Urteil
Leistungen der Eingliederungshilfe für einen Gebärdensprachdolmetscher und studentische Mitschreibhilfen im Rahmen eines Hochschulstudiums

Gericht:

SG Düsseldorf 17. Kammer


Aktenzeichen:

S 17 SO 123/10


Urteil vom:

28.07.2011


Tenor:

Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheides vom 04.11.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2010 der Klägerin Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für Gebärdensprachdolmetscher für höchstens 11,5 Wochenstunden Vorlesungen und sonstige Lehrveranstaltungen, davon 7 Stunden in Doppelbesetzung, zu den Konditionen, die der LVR mit dem Berufsverband der Gebärdensprachdolmetscher NRW ausgehandelt hat, bis zum 15.09.2010 zu gewähren. Der Beklagte wird ferner verpflichtet, Kosten für studentische Mitschreibhilfen nach angemessenem Bedarf in Höhe von 6,00 Euro pro Stunde für die Vorlesungszeit im Sommersemester 2010 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in Höhe von 5/6.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte der Klägerin Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern, Tutoren und studentischen Mitschreibhilfen im Rahmen eine Hochschulstudiums erbringen muss. Insbesondere ist streitig, ob das Studium der Klägerin, die bereits einen Ausbildungsberuf erlernt und mehrere Jahre ausgeübt hat, als angemessene Berufsausbildung i.S.d. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII anzusehen ist.

Die 1979 geborene Klägerin ist gehörlos mit einem Grad der Behinderung von 100. Sie hat im Jahr 2000 am S-X1 C für Hörgeschädigte in F die allgemeine Hochschulreife mit einem Durchschnitt von 2,9 erworben. Anschließend absolvierte sie eine Ausbildung zur Mediengestalterin für Digital- und Printmedien - Mediendesign -, die sie 2003 ausweislich des Prüfungszeugnisses der Industrie- und Handelskammer vom 03.07.2003 mit dem Gesamtergebnis "befriedigend" beendete. Beim Berufsschulabschluss erreichte sie laut Zeugnis des Berufskollegs für Hörgeschädigte die Durchschnittsnote 1,8. Im Anschluss an ihre Berufsausbildung war die Klägerin in ihrem Ausbildungsbetrieb bis September 2009 als angestellte Mediengestalterin tätig.

Zum Wintersemester 2009/2010 hat die Antragstellerin das Studium der Druck- und Medientechnologie an der Universität X2l aufgenommen (angestrebter Abschluss: Bachelor). Den Lebensunterhalt während des Studiums hat sie bislang durch eine Nebenbeschäftigung bei ihrem früherem Arbeitgeber bestritten. Sie gibt an, dies während des Studiums so beibehalten zu wollen.

Mit Schreiben vom 05.10.2009 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten Studienhilfen im Rahmen der Eingliederungshilfe zur Durchführung des Studiums in Form von Gebärdensprachdolmetscher, studentische Mitschreibkräfte und Tutoren. Aus einem beigefügten Stundenplan ergaben sich für das erste Semester Lehrveranstaltungen im Umfang von 16 Semesterwochenstunden. Die Klägerin machte für insgesamt 16 Stunden Leistungen für Gebärdensprachdolmetscher in Doppelbesetzung geltend, zudem für alle Veranstaltungen studentische Mitschreibkräfte. Außerdem benötige sie zur Vor- und Nachbereitung sowie zur Vorbereitung auf Prüfungen einen qualifizierten Tutor. Diesen benötige sie nicht nur in der Vorlesungszeit, sondern auch in der veranstaltungsfreien Zeit, in der Prüfungen stattfänden. Deshalb beantrage sie 10 Tutorstunden pro Woche.

Aus einem beigefügten ärztlichen Attest ihres Hausarztes geht hervor, dass die Klägerin seit Geburt durch Gehörlosigkeit und Sprachbehinderung hochgradig schwerbehindert ist. Ihre Studienzeit werde sich dadurch um mindestens 100 % verlängern. Die Studierfähigkeit sei um mindestens 60 % eingeschränkt, weil ein Gebärdensprachdolmetscher für die Vorlesungen erforderlich sei. Die eingeschränkte Studierfähigkeit bestehe auf Dauer und werde sich nicht ändern.

Auf die vom Beklagten angeforderte ausführliche Begründung, weshalb die Klägerin das jetzt begonnene Hochschulstudium anstrebe, führte diese mit Schreiben vom 29.10.2009 aus: Sie habe ihre bisherige Berufsausbildung im Bereich Druckvorstufe als Mediengestalterin der Fachrichtung Mediendesign Print absolviert. Diese Ausbildung sei auf dem dualen System aufgebaut gewesen, weshalb sie die Möglichkeit gehabt habe, ihre theoretischen Kenntnisse sogleich in der Praxis anzuwenden. Sie habe die Erstellung papiergebundener Druckmedien erlernt und ihr Wissen später im Bereich digitale Medien und Messestände erweitert. Während der Ausbildung seien fast nur Grundlagen über Technologie der Druckverfahren bzw. des gesamten Druckprozesses unterrichtet worden. Nach einigen Jahren in der Praxis habe sie erkannt, dass sich in der Medienbranche eine sehr schnelle Entwicklung vollziehe. Um damit Schritt zu halten und sich beruflich weiterzuentwickeln, habe sie sich zu dem Studium der Druck- und Medientechnologie entschlossen.

Mit Bescheid vom 04.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.02.2010 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Entscheidend für die Hilfegewährung sei die Klärung der Frage, ob die Klägerin mit dem Studium eine bereits begonnene Ausbildung kontinuierlich fortsetzen (Erstausbildung) oder ob sie sich mit dem Hochschulstudium eine neue Ausbildung beginnen wolle (Zweitausbildung bzw. Fortbildung, Umschulung). Nur die Erstausbildung zähle zum Pflichtenkatalog der Sozialhilfe. Da die Klägerin jedoch das Studium nicht nahtlos an die Ausbildung angeschlossen habe, könne von einer Erstausbildung nicht mehr gesprochen werden. Bei dem Studium handele es sich daher um eine Fortbildungsmaßnahme, die nur dann gefördert werden könne, wenn der Behinderte ohne die Fortbildung den erlernten Beruf wegen der Behinderung nicht oder nur unzureichend ausüben könne und außerdem kein anderer Sozialleistungsträger die erforderliche Hilfe gewähre. Die Klägerin könne aber noch als Mediendesignerin arbeiten. Sozialhilfe leiste nur ein Mindestmaß an Hilfe. Hierzu gehöre nicht die Förderung eines Studiums, wenn der Betreffende im erlernten Beruf seinen Lebensunterhalt verdienen könne. Es sei auch nicht erkennbar, weshalb der Beruf der Mediengestalterin kein angemessener Beruf sei. Auch das Recht auf Bildung bestehe nur innerhalb der genannten Grenzen. Menschen ohne Behinderung erhielten für nicht nötige Studiengänge auch keine staatliche Förderung. Deshalb bestehe auch keine Benachteiligung gegenüber nicht behinderten Menschen.

Die Klägerin hat am 10.03.2010 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt.

Am 18.03.2010 stellte die Klägerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und beantragte, ihr vorläufig die Kosten für Gebärdensprachdolmetscher, Mitschreibkräfte und Tutoren für ihr Studium der Druck- und Medientechnologie zu bewilligen.

Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (S 17 SO 138/10 ER) machte die Klägerin geltend, dass der Beklagte (Antragsgegner) die Reichweite der Eingliederungshilfe verkenne. Diese gewähre Anspruch auf Hilfe zur Erlangung eines angemessenen Berufes. Angemessen bedeute, dass es dem Behinderten möglich sein müsse, einen seinen persönlichen Fähigkeiten entsprechenden Beruf zu ermöglichen, auch wenn dieser erst aufgrund eines Hochschulstudiums ausgeübt werden könne. Sie beabsichtige diese weitergehende Ausbildung, da sie ihren intellektuellen Fähigkeiten entspreche, und wolle mit abgeschlossenem Studium eine ihren Fähigkeiten entsprechende Berufstätigkeit ausüben. Es müsse auch Menschen mit Behinderung möglich sein, eine fähigkeitsentsprechende höhere Berufstätigkeit auszuüben; sie müssten zum Erreichen dieses Zieles die notwendigen behinderungsbedingten Hilfen erhalten. Dies entspreche geltendem Recht und werde zudem durch das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen gestützt, welches am 03.05.2008 in Kraft getreten und von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert worden ist. Nach Artikel 24 Abs. 5 der UN-Konvention gelte, dass Menschen mit Behinderung ohne Diskriminierung und gleichberechtigt Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung und lebenslangem Lernen haben, wozu die Vertragsstaaten Vorkehrungen zu treffen hätten. Eine solche Vorkehrung sei der Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern, Mitschreibkräften und Tutoren, denn sie sei wegen ihrer Gehörlosigkeit während der Vorlesungen auf Gebärdensprachdolmetscher angewiesen, um den Vorlesungen überhaupt folgen zu können. Daneben seien Mitschreibkräfte erforderlich, da sie nicht gleichzeitig auf die Dolmetscher schauen und parallel mitschreiben könne. Eine Unterstützung durch Tutoren sei notwendig, um nicht verstandenen Stoff aufzuarbeiten und die für ein Studium ebenfalls wichtigen sog. inoffiziellen Informationen zu vermitteln.

Für gehörlose Menschen sei es oft schwierig, mit sprachlich anspruchsvollem Material zu arbeiten. Sie sei auch nicht in der Lage, Vorlesungen durch Lippenablesen zu folgen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass nur etwa 30 % aller Buchstaben von den Lippen ablesbar seien; dies sei für Hochschulvorlesungen, in denen häufig sehr schnell sowie in anspruchsvoller Fachsprache gesprochen werde, nicht ausreichend. Auch sprächen nicht alle Menschen so deutlich, dass bei ihnen ein Ablesen von den Lippen überhaupt möglich sei. Sie sei im ersten Semester zwar zu den Vorlesungen gegangen, habe jedoch über Lippenablesen nichts verstehen können und sei deswegen aus ihrer Sicht praktisch abwesend gewesen. Sie habe lediglich den Aufschrieb an der Tafel abgeschrieben und habe manchmal Notizen von Kommilitonen abschreiben können. Auch von einigen Dozenten ausgeteilte Skripte seien nur stichwortartig abgefasst gewesen und stellten keinen Ersatz für den Besuch von Vorlesungen dar.

Die Klägerin legte im Eilverfahren eine Informationsschrift der Universität X2l zum Studiengang Druck- und Medientechnologie (Bachelor of Science), einen Ausdruck aus dem Berufenet der Bundesagentur für Arbeit über den Beruf Ingenieur/in für Druck- und Medientechnik, eine Schrift der Bundesagentur für Arbeit über den Arbeitsmarkt für Ingenieurinnen und Ingenieure, eine Schrift der Fachhochschule Düsseldorf über die Zukunft des Ingenieurs sowie eine Schrift "Think Ing." des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall vor. Sodann reduzierte die Klägerin ihren Bedarf an Gebärdensprachdolmetscher im Eilverfahren für das Sommersemester 2010 mit Schriftsatz vom 14.04.2010 auf 11,5 Semesterwochenstunden.

Der Beklagte hielt im Eilverfahren an seiner Rechtsauffassung fest und verneinte zudem die Eilbedürftigkeit. Da es die Klägerin mit der Durchführung des Studiums nicht eilig gehabt habe, da sie von 2003 bis 2009 berufstätig gewesen sei, sei nicht nachvollziehbar, wieso das Studium so plötzlich begonnen werden solle.

Das Sozialgericht erkundigte sich zur Frage, über welche Möglichkeiten die Hochschule zum behinderungsbedingten Ausgleich im Falle der Klägerin verfüge, beim Beauftragten für Behinderte der Universität X2. Dieser bestätigte, dass die Universität über keine Hilfen zur Bewältigung des Studiums für Gehörlose verfüge. Man prüfe den Einsatz technischer Geräte wie etwa die Übertragung des Gesprochenen auf den Bildschirm eines Laptops über Mikrofon; es sei jedoch zweifelhaft, ob die Universität die Mittel zur Anschaffung solcher Anlagen habe. Im Übrigen sei es nicht klar, ob eine solche Anlage wegen der vielen Fachausdrücke überhaupt sinnvoll eingesetzt werden könne.

Ferner führte das Sozialgericht Ermittlungen beim Berufsverband der Gebärdensprachdolmetscher NRW durch, der darauf hinwies, dass der Verband mit den Krankenkassen und den Landschaftsverbänden Verträge abgeschlossen habe, wonach sich die Höhe Vergütung der Gebärdensprachdolmetscher nach den Regelungen des JVEG richte. Seitens des Verbandes wurde auch darauf hingewiesen, dass eine Doppelbesetzung vorzunehmen sei, wenn die Dolmetschertätigkeit länger als eine Stunde betrage oder kürzer sei, aber viele Gesprächsbeteiligte zu dolmetschen seien.

Mit Beschluss vom 20.04.2010 verpflichtete das Sozialgericht den Beklagten als Antragsgegner im Eilverfahren, der Klägerin vorläufig Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für Gebärdensprachdolmetscher für 11,5 Wochenstunden Vorlesungen und sonstige Lehrveranstaltungen, davon sieben Stunden in Doppelbesetzung, zu den Konditionen, die der Antragsgegner mit dem Berufsverband der Gebärdensprachdolmetscher Nordrhein-Westfalen ausgehandelt habe, vom 20.04.2010 bis 31.07.2010 zu gewähren. Ferner wurde der Beklagte verpflichtet, vorläufig Kosten für studentische Mitschreibhilfen nach angemessenem Bedarf in Höhe von 6,00 EUR pro Stunde vom Beginn der Vorlesungszeit (12.04.2010) bis 31.07.2010 zu gewähren. Der Antrag hinsichtlich der Kostenübernahme für die Inanspruchnahme eines Tutors wurde abgelehnt. Hier sei weder ein Anordnungsgrund noch ein Anordnungsanspruch zu erkennen. Der Vortrag der Klägerin hierzu sei unklar. Es sei nicht dargetan, dass und inwieweit behinderungsbedingte Nachteile bestünden, welche nur durch den Einsatz eines Tutors auszugleichen wären. Wegen der Einzelheiten der Entscheidung wird auf den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.04.2010 (S 17 SO 138/10 ER) Bezug genommen.

Im Beschwerdeverfahren machte der Beklagte (Antragsgegner) geltend, dass das Sozialgericht bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "angemessener Beruf" im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII die methodischen Regeln der Auslegung verletzt habe.

Der Wortlaut erlaube es ohne Weiteres, den erlernten Beruf der Mediengestalterin für Digital- und Printmedien (Mediendesign) als für die Klägerin angemessen zu bewerten. Das Sozialgericht habe die Angemessenheit eindimensional allein in Bezug auf die individuellen Bedürfnisse der Antragstellerin zugeschnitten. Es wäre jedoch verfehlt, einen "angemessenen Beruf" allein dann anzunehmen, wenn er für den Leistungsberechtigten passe. Es gehe auch um die Angemessenheit auf einer höheren, abstrakten Ebene; die Logik und der Kontext der Hochschulhilfe würden ansonsten nicht mit in die Wortbedeutung einfließen.

Systematisch korreliere die Leistungsvoraussetzung des "angemessenen Berufs" in § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII mit § 13 Abs. 2 EinglH-VO. Voraussetzung sei hiernach u.a., dass die angestrebte Berufstätigkeit "voraussichtlich eine ausreichende Lebensgrundlage" biete oder dazu beitragen könne. Bei diesem gesetzgeberischen Ziel verbiete sich eine Auslegung, die trotz eines Berufes, der in zumutbarer Weise vom behinderten Menschen ausgeübt werden könne und der dessen Lebensunterhalt sicherstellen könne, die Finanzierung einer weiteren Ausbildung aus Steuermitteln, um eine nicht zwingende bessere, finanziell attraktivere Lebensgrundlage zu schaffen, welche über eine bloß "ausreichende" hinausgehe. Die Klägerin übe bereits einen attraktiven Beruf aus, der sie offenbar nicht nur ernähre, sondern sie auch in sozialen Kontakt mit anderen Menschen bringe. Damit sei auf den ersten Blick ihre Eingliederung in die Gesellschaft gelungen.

Dieses werde durch die historische Exegese der einschlägigen Normen bestätigt. In den Gesetzesmaterialien fehlten entsprechende Hinweise. In der Verwaltungspraxis habe sich allerdings für die im Jahr 1994 in das damalige Bundessozialhilfegesetz (BSHG) eingefügte Anspruchsgrundlage ein allgemein anerkanntes Verständnis manifestiert, das bisher nicht ins Wanken geraten sei. Als "angemessen" wurde und werde bei den zuständigen Sozialhilfeträgern jede Ausbildung angesehen, die den Leistungsberechtigten in die Lage versetze, seinen Lebensunterhalt eigenständig und unabhängig von Sozialhilfeleistungen zu bestreiten. Ein Studium nach einer bereits abgeschlossenen Berufsausbildung werde folgerichtig regelmäßig nicht als angemessen angesehen, wenn bereits eine längere Tätigkeit im Ausbildungsberuf erfolgt sei.

Auch nach dem Sinn und Zweck sei der Begriff der Angemessenheit in diesem Sinne auszulegen. Kernziel der Sozialhilfe und damit auch der Eingliederungshilfe sei es, behinderten Menschen dabei zu helfen, ein menschenwürdiges, eigenständiges und eigenverantwortliches Leben zu führen. Sei dieses Ziel bereits erreicht, ende der sozialhilferechtliche Hilfebedarf. Aus dieser Zielsetzung folge, dass keine Hilfe zur Ausbildung für einen optimalen Beruf gewährt werden könne. Ein Mehr an Leistungen könne gerade nicht gewährt werden. Es reiche nach dem Sinn und Zweck der einschlägigen Regelungen vielmehr aus, wenn der behinderte Mensch durch den Beruf in die Lage versetzt werde, unabhängig von existenzsichernden staatlichen Transferleistungen zu leben und am kulturellen und sozialen Leben in der Gemeinschaft mit anderen Menschen teilzunehmen. Dies sei bei der Klägerin auch ohne Studium bereits der Fall. Auch dem Individualisierungsgrundsatz sei in ihrem Falle bereits Genüge getan. Der von ihr ausgeübte Beruf der Mediengestalterin für Digital- und Printmedien entspreche ihrer Interessenlage und ihren Neigungen; anderenfalls würde sie kein Studium im selben fachlichen Bereich beginnen. Durch den Studienbeginn ändere sich nichts an dieser Wertung. Selbst wenn das Studium der Druck- und Medientechnologie für die Klägerin noch angemessener im Sinne einer optimalen Berufsausbildung sein sollte, so bliebe ihr bisheriger Beruf doch ebenfalls für sie eine mögliche, zumutbare Alternative. Bei der Suche nach dem Sinngehalt der gesetzlichen Vorschriften sei bereits nicht (allein) entscheidend, welche körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeiten der behinderte Mensch im Einzelfall habe; dies sei nur ein Aspekt, der sich einer ganzheitlichen Betrachtung im Zweifel unterordnen müsse. Wenn das Sozialgericht gemeint habe, es komme insofern darauf an, ob ein konkreter Beruf das berechtigte Interesse des behinderten Menschen an einer befriedigenden beruflichen Tätigkeit sicherstelle, so gehe das zu weit. Es gehöre zur Alltagserfahrung eines jeden behinderten wie nicht behinderten Menschen und damit zur allgemein gültigen beruflichen Normalität, dass die persönliche Befriedigung durch einen Beruf oft nicht im Vordergrund stehe, insbesondere wenn mit diesem das vorgehende Ziel verfolgt werde, die Lebensgrundlage zu sichern. Das Sozialgericht vermenge Selbstbestimmung mit gleichberechtigter Teilhabe. Sicher erstrecke sich die Selbstbestimmung behinderter Menschen in einem weiteren Sinne auch auf die Gestaltung ihrer Teilhabe. Dies bedeute jedoch nicht, dass sie auch über die begehrte Leistung dem Grund und der Höhe nach selbst bestimmen könnten, um in jedem Fall mit nicht behinderten Menschen gleichzuziehen. § 10 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), welcher die Teilhabe behinderter Menschen grundsätzlich regele, unterscheide demgemäß zwischen "Selbstbestimmung" und "gleichberechtigter Teilhabe" und fokussiere überdies die notwendige Hilfe auf einen den Neigungen und den Fähigkeiten entsprechenden Platz im Arbeitsleben. Diesen Platz habe die Klägerin bereits gefunden. Auch für behinderte Menschen lege das Sozialhilferecht lediglich einen die Menschenwürde wahrenden Mindeststandard fest; es halte keinen Wunschzettel an Leistungen bereit, alle Sozialleistungen zu bewilligen, die eine uneingeschränkte gleichberechtigte Teilhabe ermöglichten. Den Wünschen des Leistungsberechtigten werde durch die normative Hürde der "Angemessenheit" in § 9 Abs. 2 SGB XII eine unüberwindbare Grenze gesetzt.

Dieses klare Ergebnis in Anwendung der üblichen juristischen Methodik werde durch eine grundrechtskonforme Auslegung auch nicht etwa beseitigt. Denn Grundrechte der Klägerin seien nicht verletzt. Die Lesart des Begriffs "angemessener Beruf" durch den Beklagten verletze nicht die Menschenwürde des Art. 1 GG. Die Klägerin befinde sich nicht in einer Notlage. Aufgrund ihrer bisherigen Berufsausbildung und der erfolgreichen Eingliederung ins Arbeitsleben sei es ihr möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sie habe auch in keiner Weise vorgetragen, durch die Ausübung ihres erlernten Berufs in ihrer Lebensführung "abgesunken" zu sein. Allein der Wunsch, zu studieren und einen Hochschulabschluss zu erwerben, führe noch nicht dazu, dass das bisher geführte Leben als Mediendesignerin als menschenunwürdig erscheine. Dazu genüge nicht der Vortrag, die Klägerin wolle beruflich weiterkommen. Auch eine Diskriminierung i.S.v. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG bestehe nicht. Eine willkürliche, nicht sachgerechte Benachteiligung der Klägerin sei nicht zu erkennen. Denn auch ein nicht behinderter Mensch in einer im Übrigen gleichen Situation hätte keinerlei finanzielle Ansprüche auf Unterstützung während seiner Studienzeit. Schon gegen die Eltern bestünden nach § 1610 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) keine Ansprüche zur Finanzierung einer weiteren Ausbildung. Daneben hätte auch ein nicht behinderter Mensch im gleichen Alter wie die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Nach dessen § 10 Abs. 3 werde grundsätzlich keine Ausbildungsförderung mehr geleistet, wenn der Auszubildende bei Beginn der Ausbildung das 30. Lebensjahr vollendet habe. Damit habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass bei Erreichen eines bestimmten Alters die Berufsausbildung abgeschlossen sein müsse. Die Lesart des Begriffs der Angemessenheit durch den Beklagten verstoße im Übrigen auch nicht gegen Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Klägerin erfahre gegenüber Nichtbehinderten keine Benachteiligung. Ihr sei es auch möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Maßstab für die Gewährung der Eingliederungshilfe sei letztlich allein die Wahrung der Menschenwürde und nicht der vermeintlich durch das Gleichbehandlungsgebot geforderte Ausgleich aller behinderungsbedingten Nachteile. Auch insofern weiterhin ungleiche Lebensverhältnisse von Menschen bewegten sich im Rahmen der Menschenwürde; der Staat sei jedenfalls nicht verpflichtet, jedweden Nachteil, den behinderte Menschen in der Gesellschaft hätten, durch staatliche Leistungen zu beseitigen, solange diese nicht menschenunwürdig lebten.

Die Klägerin (Antragstellerin) erwiderte im Beschwerdeverfahren, dass der Beklagte Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht beachte. Mit dem Beklagten auf die Menschenwürde als Maßstab der Eingliederungshilfegewährung abzustellen, würde bedeuten, dass für behinderte Menschen generell eine höhere Bildung nicht erforderlich sei, solange diese mit ihrem bisherigen Einkommen den Lebensunterhalt bestreiten könnten oder mit einer auf niedrigem Niveau bestehenden Ausbildung ein Einkommen erzielen könnten, welches sie unabhängig von staatlichen Leistungen mache. Es gehe auch nicht um Leistungen der Eingliederungshilfe für den Lebensunterhalt der Klägerin, sondern ausschließlich um behinderungsbedingt notwendige Hilfen für das Studium. Der Beklagte übergehe bei seiner Auslegung des Begriffs "angemessener Beruf" den Umstand, dass sie - die Klägerin - mit der allgemeinen Hochschulreife eine Hochschulzugangsberechtigung erworben habe. Dem Beklagten wäre es auch nicht verwehrt, bei Bereitstellung von Eingliederungshilfen regelmäßig den Studienfortschritt zu überprüfen und damit eine zweckgerechte Gewährung der behinderungsbedingten Studienhilfen sicherzustellen. Sie - die Klägerin - habe im Übrigen bis zum Jahre 2008 durchgehend monatlich netto ungefähr 1.130, EUR, zuletzt vor Beginn des Studiums netto ca. 1.285,00 EUR verdient. Ein solcher Verdienst könne nicht gerade als hoch bezeichnet werden. Sie habe deshalb das berechtigte Bestreben, sich durch ein Hochschulstudium höher zu qualifizieren und auf diese Weise später mehr Geld verdienen zu können. Bei ihrem zuletzt erhaltenen Lohn würde sie voraussichtlich nur eine geringere Rente erhalten, welche sie möglicherweise im Alter wiederum zu Sozialhilfeleistungen führen würde. Wenn der Beklagte den bisherigen Beruf für einen attraktiven Beruf halte, so könne er aus dieser eigenwilligen Sicht jedenfalls keine rechtlichen Konsequenzen ziehen. Für sie sei der Ingenieursberuf deutlich attraktiver. Dort seien die Verdienstmöglichkeiten höher, und sie könne auch deutlich mehr Verantwortung sowie anspruchsvollere berufliche Aufgaben übernehmen. Hierfür sei aber ein Hochschulstudium zwingend erforderlich. Ob sie im Übrigen langfristig an ihrer bisherigen Stelle hätte weiterarbeiten können, sei gar nicht sicher; es handele sich um eine sehr kleine Firma, welche stark von Aufträgen durch Stammkunden abhängig sei, die jederzeit wegbrechen könnten. Wenn der Beklagte von einem "Wunschzettel" spreche, sage dies mehr über seine Sichtweise auf dieses Verfahren aus als über dessen rechtliche Dimension. Sie habe ebenso wie nicht behinderte Menschen das Recht, selbst bei vorhandener Berufsausbildung noch ein Hochschulstudium zu beginnen und dafür die behinderungsbedingt erforderlichen Hilfen zu erhalten. Es gehe nicht um Luxuswünsche. Sie wolle nicht aus Langeweile zum Zeitvertreib studieren, sondern habe ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen und sehe das Studium als Grundlage für ihre weitere Berufsausübung. Sie strebe keine Besserstellung an, sondern lediglich den Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile im Studium. Ihren Lebensunterhalt bestreite sie selber und begehre lediglich die Finanzierung behinderungsbedingter Hilfen für das Studium. Wenn der Beklagte eine Eingliederungshilfe nur vorsehe, wenn der bisher ausgeübte Beruf unbefriedigend oder untragbar geworden sei, so sei dies benachteiligend. Es impliziere, dass behinderte Menschen bei bisher unproblematischer Berufsausübung kein Recht auf eine höhere Ausbildung wie ein Studium hätten und somit lebenslänglich auf niedrigerer Basis im erlernten Beruf verbleiben müssten, auch wenn sie eigentlich intellektuell mehr erreichen könnten.

Das Landessozialgericht wies die Beschwerde des Antragsgegners - Beklagten - als unbegründet zurück (L 20 SO 289/10 B ER, Beschluss vom 13.08.2010). Der Antragstellerin - Klägerin - die begehrte Eingliederungshilfe zur Durchführung des Hochschulstudiums zu verwehren, missachte das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Die vom Beklagten gewählte Lesart des Begriffes der "Angemessenheit" in § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 SGB XII stehe im Widerspruch zu dieser grundrechtlichen Gewährleistung und könne im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten auch nicht anhand der anerkannten juristischen Auslegungsmethoden gewonnen werden. Wegen der Einzelheiten der Begründung nimmt die Kammer Bezug den Beschluss des 20. Senats vom 13.08.2010 (L 20 SO 289/10 B ER).

Im vorliegenden Klageverfahren hat die Klägerin Bezug auf ihren Vortrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren genommen. Ergänzend hat sie auf Anforderung des Gerichts zur Notwendigkeit eines Tutors mit Schriftsatz vom 23.12.2010 vorgetragen, dass sie im laufenden Wintersemester 2010/2011 keinen Bedarf nach Tutorenstunden habe, da sie aufgrund der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren derzeit für alle von ihr besuchten Lehrveranstaltungen Gebärdensprachdolmetscher einsetze und daher den Vorlesungen vollumfänglich ohne inhaltliche Abstriche folgen könne. Sie könne somit zu Hause die Vorlesungen mit dem gleichen Zeitaufwand wie nichtbehinderte Studenten vor- und nacharbeiten, da sie aufgrund des Dolmetschereinsatzes kein Informationsdefizit habe. Allerdings sei unsicher, ob sie auch im kommenden Semester für alle von ihr geplanten Vorlesungsbesuche Gebärdensprachdolmetscher organisieren könne oder dies an Kapazitätsengpässen scheitere. In diesem Fall wäre sie für die betreffenden Fächer auf Tutorenunterstützung angewiesen. Mit Schriftsatz vom 28.06.2011 hat die Klägerin einen aktuellen Notenspiegel mit Stand vom 27.05.2011 vorgelegt, der Noten zwischen 1,0 und 3,0 ausweist.

Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 04.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die erforderlichen Aufwendungen der Klägerin für Gebärdensprachdolmetscher, Mitschreibkräften und Tutoren für ihren Hochschulbesuch zu übernehmen.

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Auch der Beklagte verweist auf seine umfangreichen Ausführungen und Stellungnahmen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Mit Bescheid vom 04.10.2010 hat der Beklagte der Klägerin auf deren Antrag vom 14.09.2010 weitere Leistungen zur Eingliederung vorläufig bewilligt und die Kostenübernahme für Gebärdendolmetscher in Doppelbesetzung für 20 Wochenstunden / je Dolmetscher und Mitschreibkräfte für bis zu 20 Wochenstunden im Wintersemester 2010/2011 erklärt.

Auf Anfrage des Gerichts haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, der Verfahren S 17 SO 138/10 ER und L 20 SO 289/10 B ER und der Verwaltungsakten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Rechtsweg:

LSG NRW Urteil vom 27.03.2014 - L 9 SO 497/11

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 SGG.

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.

Im Hinblick auf den weiteren Antrag der Klägerin vom 14.09.2010 bei dem Beklagten auf Leistungen der Eingliederungshilfe für das Wintersemester 2010/2011, die der Beklagte mit Bescheid vom 04.10.2010 vorläufig bewilligt hat, ist der Streitgegenstand der vorliegenden Klage begrenzt auf den Zeitraum von der ursprünglichen Antragstellung am 05.10.2009 bis zum 13.09.2010.

Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 04.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2010 insofern beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), als der Beklagte Leistungen der Eingliederungshilfe durch Übernahme von Kosten für den Einsatz von Gebärdensprachdolmetscher und studentischen Mitschreibkräften, die die Klägerin für das von der Klägerin aufgenommene Studium an der Universität X2 benötigt, versagt. Hinsichtlich dieses Streitgegenstandes ist der Bescheid rechtswidrig. Soweit der Beklagte die Übernahme der Kosten für den Einsatz von Tutoren abgelehnt hat, ist der Bescheid rechtmäßig.

Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (XII) erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern und ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen (§ 53 Abs. 3 SGB XII). Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX insbesondere Hilfen zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule. Gemäß § 13 Nr. 5 der aufgrund der Verordnungsermächtigung des § 60 SGB XII erlassenen Eingliederungshilfe-Verordnung (Verordnung nach § 60 SGB XII - Eingliederungshilfe-Verordnung -) umfasst die Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII auch die Hilfe zur Ausbildung an einer Hochschule oder einer Akademie. Diese Hilfe wird nach § 13 Abs. 2 Eingliederungshilfe-Verordnung gewährt, wenn zu erwarten ist, dass das Ziel der Ausbildung oder der Vorbereitungsmaßnahmen erreicht wird, der beabsichtigte Ausbildungsweg erforderlich ist und der Beruf oder die Tätigkeit voraussichtlich eine ausreichende Lebensgrundlage bieten oder, falls dies wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht möglich ist, zur Lebensgrundlage in angemessenem Umfang beitragen wird.

Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung der Kammer zugunsten der Klägerin hinsichtlich der Erforderlichkeit des Einsatzes von Gebärdensprachdolmetscher und studentischen Mitschreibkräften zur Durchführung des Studiums erfüllt.

Unstreitig gehört die Klägerin als gehörloser Mensch (§ 1 Nr. 5 Eingliederungshilfe-Verordnung) zum Personenkreis der wesentlich behinderten Menschen im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, so dass der Anwendungsbereich der Vorschriften über die Eingliederungshilfe eröffnet ist.

Das Hochschulstudium eignet sich auch als Ausbildung für einen angemessenen Beruf im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII.

Welcher Beruf angemessen ist, konkretisiert das Gesetz nicht. Entscheidend im konkreten Einzelfall sind die körperlichen und geistigen Fähigkeiten und die Leistungsfähigkeiten des Behinderten im Einzelfall (Meusinger in Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Aufl. 2009, § 54 Rdnr. 69). Dabei ist auf die gesamte Persönlichkeit des Hilfesuchenden und auf sein berechtigtes Interesse an einer befriedigenden beruflichen Tätigkeit abzustellen. An diesem Verständnis des Begriffs der "Angemessenheit" hält die Kammer auch nach der ausführlich begründeten Kritik des Beklagten im vorangegangen einstweiligen Rechtsschutzverfahren fest.

In Anknüpfung an die persönliche Eignung des Behinderten stellt § 13 Abs. 2 Eingliederungshilfe-Verordnung daher zunächst darauf ab, dass zu erwarten ist, dass das Ziel der Ausbildung - hier der Abschluss des Hochschulstudiums - erreicht wird. Die Kammer geht davon aus, dass der bisherige Bildungsweg der Klägerin die Prognose eines erfolgreichen Bildungsabschluss erlaubt. Auch wenn der Abiturdurchschnitt von 2,9 nicht für jeden Studiengang eine im Sinne der Eingliederungshilfe-Verordnung günstige Prognose erwarten ließe, ist dies im Hinblick auf die Einzelnotenverteilung und das hier konkret gewählte Studienfach durchaus möglich, zumal zu berücksichtigen ist, dass die Klägerin für das konkrete Studienfach aufgrund ihrer Ausbildung als Mediengestalterin für Digital- und Printmedien - Mediendesign - über eine nicht unerhebliche Vorbildung verfügt.

Da die Klägerin auch in ihrem Ausbildungsberuf beschäftigt war und auch noch ist, ist auch nicht zu erkennen, dass sie behinderungsbedingt nicht in der Lage wäre, als Druck- oder Medientechnikerin zu arbeiten und so eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen. Nach dem bisherigen Vortrag der Klägerin, dem der Beklagte übrigens nicht entgegengetreten ist, ist jedenfalls nach vorläufiger Würdigung des Sachverhalts davon auszugehen, dass der Studiengang Druck- und Medientechnologie generell geeignet ist, nach Abschluss einen Arbeitsplatz zu erhalten. Wie aus den vorliegenden Unterlagen der Arbeitsagenturen zu entnehmen ist, arbeiten Ingenieure der Druck- und Medientechnik vorwiegend in Betrieben der Informations- und Kommunikationswirtschaft, z.B. in Verlagen und größeren Druckereien, bei Softwarefirmen, PR- und Werbeagenturen, Herstellern von Druckmaschinen oder auch in der Verpackungsmittelherstellung. Beschäftigungsmöglichkeiten finden sie zudem bei öffentlich-rechtlichen und privaten Fernseh- und Hörfunksendern sowie bei Film- und Fernsehproduktionsfirmen, im Fachhandel für das grafische Gewerbe und in der Anlageplanung im drucktechnischen Bereich. Insgesamt stellt dies ein großes und zudem relativ krisensicheres Arbeitsfeld dar.

Aber auch die weitere Voraussetzung des § 13 Abs. 2 Eingliederungshilfe-Verordnung, dass der beabsichtigte Ausbildungsweg erforderlich ist, ist nach Auffassung der Kammer erfüllt.

Dabei weist das Gericht darauf hin, dass diesem Merkmal eine andere Bedeutung zukommt, als es die Auslegung durch den Beklagten ergibt. Das Merkmal der Erforderlichkeit stellt allein darauf ab, dass der konkret beabsichtigte Ausbildungsweg zur Erreichung des beabsichtigten Bildungsabschlusses erforderlich ist. Damit soll vermieden werden, dass bei unterschiedlichem Bildungsweg für ein und dasselbe Bildungsziel der Bildungsweg gewählt wird, der kostenintensiver oder eben auf Kosten des Sozialhilfeträgers geht, wie es beispielsweise der Fall ist, wenn ein- und derselbe Beruf durch eine schulische oder eine betriebliche Ausbildung erlangt werden könnte, wenn sogar für Letztere ein anderer Träger (Bundesagentur für Arbeit) zuständig wäre. In einem derartigen Fall könnte die schulische Ausbildung u.U. nicht erforderlich im Sinne der Eingliederungshilfe sein. Die Erforderlichkeit ist daher immer zu messen an dem konkreten Ausbildungsweg zum konkreten Bildungsziel. An dieser Stelle ist jedoch nicht zu prüfen, ob überhaupt noch eine Ausbildung in Betracht kommt, weil beispielsweise aus Sicht des Eingliederungshilfeträgers bereits die Integration in den Arbeitsmarkt gelungen sein soll. Diese Argumentation mag zutreffen für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 5 Nr. 2 SGB IX), nicht aber für Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Vor allem aber ist dies eine Frage der "Angemessenheit" des angestrebten Berufes und dort zu prüfen, nicht aber im Rahmen der Erforderlichkeit.

Bezogen auf den hier zu entscheidenden Fall ist das Hochschulstudium erforderlich für einen späteren Ingenieursberuf. Das Studium endet zunächst mit dem Grad des Bachelors, an den sich üblicherweise ein Master-Studiengang anschließt. Allerdings ist nach den vorliegenden Unterlagen der Universität zum konkreten Studiengang schon davon auszugehen, dass allein mit dem Bachelor bereits der Berufseinstieg möglich ist. Es ist der Kammer nicht bekannt, dass ein vergleichbarer Abschluss (sowohl nach Grad des Abschlusses als auch nach inhaltlichen Anforderungen) durch eine andere Ausbildung erlangt werden kann. Zwar hat der Beklagte behauptet, es wäre "in jedem Fall die Arbeitsverwaltung für die Förderung der beruflichen Weiterbildung" zuständig. Aus welchem Grunde das hier der Fall sein sollte, hat der Beklagte aber nicht dargelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern der von der Klägerin begehrte universitäre Abschluss und der gesamte Studieninhalt durch eine andere Form der Ausbildung ebenso zu erlangen wäre, für die dann die Bundesagentur für Arbeit zuständig wäre.

Da die Voraussetzungen der Eingliederungshilfe-Verordnung für Eingliederungshilfe in der individuell erforderlichen Form erfüllt sind, könnte eine Versagung der Eingliederungshilfe nur in Betracht kommen, wenn der beabsichtigte Beruf, dem das Hochschulstudium dient, nicht angemessen im Sinne der §§ 53 Abs. 3, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII wäre. Die Kammer ist allerdings der Auffassung, dass der angestrebte Beruf des Bachelors für Druck- und Medientechnologie angemessen im Sinne der Eingliederungshilfe ist.

Wie bereits dargelegt, konkretisiert das Gesetz nicht, welcher Beruf im Einzelfall angemessen ist. Entscheidend sind die die körperlichen und geistigen Fähigkeiten und die Leistungsfähigkeiten des Behinderten im Einzelfall (s.o.). Dabei ist auf die gesamte Persönlichkeit des Hilfesuchenden und auf sein berechtigtes Interesse an einer befriedigenden beruflichen Tätigkeit abzustellen. Denn im Mittelpunkt der Eingliederungshilfe steht, dem Behinderten ein selbstbestimmtes Leben und eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen und eine Benachteiligung gegenüber nichtbehinderten Menschen zu vermeiden (s. auch § 1 Satz 1 SGB IX).

Im SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) gilt der Grundsatz, dass der Begriff Selbstbestimmung das Ziel der gleichberechtigten Teilhabe dahingehend ergänzt, dass die Form, in der die Teilhabe gestaltet wird, möglichst weitgehend selbst bestimmt wird (Lachwitz/Schellhorn/Welti, HK-SGB IX, 3. Aufl. 2010, § 1 Rdnr. 12 m.w.N). Dieser Grundsatz gilt auch im Bereich des SGB XII. Lediglich unter den Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 SGB XII kann sich Abweichendes ergeben. Danach gelten für die Leistungen zur Teilhabe die Vorschriften des Neunten Buches, soweit sich aus dem SGB XII und den auf Grund des SGB XII erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Eine Abweichung ist im SGB XII aber nicht ersichtlich. Soweit der Beklagte hiergegen einwendet, dass die Kammer bereits im Beschluss im Eilverfahren hier die "Selbstbestimmung mit der gleichberechtigten Teilhabe" vermengt habe, dem bereits § 10 Erstes Buch Sozialgesetzbuch entgegenstehe, teilt die Kammer die Auffassung des Beklagten nicht, denn nach § 10 SGB I haben Menschen, die körperlich, geistig oder seelisch behindert sind oder denen eine solche Behinderung droht, unabhängig von der Ursache der Behinderung zur Förderung ihrer Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe ein Recht auf Hilfe, um (u.a.) ihnen einen ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz im Arbeitsleben zu sichern (§ 10 Nr. 3 SGB I) bzw. Benachteiligungen auf Grund der Behinderung entgegenzuwirken (§ 10 Nr. 6 SGB I). § 10 Nr. 4 SGB I gewährt Behinderten Recht Hilfe, um ihre Entwicklung zu fördern und ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern. Die übergeordneten Zwecke des Rechts sind demnach Förderung der Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe der Berechtigten. Der Teilhabegedanke rückt folglich die Stärkung und Unterstützung der eigenen Fähigkeiten der behinderten (oder von einer Behinderung bedrohten) Menschen zur Selbstbestimmung und die Ermöglichung einer selbstständigen Lebensführung in den Vordergrund. Dass beide Zwecke keine Beziehung zueinander haben dürfen, dass Selbstbestimmung und Teilhabe demnach in einer "oder"-Verknüpfung stehen, gibt bereits der Wortlaut der Vorschrift nicht her. Aber auch vom Sinngehalt der Vorschrift ist es nicht unzutreffend, den Teilhabegedanken als weitgehend selbstbestimmte Teilhabeverwirklichung zu verstehen. Eine hiervon unabhängige Frage ist, ob die Frage der Reichweite oder des Maßes der Teilhabegewährung allein an objektiven Kriterien oder unter Berücksichtigung von subjektiven, d.h. den individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen des Behinderten, zu bestimmen ist. Bei der Beantwortung dieser Frage kann dann möglicherweise auch eine Rolle spielen, dass es sich bei der Eingliederungshilfe trotz Einschlägigkeit von Vorschriften aus dem Gesetz zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) um Sozialhilfe handelt mit der Folge, dass die Grundsätze der Nachrangigkeit (§ 2 SGB XII) und des Mehrkostenvorbehalts (§ 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII) zu beachten sind.

Die Kammer ist der Auffassung, dass Grenzen und Reichweite des Teilhabeanspruchs auf einen "angemessenen" Beruf nach subjektiven Kriterien zu bestimmen ist und dass aus objektiven Gründen erforderliche Korrekturen hier nicht einschlägig sind.

Bereits § 10 SGB I zeigt, dass die Förderung der Selbstbestimmung und der gleichberechtigten Teilhabe sich nach den Fähigkeiten des behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen richtet, indem gerade im Hinblick auf die Sicherung eines Platzes im Arbeitsleben auf die individuellen Fähigkeiten und Neigungen Bezug genommen wird ("einen ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz im Arbeitsleben zu sichern"). Das Gesetz ist nicht darauf beschränkt, dem Behinderten "nur" einen Platz im Arbeitsleben zu sichern; dann wäre die Auslegung durch den Beklagten, dass Eingliederungshilfe nicht erforderlich sei, wenn eine Integration in den Arbeitsmarkt gelungen sei, weil der Behinderte bereits einen Beruf gefunden habe, in dem er seinen Lebensunterhalt verdienen könne, naheliegend. Der Gesetzgeber hat aber die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben an die vorhandenen Fähigkeiten und Neigungen, also dem Willen und den Wünschen des Berechtigten, orientiert. Diese sind subjektiv und lassen sich schlechterdings objektiv bestimmen. Die Auffassung des Beklagten, ein ausgeübter Beruf sei angemessen, sofern er nicht für den Behinderten gänzlich unbefriedigend oder sogar untragbar geworden sei, ist daher schwerlich mit der Bezugnahme des Gesetzes auf die "Neigung" des Behinderten schwerlich in Einklang zu bringen.

Ausgehend von diesem subjektiven Verständnis bedeutet nach Auffassung der Kammer eine "gleichberechtigte" Teilhabe, dass der Behinderte die gleichen Chancen auf Bildung und Ausbildung wie der Nichtbehinderte hat. Die gängigen Bildungswege zur Erlangung eines Berufes müssen Behinderten wie Nichtbehinderten offen stehen. Wenn es zudem immer noch der Lebens- und Rechtswirklichkeit entspricht, dass für viele Berufe ein akademischer Abschluss zwingend ist oder gefordert wird, kann niemandem - weder dem Behinderten noch dem Nichtbehinderten verwehrt werden, sich eben jene erforderliche Qualifikation zu verschaffen, es sei denn es gelten objektive Zulassungsbeschränkungen (Numerus clausus etc), die aber den Anspruch von Behinderten und Nichtbehinderten gleichermaßen einschränken.

Für das Hochschulstudium muss dabei nicht nur die Möglichkeit bestehen, einen Studienplatz zu erlangen sondern auch die Chance, das Studium durchziehen zu können. Das hat die Klägerin nicht, wenn ihr der Gebärdensprachdolmetscher verwehrt wird. Wird Hilfe oder werden Hilfsmittel für die Dauer des Studiums allein aufgrund der Behinderung benötigt, müssen diese gewährt werden, solange es ausschließlich um Eingliederungshilfe und nicht um Bestreiten des Lebensunterhaltes geht (s. hierzu LSG NRW, Beschl. v. 19.03.2007, L 20 B 133/06 SO ER). Beschränkungen können sich nur noch aus dem Fehlen persönlicher Voraussetzungen ergeben, wie sie bspw. in § 13 Abs. 2 Eingliederungshilfe-Verordnung definiert sind. Einem Behinderten dieses Interesse an dem Durchlaufen des Bildungsweges abzusprechen, indem Eingliederungshilfe versagt wird, weil mit der vorhandenen Ausbildung bereits der Lebensunterhalt bestritten werden kann, stellt eine Benachteiligung aufgrund der Behinderung dar. Die Kammer bleibt bei ihrer im Beschluss vom 20.04.2010 geäußerten Ansicht, hierin eine Diskriminierung des Behinderten zu sehen.

Die Kammer hat im Falle der Klägerin keine Bedenken, den anvisierten Beruf des Ingenieurs in Druck- und Medientechnologie als angemessen anzusehen. Der Tätigkeitsbereich des Ingenieur in Druck- und Medientechnologie unterscheidet sich deutlich von dem Bereich, den die Klägerin in ihrem Ausbildungsberuf abdecken kann. Zudem geht die Kammer davon aus, dass der Klägerin nach erfolgreichem Studienabschluss andere Verdienstmöglichkeiten offen stehen als ihr das bislang möglich war.

Auch der Hinweis, dass die Klägerin bereits über eine Erstausbildung verfüge und das Studium deshalb nicht erforderlich sei, vermag nicht zu überzeugen. Zutreffend ist zwar auch nach Auffassung der Kammer, dass nicht jede weitere "Ausbildung", die den Wünschen oder Vorstellungen eines Behinderten entspricht, noch angemessen im Sinne des Gesetzes ist, sondern dass sich hier Einschränkungen aus sozialhilferechtlichen Grundstrukturen ergeben können. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein Behinderter nach einer mit Mitteln der Eingliederungshilfe geförderten Ausbildung, die ihm zudem eine Erwerbstätigkeit ermöglicht, eine weitere aber eben gleichrangige Ausbildung anstrebt, sich lediglich inhaltlich unterscheidet. Hier dürfte nahe liegend sein, aus Nachrangigkeit und Beschränkung der Sozialhilfe eine Einschränkung der Angemessenheit vorzunehmen, dahingehend, dass ein Sozialhilfeträger nicht beliebig viele Ausbildungen zu fördern hat (in diesem Sinne auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.02.2011, L 2 SO 379/11 ER-B). Allerdings trifft diese Einschränkung nicht auf den vorliegenden Sachverhalt zu, denn ein Hochschulstudium unterscheidet sich von der zuvor geförderten Ausbildung ganz erheblich (s.o.). In vorliegendem Fall kommt es daher auf die Begrifflichkeit "Erst- und Zweitausbildung" nicht an.

Das oben dargestellte Auslegungsergebnis zur "Angemessenheit" eines Berufes im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII unter Berücksichtigung des Teilhabebegriffes und des grundrechtlichen Diskriminierungsverbotes wird durch den von der Antragstellerin zitierten Artikel 24 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen, das zwischenzeitlich von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert wurde, vollumfänglich gestützt. Allerdings wird der Anspruch der Antragstellerin nicht erst durch die UN-Konvention geschaffen sondern ergibt sich bereits aus dem vorhandenem nationalen Recht.

Hinsichtlich der Höhe und des Umfanges der zu gewährenden Hilfe für den Einsatz von Gebärdensprachdolmetscher hat das Gericht sich an dem vorgelegten Semesterplan und an die Angaben der Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 14.04.2010 gehalten.

Die Übernahme der Kosten für studentische Mitschreibkräfte ist ebenso erforderlich wie die Kostenübernahme für Gebärdensprachdolmetscher, da die Klägerin nicht gleichzeitig auf den Dolmetscher schauen und schreiben kann. Die Stundenzahl ist für die Kammer jedoch nicht absehbar, daher hat sie die Stunden nach Bedarf zuerkannt.

Der Antrag auf Übernahme der Kosten für Tutoren war dagegen abzulehnen. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 23.12.2010 mitgeteilt, dass sie im laufenden Wintersemester 2010/2011 keinen Tutor benötigt habe. Über das vorangegangene Semester hat die Klägerin keine Angaben gemacht. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass kein Tutor in Anspruch genommen wurde und daher keine Kosten angefallen sind. Eine Zuerkennung für die Zukunft scheidet hinsichtlich des begrenzten Streitgegenstandes aus. Rein vorsorglich weist die Kammer darauf hin, dass im von der Klägerin geschilderten Falle, dass nicht für alle Vorlesungen Gebärdensprachdolmetscher zur Verfügung stehen, ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen für die Inanspruchnahme eines Tutors in Betracht kommen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klage ganz überwiegend Erfolg hatte.

Referenznummer:

R/R3809


Informationsstand: 29.02.2012