Das Gericht konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis erklärt haben, § 124
Abs. 2
SGG.
Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.
Im Hinblick auf den weiteren Antrag der Klägerin vom 14.09.2010 bei dem Beklagten auf Leistungen der Eingliederungshilfe für das Wintersemester 2010/2011, die der Beklagte mit Bescheid vom 04.10.2010 vorläufig bewilligt hat, ist der Streitgegenstand der vorliegenden Klage begrenzt auf den Zeitraum von der ursprünglichen Antragstellung am 05.10.2009 bis zum 13.09.2010.
Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid vom 04.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2010 insofern beschwert im Sinne von § 54
Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), als der Beklagte Leistungen der Eingliederungshilfe durch Übernahme von Kosten für den Einsatz von Gebärdensprachdolmetscher und studentischen Mitschreibkräften, die die Klägerin für das von der Klägerin aufgenommene Studium an der Universität X2 benötigt, versagt. Hinsichtlich dieses Streitgegenstandes ist der Bescheid rechtswidrig. Soweit der Beklagte die Übernahme der Kosten für den Einsatz von Tutoren abgelehnt hat, ist der Bescheid rechtmäßig.
Nach
§ 53 Abs. 1 Satz 1 SGB Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (XII) erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von
§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern und ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen (
§ 53 Abs. 3 SGB XII). Nach
§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den
§§ 26,
33,
41 und
55 SGB IX insbesondere Hilfen zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule. Gemäß § 13
Nr. 5 der aufgrund der Verordnungsermächtigung des § 60
SGB XII erlassenen Eingliederungshilfe-Verordnung (Verordnung nach § 60
SGB XII - Eingliederungshilfe-Verordnung -) umfasst die Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf im Sinne des § 54
Abs. 1 Satz 1
Nr. 2
SGB XII auch die Hilfe zur Ausbildung an einer Hochschule oder einer Akademie. Diese Hilfe wird nach
§ 13 Abs. 2 Eingliederungshilfe-Verordnung gewährt, wenn zu erwarten ist, dass das Ziel der Ausbildung oder der Vorbereitungsmaßnahmen erreicht wird, der beabsichtigte Ausbildungsweg erforderlich ist und der Beruf oder die Tätigkeit voraussichtlich eine ausreichende Lebensgrundlage bieten oder, falls dies wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht möglich ist, zur Lebensgrundlage in angemessenem Umfang beitragen wird.
Diese Voraussetzungen sind zur Überzeugung der Kammer zugunsten der Klägerin hinsichtlich der Erforderlichkeit des Einsatzes von Gebärdensprachdolmetscher und studentischen Mitschreibkräften zur Durchführung des Studiums erfüllt.
Unstreitig gehört die Klägerin als gehörloser Mensch (
§ 1 Nr. 5 Eingliederungshilfe-Verordnung) zum Personenkreis der wesentlich behinderten Menschen im Sinne des § 53
Abs. 1 Satz 1
SGB XII, so dass der Anwendungsbereich der Vorschriften über die Eingliederungshilfe eröffnet ist.
Das Hochschulstudium eignet sich auch als Ausbildung für einen angemessenen Beruf im Sinne des § 54
Abs. 1 Satz 1
Nr. 2
SGB XII.
Welcher Beruf angemessen ist, konkretisiert das Gesetz nicht. Entscheidend im konkreten Einzelfall sind die körperlichen und geistigen Fähigkeiten und die Leistungsfähigkeiten des Behinderten im Einzelfall (Meusinger in Fichtner/Wenzel,
SGB XII, 4. Aufl. 2009, § 54
Rdnr. 69). Dabei ist auf die gesamte Persönlichkeit des Hilfesuchenden und auf sein berechtigtes Interesse an einer befriedigenden beruflichen Tätigkeit abzustellen. An diesem Verständnis des Begriffs der "Angemessenheit" hält die Kammer auch nach der ausführlich begründeten Kritik des Beklagten im vorangegangen einstweiligen Rechtsschutzverfahren fest.
In Anknüpfung an die persönliche Eignung des Behinderten stellt
§ 13 Abs. 2 Eingliederungshilfe-Verordnung daher zunächst darauf ab, dass zu erwarten ist, dass das Ziel der Ausbildung - hier der Abschluss des Hochschulstudiums - erreicht wird. Die Kammer geht davon aus, dass der bisherige Bildungsweg der Klägerin die Prognose eines erfolgreichen Bildungsabschluss erlaubt. Auch wenn der Abiturdurchschnitt von 2,9 nicht für jeden Studiengang eine im Sinne der Eingliederungshilfe-Verordnung günstige Prognose erwarten ließe, ist dies im Hinblick auf die Einzelnotenverteilung und das hier konkret gewählte Studienfach durchaus möglich, zumal zu berücksichtigen ist, dass die Klägerin für das konkrete Studienfach aufgrund ihrer Ausbildung als Mediengestalterin für Digital- und Printmedien - Mediendesign - über eine nicht unerhebliche Vorbildung verfügt.
Da die Klägerin auch in ihrem Ausbildungsberuf beschäftigt war und auch noch ist, ist auch nicht zu erkennen, dass sie behinderungsbedingt nicht in der Lage wäre, als Druck- oder Medientechnikerin zu arbeiten und so eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen. Nach dem bisherigen Vortrag der Klägerin, dem der Beklagte übrigens nicht entgegengetreten ist, ist jedenfalls nach vorläufiger Würdigung des Sachverhalts davon auszugehen, dass der Studiengang Druck- und Medientechnologie generell geeignet ist, nach Abschluss einen Arbeitsplatz zu erhalten. Wie aus den vorliegenden Unterlagen der Arbeitsagenturen zu entnehmen ist, arbeiten Ingenieure der Druck- und Medientechnik vorwiegend in Betrieben der Informations- und Kommunikationswirtschaft,
z.B. in Verlagen und größeren Druckereien, bei Softwarefirmen, PR- und Werbeagenturen, Herstellern von Druckmaschinen oder auch in der Verpackungsmittelherstellung. Beschäftigungsmöglichkeiten finden sie zudem bei öffentlich-rechtlichen und privaten Fernseh- und Hörfunksendern sowie bei Film- und Fernsehproduktionsfirmen, im Fachhandel für das grafische Gewerbe und in der Anlageplanung im drucktechnischen Bereich. Insgesamt stellt dies ein großes und zudem relativ krisensicheres Arbeitsfeld dar.
Aber auch die weitere Voraussetzung des § 13
Abs. 2 Eingliederungshilfe-Verordnung, dass der beabsichtigte Ausbildungsweg erforderlich ist, ist nach Auffassung der Kammer erfüllt.
Dabei weist das Gericht darauf hin, dass diesem Merkmal eine andere Bedeutung zukommt, als es die Auslegung durch den Beklagten ergibt. Das Merkmal der Erforderlichkeit stellt allein darauf ab, dass der konkret beabsichtigte Ausbildungsweg zur Erreichung des beabsichtigten Bildungsabschlusses erforderlich ist. Damit soll vermieden werden, dass bei unterschiedlichem Bildungsweg für ein und dasselbe Bildungsziel der Bildungsweg gewählt wird, der kostenintensiver oder eben auf Kosten des Sozialhilfeträgers geht, wie es beispielsweise der Fall ist, wenn ein- und derselbe Beruf durch eine schulische oder eine betriebliche Ausbildung erlangt werden könnte, wenn sogar für Letztere ein anderer Träger (Bundesagentur für Arbeit) zuständig wäre. In einem derartigen Fall könnte die schulische Ausbildung u.U. nicht erforderlich im Sinne der Eingliederungshilfe sein. Die Erforderlichkeit ist daher immer zu messen an dem konkreten Ausbildungsweg zum konkreten Bildungsziel. An dieser Stelle ist jedoch nicht zu prüfen, ob überhaupt noch eine Ausbildung in Betracht kommt, weil beispielsweise aus Sicht des Eingliederungshilfeträgers bereits die Integration in den Arbeitsmarkt gelungen sein soll. Diese Argumentation mag zutreffen für die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (
§ 5 Nr. 2 SGB IX), nicht aber für Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Vor allem aber ist dies eine Frage der "Angemessenheit" des angestrebten Berufes und dort zu prüfen, nicht aber im Rahmen der Erforderlichkeit.
Bezogen auf den hier zu entscheidenden Fall ist das Hochschulstudium erforderlich für einen späteren Ingenieursberuf. Das Studium endet zunächst mit dem Grad des Bachelors, an den sich üblicherweise ein Master-Studiengang anschließt. Allerdings ist nach den vorliegenden Unterlagen der Universität zum konkreten Studiengang schon davon auszugehen, dass allein mit dem Bachelor bereits der Berufseinstieg möglich ist. Es ist der Kammer nicht bekannt, dass ein vergleichbarer Abschluss (sowohl nach Grad des Abschlusses als auch nach inhaltlichen Anforderungen) durch eine andere Ausbildung erlangt werden kann. Zwar hat der Beklagte behauptet, es wäre "in jedem Fall die Arbeitsverwaltung für die Förderung der beruflichen Weiterbildung" zuständig. Aus welchem Grunde das hier der Fall sein sollte, hat der Beklagte aber nicht dargelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern der von der Klägerin begehrte universitäre Abschluss und der gesamte Studieninhalt durch eine andere Form der Ausbildung ebenso zu erlangen wäre, für die dann die Bundesagentur für Arbeit zuständig wäre.
Da die Voraussetzungen der Eingliederungshilfe-Verordnung für Eingliederungshilfe in der individuell erforderlichen Form erfüllt sind, könnte eine Versagung der Eingliederungshilfe nur in Betracht kommen, wenn der beabsichtigte Beruf, dem das Hochschulstudium dient, nicht angemessen im Sinne der §§ 53
Abs. 3, 54
Abs. 1 Satz 1
Nr. 2
SGB XII wäre. Die Kammer ist allerdings der Auffassung, dass der angestrebte Beruf des Bachelors für Druck- und Medientechnologie angemessen im Sinne der Eingliederungshilfe ist.
Wie bereits dargelegt, konkretisiert das Gesetz nicht, welcher Beruf im Einzelfall angemessen ist. Entscheidend sind die die körperlichen und geistigen Fähigkeiten und die Leistungsfähigkeiten des Behinderten im Einzelfall (s.o.). Dabei ist auf die gesamte Persönlichkeit des Hilfesuchenden und auf sein berechtigtes Interesse an einer befriedigenden beruflichen Tätigkeit abzustellen. Denn im Mittelpunkt der Eingliederungshilfe steht, dem Behinderten ein selbstbestimmtes Leben und eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen und eine Benachteiligung gegenüber nichtbehinderten Menschen zu vermeiden (s. auch
§ 1 Satz 1 SGB IX).
Im
SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) gilt der Grundsatz, dass der Begriff Selbstbestimmung das Ziel der gleichberechtigten Teilhabe dahingehend ergänzt, dass die Form, in der die Teilhabe gestaltet wird, möglichst weitgehend selbst bestimmt wird (Lachwitz/Schellhorn/Welti, HK-SGB IX, 3. Aufl. 2010, § 1
Rdnr. 12 m.w.N). Dieser Grundsatz gilt auch im Bereich des
SGB XII. Lediglich unter den Voraussetzungen des § 53
Abs. 4
SGB XII kann sich Abweichendes ergeben. Danach gelten für die Leistungen zur Teilhabe die Vorschriften des Neunten Buches, soweit sich aus dem
SGB XII und den auf Grund des
SGB XII erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt. Eine Abweichung ist im
SGB XII aber nicht ersichtlich. Soweit der Beklagte hiergegen einwendet, dass die Kammer bereits im Beschluss im Eilverfahren hier die "Selbstbestimmung mit der gleichberechtigten Teilhabe" vermengt habe, dem bereits § 10 Erstes Buch Sozialgesetzbuch entgegenstehe, teilt die Kammer die Auffassung des Beklagten nicht, denn nach § 10
SGB I haben Menschen, die körperlich, geistig oder seelisch behindert sind oder denen eine solche Behinderung droht, unabhängig von der Ursache der Behinderung zur Förderung ihrer Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe ein Recht auf Hilfe, um (u.a.) ihnen einen ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz im Arbeitsleben zu sichern (§ 10
Nr. 3
SGB I)
bzw. Benachteiligungen auf Grund der Behinderung entgegenzuwirken (§ 10
Nr. 6
SGB I). § 10
Nr. 4
SGB I gewährt Behinderten Recht Hilfe, um ihre Entwicklung zu fördern und ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern. Die übergeordneten Zwecke des Rechts sind demnach Förderung der Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe der Berechtigten. Der Teilhabegedanke rückt folglich die Stärkung und Unterstützung der eigenen Fähigkeiten der behinderten (oder von einer Behinderung bedrohten) Menschen zur Selbstbestimmung und die Ermöglichung einer selbstständigen Lebensführung in den Vordergrund. Dass beide Zwecke keine Beziehung zueinander haben dürfen, dass Selbstbestimmung und Teilhabe demnach in einer "oder"-Verknüpfung stehen, gibt bereits der Wortlaut der Vorschrift nicht her. Aber auch vom Sinngehalt der Vorschrift ist es nicht unzutreffend, den Teilhabegedanken als weitgehend selbstbestimmte Teilhabeverwirklichung zu verstehen. Eine hiervon unabhängige Frage ist, ob die Frage der Reichweite oder des Maßes der Teilhabegewährung allein an objektiven Kriterien oder unter Berücksichtigung von subjektiven, d.h. den individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen des Behinderten, zu bestimmen ist. Bei der Beantwortung dieser Frage kann dann möglicherweise auch eine Rolle spielen, dass es sich bei der Eingliederungshilfe trotz Einschlägigkeit von Vorschriften aus dem Gesetz zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (
SGB IX) um Sozialhilfe handelt mit der Folge, dass die Grundsätze der Nachrangigkeit (§ 2
SGB XII) und des Mehrkostenvorbehalts (§ 9
Abs. 2 Satz 3
SGB XII) zu beachten sind.
Die Kammer ist der Auffassung, dass Grenzen und Reichweite des Teilhabeanspruchs auf einen "angemessenen" Beruf nach subjektiven Kriterien zu bestimmen ist und dass aus objektiven Gründen erforderliche Korrekturen hier nicht einschlägig sind.
Bereits § 10
SGB I zeigt, dass die Förderung der Selbstbestimmung und der gleichberechtigten Teilhabe sich nach den Fähigkeiten des behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen richtet, indem gerade im Hinblick auf die Sicherung eines Platzes im Arbeitsleben auf die individuellen Fähigkeiten und Neigungen Bezug genommen wird ("einen ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz im Arbeitsleben zu sichern"). Das Gesetz ist nicht darauf beschränkt, dem Behinderten "nur" einen Platz im Arbeitsleben zu sichern; dann wäre die Auslegung durch den Beklagten, dass Eingliederungshilfe nicht erforderlich sei, wenn eine Integration in den Arbeitsmarkt gelungen sei, weil der Behinderte bereits einen Beruf gefunden habe, in dem er seinen Lebensunterhalt verdienen könne, naheliegend. Der Gesetzgeber hat aber die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben an die vorhandenen Fähigkeiten und Neigungen, also dem Willen und den Wünschen des Berechtigten, orientiert. Diese sind subjektiv und lassen sich schlechterdings objektiv bestimmen. Die Auffassung des Beklagten, ein ausgeübter Beruf sei angemessen, sofern er nicht für den Behinderten gänzlich unbefriedigend oder sogar untragbar geworden sei, ist daher schwerlich mit der Bezugnahme des Gesetzes auf die "Neigung" des Behinderten schwerlich in Einklang zu bringen.
Ausgehend von diesem subjektiven Verständnis bedeutet nach Auffassung der Kammer eine "gleichberechtigte" Teilhabe, dass der Behinderte die gleichen Chancen auf Bildung und Ausbildung wie der Nichtbehinderte hat. Die gängigen Bildungswege zur Erlangung eines Berufes müssen Behinderten wie Nichtbehinderten offen stehen. Wenn es zudem immer noch der Lebens- und Rechtswirklichkeit entspricht, dass für viele Berufe ein akademischer Abschluss zwingend ist oder gefordert wird, kann niemandem - weder dem Behinderten noch dem Nichtbehinderten verwehrt werden, sich eben jene erforderliche Qualifikation zu verschaffen, es sei denn es gelten objektive Zulassungsbeschränkungen (Numerus clausus etc), die aber den Anspruch von Behinderten und Nichtbehinderten gleichermaßen einschränken.
Für das Hochschulstudium muss dabei nicht nur die Möglichkeit bestehen, einen Studienplatz zu erlangen sondern auch die Chance, das Studium durchziehen zu können. Das hat die Klägerin nicht, wenn ihr der Gebärdensprachdolmetscher verwehrt wird. Wird Hilfe oder werden Hilfsmittel für die Dauer des Studiums allein aufgrund der Behinderung benötigt, müssen diese gewährt werden, solange es ausschließlich um Eingliederungshilfe und nicht um Bestreiten des Lebensunterhaltes geht (s. hierzu
LSG NRW, Beschl. v. 19.03.2007,
L 20 B 133/06 SO ER). Beschränkungen können sich nur noch aus dem Fehlen persönlicher Voraussetzungen ergeben, wie sie
bspw. in
§ 13 Abs. 2 Eingliederungshilfe-Verordnung definiert sind. Einem Behinderten dieses Interesse an dem Durchlaufen des Bildungsweges abzusprechen, indem Eingliederungshilfe versagt wird, weil mit der vorhandenen Ausbildung bereits der Lebensunterhalt bestritten werden kann, stellt eine Benachteiligung aufgrund der Behinderung dar. Die Kammer bleibt bei ihrer im Beschluss vom 20.04.2010 geäußerten Ansicht, hierin eine Diskriminierung des Behinderten zu sehen.
Die Kammer hat im Falle der Klägerin keine Bedenken, den anvisierten Beruf des Ingenieurs in Druck- und Medientechnologie als angemessen anzusehen. Der Tätigkeitsbereich des Ingenieur in Druck- und Medientechnologie unterscheidet sich deutlich von dem Bereich, den die Klägerin in ihrem Ausbildungsberuf abdecken kann. Zudem geht die Kammer davon aus, dass der Klägerin nach erfolgreichem Studienabschluss andere Verdienstmöglichkeiten offen stehen als ihr das bislang möglich war.
Auch der Hinweis, dass die Klägerin bereits über eine Erstausbildung verfüge und das Studium deshalb nicht erforderlich sei, vermag nicht zu überzeugen. Zutreffend ist zwar auch nach Auffassung der Kammer, dass nicht jede weitere "Ausbildung", die den Wünschen oder Vorstellungen eines Behinderten entspricht, noch angemessen im Sinne des Gesetzes ist, sondern dass sich hier Einschränkungen aus sozialhilferechtlichen Grundstrukturen ergeben können. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein Behinderter nach einer mit Mitteln der Eingliederungshilfe geförderten Ausbildung, die ihm zudem eine Erwerbstätigkeit ermöglicht, eine weitere aber eben gleichrangige Ausbildung anstrebt, sich lediglich inhaltlich unterscheidet. Hier dürfte nahe liegend sein, aus Nachrangigkeit und Beschränkung der Sozialhilfe eine Einschränkung der Angemessenheit vorzunehmen, dahingehend, dass ein Sozialhilfeträger nicht beliebig viele Ausbildungen zu fördern hat (in diesem Sinne auch
LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.02.2011,
L 2 SO 379/11 ER-B). Allerdings trifft diese Einschränkung nicht auf den vorliegenden Sachverhalt zu, denn ein Hochschulstudium unterscheidet sich von der zuvor geförderten Ausbildung ganz erheblich (s.o.). In vorliegendem Fall kommt es daher auf die Begrifflichkeit "Erst- und Zweitausbildung" nicht an.
Das oben dargestellte Auslegungsergebnis zur "Angemessenheit" eines Berufes im Sinne des § 54
Abs. 1 Satz 1
Nr. 2
SGB XII unter Berücksichtigung des Teilhabebegriffes und des grundrechtlichen Diskriminierungsverbotes wird durch den von der Antragstellerin zitierten Artikel 24 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen, das zwischenzeitlich von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert wurde, vollumfänglich gestützt. Allerdings wird der Anspruch der Antragstellerin nicht erst durch die
UN-Konvention geschaffen sondern ergibt sich bereits aus dem vorhandenem nationalen Recht.
Hinsichtlich der Höhe und des Umfanges der zu gewährenden Hilfe für den Einsatz von Gebärdensprachdolmetscher hat das Gericht sich an dem vorgelegten Semesterplan und an die Angaben der Prozessbevollmächtigten im Schriftsatz vom 14.04.2010 gehalten.
Die Übernahme der Kosten für studentische Mitschreibkräfte ist ebenso erforderlich wie die Kostenübernahme für Gebärdensprachdolmetscher, da die Klägerin nicht gleichzeitig auf den Dolmetscher schauen und schreiben kann. Die Stundenzahl ist für die Kammer jedoch nicht absehbar, daher hat sie die Stunden nach Bedarf zuerkannt.
Der Antrag auf Übernahme der Kosten für Tutoren war dagegen abzulehnen. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 23.12.2010 mitgeteilt, dass sie im laufenden Wintersemester 2010/2011 keinen Tutor benötigt habe. Über das vorangegangene Semester hat die Klägerin keine Angaben gemacht. Das Gericht geht deshalb davon aus, dass kein Tutor in Anspruch genommen wurde und daher keine Kosten angefallen sind. Eine Zuerkennung für die Zukunft scheidet hinsichtlich des begrenzten Streitgegenstandes aus. Rein vorsorglich weist die Kammer darauf hin, dass im von der Klägerin geschilderten Falle, dass nicht für alle Vorlesungen Gebärdensprachdolmetscher zur Verfügung stehen, ein Anspruch auf Gewährung von Leistungen für die Inanspruchnahme eines Tutors in Betracht kommen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG und berücksichtigt, dass die Klage ganz überwiegend Erfolg hatte.