lebenserfahrung entgegen, wonach gerade die jahrelange Übung in einer Fertigkeit im Vorschulalter größeren Nutzen im Schulbesuch erwarten lässt als die - bezogen auf den Unterricht ohne ausreichende gebärdensprachliche Unterstützung - dann völlige Abkehr von dem erlernten Kommunikationsmodell ausgerechnet zu Beginn der Schulzeit als einer für die weitere Entwicklung eines Kindes wichtigen Lebensphase.

Die Entwicklung der Antragstellerin im Verlauf der bisherigen Eingliederungsmaßnahmen erfordert folglich den Einsatz eines Gebärdensprachdolmetschers in den Unterrichtsstunden um ihr den Schulbesuch im Hinblick auf die Erlangung einer angemessenen Schulbildung zu ermöglichen.

Diesen Erfordernissen im Sinne der zitierten Eingliederungsvorschrift steht zur Überzeugung des Gerichts schon gar nicht entgegen, dass durch den Einsatz eines so genannten Cochlea Implantats die vom Antragsgegner mitbestimmte alleinige Ausrichtung der Antragstellerin auf den Gebrauch der Gebärdensprache möglicherweise rückgängig gemacht werden könnte. Abgesehen davon, dass der Antragsgegner der Antragstellerin im Hinblick auf die Ablehnung der Durchführung der hierzu erforderlichen medizinischen Eingriffs eine Art "Versäumnis" vorhält, welches er angesichts aber im Rahmen der Bewilligung der gebärdensprachlich ausgerichteten Eingliederungsleistungen jahrelang unbeanstandet gelassen hatte, ist eine Verpflichtung der Antragstellerin bzw. ihrer Erziehungsberechtigten, dem Eingriff zuzustimmen, zur Überzeugung der Gerichts schon mit den Grundrechten unvereinbar. Denn sowohl das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz - GG) als auch das natürliche Recht der Eltern auf Pflege und Erziehung ihres Kindes (Artikel 6 Abs. 2 S. 1 GG) sind im Kernbereich tangiert, wenn eine bestimmte Willensbetätigung, die hier in der Verweigerung der Zustimmung zu einem medizinischen Eingriff besteht, erhebliche Rechtsnachteile zur Folge hätten. Darauf läuft jedoch die Argumentation des Antragsgegners hinaus, der den Einsatz eines Gebärdensprachdolmetschers im Hinblick auf die Option zum Einsatz eines Cochlea Implantats und die damit verbundene Erwartung einer Sprachentwicklung deshalb als nicht erforderlich einstuft. Dabei erkennt er jedoch, dass ihm eine Bewertung des Entschlusses der Erziehungsberechtigten der Antragstellerin gegen den medizinischen Eingriff nicht zusteht. Einen Fall der Gefährdung des Kindeswohls, welcher allein das Eingreifen staatlicher Stellen in die Willensbildung der Erziehungsberechtigten rechtfertigen könnte, vermag das Gericht in der Ablehnung der Vornahme des genannten medizinischen Eingriffs nicht zu erkennen. Schon gar nicht findet das natürliche Recht der Erziehungsberechtigten der Antragstellerin auf deren Pflege und Erziehung aus dem Gesichtspunkt der Mehrkosten "seine Grenzen", wie der Antragsgegner meint. Es kann folglich dahinstehen, ob und welche Sachverständigen im Falle der Antragstellerin eine Indikation für ein Cochlea Implantat sehen und für die weitere Sprachentwicklung der Antragstellerin als erfolgversprechend einstufen. Denn der Antragsgegner kann der Antragstellerin und ihren Erziehungsberechtigten im Rahmen der Erbringung von Eingliederungsleistungen die bereits mehrfach bekundete Ablehnung des Eingriffs nicht entgegenhalten (s.o.).

Schließlich stellt der Einsatz eines Gebärdensprachdolmetschers/-in im Unterricht im Sinne des § 12 Nr. 1 EinglVO auch eine geeignete (sonstige) Eingliederungsmaßnahme dar, der Antragstellerin den Schulbesuch zu ermöglichen. Denn sie hat diese Kommunikationsform seit Beginn der Frühförderung im Juli 2007 sowohl bei der integrativen Betreuung im Kindergarten als auch im familiären Umfeld intensiv erlernt. Insofern ist davon auszugehen, dass sie mit dieser Befähigung in der Lage ist, den Lehrstoff aufzunehmen und dadurch eine angemessene Schulbildung zu erreichen. Diese Einschätzung wird zudem eindrucksvoll bestätigt durch den Bericht der Klassenlehrerin der Antragstellerin vom 5. Oktober 2010, auf den das Gericht deshalb an dieser Stelle Bezug nimmt.

Ein Anordnungsgrund hat die Antragstellerin zum einen deshalb glaubhaft gemacht, weil ihre Klage in der Hauptsache des Gerichts offensichtlich begründet ist (s.o.). Zum anderen sind die daher verminderten Anforderungen an diese Voraussetzung erfüllt. Denn im Hinblick auf die mit jedem Tag durch die Dolmetschertätigkeit anfallenden Kosten in Höhe von 480 Euro hat die Antragstellerin ein erhebliches und berechtigten Interesse an einer zeitnahen, wenn auch vorläufigen gerichtlichen Entscheidung.

Zwar besteht der Grundsatz, dass eine einstweilige Anordnung die endgültige Entscheidung (der Hauptsache) nicht vorwegnehmen darf (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 9. Auflage 2008, § 86b Rn. 31). Es kann aber im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes und im Hinblick auf die Rechtsgarantie aus Artikel 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn ansonsten Rechtsschutz nicht erreichbar ist und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre (vgl. Meyer-Ladewig a.a.O.).

Ein solcher Ausnahmefall ist vorliegend gegeben. Denn es ist der Antragstellerin im Hinblick auf die täglich entstehenden erheblichen Kosten nicht zumutbar, auf nicht absehbare Zeit in Ungewissheit darüber zu verbleiben, ob diese vom Antragsgegner zu übernehmen sind. Insoweit ist für die Antragsgegnerin Rechtsschutz auf andere Weise auch nicht erreichbar.

Zur Kostentragung war der Antragsgegner allerdings erst ab Eingang des Eilantrags der Antragstellerin bei Gericht am 20. September 2010 vorläufig zu verpflichten. Denn es ist grundsätzlich nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes, einen Ausgleich für Rechtsbeeinträchtigungen in der Vergangenheit bereitzustellen (vgl. Hessisches Landessozialgericht Beschluss vom 9. Januar 2008, Az.: L 7 AS 362/07 ER m.w.N. zu dieser Rechtsprechung). Eine Ausnahme von dieser Rechtsprechung ist bei einer Regelungsanordnung nur dann zu machen, wenn eine Notlage noch bis in die Gegenwart fortwirkt und den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (Hessisches Landessozialgericht a.a.O.). Das Vorliegen der Voraussetzungen für einen solchen "Nachholbedarf" der Antragstellerin ist jedoch auch in Anbetracht des Jahreseinkommens ihrer Erziehungsberechtigten auf der Grundlage der vorliegenden Bescheinigung des Steuerberaters vom 13. September 2010 nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auch § 193 SGG. Dabei hat das Gericht berücksichtigt, dass der Antrag der Antragstellerin weitgehend Erfolg hatte.

Referenznummer:

R/R4630


Informationsstand: 27.10.2010