Urteil
Entscheidung der Eltern über schulischen Lernort für eine inklusive Beschulung - Antrag auf Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines Gebärdensprachdolmetschers für die Beschulung der Antragstellerin an einer Regelgrundschule

Gericht:

SG Augsburg 15. Kammer


Aktenzeichen:

S 15 SO 111/11 ER


Urteil vom:

23.09.2011


Grundlage:

Leitsätze:

1. Nach dem Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) idF ab 1.8.2011 entscheiden die Eltern darüber, an welchem rechtlich und tatsächlich zur Verfügung stehenden schulischen Lernort ihr Kind unterrichtet werden soll. Die Schulbehörden prüfen danach weder den Förderbedarf, noch geben sie eine Empfehlung für eine bestimmte Schule ab.

2. Die Entscheidung der Eltern für eine inklusive Beschulung eines Kindes an einer Regelschule ersetzt die Prüfung der Angemessenheit und Geeignetheit dieser Beschulung jedenfalls dann nicht, wenn die Beschulung dort nur mithilfe eines Schulbegleiters erfolgen kann. Über die Voraussetzungen für die Schulbegleitung entscheidet der zuständige Träger der Eingliederungshilfe nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften.

3. Für die Prüfung, ob die Beschulung eines einzelnen gehörlosen Kindes an einer Regelgrundschule mithilfe eines Gebärdendolmetschers eine angemessene Schulbildung im Sinne des Eingliederungshilferechts darstellt, ist auch das Gutachten des Förderzentrums zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs und Empfehlung des Förderorts heranzuziehen. Jedenfalls nach den im Eilverfahren zugänglichen Erkenntnisquellen stellt die Beschulung eines einzelnen gehörlosen Kindes an einer Regelgrundschule mithilfe eines Gebärdendolmetschers und Unterstützung allenfalls durch den Mobilen Sonderpädagogischen Dienst im Umfang von einer Stunde wöchentlich mangels ausreichender Förderung keine angemessene Schulausbildung dar.

Hinweis:

Einen Fachbeitrag zum Einstweiligen Rechtsschutz finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
http://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/a/2013/A4-...

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Tenor:

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Gegenstand des vorliegenden Eilverfahrens ist die Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines Gebärdendolmetschers für die Beschulung der Antragstellerin an der Volksschule A-Stadt.

Die am 2005 geborene Antragstellerin ist hochgradig hörgeschädigtes Kind hörgeschädigter Eltern. Das häusliche Kommunikationsmittel und ihre Muttersprache ist die Gebärdensprache (DGS).

Seit 01.01.2009 besuchte sie die Schulvorbereitende Einrichtung (SVE) des Förderzentrums A. .

Da die Erzieherinnen der SVE nicht DGS gebärdeten, sondern mit lautsprachbegleitenden Gebärden (LBG) kommunizierten, bewilligte der Antragsgegner während des letzten Kindergartenjahres bereits einen Gebärdendolmetscher im Umfang von zwei Stunden wöchentlich. Das Förderzentrum teilte hierzu mit Schreiben vom 18.10.2010 mit, dass die Antragstellerin tatsächlich aufgrund einer für sie ungünstigen Gruppenzusammensetzung in eine Gruppe mit höheren Anforderungen gewechselt habe, in der ausschließlich LBG benutzt werde. Dies sei den Eltern aber bekannt gewesen, die ausdrücklich auch darauf Wert gelegt hätten, dass die Antragstellerin mehr Lautsprache lerne. Zwar könne die Antragstellerin auch dort den Unterweisungen gut folgen, zumal zusätzlich zur Lautsprache LBG eingesetzt werde. Man habe sich aber auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern auf einen Kompromiss von ca. zwei Stunden wöchentlich geeinigt.

In einem Schreiben vom 04.11.2010 bestätigten die Eltern der Antragstellerin diesen Sachverhalt. Wenn diese im nächsten Jahr zur Schule komme, werde sie auch LBG besser lernen und die Lautsprache auch. Aber im Moment brauche sie noch die Unterstützung eines Gebärdendolmetschers.

Bezüglich dieses Einsatzes übersandte das Förderzentrum unter dem 14.01.2011 einen Zwischenbericht. Danach habe sich der Dolmetschereinsatz aufgrund der guten Zusammenarbeit zwischen der Dolmetscherin und der heilpädagogischen Förderlehrerin tatsächlich als ein Gewinn für das Entwicklungsfortkommen der Antragstellerin herausgestellt.

Mit Schreiben vom 25.07.2011 beantragten die Eltern der Antragstellerin beim Antragsgegner die Kostenübernahme für einen Gebärdendolmetscher zur Beschulung im gemeinsamen Unterricht an der Regelschule. Die Antragstellerin solle ab dem 13.09.2011 die Regelschule in A-Stadt besuchen. Die Schulleitung sei mit der Aufnahme einverstanden. Ihre Tochter habe bereits Probestunden absolviert und sei auch nach Einschätzung der Lehrerin für die Regelschule geeignet. Am Förderzentrum dauere die Grundschulzeit fünf Jahre und es werde kein Englisch unterrichtet. Auch im Hinblick auf weiterführende Schulen und Berufsleben wäre sie auf den Umgang mit Hörenden besser vorbereitet. Der Schulweg wäre kürzer und sie wäre in das Gemeindeleben in A-Stadt eingebunden.

Beigefügt waren Bestätigungen der Volksschule A-Stadt über die Aufnahme am 13.09.2011 und eine Stellungnahme der Lehrerin vom 22.07.2011. Die Antragstellerin habe sich bei den zwei Probetagen als sehr offen und aufgeschlossen herausgestellt. Sie habe dem Unterricht ungehindert folgen und alle Arbeitsaufträge ohne größere Schwierigkeiten erledigen können. Daher sehe sie der Beschulung V. in der Regelschule zuversichtlich entgegen. Es solle allerdings gewährleistet sein, dass ihr jeden Tag ein Gebärdendolmetscher zur Seite stehe.

Vorgelegt wurden ferner Kostenvoranschläge verschiedener Gebärdendolmetscher, aus denen sich ausgehend von einem Stundensatz von 55 EUR zuzüglich Fahrtzeit und Fahrtkosten Kosten im Umfang von ca. 1900 EUR je Woche ergeben.

Der Antragsgegner hörte daraufhin mit Schreiben vom 01.08.2011 die Antragstellerin zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags wegen der unverhältnismäßigen Mehrkosten an.

Am 04.08.2011 meldete sich für die Eltern eine freiberufliche Elternberaterin, Frau K., die auf die eindeutige Gesetzeslage und entsprechende Gerichtsentscheidungen, insbesondere aus Nordrhein-Westfalen hinwies. Sie vertrete neben der Antragstellerin noch ein weiteres Kind; beide würden im kommenden Schuljahr in jedem Fall die Regelschule besuchen.

Ebenfalls unter dem 04.08.2011 äußerten sich die Eltern unter Bezugnahme auf Frau K.. Ihre Tochter habe eine Zuweisung an die Regelschule, weil sie außer dem Hören keine sonstigen Förderbedarfe habe. Der Grund für die Ablehnung der Förderschule liege in der unzureichenden Ausbildung der Hörgeschädigtenpädagogen, die in der Regel keine Gebärdensprache beherrschten, wodurch ihre Tochter von vielen Teilen des Unterrichts ausgeschlossen wäre. Sie übersandten eine Entscheidung des SG Frankfurt am Main vom 13.10.2010.

Mit Bescheid vom 12.08.2011 lehnte der Antragsgegner die Übernahme der Kosten eines Gebärdendolmetschers unter Hinweis auf die unverhältnismäßigen Mehrkosten von bis zu 6.900 EUR monatlich gegenüber der Beschulung an der Förderschule ab.

Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin am 17.08.2011 Widerspruch ein. Eine Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz könne nicht zur Ablehnung der Kostenübernahme des zum Besuch der Regelschule zwingend erforderlichen Gebärdendolmetschers führen. Dieser Vergleich lasse unberücksichtigt, dass bei einem Besuch der Förderschule nicht die Entwicklungschancen bestünden, die bei einer Regelschule zusammen mit Hörenden erfahren würden. Auch bleibe der Lerninhalt an der Förderschule deutlich hinter dem der Regelschule zurück; der Umgang mit Gebärdensprache sei erst am Anfang. Auch sei der lange Schulweg von 45 min einfach für eine Sechsjährige unzumutbar, wenn als Alternative die Regelschule im vertrauten Umfeld in sechs Minuten fußläufig erreichbar und gewährleistet sei, dass die Antragstellerin mit ihren Schulkameraden noch außerschulische Freizeitgestaltung ausüben könne, zumal sie einen Großteil bereits aus dem Schwimmkurs, dem Sportverein und dem Skikurs kenne. Auch würden dort bereits zwei hörgeschädigte Kinder unterrichtet.

Ebenfalls am 17.08.2011 beantragte sie beim Sozialgericht Augsburg, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten eines im Schulunterricht der Antragstellerin an der Volksschule in A-Stadt A.-straße übertragenden Gebärdendolmetschers im Rahmen der Gewährung von Eingliederungshilfe ab 13.09.2011 zu übernehmen.

Sie habe keinerlei Defizite außer der Gehörlosigkeit und möchte aus diesem Grund die Schulausbildung erhalten, die ihren geistigen Fähigkeiten entspreche und sie nicht unterfordere. Bei einem Probeunterricht im Juli 2011 habe sie dem Unterrichtsgeschehen ungehindert folgen und sämtliche Arbeitsaufträge ohne größere Schwierigkeiten erledigen können. Deswegen habe auch der Sachaufwandsträger der Einschulung zugestimmt.

Bereits in der Vergangenheit habe sich die Antragstellerin im Förderzentrum unterfordert beziehungsweise nicht genügend gefordert gefühlt. Auch finde dort kein durchgängiger Unterricht in Gebärdensprache statt, so dass sie von großen Teilen des Unterrichts ausgeschlossen wäre. Sie habe keinerlei sonderpädagogischen Förderungsbedarf. Schließlich verkenne der Antragsgegner, dass die Entscheidung, welche Beschulung der Antragstellerin zu Teil werden solle, primär der Schulbehörde aufgrund der pädagogischen Beurteilung obliege, der sich vorliegend bereits zu Gunsten der Regelschule geäußert habe. In Nordrhein-Westfalen würden nach Kenntnis von Frau K. mindestens 12 hörgeschädigte Kinder bereits mit großem Erfolg in Regelschulen beschult.

Die besondere Eilbedürftigkeit ergebe sich auch aus der anstehenden Einschulung, zumal es der Antragstellerin nicht möglich sei, aus eigenen Mitteln die Kosten des Gebärdendolmetschers vorzustrecken. Durch eine Einschulung in der Förderschule würden Tatsachen geschaffen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.

Sie beantragte ferner die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Der Antragsgegner erwiderte mit Schreiben vom 23.08.2011. Zwar sei die beantragte Hilfe geeignet, der Antragstellerin den Besuch einer Regelschule im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen, nicht aber erforderlich, da die Antragstellerin am Förderzentrum für Hörgeschädigte in der gleichen Zeit die gleichen schulischen Ergebnisse und Erfolge erzielen könnte. Der Vortrag zum Unterricht am D. entspreche in weiten Teilen nicht den Tatsachen; insbesondere sei es dort auch möglich, die Grundschule in vier Jahren zu durchlaufen.

Das Gericht wies die Antragstellerin mit Schreiben vom 31.08.2011 auf das Kostenrisiko hin.

Mit Schreiben vom 02.09.2011 stellte die Bevollmächtigte der Antragstellerin klar, dass die Eltern die Dolmetscherkosten nicht vorfinanzieren könnten und ihnen das Risiko der Vorläufigkeit des einstweiligen Rechtsschutzes bewusst sei. Allerdings sei Frau K., die bereits in mehreren Bundesländern entsprechende Verfahren erfolgreich begleitet habe, der festen Überzeugung, dass letztlich der Antragsgegner zahlen müsste und habe aufgrund dessen den Eltern geraten, auf jeden Fall die Einschulung in der Regelschule zu veranlassen.

Mit Schreiben vom 08.09.2011 äußerte sich das Gericht inhaltlich dahingehend, dass vor einer Entscheidung noch geprüft werde, ob tatsächlich die Regelschule der Antragstellerin gleiche Bildungschancen eröffne wie die Förderschule, da schwer nachvollziehbar sei, dass sich der Förderbedarf tatsächlich auf das reine Dolmetschen beschränke. An der Eignung des Förderzentrums bestehe dagegen zunächst kein Zweifel.

Mit Schreiben vom 12.09.2011 ergänzte die Antragstellerin, dass es am Förderzentrum keinen Englischunterricht gebe, sie selbst unbedingt auf die Regelschule gehen und mit den ihr bekannten Nachbarskindern und Freunden lernen wolle. Sie könne bereits gut schreiben und auch lesen und habe mindestens dieselben Kenntnisse wie hörende Kinder in ihrem Alter. Dagegen habe die Hörförderung durch Hörgeräte bisher kaum Resultate erbracht. Auch für die Regelschule sei der Umgang mit Gehörlosen ein Gewinn. Im Förderzentrum sei nach Kenntnis der Eltern dagegen bislang kein einziges Kind auf das Gymnasium übergetreten und nur sehr wenige auf die Realschule.

Sie verwies auf Beispiele erfolgreicher Integration in Hamburg und in München (Gisela Gymnasium) und übersandte Unterlagen über die grundsätzlichen Unterschiede zwischen LBG und DGS sowie einen Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.11.2010.

Sie verwies ferner auf ein Interview mit Frau Dr. von der Leyen zu Art. 24 der UN-Konvention und dessen Umsetzung für Hörgeschädigte/Gehörlose.

Das Gericht hat das D. mit Schreiben vom 14.09.2011 um Stellungnahme zum Förderbedarf der Antragstellerin, zu Beschulung am Förderzentrum und um Vorlage der im Rahmen der Einschulung erstellten Gutachten gebeten.

Die Antragstellerin verwies mit Schreiben vom 15.09.2011 auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.10.2007 und der darin festgehaltenen Bindung an die Entscheidung der Schulbehörde und übersandte weitere Stellungnahmen sowie Fotos von der Einschulung der Antragstellerin.

Das Förderzentrum äußerte sich mit Schreiben vom 16.09.2011 unter Vorlage des Gutachtens zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs und Empfehlungen des Förderorts. Darin wird im Ergebnis die Einschulung an einem Förderzentrum mit in die Sprachlerngruppe III dringend empfohlen. Die Antragstellerin könne nicht aktiv am Unterricht der allgemeinen Schule teilnehmen. Ihr sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich Hören, Sprechen und Sprache könne an der allgemeinen Schule auch mit unterstützenden Maßnahmen nicht erfüllt werden.

Das Gericht hat Telefongespräche mit dem Förderzentrum, der Schulleiterin der Volksschule A-Stadt und der Lehrerin der Antragstellerin geführt, auf die im einzelnen verwiesen wird.

Danach besucht die Antragstellerin bisher mit Erfolg die Volksschule. Die Klassenlehrerin hat sich gegenüber dem Gericht am 23.09.2011 telefonisch positiv und für einen Verbleib der Antragstellerin in der Klasse ausgesprochen.

Mit Schreiben vom 19.09.2011 übersandte die Antragstellerin noch Unterlagen über die Ausbildung nach dem Lehrplan der Bayerischen Förderzentren und wies darauf hin, dass die Fragestellung gegenüber der Schule nicht als ausreichend angesehen werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Behördenakten verwiesen.

II.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist vor allem dann der Fall, wenn dem Antragsteller ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, die durch ein Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden könnten.

Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass der Antragsteller das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - sowie eines Anordnungsanspruchs glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 der Zivilprozessordnung - ZPO). Bei dem Anordnungsanspruch handelt es sich um den materiell-rechtlichen Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt.

Es ist bezüglich des Prüfungsmaßstabs zunächst zu berücksichtigen, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander stehen; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit beziehungsweise Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern grundsätzlich abschließend zu prüfen. Der Maßstab der Glaubhaftmachung bezieht sich im Wesentlichen auf die reduzierte Prüfungsdichte hinsichtlich der im Eilverfahren regelmäßig beschränkten Erkenntnismöglichkeiten und die nur überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, Rn. 16 b, 16 c zu § 86 b).

Für den Bereich der Existenzsicherung hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 12.05.2005 (1 BvR 569/05) entschieden, dass sich das Gericht dann nicht auf eine nur summarische Prüfung stützen kann, wenn ohne die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes eine schwere Rechtsverletzung droht.

Maßgebend sind die Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

Die Antragstellerin hat vorliegend nicht hinreichend dargelegt, dass sie einen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für den Gebärdendolmetscher gegen den Antragsgegner hat.

Dies ergibt sich im Einzelnen aus folgenden Überlegungen:

Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es nach Abs. 3 Satz 1 der genannten Bestimmung, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern (§ 53 Abs. 3 Satz 2 SGB XII). Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht; die Bestimmung über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt.

Die aufgrund der Ermächtigung in § 60 SGB XII erlassene Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) ergänzt die genannten Vorschriften. Danach umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zu Gunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, den behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern.

Die von der Antragstellerin beanspruchte Hilfe nach Übernahme der Kosten eines Gebärdendolmetschers für den Besuch der Grundschule in A-Stadt ist als Maßnahme zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne von § 12 Nr. 1 EinglHV nicht erforderlich und geeignet, weil nach den im Eilverfahren zugänglichen Erkenntnismöglichkeiten diese Beschulung keine angemessene Beschulung der Antragstellerin darstellt, die geeignet ist, den festgestellten Förderbedarf zu decken.

Zwar ist die Geeignetheit der Beschulung an der Grundschule durch den Antragsgegner selbst bisher nicht infrage gestellt worden; dieser hat die Ablehnung der Kosten ausschließlich auf die damit verbundenen Mehrkosten gestützt, was vor dem Hintergrund des grundsätzlichen Rechts auf inklusive Beschulung jedenfalls bei gleicher Geeignetheit wohl kein zulässiger Versagungsgrund gewesen wäre.

Tatsächlich hat sich aber nach Überprüfung durch das Gericht herausgestellt, dass die Geeignetheit im Sinne einer dem Förderbedarf der Antragstellerin entsprechenden Beschulung bisher von keiner Stelle, insbesondere von der Schulbehörde selbst nicht geprüft worden ist.

Vorliegend steht zunächst zwar fest, dass die Antragstellerin die Grundschule in A-Stadt im Rahmen der Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht besucht, wobei aber seit 01.08.2011 folgende Regelungen zu beachten sind:

Grundlage für die Beschulung der Antragstellerin an der Regelschule war keine Zuweisungsentscheidung der Schulbehörde, da diese nach der seit 01.08.2011 geltenden Fassung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) grundsätzlich nicht mehr ausgesprochen wird, sondern ausschließlich die Entscheidung ihrer Eltern, sie an dieser Schule anzumelden.

Gemäß Art. 41 Abs. 1 BayEUG, gültig ab 01.08.2011, erfüllen Schulpflichtige mit sonderpädagogischem Förderbedarf ihre Schulpflicht durch den Besuch der allgemeinen Schule oder der Förderschule. Die Erziehungsberechtigten entscheiden, an welchem der im Einzelfall rechtlich und tatsächlich zur Verfügung stehenden schulischen Lernorte ihr Kind unterrichtet werden soll.

Nur wenn im Einzelfall der individuelle sonderpädagogische Förderbedarf an der allgemeinen Schule auch unter Berücksichtigung des Gedankens der sozialen Teilhabe nach Ausschöpfung der an der Schule vorhandenen Unterstützungsmöglichkeiten sowie der Möglichkeit des Besuchs einer Schule mit dem Schulprofil "Inklusion" nicht hinreichend gedeckt werden kann und die Schülerin oder der Schüler dadurch in der Entwicklung gefährdet ist oder er oder sie die Rechte von Mitgliedern der Schulgemeinschaft erheblich beeinträchtigt, besucht die Schülerin oder der Schüler die geeignete Förderschule (Art. 41 Abs. 5 BayEUG).

Nur in diesem Fall und wenn eine einvernehmliche Aufnahme nicht zu Stande kommt, entscheidet noch die Schulaufsichtsbehörde über den schulischen Lernort.

Zwar bedarf die Aufnahme von Schülerinnen und Schülern mit pädagogischem Förderbedarf in den Förderschwerpunkten Sehen, Hören sowie körperliche und motorische Entwicklung in die allgemeine Schule noch der Zustimmung des Schulaufwandsträgers; diese kann aber nur bei erheblichen Mehraufwendungen (für den Schulaufwandsträger) verweigert werden (Art. 30 a Abs. 4 BayEUG). Hierbei geht es insbesondere um Fahrtkosten oder erforderliche Umbauten.

Das Gesetz enthält weitere Regelungen über die Zusammenarbeit von Förderschulen und allgemeinen Schulen insbesondere durch Kooperationsklassen, Partnerklassen und die mobilen sonderpädagogischen Dienste.

Daneben können sich Schülerinnen und Schüler in ihrem Sozial- oder Jugendhilfebedarf durch Schulbegleiterinnen oder Schulbegleiter nach Maßgabe der hierfür geltenden Bestimmungen unterstützen lassen (Art. 30 a Abs. 8 BayEUG).

Das bedeutet vorliegend zunächst, dass die Eltern der Antragstellerin ihr Wahlrecht gemäß Art. 41 Abs. 1 S. 3 BayEUG zu Gunsten der Regelschule ausgeübt haben. Diese Schule steht der Antragstellerin rechtlich und tatsächlich als schulischer Lernort zur Verfügung. Auch der Schulaufwandsträger hat der Aufnahme zugestimmt, wobei auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Aufnahme der Antragstellerin in die Regelschule vorliegend mit Mehraufwendungen für diesen verbunden wäre.

Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass ein Ausnahmefall des Art. 41 Abs. 5 BayEUG vorliegen würde.

Allerdings ergibt sich hieraus nicht zwingend auch die Verpflichtung des Sozialhilfeträgers, die Beschulung an der Regelschule im Rahmen der Eingliederungshilfe zu unterstützen; vielmehr sind die Voraussetzungen für die bei einer inklusiven Beschulung erforderlichen zusätzlichen Maßnahmen unabhängig nach den hierfür geltenden Vorschriften zu prüfen (Art. 30 a Abs. 8 BayEUG).

Insofern ist die Rechtslage nicht mehr mit derjenigen zu vergleichen, die den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.04.2005 (5 C 20/04) und vom 26.10.2007 (5 C 35/05) zu Grunde lag. Denn in beiden Fällen hatte die Schulbehörde zuvor festgestellt, dass der individuelle sonderpädagogische Förderbedarf auch an der Regelschule gedeckt werden kann (Urteil vom 28.04.2005) beziehungsweise sie hat das Kind ausdrücklich an eine integrative Grundschule zugewiesen. Das bedeutet, dass in diesen Fällen die Schulbehörde geprüft hat, ob und inwieweit die jeweiligen Beschulungsmöglichkeiten auch den geistigen und körperlichen Fähigkeiten des einzelnen Kindes entsprechen. Gleiches gilt für den vom Hessischen LSG am 14.03.2011 zu Gunsten der Antragstellerin entschiedenen Fall (L 7 SO 209/10 B ER, vorgehend SG Frankfurt vom 13.10.2010 - S 30 SO 229/10 ER).

Diese Prüfung findet nach BayEUG in der Fassung ab 01.08.2011 nicht mehr statt und ist der Schulbehörde, abgesehen von extremen Fällen einer Kindeswohlgefährdung, sogar ausdrücklich verwehrt.

Auch aus Art. 24 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen - so genannte UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) vom 13.12.2006 in Verbindung mit dem Ratifizierungsgesetz des Bundes vom 21.12.2008 (BGBl. II Seite 1419) lässt sich weder ein unmittelbarer Anspruch noch eine Aussage zur richtigen Beschulung der Antragstellerin herleiten.

Zum einen erfüllt Art. 24 BRK wohl bereits nicht die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendbarkeit (OVG Lüneburg vom 16.09.2010 - 2 ME 278/10), sondern ist als Auftrag an den Bundesgesetzgeber zu sehen, entsprechende Rahmenbedingungen, insbesondere im Rahmen der schulrechtlichen Vorschriften zu schaffen.

Zum anderen hat sich damit die Bundesrepublik Deutschland zwar verpflichtet, sicherzustellen, dass

a) Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden;

b) Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einem integrativen inklusiven, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen haben;

c) angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen getroffen werden;

d) Menschen mit Behinderungen innerhalb des allgemeinen Bildungssystems die notwendige Unterstützung geleistet wird, um ihre erfolgreiche Bildung zu erleichtern;

e) in Übereinstimmung mit dem Ziel der vollständigen Integration/Inklusion wirksame individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet, angeboten werden (Art. 24 Abs. 2).

Zu diesem Zweck haben sie die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, zu denen auch gehört, das Erlernen der Gebärdensprache und die Förderung der sprachlichen Identität der Gehörlosen zu erleichtern und Bildung in den für den Einzelnen am besten geeigneten Sprachen und Kommunikationsformen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet, sicher zu stellen (Art. 24 Abs. 3).

Die konkrete Umsetzung dieser Ziele ist aber Sache der Vertragsstaaten, wobei ohnehin die Konvention mit dem deutschen Ratifizierungsgesetz nur insoweit Bestandteil des Bundesrechts gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 Grundgesetz (GG) geworden ist, als dem Bund auch die Gesetzgebungskompetenz zusteht. Keine Umsetzung in nationales Recht ist demgegenüber durch die Ratifizierung für diejenigen Bestandteile des völkerrechtlichen Übereinkommens erfolgt, die nach Art. 70 Abs. 1 GG dem Bereich der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder unterfallen; hierzu zählt auch das der Kultushoheit zuzuordnendem Schulwesen (OVG Lüneburg, aaO).

Diesem Auftrag ist in Bayern der Landesgesetzgeber durch die seit 01.08.2011 geltenden Regelungen des BayEUG nachgekommen.

Danach verbleibt es in Bayern bei einem mehrgleisigem System, in dem einerseits die Förderzentren erhalten bleiben sollen, andererseits die Inklusion, insbesondere durch Schule mit dem Schulprofil "Inklusion" sowie spezielle Kooperationsklassen, also insbesondere durch eine Kooperation zwischen Förderschulen und Regelschulen, daneben auch durch Einzelintegration erweitert und ausgebaut werden soll. Denn es sollte sichergestellt werden, dass durch die inklusive Beschulung von Menschen mit Behinderungen die Förderqualität nicht absinkt. Der Landesgesetzgeber versteht daher die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention als einen längerfristigen Prozess, bei dessen Umsetzung Freistaat und Kommunen in besonderer Weise gefordert sind (Eckpunktepapier des Landtags vom 22.04.2010 (Drs. 16/4619).

Dass es sich insbesondere bei der Integration hörgeschädigter und gehörloser Kinder in den Regelschulen um einen Prozess handelt, der zwar angestoßen, aber noch nicht abgeschlossen ist, ergibt sich auch aus den von der Antragstellerin vorgelegten Unterlagen, insbesondere der Stellungnahme der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Frau Dr. von der Leyen im Anschluss an die Pressekonferenz vom 15.06.2011, in der sie einen Aktionsplan zur Umsetzung der Inklusion anspricht.

Auch der Deutsche Gehörlosen-Bund e.V. als Interessenvertretung der Gehörlosen und anderen Menschen mit Hörbehinderung in Deutschland hat in seiner Stellungnahme im Rahmen der 44. Bundesdirektorenkonferenz "Inklusive Bildung und Erziehung für Kinder und Jugendliche mit Hörschädigung" vom 29.05.2011 bis 01.06.2011 in Berlin empfohlen, die Förderschulen als Wurzeln der Gemeinschaft weitgehend zu erhalten und inkludierbar zu machen, wozu neben Weiterbildung auch ein konsequent bilingualer Ansatz gehöre. Daneben werde auch der Einsatz beziehungsweise die Einstellung gehörloser und anderer hörbehinderter Lehrkräfte an inklusiven Regelschulen und die inklusive Beschulung von mehreren Kindern mit Hörbehinderung in einer Klasse gefordert, um so eine positive soziale und psychische Entwicklung zu gewährleisten und die sprachliche und kulturelle Identität dieser Schüler zu fördern (www.gehoerlosen-bund.de).

In Bayern besteht derzeit eine Situation, in der die Beschulung gehörloser und hörgeschädigter Kinder im Regelfall noch an den Förderzentren erfolgt. Daneben gibt es weiterführende Schulen (Bayerische Landesschule für Gehörlose mit Realschule oder das Gisela Gymnasium als inklusive Regelschule in München). Hörgeschädigte Kinder werden teilweise an Regelschulen unterrichtet, wobei es sich bei diesen Kindern nach Rücksprache mit dem Förderzentrum um ausschließlich lautsprachlich orientierte Kinder handelt. Fälle inklusiver Beschulung gehörloser Kinder an Regelgrundschulen waren den telefonisch angefragten Personen dagegen nicht bekannt.

Es besteht also noch keine Erfahrung mit der Beschulung gehörloser Kinder an Regelgrundschulen, was für den Sozialhilfeträger beziehungsweise vorliegend das Gericht eine gewisse Schwierigkeit darstellt. Denn es soll einerseits behinderten Kindern der Zugang zu allgemeinen Schulen nicht verwehrt werden. Andererseits muss sichergestellt sein, dass die Kinder an der Regelschule auch die erforderliche und ihnen zustehende Förderung erhalten. Neben den Interessen der Antragstellerin ist dabei sozialhilferechtlich auch zu berücksichtigen, dass der Sozialhilfeträger, wenn er Mittel in dieser Größenordnung aufwendet, auch dem Steuerzahler gegenüber verpflichtet ist, diese Mittel zweckentsprechend im Sinne einer Erreichung der Eingliederungsziele einzusetzen. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf die Regelungen in §§ 75 ff SGB XII, aus denen sich für den Sozialhilfeträger beziehungsweise die mit ihnen zusammenarbeitenden Einrichtungen hohe Anforderungen an die Fachlichkeit und die wirtschaftliche Überprüfbarkeit ergeben.

Die Kammer hat sich daher bei dieser Entscheidung zum einen an den umfangreichen Gutachten der Förderschule orientiert, da diese individuell auf den Förderbedarf der Antragstellerin eingehen, zum anderen auf Stellungnahme der Gehörlosenverbände, die neben politischen Stellungnahmen auch konkrete fachliche Aussagen zu den Anforderungen an eine (inklusive) Beschulung gehörloser Kinder enthalten.

Die Überzeugung der Kammer, dass derzeit jedenfalls die Beschulung der Antragstellerin an der Regelgrundschule unter den derzeit gegebenen Bedingungen noch keine der Beschulung an der Förderschule vergleichbare und in gleicher Weise geeignete und damit angemessene Beschulung darstellt, wird wie folgt begründet:

Zwar besteht im Falle der Antragstellerin kein Zweifel daran, dass sie aufgrund ihrer Entwicklung und Begabung den inhaltlichen Anforderungen einer Regelgrundschule folgen kann. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des Förderzentrums, und auch die Lehrerin hat sich nach den ersten zwei Wochen positiv geäußert. Die Antragstellerin sei integriert, könne dem Unterricht folgen und sich angemessen äußern.

Andererseits hat sich das Förderzentrum in seinem Gutachten zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs und Empfehlung des vom 15.03.2011 eindringlich gegen eine Beschulung an der Regelschule ausgesprochen. Die Antragstellerin könne nicht aktiv am Unterricht der allgemeinen Schule teilnehmen. Ihr sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich Hören, Sprechen und Sprache könne an der allgemeinen Schule auch mit unterstützenden Maßnahmen nicht erfüllt werden.

Auch unter Berücksichtigung einer gewissen Voreingenommenheit dahingehend, dass die Schulen ein Eigeninteresse an ihrem Erhalt und auch am Erhalt ihrer Schüler hat, sind diese Bedenken auch im Eilverfahren nicht ausreichend ausgeräumt.

Der Antragstellerin und ihren Eltern wird eingeräumt, dass unter Umständen Teile des Unterrichts, so etwa der Bereich Hören oder Unterricht in DGS, ihr nicht zu Gute kommen werden. Andererseits ergibt sich aus dem Gutachten auch, dass ein Resthörvermögen bei Geräuschen vorhanden ist. Ferner ergibt sich hieraus auch ein Förderbedarf, der über das reine Übersetzen hinausgeht, so im Bereich der Sprech- und Sprachübungen und vor allem im Bereich der Kommunikation. Daneben wird auf Schwierigkeiten im Umgang mit Über- beziehungsweise Unterforderung hingewiesen, die im Rahmen der Sprachlerngruppe III individuell ausgeglichen werden könnten.

Die Kammer geht daher zunächst davon aus, dass die Beschulung am Förderzentrum jedenfalls eine angemessene Beschulung der Antragstellerin darstellt. Die Bedenken, die diesbezüglich vorgetragen worden sind, konnten nach Rückfrage bei der Schule in wesentlichen Teilen nicht bestätigt werden, so die Aussagen zum fehlenden Unterricht im Fall Englisch oder zur fehlenden Übertrittsmöglichkeit an weiterführende Schulen. Gleiches gilt für den Einwand der "Isolation" an der Förderschule, der vom Gericht schwer nachvollzogen werden kann, nachdem dort insgesamt 31 gehörlose Kinder unterrichtet werden, die gezielt in einer Gruppe zusammengefasst und gefördert werden. Auch wenn der Unterricht, was das Förderzentrum bestätigt hat, nicht durchgehend in DGS stattfindet, wird jedenfalls lautbegleitend gebärdet. Solange die Antragstellerin noch in der SVE war, sind die Eltern dieser Kommunikation auch noch nicht ablehnend gegenüber gestanden (vgl. etwa das Schreiben des Vaters vom 04.11.2010), sondern haben lediglich darauf hingewiesen, dass ihre Tochter vorübergehend noch Unterstützung benötige, bis sie auch der Lautsprache mit LBG vollständig folgen könne. Wie nun die Bevollmächtigte der Antragstellerin im Schriftsatz vom 19.09.2011 zu der Aussage kommt, das die Antragstellerin LBG nicht verstehen könne, kann nach diesen Unterlagen nicht nachvollzogen werden. Zusammenfassend hat die Kammer keinen Zweifel daran, dass die Antragstellerin in der Förderschule mit den dort vorhandenen Möglichkeiten und Kapazitäten auch bezüglich der Ausbildung der Lehrer angemessen beschult werden kann. Auch erscheint die Fahrzeit von A-Stadt nach Augsburg für ein sechsjähriges Kind nicht unangemessen weit, zumal die Antragstellerin bereits die SVE in Augsburg besucht hat.

Demgegenüber bestehen an der Grundschule in A-Stadt keinerlei Fördermöglichkeiten. Die Antragstellerin kann zwar mit Hilfe der Dolmetscherin dem Unterricht folgen und ist nach dem ersten Eindruck der Lehrerin bei den Kindern auch akzeptiert. Allerdings besteht dort keinerlei Erfahrung im Umgang mit gehörlosen Kindern. Wenn Probleme auftauchen, sei es im Umgang mit der Schriftsprache oder im psychosozialen Bereich, gibt es nur den mobilen sonderpädagogischen Dienst im Umfang von höchstens einer Stunde wöchentlich als Ansprechpartner. Wie die Antragstellerin dort ihre Fähigkeiten im Umgang mit LBG und Artikulation ausbauen oder auch nur erhalten soll, ist völlig ungeklärt. Auch ist völlig unklar, wie die Antragstellerin als einziges gehörloses Kind an der Schule vertrauliche Beziehungen zu anderen Kindern aufbauen soll.

In diesem Zusammenhang wird auf folgende Aussagen in den fachlichen Stellungnahmen hingewiesen, die teilweise von der Antragstellerin übersandt wurden, teilweise der Seite des Deutschen Gehörlosen-Bundes entnommen wurden und die ausnahmslos davon ausgehen, dass Inklusion und angemessene Beschulung gehörloser Kinder an Regelschulen mehr bedeutet, als den Unterrichtsstoff zu übersetzen:

Gemeinsames Positionspapier der Verbände der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten - Selbsthilfe und Fachverbände e.V. (www.deutsche-gesellschaft.de/sites/default/ files/old/dg_inklusionspapier.pdf):

1.1
"Inklusion bedeutet, dass unterschiedliche Menschen auch unterschiedliche Wege zur Teilhabe an der Gesellschaft benötigen. Dabei sind die individuellen Bedürfnisse hörgeschädigter Menschen zu beachten. Eine vollständige Integration hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher in Regelsysteme stellt nach außen scheinbare Integration dar, birgt in der Praxis jedoch tatsächlich die Gefahr einer scheinbaren Integration und tatsächlicher 'Segregation in der Integration'.

Hörgeschädigte Menschen haben unterschiedliche kommunikative Bedürfnisse. Einige kommunizieren bevorzugt in der Deutschen Gebärdensprache, andere hauptsächlich in der Lautsprache oder in einer Mischform.

Bildungseinrichtungen sollen ihre SchülerInnen mit diesen verschiedenen Kommunikationsformen fördern und sie darin bestärken, schrittweise selbst die Kommunikationsform bzw. -formen herauszufinden, von der sie am meisten profitieren und die sie am effektivsten nutzen können."

1.2
"Wir weisen darauf hin, dass bezüglich der Kommunikationsform vom Grundsatz der Sprachwahlfreiheit ausgegangen werden soll. Im Bildungsprozess sollen alle Formen vermittelt werden. Mit zunehmendem Alter soll der/die hörgeschädigte Heranwachsende die gewünschten Kommunikationsformen selbst wählen und nach eigenem Ermessen anwenden können."

Als Aufgaben schulischer Bildung werden im einzelnen genannt:

"3.1.1 Kommunikative Kompetenz

Vollständige und sichere Kommunikation ist eine zentrale Voraussetzung für Inklusion.

Zum Aufbau kommunikativer Kompetenz gehören:

- Aufbau und Erhalt von Freude an Kommunikation und Sprache,

- das Erlernen eines alltagsnahen Kommunikationsverhaltens,

- das Erlernen von Kommunikationstaktiken (Fähigkeit, über den Hörstatus aufzuklären und kommunikative Bedürfnisse anzufordern),

- das Erlernen der Deutschen Gebärdensprache,

- Hörtraining sowie Training des Absehens und des körpersprachlichen Ausdrucks,

- die Nutzung und das Erklären technischer Hilfen und Zusatzgeräte,

- das Erlernen des Umgangs mit Gebärdensprach- und SchriftdolmetscherInnen,

- die Entwicklung eines Bewusstseins für die eigenen kommunikativen Möglichkeiten und Grenzen,

- der Aufbau der Fähigkeit, über die eigenen Sprachen zu reflektieren und diese bewusst einzusetzen.

3.1.2 Soziale und personale Kompetenz

Soziale und personale Kompetenzen sind Schlüssel für gelingende Inklusion.

Sie beinhalten:

- das Akzeptieren der Hörschädigung als Teil der Persönlichkeit,

- die Stärkung des Selbstbewusstseins sowie einen offenen und positiven Umgang mit der Hörschädigung,

- das Einüben von Dialogfähigkeit, Diskussionsverhalten, demokratischem Verhalten und Kritikfähigkeit,

- die Förderung interkultureller Kompetenz,

- die Schaffung von Rahmenbedingungen zur Klärung der eigenen Identität (z. B. durch gemeinsame Erfahrungen in der Peergroup und durch Vorbilder)."

Stellungnahme des Deutschen Gehörlosen-Bundes vom Mai 2011 (aaO):

"Jedes gehörlose Kind hat, unabhängig vom Grad seines Hörverlustes, ein Recht darauf, zweisprachig aufzuwachsen. Damit es seine kognitiven, sprachlichen und gesellschaftlichen Fähigkeiten vollständig erlangen kann, wird das Kind, so zeigt es die Forschung seit vielen Jahren, meistens zwei Sprachen beherrschen und benutzen müssen: Gebärdensprache und Lautsprache (letztere schriftlich und wenn möglich mündlich). - Dieses Zitat von Professor Emeritus Francois Grosjean von der Universität Neuchâtel in der Schweiz trifft bereits alle wichtigen Aussagen in Bezug auf die Bildung gehörloser und anderer hörbehinderter Kinder."

"Unter anderem fordern wir den Einsatz bzw. die Einstellung von gehörlosen und anderen hörbehinderten Lehrkräften an inklusiven Regelschulen und die inklusive Beschulung von mehreren Kindern mit Hörbehinderung in einer Klasse, um so eine positive soziale und psychische Entwicklung zu gewährleisten und die sprachliche und kulturelle Identität dieser Schüler zu fördern."

Konkret gehen damit die öffentlich verfügbaren Stellungnahmen der großen Verbände für eine erfolgreiche Inklusion und Integration von zwei Grundvoraussetzungen aus. Zum einen muss dem Kind die Bildung und Beibehaltung eines möglichst breiten Spektrums an Kommunikationsmöglichkeiten erst einmal ermöglicht werden. Zum anderen ist aufgrund der unterschiedlichen Wahrnehmung und Erfahrung der Umwelt und zur Bildung einer eigenen Identität der regelmäßige Kontakt mit hörgeschädigten und gehörlosen Kindern unerlässlich, weswegen von diesen Verbänden in ihren Stellungnahmen im Ergebnis die Integration einzelner gehörloser Kinder in einer Regelklasse auch nicht befürwortet wird. Schließlich betonen alle Stellungnahmen die große Bedeutung des Aufbaus von Kompetenzen bei Lehrern sowie die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit von Regelschulen und Förderzentren. All diese Voraussetzungen sind bei einer Beschulung der Antragstellerin an der Grundschule in A-Stadt zweifellos nicht gegeben. Insbesondere wäre die Antragstellerin dauerhaft und ausschließlich auf die reine Gebärdensprache angewiesen, ohne dass sie noch die Möglichkeit hätte, andere Kommunikationsformen ergänzend zu lernen. Die Unterstützung durch den mobilen sonderpädagogischen Dienst im Umfang von bestenfalls einer Stunde wöchentlich dürfte angesichts der völlig fehlenden Erfahrung der Schule mit gehörlosen Schülern ebenfalls nicht als ausreichend angesehen werden. Und nicht zuletzt hängt die Beschulung dort mangels Bestehen einer Zusammenarbeit mit dem Förderzentrum noch vom Engagement einzelner Lehrer ab, ohne dass sichergestellt wäre, dass die Antragstellerin auch bei einem Lehrerwechsel weiter dort beschult werden könnte. Alle Beteiligten sehen die Beschulung im Moment als Versuch an.

Es erscheint zwar nicht ausgeschlossen, dass in einem Hauptsacheverfahren eine gutachtliche Stellungnahme zum Ergebnis kommen kann, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer individuellen Fähigkeiten und ihrer individuellen Situation an der Schule in A-Stadt hinreichend Förderung für ihre weitere Entwicklung erfährt. Bis dahin sieht die Kammer aber auch keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für diese Möglichkeit, sondern vielmehr die Gefahr, dass die Antragstellerin dort gerade nicht die erforderliche Förderung erhält. Vor diesem Hintergrund ist auch die grundsätzliche Eilbedürftigkeit aufgrund des bereits begonnenen Schuljahres nicht geeignet, eine andere Entscheidung zu rechtfertigen. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der von den Eltern vorab und auf eigenes Risiko gegen die ausdrückliche Empfehlung des Förderzentrums getroffene Entscheidung zur Einschulung der Antragstellerin in der Regelschule. Der Antragstellerin steht nach wie vor ein Platz an der Förderschule zur Verfügung und es ist nicht zu befürchten, dass eine Beschulung an der Regelschule zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr möglich wäre . Es ist daher auch nicht erkennbar, dass der Antragstellerin unzumutbare und in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr rückgängig zu machende Nachteile entstehen, wenn sie bis zu einer abschließenden Klärung des Förderbedarfs die Förderschule besucht. Gerade wenn die Eltern darauf hinweisen, dass die Beschulung an der Förderschule ein Jahr länger dauert, wäre es auch kein Problem, das erste Jahr an der Förderschule zu nutzen, um zu prüfen, ob an der Regelschule Bedingungen geschaffen werden können, die eine ausreichende Förderung der Antragstellerin in ihren individuellen Bedürfnissen gewährleisten.

Der Antragsgegner kann daher auch nicht vorläufig verpflichtet werden, die mit dieser Beschulung verbundenen Kosten für den Gebärdendolmetscher zu übernehmen.

Der Antrag war mit der Kostenfolge des § 193 SGG analog abzulehnen.

Referenznummer:

R/R5445


Informationsstand: 18.04.2013