I. Der Antragsgegner wird vorläufig verpflichtet, ab Antragstellung (April 2013) bis zur Bestandskraft in der Hauptsache die Kosten für einen Gebärdensprachdolmetscher der Antragstellerin auch für die Fächer Sport, WTG und Kunst zu übernehmen.
II. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Kostenübernahme für den Einsatz eines Gebärdendolmetschers im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (
SGB XII) auch für die Fächer Sport, WTG und Kunst.
Die am 25.10.2004 geborene Antragstellerin ist seit ihrer Geburt gehörlos. Ihre Eltern sind ebenfalls gehörlos, sodass die Antragstellerin mit Gebärdensprache als Muttersprache aufgewachsen ist. Der Antragstellerin ist ein
GdB von 100 mit Merkzeichen G, H, RF und Gl zuerkannt.
Die Antragstellerin besucht seit September 2011 zusammen mit hörenden Mitschülern die Grundschule N.. Da die Antragstellerin in ihrer Kommunikation vollständig auf die Gebärdensprache angewiesen ist, beantragte sie beim Antragsgegner die Kostenübernahme für einen Gebärdensprachdolmetscher. In dem in diesem Zusammenhang geführten Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Augsburg unter dem Aktenzeichen S 15 SO 25/12, in dem unter anderem auch
Dr. phil. R. als Sachverständiger angehört wurde, wurde in der mündlichen Verhandlung am 25. 07.2012 ein Vergleich geschlossen, dessen Ziffer II wie folgt lautet:
"Der Beklagte verpflichtet sich zum 15.01.2013 auf Herrn
Dr. R. zuzugehen und ihn um eine aktualisierte gutachterliche Stellungnahme unter Berücksichtigung der vorhandenen Ergebnisse des Modellprojekts zu bitten. Der Sachverständige wird dann unter Berücksichtigung der vorhandenen Ergebnisse erneut mit der Klägerin und deren Eltern Kontakt aufnehmen und eine abschließende Begutachtung vornehmen. Dieses Gutachten soll bis spätestens 28.02.2013 beim Beklagten vorliegen, der es unverzüglich an die Klägerin weiterleiten wird. Der Beklagte sichert zu, das Ergebnis dieser Begutachtung für die Zeit ab 01.04.2013 zu akzeptieren. Das bedeutet, dass der Beklagte die Dolmetscherkosten für die weitere Beschulung der Klägerin an der Regelgrundschule für die Dauer der Grundschulzeit übernehmen wird, wenn sich der Gutachter weiterhin für diese Beschulung als besseren Integrationsort ausspricht."
Bei dem genannten Modellprojekt handelt es sich um das Projekt "Beschulung von gehörlosen Kindern mit Muttersprache deutsche Gebärdensprache (
DGS) an der Grundschule mit Unterstützung eines
DGS-Gebärdendolmetschers", in dessen Rahmen unter dem 05.06.2012 eine Vereinbarung zwischen der Antragstellerin und dem Freistaat Bayern, vertreten durch die Regierung von Schwaben, abgeschlossen wurde. Gemäß dieser Vereinbarung verpflichtet sich der Freistaat Bayern zur Finanzierung eines Gebärdensprachdolmetschers für die Antragstellerin im Zeitraum vom 26.03.2012 bis 31.03.2013. Als Umfang ist eine Begleitung der Antragstellerin in der Jahrgangsstufe 1 an vier Schultagen pro Woche und damit bei regulärem Unterricht insgesamt an höchstens 16 Unterrichtsstunden in der Schulwoche, zuzüglich weiterer verpflichtender schulischer Veranstaltungen vereinbart. Die Antragstellerin verzichtet in der Vereinbarung ausdrücklich auf die Begleitung in den Unterrichtsfächern Sporterziehung und Werken/Textiles Gestalten. Weiter ist vereinbart, dass der Zeitumfang in der Jahrgangsstufe 2 entsprechend angepasst wird.
In Ausführung des gerichtlichen Vergleichs fordert der Antragsgegner
Dr. R. im Januar 2013 zu einer aktualisierten Stellungnahme auf. In seinem Gutachten vom 20.02.2013, das auf einer ganztägigen Beobachtung im Schulunterricht und einem Gespräch mit der Klassenlehrerin basiert, kommt dieser zu dem Ergebnis, dass die Beschulung in der Grundschule in N. fortgesetzt werden sollte. Außerdem führt er aus, dass alle fünf Schultage mit einem Gebärdensprachdolmetscher abgedeckt werden sollten. Dies wird mit zwei Aspekten begründet: Abhängigkeitsverhältnisse von den Mitschülern durch Nachfragen der Antragstellerin und der Umstand, dass die Antragstellerin nie wisse, ob das, was sie verstanden habe, auch das ist, was gesagt oder gemeint worden sei.
Die Grundschule N. äußerte sich auf Anfrage der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 06.03.2013 dahingehend, dass der Umfang des Gebärdensprachdolmetschereinsatzes 15 Stunden betrage. In Sport, WTG und Kunst werde kein Gebärdensprachdolmetscher benötigt.
Daraufhin bewilligte der Antragsgegner mit Bescheid vom 13.03.2013 ab 01.04.2013 die Kostenübernahme für Gebärdensprachdolmetscher im Umfang von wöchentlich 15 Unterrichtsstunden. Dies wurde zum einen mit der Äußerung der Schule begründet. Außerdem werde davon ausgegangen, dass der während des Pilotprojekts des Freistaats Bayern gewährte Umfang von 15 Stunden wöchentlich angemessen sei.
Gegen diesen Bescheid legte die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin mit Schreiben vom 03.04.2013 Widerspruch ein. Ein Gebärdensprachdolmetscher sei auch für die Fächer Sport, WTG und Kunst erforderlich.
In einer erneuten Äußerung der Schule durch E-Mail der Rektorin an den Antragsgegner vom 11.04.2013 führt diese unter anderem aus, dass sie selbst den Bedarf schlecht einschätzen könne. Die Klassen- und Fachlehrer benötigten die Vollversorgung durch einen Dolmetscher wohl eher nicht dringend. Für das Fach Sport könne sie jedoch nachvollziehen, dass aufgrund der Unfallgefahr ein Dolmetschereinsatz sinnvoll wäre.
Am 18.04.2013 stellte die Antragstellerin Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Es bestehe ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für einen Dolmetscher auch in den Fächern Sport, WTG und Kunst. Eine zeitliche Beschränkung sei nicht vereinbart worden. Die Antragstellerin könne dem Unterricht nur bei Einsatz eines Gebärdensprachdolmetschers vollumfänglich folgen. Dies gelte auch für die hier streitigen Fächer.
Die Antragstellerin beantragte,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten eines im Schulunterricht der Antragstellerin an der Volksschule in N. übertragenden Gebärdensprachendolmetschers im Rahmen der Gewährung von Eingliederungshilfe nach dem
SGB XII ab sofort auch in den Fächern Sport, WTG und Kunst zu übernehmen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Es bestehe kein Anordnungsanspruch. Ein Anspruch auf Kostenübernahme für Gebärdensprachdolmetscher über die bewilligten 15 Stunden hinaus bestünde nur dann, wenn dies notwendig wäre. Zu dieser Frage habe sich der Sachverständige dergestalt geäußert, dass aus seiner Sicht alle Unterrichtseinheiten an Schultagen mit Gebärdensprachdolmetschern abgedeckt werden sollten. Der Antragsgegner gehe daher davon aus, dass damit gemeint sei, dass eine Begleitung durch Dolmetscher während aller Schulstunden wünschenswert sei. Dass dies auch zwingend erforderlich sei, beinhalte die gutachterliche Aussage nicht. Außerdem habe die Schule selbst erklärt, dass für die Fächer Sport, WTG und Kunst kein Gebärdensprachdolmetscher benötigt werde.
Das Sozialgericht hat den Sachverständigen daraufhin um Erläuterung seines Gutachtens dahingehend gebeten, ob eine Abdeckung aller fünf Schultage lediglich wünschenswert oder tatsächlich erforderlich sei.
Mit Stellungnahme vom 21.05.2013 bestätigte
Dr. R. die Notwendigkeit eines Dolmetschereinsatzes für den gesamten Unterrichtszeitraum. Die bisherige Handhabung habe zu einer Diskriminierung der Antragstellerin geführt. In Zeiten, in denen kein Dolmetscher im Einsatz ist, werde die Kommunikation über Lehrer und Mitschüler geführt, was zu einer unvollständigen Informationsübermittlung führe, da weder Lehrer noch Mitschüler über genügend Gebärdenkompetenz verfügten.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte des Antragsgegners und die Akten des Sozialgerichts, insbesondere auch diejenigen unter dem Aktenzeichen S 15 SO 25/12 verwiesen.
II.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig und begründet. Die beantragte Verpflichtung zur vorläufigen Übernahme der Kosten für einen Gebärdensprachdolmetscher über die bewilligten 15 Stunden hinaus ist anzuordnen. Der Anspruch auf Übernahme der Dolmetscherkosten ist dem Grunde nach unstreitig. Streitig ist allein die Frage des Umfangs.
Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gemäß § 86b
Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Voraussetzung hierfür ist gemäß § 86b
Abs. 2 Satz 4
SGG in Verbindung mit § 920
Abs. 2 Zivilprozessordnung (
ZPO) die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs im Sinne eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie eines Anordnungsgrundes im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit der Anordnung, die ein weiteres Zuwarten, insbesondere das Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache, unzumutbar erscheinen lässt. Eine Glaubhaftmachung in diesem Sinne liegt vor, wenn das Vorliegen der den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund begründenden Tatsachen für das Gericht überwiegend wahrscheinlich ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund sind hinreichend glaubhaft gemacht.
Der Anspruch der Antragstellerin auf Abdeckung der vollen Stundenzahl ergibt sich aus dem gerichtlichen Vergleich in Verbindung mit dem Gutachten vom 20.02.2013. Der Sachverständige kommt in seinem aktualisierten Gutachten zu dem Ergebnis, dass die Regelschule der bessere Integrationsort ist und dass eine vollständige Abdeckung des Unterrichtszeitraums notwendig ist. Letzteres hat der Sachverständige mit seiner Erläuterung vom 21.05.2013 nochmals bestätigt. Damit sind die Voraussetzungen für die Kostentragung durch den Antragsgegner erfüllt.
Das Ergebnis der Begutachtung ist für das Gericht auch nachvollziehbar. Zwar mag es sein, dass etwa im Kunstunterricht weniger Übersetzungsbedarf besteht als etwa in Mathematik oder Deutsch. Andererseits wird auch innerhalb einzelner Fächer nicht danach unterschieden, ob in bestimmten Schulstunden hoher oder geringer Übersetzungsbedarf besteht (geringer Bedarf etwa beim Schreiben von Schularbeiten). Schließlich kommt es für die Erforderlichkeit der Übersetzung auch nicht allein auf den Umfang an. So dürfte der Übersetzungsbedarf etwa im Fach Sport zwar bezogen auf den Umfang eher niedrig sein. Allerdings ist das Verstehen der Anweisungen in diesem Bereich dafür von erhöhter Wichtigkeit für die Antragstellerin, etwa wenn es um das Erklären von Regeln geht. Gerade im Fach Sport überzeugt auch der mit dem Verstehen der Anweisungen verbundene Sicherheitsaspekt.
Dass im Rahmen des Pilotprojektes eine Beschränkung des Umfangs stattgefunden hat, hat auf den Anspruch gegenüber dem Antragsgegner keinen Einfluss. Es handelt sich dabei um eine freiwillige Vereinbarung, die nicht auf einer gesetzlichen Verpflichtung basiert.
Die Äußerungen der Schule sind nach Auffassung des Gerichts ebenfalls nicht geeignet, Zweifel am Anordnungsanspruch zu begründen. Denn die Parteien haben sich im gerichtlichen Vergleich auf die Begutachtung durch
Prof. Dr. R. geeinigt. Darüber hinaus versteht das Gericht das Schreiben der Schule auch eher als Mitteilung des aktuellen Standes denn als Stellungnahme zur Erforderlichkeit der Bedolmetschung. Dies zeigt sich zum einen darin, dass das Schreiben keinerlei Begründung enthält, zum anderen auch darin, dass die Schule in ihrer E-Mail an den Antragsgegner vom 11.04.2013 gegenüber dem Antragsgegner ihre Aussage dahingehend eingeschränkt hat, dass eine Bedolmetschung jedenfalls für das Fach Sport durchaus als erforderlich angesehen werde.
Auch ein Anordnungsgrund ist hinreichend glaubhaft gemacht. Das Argument, dass bisher eine Abdeckung von 15 Stunden offenbar in dem Sinne ausreichend war, dass die Antragstellerin gute Schulnoten auch in den hier strittigen Fächern erzielen konnte, greift nicht durch. Für das Fach Sport gilt das schon aufgrund des o.g. Sicherheitsaspektes. Darüber hinaus gibt es keinen Grund, einem Antragsteller die beantragte Leistung im einstweiligen Rechtsschutz zu versagen, wenn die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs klar vorliegen.
Dem Antrag war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 193
SGG.
Pro Stunde des Dolmetschereinsatzes sind rund 55
EUR anzusetzen. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt daher vorliegend den gemäß § 172
Abs. 3
Nr. 1
i. V. m. § 144
Abs. 1 Satz 1
Nr. 1
SGG maßgeblichen Betrag von 750
EUR, sodass die Beschwerde statthaft ist.