Urteil
Leistungen der Eingliederungshilfe - Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern und studentischen Mitschreibhilfen - Studieren mit Behinderung

Gericht:

LSG Nordrhein-Westfalen 9. Senat


Aktenzeichen:

L 9 SO 497/11


Urteil vom:

27.03.2014


Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.07.2011 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 04.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.02.2010 verurteilt wird, die durch Beauftragung von Gebärdendolmetschern und Mitschreibkräften im Zeitraum vom 20.05.2010 bis zum 22.07.2010 entstandenen und vorläufig übernommenen Kosten nach Maßgabe des am 27.03.2014 abgeschlossenen Vergleichs endgültig zu tragen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren darüber, ob der Beklagte der Klägerin Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für die Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern und studentischen Mitschreibhilfen im Rahmen eine Hochschulstudiums erbringen muss.

Die im April 1979 geborene Klägerin ist seit ihrer Geburt gehörlos. Sie ist als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 100 mit den Merkzeichen "RF" und "Gl" anerkannt. Im Jahr 2000 erwarb sie am S Berufskolleg für Hörgeschädigte in F die allgemeine Hochschulreife mit einem Durchschnitt von 2,9. Anschließend absolvierte sie eine Ausbildung zur Mediengestalterin für Digital- und Printmedien - Mediendesign -, die sie 2003 ausweislich des Prüfungszeugnisses der Industrie- und Handelskammer vom 03.07.2003 mit dem Gesamtergebnis "befriedigend" beendete. Beim Berufsschulabschluss erreichte sie laut Zeugnis des Berufskollegs für Hörgeschädigte die Durchschnittsnote 1,8. Im Anschluss an ihre Berufsausbildung war die Klägerin in ihrem Ausbildungsbetrieb bis September 2009 als angestellte Mediengestalterin in Vollzeit versicherungspflichtig beschäftigt. Ihr monatliches Bruttogehalt betrug zuletzt 1.850,- Euro. Nach Abzug von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen ergaben sich 1.286,51 Euro.

Zum Wintersemester 2009/2010, d.h. zum 01.10.2009, schrieb sich die Klägerin für das Studium der Druck- und Medientechnologie an der Universität X mit dem angestrebten Abschluss Bachelor ein. Seit Dezember 2009 geht sie einer versicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung als Werkstudentin bei ihrem früheren Arbeitgeber nach. Mit dem Entgelt aus dieser Tätigkeit bestreitet sie seitdem ihren Lebensunterhalt. Neben einer Hilfe für Gehörlose, die ihr vom Beklagten nach dem Gesetz für Blinde und Gehörlose (GHBG) des Landes Nordrhein-Westfalen in Höhe von 77,- Euro monatlich gezahlt wird, verfügt sie über keine weiteren laufenden Einnahmen.

Mit Schreiben vom 05.10.2009 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten Studienhilfen im Rahmen der Eingliederungshilfe zur Durchführung des Studiums in Form von Gebärdensprachdolmetscher, studentische Mitschreibkräfte und Tutoren. Aus einem beigefügten Stundenplan ergaben sich für das erste Semester Lehrveranstaltungen im Umfang von 16 Semesterwochenstunden. Die Klägerin machte für insgesamt 16 Stunden Leistungen für Gebärdensprachdolmetscher in Doppelbesetzung geltend, zudem für alle Veranstaltungen studentische Mitschreibkräfte. Außerdem benötige sie zur Vor- und Nachbereitung sowie zur Vorbereitung auf Prüfungen einen qualifizierten Tutor. Diesen benötige sie nicht nur in der Vorlesungszeit, sondern auch in der veranstaltungsfreien Zeit, in der Prüfungen stattfänden. Deshalb beantrage sie 10 Tutorstunden pro Woche.

Auf die vom Beklagten angeforderte ausführliche Begründung, weshalb die Klägerin das jetzt begonnene Hochschulstudium anstrebe, führte diese mit Schreiben vom 29.10.2009 aus: Sie habe ihre bisherige Berufsausbildung im Bereich Druckvorstufe als Mediengestalterin der Fachrichtung Mediendesign Print absolviert. Diese Ausbildung sei auf dem dualen System aufgebaut gewesen, weshalb sie die Möglichkeit gehabt habe, ihre theoretischen Kenntnisse sogleich in der Praxis anzuwenden. Sie habe die Erstellung papiergebundener Druckmedien erlernt und ihr Wissen später im Bereich digitale Medien und Messestände erweitert. Während der Ausbildung seien fast nur Grundlagen über Technologie der Druckverfahren bzw. des gesamten Druckprozesses unterrichtet worden. Nach einigen Jahren in der Praxis habe sie erkannt, dass sich in der Medienbranche eine sehr schnelle Entwicklung vollziehe. Um damit Schritt zu halten und sich beruflich weiterzuentwickeln, habe sie sich zu dem Studium der Druck- und Medientechnologie entschlossen.

Mit Bescheid vom 04.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.02.2010 lehnte der Beklagte den Antrag ohne zeitliche Beschränkung ab. Zur Begründung führte er aus, entscheidend für die Hilfegewährung sei die Klärung der Frage, ob die Klägerin mit dem Studium eine bereits begonnene Ausbildung kontinuierlich fortsetzen (Erstausbildung) oder ob sie sich mit dem Hochschulstudium eine neue Ausbildung beginnen wolle (Zweitausbildung bzw. Fortbildung, Umschulung). Nur die Erstausbildung zähle zum Pflichtenkatalog der Sozialhilfe. Da die Klägerin jedoch das Studium nicht nahtlos an die Ausbildung angeschlossen habe, könne von einer Erstausbildung nicht mehr gesprochen werden. Bei dem Studium handele es sich daher um eine Fortbildungsmaßnahme, die nur dann gefördert werden könne, wenn der Behinderte ohne die Fortbildung den erlernten Beruf wegen der Behinderung nicht oder nur unzureichend ausüben könne und außerdem kein anderer Sozialleistungsträger die erforderliche Hilfe gewähre. Die Klägerin könne aber noch als Mediendesignerin arbeiten. Sozialhilfe leiste nur ein Mindestmaß an Hilfe. Hierzu gehöre nicht die Förderung eines Studiums, wenn der Betreffende im erlernten Beruf seinen Lebensunterhalt verdienen könne. Es sei auch nicht erkennbar, weshalb der Beruf der Mediengestalterin kein angemessener Beruf sei. Auch das Recht auf Bildung bestehe nur innerhalb der genannten Grenzen. Menschen ohne Behinderung erhielten für nicht nötige Studiengänge auch keine staatliche Förderung. Deshalb bestehe auch keine Benachteiligung gegenüber nicht behinderten Menschen.

Im Hinblick auf diese Bescheide des Beklagten beschäftigte die Klägerin während des Wintersemesters 2009/2010 keine Hilfskräfte. Ihr entstanden insoweit auch keine Kosten.

Die Klägerin hat am 10.03.2010 Klage beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt hat.

Am 18.03.2010 hat die Klägerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und beantragt, ihr für das ab dem 12.04.2010 beginnende Sommersemester vorläufig die Kosten für Gebärdensprachdolmetscher, Mitschreibkräfte und Tutoren für ihr Studium der Druck- und Medientechnologie zu bewilligen. In diesem einstweiligen Rechtsschutzverfahren, das beim SG Düsseldorf unter dem Az. S 17 SO 138/10 ER geführt worden ist, hat die Klägerin geltend u.a. gemacht, dass der Beklagte die Reichweite der Eingliederungshilfe verkenne. Diese gewähre Anspruch auf Hilfe zur Erlangung eines angemessenen Berufes. Angemessen bedeute, dass es dem Behinderten möglich sein müsse, einen seinen persönlichen Fähigkeiten entsprechenden Beruf zu ermöglichen, auch wenn dieser erst aufgrund eines Hochschulstudiums ausgeübt werden könne. Sie beabsichtige diese weitergehende Ausbildung, da sie ihren intellektuellen Fähigkeiten entspreche, und wolle mit abgeschlossenem Studium eine ihren Fähigkeiten entsprechende Berufstätigkeit ausüben. Es müsse auch Menschen mit Behinderung möglich sein, eine fähigkeitsentsprechende höhere Berufstätigkeit auszuüben; sie müssten zum Erreichen dieses Zieles die notwendigen behinderungsbedingten Hilfen erhalten. Sie sei wegen ihrer Gehörlosigkeit während der Vorlesungen auf Gebärdensprachdolmetscher angewiesen, um den Vorlesungen überhaupt folgen zu können. Daneben seien Mitschreibkräfte erforderlich, da sie nicht gleichzeitig auf die Dolmetscher schauen und parallel mitschreiben könne. Sie sei nicht in der Lage, Vorlesungen durch Lippenablesen zu folgen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass nur etwa 30 % aller Buchstaben von den Lippen ablesbar seien; dies sei für Hochschulvorlesungen, in denen häufig sehr schnell sowie in anspruchsvoller Fachsprache gesprochen werde, nicht ausreichend. Auch sprächen nicht alle Menschen so deutlich, dass bei ihnen ein Ablesen von den Lippen überhaupt möglich sei. Sie sei im ersten Semester zwar zu den Vorlesungen gegangen, habe jedoch über Lippenablesen nichts verstehen können und sei deswegen aus ihrer Sicht praktisch abwesend gewesen. Sie habe lediglich den Aufschrieb an der Tafel abgeschrieben und habe manchmal Notizen von Kommilitonen abschreiben können. Auch von einigen Dozenten ausgeteilte Skripte seien nur stichwortartig abgefasst gewesen und stellten keinen Ersatz für den Besuch von Vorlesungen dar. Der Beklagte habe auch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht beachtet. Mit dem Beklagten auf die Menschenwürde als Maßstab der Eingliederungshilfegewährung abzustellen, würde bedeuten, dass für behinderte Menschen generell eine höhere Bildung nicht erforderlich sei, solange diese mit ihrem bisherigen Einkommen den Lebensunterhalt bestreiten könnten oder mit einer auf niedrigem Niveau bestehenden Ausbildung ein Einkommen erzielen könnten, welches sie unabhängig von staatlichen Leistungen mache. Es gehe auch nicht um Leistungen der Eingliederungshilfe für den Lebensunterhalt der Klägerin, sondern ausschließlich um behinderungsbedingt notwendige Hilfen für das Studium. Ihr bisheriger Verdienst könne nicht gerade als hoch bezeichnet werden. Sie habe deshalb das berechtigte Bestreben, sich durch ein Hochschulstudium höher zu qualifizieren und auf diese Weise später mehr Geld verdienen zu können. Bei ihrem zuletzt erhaltenen Lohn würde sie voraussichtlich nur eine geringere Rente erhalten, welche sie möglicherweise im Alter wiederum zu Sozialhilfeleistungen führen würde. Ob sie im Übrigen langfristig an ihrer bisherigen Stelle hätte weiterarbeiten können, sei gar nicht sicher; es handele sich um eine sehr kleine Firma, welche stark von Aufträgen durch Stammkunden abhängig sei, die jederzeit wegbrechen könnten.

Mit Schriftsatz vom 14.04.2010 hat die Klägerin im Eilverfahren ihren Bedarf an Gebärdensprachdolmetscher für das Sommersemester 2010 auf 11,5 Semesterwochenstunden reduziert und ausgeführt, sie benötige nur für die besonders wichtigen Lehrveranstaltungen Gebärdendolmetscher. Den Stoff anderer Lehrveranstaltungen werde sie sich anderweitig aneignen.

Nach Abschluss des Eilverfahrens hat die Klägerin auf ihren dortigen Vortrag Bezug genommen.

Das SG ist davon ausgegangen, dass die Klägerin auch im Klageverfahren beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 04.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die erforderlichen Aufwendungen der Klägerin für Gebärdensprachdolmetscher, Mitschreibkräften und Tutoren für ihren Hochschulbesuch zu übernehmen.

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat seine umfangreichen Ausführungen und Stellungnahmen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren verwiesen. Dort hat er geltend gemacht, der Wortlaut erlaube es ohne weiteres, den erlernten Beruf der Mediengestalterin für Digital- und Printmedien (Mediendesign) als für die Klägerin angemessen zu bewerten. Es wäre jedoch verfehlt, einen "angemessenen Beruf" allein dann anzunehmen, wenn er für den Leistungsberechtigten passe. Es gehe auch um die Angemessenheit auf einer höheren, abstrakten Ebene; die Logik und der Kontext der Hochschulhilfe würden ansonsten nicht mit in die Wortbedeutung einfließen. Systematisch korreliere die Leistungsvoraussetzung des "angemessenen Berufs" in § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII mit § 13 Abs. 2 EingIH-VO. Voraussetzung sei hiernach u.a., dass die angestrebte Berufstätigkeit "voraussichtlich eine ausreichende Lebensgrundlage" biete oder dazu beitragen könne. Bei diesem gesetzgeberischen Ziel verbiete sich eine Auslegung, die trotz eines Berufes, der in zumutbarer Weise vom behinderten Menschen ausgeübt werden könne und der dessen Lebensunterhalt sicherstellen könne, die Finanzierung einer weiteren Ausbildung aus Steuermitteln zulasse, um eine nicht zwingende bessere, finanziell attraktivere Lebensgrundlage zu schaffen, welche über eine bloß "ausreichende" hinausgehe. Die Klägerin übe bereits einen attraktiven Beruf aus, der sie offenbar nicht nur ernähre, sondern sie auch in sozialen Kontakt mit anderen Menschen bringe. Damit sei auf den ersten Blick ihre Eingliederung in die Gesellschaft gelungen. Dieses werde durch die historische Exegese der einschlägigen Normen bestätigt. In den Gesetzesmaterialien fehlten entsprechende Hinweise. In der Verwaltungspraxis habe sich allerdings für die im Jahr 1994 in das damalige Bundessozialhilfegesetz (BSHG) eingefügte Anspruchsgrundlage ein allgemein anerkanntes Verständnis manifestiert, das bisher nicht ins Wanken geraten sei. Als "angemessen" wurde und werde bei den zuständigen Sozialhilfeträgern jede Ausbildung angesehen, die den Leistungsberechtigten in die Lage versetze, seinen Lebensunterhalt eigenständig und unabhängig von Sozialhilfeleistungen zu bestreiten. Ein Studium nach einer bereits abgeschlossenen Berufsausbildung werde folgerichtig regelmäßig nicht als angemessen angesehen, wenn bereits eine längere Tätigkeit im Ausbildungsberuf erfolgt sei. Auch nach dem Sinn und Zweck sei der Begriff der Angemessenheit in diesem Sinne auszulegen. Kernziel der Sozialhilfe und damit auch der Eingliederungshilfe sei es, behinderten Menschen dabei zu helfen, ein menschenwürdiges, eigenständiges und eigenverantwortliches Leben zu führen. Sei dieses Ziel bereits erreicht, ende der sozialhilferechtliche Hilfebedarf. Aus dieser Zielsetzung folge, dass keine Hilfe zur Ausbildung für einen optimalen Beruf gewährt werden könne. Ein Mehr an Leistungen könne gerade nicht gewährt werden. Es reiche nach dem Sinn und Zweck der einschlägigen Regelungen vielmehr aus, wenn der behinderte Mensch durch den Beruf in die Lage versetzt werde, unabhängig von existenzsichernden staatlichen Transferleistungen zu leben und am kulturellen und sozialen Leben in der Gemeinschaft mit anderen Menschen teilzunehmen. Dies sei bei der Klägerin auch ohne Studium bereits der Fall. Auch dem Individualisierungsgrundsatz sei in ihrem Falle bereits Genüge getan. Der von ihr ausgeübte Beruf der Mediengestalterin für Digital- und Printmedien entspreche ihrer Interessenlage und ihren Neigungen; anderenfalls würde sie kein Studium im selben fachlichen Bereich beginnen. Durch den Studienbeginn ändere sich nichts an dieser Wertung. Selbst wenn das Studium der Druck- und Medientechnologie für die Klägerin noch angemessener im Sinne einer optimalen Berufsausbildung sein sollte, so bliebe ihr bisheriger Beruf doch ebenfalls für sie eine mögliche, zumutbare Alternative.

Bei der Suche nach dem Sinngehalt der gesetzlichen Vorschriften sei bereits nicht (allein) entscheidend, welche körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeiten der behinderte Mensch im Einzelfall habe; dies sei nur ein Aspekt, der sich einer ganzheitlichen Betrachtung im Zweifel unterordnen müsse. Es gehöre zur Alltagserfahrung eines jeden behinderten wie nicht behinderten Menschen und damit zur allgemein gültigen beruflichen Normalität, dass die persönliche Befriedigung durch einen Beruf oft nicht im Vordergrund stehe, insbesondere wenn mit diesem das vorgehende Ziel verfolgt werde, die Lebensgrundlage zu sichern. Man dürfe Selbstbestimmung nicht mit gleichberechtigter Teilhabe vermengen. Sicher erstrecke sich die Selbstbestimmung behinderter Menschen in einem weiteren Sinne auch auf die Gestaltung ihrer Teilhabe. Dies bedeute jedoch nicht, dass sie auch über die begehrte Leistung dem Grund und der Höhe nach selbst bestimmen könnten, um in jedem Fall mit nicht behinderten Menschen gleichzuziehen. § 10 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), welcher die Teilhabe behinderter Menschen grundsätzlich regele, unterscheide demgemäß zwischen "Selbstbestimmung" und "gleichberechtigter Teilhabe" und fokussiere überdies die notwendige Hilfe auf einen den Neigungen und den Fähigkeiten entsprechenden Platz im Arbeitsleben. Diesen Platz habe die Klägerin bereits gefunden. Auch für behinderte Menschen lege das Sozialhilferecht lediglich einen die Menschenwürde wahrenden Mindeststandard fest; es halte keinen Wunschzettel an Leistungen bereit, alle Sozialleistungen zu bewilligen, die eine uneingeschränkte gleichberechtigte Teilhabe ermöglichten. Den Wünschen des Leistungsberechtigten werde durch die normative Hürde der "Angemessenheit" in § 9 Abs. 2 SGB XII eine unüberwindbare Grenze gesetzt.

Dieses klare Ergebnis in Anwendung der üblichen juristischen Methodik werde durch eine grundrechtskonforme Auslegung auch nicht etwa beseitigt. Denn Grundrechte der Klägerin seien nicht verletzt. Die Lesart des Begriffs "angemessener Beruf" durch den Beklagten verletze nicht die Menschenwürde des Art. 1 GG. Die Klägerin befinde sich nicht in einer Notlage. Aufgrund ihrer bisherigen Berufsausbildung und der erfolgreichen Eingliederung ins Arbeitsleben sei es ihr möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sie habe auch in keiner Weise vorgetragen, durch die Ausübung ihres erlernten Berufs in ihrer Lebensführung "abgesunken" zu sein. Allein der Wunsch, zu studieren und einen Hochschulabschluss zu erwerben, führe noch nicht dazu, dass das bisher geführte Leben als Mediendesignerin als menschenunwürdig erscheine. Dazu genüge nicht der Vortrag, die Klägerin wolle beruflich weiterkommen. Auch eine Diskriminierung i.S.v. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG bestehe nicht. Eine willkürliche, nicht sachgerechte Benachteiligung der Klägerin sei nicht zu erkennen. Denn auch ein nicht behinderter Mensch in einer im Übrigen gleichen Situation hätte keinerlei finanzielle Ansprüche auf Unterstützung während seiner Studienzeit. Schon gegen die Eltern bestünden nach § 1610 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) keine Ansprüche zur Finanzierung einer weiteren Ausbildung. Daneben hätte auch ein nicht behinderter Mensch im gleichen Alter wie die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Nach dessen § 10 Abs. 3 werde grundsätzlich keine Ausbildungsförderung mehr geleistet, wenn der Auszubildende bei Beginn der Ausbildung das 30. Lebensjahr vollendet habe. Damit habe der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass bei Erreichen eines bestimmten Alters die Berufsausbildung abgeschlossen sein müsse. Die Lesart des Begriffs der Angemessenheit durch den Beklagten verstoße im Übrigen auch nicht gegen Art. 24 der UN-Behindertenrechtskonvention. Die Klägerin erfahre gegenüber Nichtbehinderten keine Benachteiligung. Ihr sei es auch möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Maßstab für die Gewährung der Eingliederungshilfe sei letztlich allein die Wahrung der Menschenwürde und nicht der vermeintlich durch das Gleichbehandlungsgebot geforderte Ausgleich aller behinderungsbedingten Nachteile. Auch insofern weiterhin ungleiche Lebensverhältnisse von Menschen bewegten sich im Rahmen der Menschenwürde; der Staat sei jedenfalls nicht verpflichtet, jedweden Nachteil, den behinderte Menschen in der Gesellschaft hätten, durch staatliche Leistungen zu beseitigen, solange diese nicht menschenunwürdig lebten.

Die Klägerin hat im Eilverfahren eine Informationsschrift der Universität X zum Studiengang Druck- und Medientechnologie (Bachelor of Science), einen Ausdruck aus dem Berufenet der Bundesagentur für Arbeit über den Beruf Ingenieur/in für Druck- und Medientechnik, eine Schrift der Bundesagentur für Arbeit über den Arbeitsmarkt für Ingenieurinnen und Ingenieure, eine Schrift der Fachhochschule Düsseldorf über die Zukunft des Ingenieurs sowie eine Schrift "Think Ing." des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall vorgelegt.

Das SG hat sich im Eilverfahren zur Frage, über welche Möglichkeiten die Hochschule zum behinderungsbedingten Ausgleich im Falle der Klägerin verfüge, beim Beauftragten für Behinderte der Universität X erkundigt. Dieser hat ausgeführt, dass die Universität über keine Hilfen zur Bewältigung des Studiums für Gehörlose verfüge. Man prüfe den Einsatz technischer Geräte wie etwa die Übertragung des Gesprochenen auf den Bildschirm eines Laptops über Mikrofon; es sei jedoch zweifelhaft, ob die Universität die Mittel zur Anschaffung solcher Anlagen habe. Im Übrigen sei es nicht klar, ob eine solche Anlage wegen der vielen Fachausdrücke überhaupt sinnvoll eingesetzt werden könne.

Ferner hat das SG im Eilverfahren Ermittlungen beim Berufsverband der Gebärdensprachdolmetscher NRW durchgeführt. Dieser hat darauf hinwiesen, dass der Verband mit den Krankenkassen und den Landschaftsverbänden Verträge abgeschlossen habe, wonach sich die Höhe der Vergütung der Gebärdensprachdolmetscher nach den Regelungen des JVEG richte. Seitens des Verbandes wurde auch darauf hingewiesen, dass eine Doppelbesetzung vorzunehmen sei, wenn die Dolmetschertätigkeit länger als eine Stunde betrage oder kürzer sei, aber viele Gesprächsbeteiligte zu dolmetschen seien.

Mit Beschluss vom 20.04.2010 hat das SG den Beklagten als Antragsgegner im Eilverfahren verpflichtet, der Klägerin vorläufig Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für Gebärdensprachdolmetscher für 11,5 Wochenstunden Vorlesungen und sonstige Lehrveranstaltungen, davon sieben Stunden in Doppelbesetzung, zu den Konditionen, die der Beklagte mit dem Berufsverband der Gebärdensprachdolmetscher Nordrhein-Westfalen ausgehandelt habe, vom 20.04.2010 bis 31.07.2010 zu gewähren. Ferner hat es den Beklagten verpflichtet, vorläufig Kosten für studentische Mitschreibhilfen nach angemessenem Bedarf in Höhe von 6,00 Euro pro Stunde vom Beginn der Vorlesungszeit (12.04.2010) bis 31.07.2010 zu gewähren. Den Antrag hinsichtlich der Kostenübernahme für die Inanspruchnahme eines Tutors hat es abgelehnt. Wegen der Einzelheiten der Entscheidung wird auf den Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf vom 20.04.2010 (S 17 SO 138/10 ER) Bezug genommen.

Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde des Beklagten hat der 20. Senat des LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 13.08.2010 - L 20 SO 289/10 B ER -, veröffentlicht bei juris, zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Klägerin die begehrte Eingliederungshilfe zur Durchführung des Hochschulstudiums zu verwehren, missachte das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Die vom Beklagten gewählte Lesart des Begriffes der "Angemessenheit" in § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII stehe im Widerspruch zu dieser grundrechtlichen Gewährleistung und könne im Gegensatz zur Auffassung des Beklagten auch nicht anhand der anerkannten juristischen Auslegungsmethoden gewonnen werden. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Ausführungen in dem genannten Beschluss Bezug genommen.

In Ausführung bereits des Eilbeschlusses des SG hat der Beklagte mit Bescheid vom 22.04.2010 der Klägerin vorläufig für die Zeit vom 20.04.2010 bis zum 31.07.2010 Hochschulhilfe in Gestalt der Übernahme der Kosten für Gebärdendolmetscher im Umfang von 11,5 Stunden wöchentlicher Vorlesungszeit und sonstiger Lehrveranstaltungen, davon 7 Stunden in Doppelbesetzung und in Gestalt der Übernahme der Kosten für studentische Mitschreibkräfte zu 6 Euro pro Stunde bewilligt. Hinsichtlich der Dolmetscherkosten hat der Beklagte ausgeführt, es könnten nur solche Dolmetscher beschäftigt werden, die eine Vergütungsvereinbarung mit dem Landessozialamt/Integrationsamt geschlossen hätten. Die Rechnungen könnten von den Dolmetschern direkt beim Beklagten eingereicht werden.

Die Klägerin hat daraufhin im Zeitraum vom 20.05.2010 bis zum 22.07.2010 Dolmetscher und Mitschreibkräfte beauftragt.

Der Beklagte hat der Klägerin für die Mitschreibkräfte insgesamt 229,50 Euro (6,- Euro pro Stunde) erstattet (Schreiben vom 02.08.2010). Weitere Kosten sind der Klägerin insoweit auch nicht entstanden.

Die von der Klägerin beauftragten Dolmetscher haben die Kosten für ihre Dienstleistung durch Rechnung gegenüber dem Beklagten geltend gemacht, wobei sie entsprechend den von ihnen mit dem Beklagten vereinbarten Vergütungsregelungen durchgehend pro Stunde Dolmetschen 55,- Euro, pro Stunde Fahrzeit 45,- Euro und pro zurückgelegte Kilometer (Hin- und Rückfahrt) 0,30 Euro veranschlagt haben. Insgesamt hat der Beklagte für den Zeitraum vom 20.05.2010 bis zum 22.07.2010 Dolmetscherkosten in Höhe von 10.595,06 Euro beglichen. Weitere Kosten sind der Klägerin insoweit auch nicht entstanden.

Mit Bescheid vom 04.10.2010 hat der Beklagte der Klägerin auf deren Antrag vom 14.09.2010 auch für das Wintersemester 2010/2011 Leistungen vorläufig bewilligt und die Kostenübernahme für Gebärdendolmetscher in Doppelbesetzung für 20 Wochenstunden je Dolmetscher und Mitschreibkräfte für bis zu 20 Wochenstunden erklärt. Ein entsprechender Bescheid für das Sommersemester ist unter dem 22.02.2011, diesmal allerdings für bis zu 23 Wochenstunden je Dolmetscher und Mitschreibkraft ergangen.

Auf Anfrage des SG haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 28.07.2011 hat das SG der Klage weitgehend stattgegeben und den Beklagten unter Abweisung der Klage im Hinblick auf die Tutoren "verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheides vom 04.11.2009 und des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2010 der Klägerin Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für Gebärdensprachdolmetscher für höchstens 11,5 Wochenstunden Vorlesungen und sonstige Lehrveranstaltungen, davon 7 Stunden in Doppelbesetzung, zu den Konditionen, die der LVR mit dem Berufsverband der Gebärdensprachdolmetscher NRW ausgehandelt hat, bis zum 15.09.2010 zu gewähren" und den Beklagten "ferner verpflichtet, Kosten für studentische Mitschreibhilfen nach angemessenem Bedarf in Höhe von 6,00 Euro pro Stunde für die Vorlesungszeit im Sommersemester 2010 zu gewähren."

Das SG ist dabei wegen des Bescheids vom 04.10.2010 davon ausgegangen, dass sich der streitgegenständliche Zeitraum auf die Zeit vom 05.10.2009 bis zum 15.09.2010 beschränke.

In der Sache hat es die Auffassung vertreten, bei dem Studium der Klägerin handele es sich um einen angemessenen Beruf im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII. Insoweit komme es auf die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des behinderten Menschen im Einzelfall an. Maßgeblich seien allein subjektive Kriterien; aus objektiven Gründen erforderliche Korrekturen seien hier nicht einschlägig. Aufgrund des bisherigen Bildungsweges der Klägerin, insbesondere ihrer Vorbildung, sei zu erwarten, dass die Klägerin den angestrebten Studienabschluss erreichen werde. Es sei zwar auch Auffassung der Kammer, dass nicht jede weitere "Ausbildung", die den Wünschen oder Vorstellungen eines Behinderten entspreche, noch angemessen im Sinne des Gesetzes sei, sondern dass sich hier Einschränkungen aus sozialhilferechtlichen Grundstrukturen ergeben könnten. Dies könne beispielsweise der Fall sein, wenn ein Behinderter nach einer mit Mitteln der Eingliederungshilfe geförderten Ausbildung, die ihm zudem eine Erwerbstätigkeit ermögliche, eine weitere aber eben gleichrangige Ausbildung anstrebe, die sich lediglich inhaltlich unterscheidet. Hier dürfte naheliegend sein, aus Nachrangigkeit und Beschränkung der Sozialhilfe eine Einschränkung der Angemessenheit vorzunehmen, dahingehend, dass ein Sozialhilfeträger nicht beliebig viele Ausbildungen zu fördern hat (Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.02.2011, L 2 SO 379/11 ER-B). Allerdings treffe diese Einschränkung nicht auf den vorliegenden Sachverhalt zu, denn ein Hochschulstudium unterscheide sich von der zuvor geförderten Ausbildung ganz erheblich (s.o.). In vorliegendem Fall kommt es daher auf die Begrifflichkeit "Erst- und Zweitausbildung" nicht an. Es sei in Anbetracht der bisherigen und fortdauernden Beschäftigung der Klägerin auch davon auszugehen, dass sie in der Lage wäre, als Medientechnikerin zu arbeiten. Der Studiengang der Druck- und Medientechnik sei auch geeignet, einen Arbeitsplatz nach Studienabschluss zu erhalten.

Der beabsichtigte Ausbildungsweg sei auch im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 2 Eingliederungshilfe-Verordnung erforderlich. Insoweit komme es allein darauf an, dass der konkret beabsichtigte Ausbildungsweg zur Erreichung des beabsichtigten Bildungsabschlusses erforderlich sei. Damit solle vermieden werden, dass bei unterschiedlichem Bildungsweg für ein und dasselbe Bildungsziel der Bildungsweg gewählt werde, der kostenintensiver oder eben auf Kosten des Sozialhilfeträgers gehe, wie es beispielsweise der Fall sei, wenn ein- und derselbe Beruf durch eine schulische oder eine betriebliche Ausbildung erlangt werden könnte, wenn sogar für Letztere ein anderer Träger (Bundesagentur für Arbeit) zuständig wäre. In einem derartigen Fall könnte die schulische Ausbildung u.U. nicht erforderlich im Sinne der Eingliederungshilfe sein. Die Erforderlichkeit sei daher immer zu messen an dem konkreten Ausbildungsweg zum konkreten Bildungsziel. An dieser Stelle sei jedoch nicht zu prüfen, ob überhaupt noch eine Ausbildung in Betracht komme, weil beispielsweise aus Sicht des Eingliederungshilfeträgers bereits die Integration in den Arbeitsmarkt gelungen sein solle. Dies sei eine Frage der Angemessenheit des angestrebten Berufs. Hier sei das Hochschulstudium erforderlich für einen späteren Ingenieursberuf. Das Studium ende zunächst mit dem Grad des Bachelors, an den sich üblicherweise ein Masters-Studiengang anschließe. Allerdings sei nach den vorliegenden Unterlagen der Universität zum konkreten Studiengang schon davon auszugehen, dass allein mit dem Bachelor bereits der Berufseinstieg möglich sei. Es sei der Kammer nicht bekannt, dass ein vergleichbarer Abschluss (sowohl nach Grad des Abschlusses als auch nach inhaltlichen Anforderungen) durch eine andere Ausbildung erlangt werden könne. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern der von der Klägerin begehrte universitäre Abschluss und der gesamte Studieninhalt durch eine andere Form der Ausbildung ebenso zu erlangen wäre, für die dann die Bundesagentur für Arbeit zuständig wäre.

Gegen dieses ihm am 10.08.2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 09.09.2011 Berufung eingelegt. Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen und meint, dass SG stelle einseitig allein auf ein rein subjektives Verständnis des Begriffs eines "angemessenen Berufs" ab.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 28.07.2011 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, sie wolle sich nach Abschluss des Studiums neu orientieren und nicht mehr als "einfache" Mediengestalterin arbeiten. Sie habe ihrer Auffassung nach gute Chancen, als Ingenieurin für Druck- und Medientechnik unterzukommen. Auch an ihrer Hochschule würden insoweit Stellenangebote ausgehängt. Außerdem sei sie bundesweit mobil. Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit, dass sie sich selbstständig mache.

Der Senat hat zunächst eine Auskunft der Bergischen Universität X vom 08.06.2012 eingeholt. Darin hat die Universität u.a. die Anzahl der Studierenden in der Fachrichtung Druck- und Medientechnologie mitgeteilt, die über keine allgemeine Hochschulzugangsberechtigung verfügen (z.B. 16 von 35 im Wintersemester 2009/2010). Nach ihrer Einschätzung gebe es nur sehr wenige Studierenden, die nach dem Erwerb beruflicher Qualifikationen im erlernten Beruf länger verblieben. Zahlen lägen insoweit aber nicht vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 163 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Sodann hat der Senat eine Auskunft der Bundesagentur für Arbeit eingeholt. In ihrer schriftlichen Antwort vom 27.09.2012 hat diese mitgeteilt, im Monat August 2012 seien 1.114 Mediengestalter arbeitslos gemeldet gewesen bei 80 offenen Stellen. Im gleichen Monat seinen 17 Ingenieure im Bereich Druck- und Medientechnik in NRW arbeitslos gemeldet gewesen. Aus berufskundlicher Sicht erhöhe der Abschluss des Studiengangs Druck- und Medientechnik die Eingliederungschancen solcher Arbeitsuchenden, die bereits über eine abgeschlossene Berufsausbildung als Mediengestalter verfügten. Dies liege am sog. "Verdrängungseffekt", weil die erfolgreichen Hochschulabsolventen den ausgebildeten Mediengestaltern ohne Studium vorgezogen würden. In kleineren Betrieben sei es dementsprechend auch häufig so, dass das Gehalt dieser Hochschulabsolventen dem eines Mediengestalters ohne Studium entspreche. Die Bruttovergütung eines ausgebildeten Mediengestalters-Digital und Print Fachrichtung Gestaltung und Technik könne beispielsweise zwischen 2.341 und 2.928,- Euro liegen. Das Gehalt eines Ingenieurs im Bereich Druck- und Medientechnik könne bei durchschnittlich 3.600,- Euro brutto liegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 187 f. der Gerichtsakte Bezug genommen.

Weiterhin hat der Senat den Arbeitgeber der Klägerin, Herrn M, u.a. zu etwaigen Aufstiegschancen der Klägerin in seinem Betrieb bei erfolgreichem Abschluss des Studiums befragt. Dieser hat am 17.04.2013 schriftlich geantwortet, nach Abschluss des Studiums würde er sich ein Bild von den erworbenen Fähigkeiten der Klägerin machen können. Ggf. könne der Klägerin mehr Verantwortung für einen Aufgabenbereich gegeben werden. Durch eigenverantwortliche Tätigkeit würde natürlich auch der Verdienst steigen. Gegenwärtig könnten allerdings die Fähigkeiten der Klägerin noch nicht beurteilt werden.

Auf Anforderung des Senats hat die Klägerin Unterlagen über die bisherige Entwicklung ihres Studiums zu den Akten gereicht. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 218 bis 239 und Bl. 332 bis 337 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Schließlich hat der Senat Ermittlungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Klägerin durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 253 bis 254 und 322 bis 324 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Der Beklagte hat der Klägerin bis zur mündlichen Verhandlung des Senats die beantragten Leistungen für Dolmetscher und Mitschreibkräfte vorläufig bewilligt und die entsprechenden Rechnungen der Dolmetscher bezahlt bzw. der Klägerin die Auslagen für die Mitschreibkräfte erstattet. Insgesamt hat der Beklagte bis Mai 2013 233.062,37 Euro für Dolmetscherkosten und 1.093,50 Euro für Mitschreibkräfte verausgabt.

Zur teilweisen Erledigung des Rechtsstreits haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 27.03.2014 folgenden Vergleich geschlossen:

1. Die Klägerin ist damit einverstanden, dass sie sich im Hinblick auf die im Juni 2010 zugeflossene Einkommensteuererstattung mit einem Betrag von 100,- Euro an den entstandenen und von dem Beklagten vorläufig übernommenen Kosten für Gebärdendolmetscher und Mitschreibkräfte zu beteiligen hat.

2. Im Hinblick darauf macht der Beklagte im Zeitraum bis zum 13.09.2010 im Hinblick auf die Bedürftigkeit der Klägerin im Sinne von § 19 Abs. 3 SGB XII weder dem Grunde noch der Höhe nach weitere Einwände geltend und stellt diese unstreitig.

3. Die Beteiligten stellen darüber hinaus einvernehmlich den Umfang der Inanspruchnahme von Gebärdendolmetschern und Mitschreibkräften im Zeitraum vom 20.05.2010 bis zum 22.07.2010 und die Höhe der dadurch entstandenen Kosten unstreitig und sind sich darüber einig, dass der Beklagte die in diesem Zeitraum entstandenen Kosten von insgesamt 10.824,56 Euro endgültig zu tragen hat, wenn im vorliegenden Verfahren rechtskräftig festgestellt wird, dass die Voraussetzungen der §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII i.V.m. § 13 EinglHV vorliegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte in diesem Verfahren, die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten und die beigezogene Akte des Eilverfahrens S 17 SO 138/10 ER, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Rechtsweg:

SG Düsseldorf Urteil vom 28.07.2011 - S 17 SO 123/10

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat der zulässigen Klage zu Recht in dem der Anfechtung durch den Beklagten unterliegenden Umfang stattgegeben, denn, soweit das SG den Beklagten verurteilt hat, ist die Klage begründet. Allerdings bedurfte der Tenor des Urteils des SG im Hinblick auf den eigentlichen Klagegegenstand und den von den Beteiligten abgeschlossenen Teilerledigungsvergleich der Klarstellung.

I. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, 56 SGG zulässig.

1. Gegenstand der Klage ist der Ablehnungsbescheid vom 04.11.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.02.2010 (§ 95 SGG). Der Bescheid vom 22.04.2010 hat diesen Bescheide ebenso wenig abgeändert oder ersetzt wie die Bescheide vom 04.10.2010 und 22.02.2011 sowie alle folgenden Bescheide, in denen der Beklagte der Klägerin vorläufig die von ihr begehrten Leistungen gewährt hat. Bei dem Bescheid vom 22.04.2010 handelt es sich um einen vorläufigen Bewilligungsbescheid, der in Ausführung des rechtskräftigen Beschlusses des SG im Eilverfahren S 17 SO 138/10 ER erlassen worden ist. Solche Ausführungsbescheide werden nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens und erledigen auch nicht teilweise den Ablehnungsbescheid gemäß § 39 Abs. 2 SGB X. Mit dem das Verfahren abschließenden Urteil verlieren alle Ausführungsbescheide ihre Wirkung (vgl. BSG, Urt. v. 11.12.2007 - B 8/9b SO 20/06 R -, juris Rn. 12 m.w.N.; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 23.03.2012 - L 12 AS 3569/11 -, juris Rn. 19). Für die weiteren Bescheide, in denen die vorläufige Bewilligung für die nachfolgenden Semester fortgesetzt wurde, gilt nichts anderes. Der Beklagte hat sie lediglich zur Abwendung weitere Eilverfahren erlassen, ohne von seiner - endgültigen - Leistungsablehnung im Bescheid vom 04.11.2009 Abstand zu nehmen. Der Ablehnungsbescheid vom 04.11.2009 ist deshalb weiterhin gültig und wirksam.

2. In zeitlicher Hinsicht hat der Senat nur über die Leistungsverpflichtung des Beklagten bis zum 15.09.2010 zu entscheiden. Zwar ist bei einer unbefristeten Ablehnung eines Begehrens, wie sie hier im Bescheid vom 04.11.2009 erfolgt ist, grundsätzlich der gesamte, bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht verstrichene Zeitraum streitgegenständlich. Eine zeitliche Begrenzung kommt nur dann in Betracht, wenn der Kläger selbst sein Begehren in zeitlicher Hinsicht beschränkt oder auf einen erneuten Leistungsantrag ein weiterer Ablehnungsbescheid ergeht (zum Ganzen BSG Urt. v. 11.12.2007 - B 8/9b SO 12/06 R -, juris Rn. 8 m.w.N; Urt. v. 25.08.2011 - B 8 SO 19/10 R -, juris Rn. 9). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der Senat ist jedoch aufgrund des Verbots der reformatio in peius im Berufungsverfahren (§ 202 SGG i.V.m. § 528 Abs. 2 ZPO) gehindert, über eine Verpflichtung des Beklagten auch in der Zeit nach dem 15.09.2010 zu entscheiden. Das SG hat die Verurteilung des Beklagten auf den Zeitraum bis zum 15.09.2010 beschränkt. Die Klägerin hat diese Beschränkung der Leistungsverpflichtung des Beklagten nicht angefochten. Vielmehr hat allein der Beklagte Berufung eingelegt. Ob das SG von einem zu engen Streitgegenstand ausgegangen ist und § 123 SGG zu Lasten der Klägerin verletzt hat, hat er Senat deshalb nicht zu prüfen.

3. Inhaltlich ist das Begehren im Sinne von § 123 SGG, das die Klägerin zuletzt vor dem SG verfolgt hat, nach ihrem wohlverstandenen Interesse dahingehend auszulegen, dass der Beklagte die für die Beauftragung von Dolmetschern und Mitschreibkräften im Zeitraum vom 20.05.2010 bis zum 22.07.2010 tatsächlich entstandenen Kosten übernimmt. Nur soweit die Klägerin entsprechende Hilfskräfte beauftragt bzw. in Anspruch genommen hat, entstehen ihr Kosten, deren Deckung durch Leistungen des Beklagten sie begehrt. Soweit weder Dolmetscher noch Mitschreibkräfte für sie tätig geworden sind, d.h. im Zeitraum bis zum 19.05.2010 und nach dem 22.07.2010 bis zum Ende des Zeitraums, über den das SG entschieden hat, begehrt sie offensichtlich keine Leistungen des Beklagten. Eine Klage wäre insoweit mangels Rechtsschutzbedürfnisses auch unzulässig, weil ein Anspruch der Klägerin unter keinem denkbaren Gesichtspunkt in Betracht käme. Denn Sozialhilfeleistungen kommen von vornherein nur in Betracht, soweit die Klägerin Aufwendungen hatte oder den von ihr beauftragten Kräften noch Entgelt schuldet (vgl. BSG, Urt. v. 11.12.2007 - B 8/9b SO 12/06 R -, juris Rn. 11). Auch eine (Fort- setzungs-)/Feststellungsklage (vgl. dazu BSG, a.a.O., Rn. 12) würde insoweit von vornherein ausscheiden, weil es im Hinblick auf die später tatsächlich entstandenen Kosten, die auch streitgegenständlich sind, insoweit am Feststellungsinteresse bzw. ebenfalls am Rechtsschutzbedürfnis fehlt.

Eine Änderung des Urteils des SG und einer Abweisung der Klage für den Zeitraum bis zum 19.05.2010 und ab dem 23.07.2010 ist insoweit nicht erforderlich. Auch wenn das SG den Beklagten abstrakt zur "Übernahme der Kosten für Gebärdensprachdolmetscher für höchstens 11,5 Wochenstunden Vorlesungen und sonstige Lehrveranstaltungen, davon 7 Stunden in Doppelbesetzung" verurteilt hat und in den Entscheidungsgründen auf den genauen Umfang der entstandenen Kosten nicht eingegangen ist, ist es erkennbar davon ausgegangen, dass der Beklagte nur insoweit zur Leistung verpflichtet ist, als die Klägerin Dolmetscher und Mitschreibkräfte tatsächlich beauftragt und in Anspruch genommen hat. Dies kommt hinreichend deutlich dadurch zum Ausdruck, dass das SG den Beklagten zur Übernahme von "Kosten" verurteilt hat, womit in Anbetracht des auch vom SG im Tatbestand festgehaltenen Geschehensablaufs nur die tatsächlichen Kosten gemeint sein können. In Bezug auf die Mitschreibkräfte hat das SG zudem ausdrücklich auf den "Bedarf" der Klägerin abgestellt. Es genügt deshalb eine entsprechende Klarstellung des Tenors, ohne dass der Berufung des Beklagten teilweise stattgegeben werden müsste.

4. In der Sache ist das Begehren der Klägerin darauf gerichtet, dass der Beklagte die vorläufig übernommenen Kosten für Dolmetscher und Mitschreibkräfte endgültig übernimmt und auf die Rückforderung der vorläufig verauslagten Geldbeträge gegenüber der Klägerin verzichtet. Die Klägerin begehrt insoweit eine Geldleistung.

Zwar war das Begehren ursprünglich auf die Gewährung einer Sachleistung in Gestalt der Sachleistungsverschaffung gerichtet: Der Beklagte hatte jedenfalls die begehrte Bereitstellung der Dolmetscher nicht selbst, sondern durch Dritte, d.h. die Dolmetscher bzw. Dolmetscherbüros, mit denen er seinerseits Verträge zu schließen hat, zu erbringen (§§ 75 ff. SGB XII, vgl. § 75 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Er hätte deshalb die begehrte Leistung als Sozialhilfeträger dadurch zu erbringen gehabt, dass er durch Verwaltungsakt mit Drittwirkung der Schuld beitritt, die die Klägerin durch Beauftragung eines Dienstleisters, der Dolmetscherleistungen gegen Entgelt bereitstellt und seinerseits mit dem Beklagten als Sozialhilfeträger Verträge nach § 76 SGB XII geschlossen hat, begründet (vgl. insoweit z.B. BSG, Urt. v. 23.08.2013 - B 8 SO 10/12 R -, juris Rn. 10; sog. sozialhilferechtliches Dreiecksverhältnis). Das SG hat dementsprechend auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren konstruktiv zutreffend die Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Kosten für Dolmetscher und Mitschreibkräfte und nicht zur Gewährung von Geldleistungen ausgesprochen.

Durch die vorläufige Leistungsgewährung des Beklagten ist aber, was den Inhalt des geltend gemachten Anspruchs anbetrifft, eine wesentliche Änderung eingetreten. Der Beklagte hat mit dem Bescheid vom 22.04.2010 zwar in Ausführung des Eilbeschlusses des SG vorläufig Leistungen gewährt, er hat jedoch den potentiellen Dienstleistern gegenüber nicht durch einen Verwaltungsakt mit Drittwirkung einen Beitritt zu den potentiellen zivilrechtlichen Verbindlichkeiten der Klägerin diesen gegenüber erklärt. Ein vorläufiger Beitritt zu einer zivilrechtlichen Verbindlichkeit der Kläger gegenüber den von ihr beauftragten Dienstleistern, durch den ein vorläufiges zivilrechtliches Gesamtschuldverhältnis entstünde, wäre zivilrechtlich nur durch Vereinbarung einer auflösenden Bedingung im Sinne von § 158 BGB möglich. Hierfür ist jedoch nichts ersichtlich. Der Beklagte hat sich im Bescheid vom 22.04.2010 vielmehr nur der Klägerin gegenüber vorläufig verpflichtet, deren Verbindlichkeiten zu erfüllen. Auch wenn nach den Ausführungen im Bescheid vom 22.04.2010 die von der Klägerin beauftragten Dolmetscher ihre Rechnungen unmittelbar beim Beklagten einreichen sollten, waren sie nicht Mitadressaten des Bescheids vom 22.04.2010 und sollten keinen eigenen Anspruch gegen den Beklagten erhalten (vgl. insoweit auch § 329 BGB). Der Beklagte hat sodann auch ohne Vorbehalt die Rechnungen der Dolmetscher beglichen und damit als Dritter im Sinne von § 267 BGB die Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber den von ihr beauftragten Dolmetschern erfüllt. Der Vorläufigkeitsvorbehalt im Hinblick auf die noch ausstehende Hauptsacheentscheidung erfolgte und wirkte vielmehr allein gegenüber der Klägerin. Infolge dessen ist für die Annahme des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses kein Raum mehr. Da sämtliche Ansprüche der von der Klägerin beauftragten Dienstleister erfüllt und damit erloschen sind (vgl. § 362 Abs. 1 BGB), sind diese an dem im Hauptsacheverfahren streitgegenständlichen Sozialrechtsverhältnis nicht mehr beteiligt. Der zunächst streitgegenständliche Anspruch der Klägerin auf Sachleistungsverschaffung hat sich vielmehr, ähnlich wie bei zwischenzeitlicher Deckung des Bedarfs durch eigene oder Leistungen Dritter, in einen Geldleistungsanspruch umgewandelt, wobei es nunmehr - ähnlich wie bei zunächst darlehensweise gewährten Leistungen (siehe dazu BSG, Urt. v. 18.02.2010 - B 4 AS 5/09 R -, juris Rn. 10) - nur noch darum geht, ob die vorläufig bewilligten Leistungen endgültig zu gewähren sind mit der Folge, dass die Klägerin die verauslagten Beträge nicht erstatten muss. Dementsprechend waren die von der Klägerin beauftragten Dienstleister vorliegend auch nicht gemäß § 75 Abs. 2 1. Alt notwendig beizuladen (vgl. insoweit auch BSG, Urt. v. 22.03.2012 - B 8 SO 30/10 R -, juris Rn. 16 bei zwischenzeitlicher Kostenübernahme durch Dritte).

Aus den Ausführungen zu 1. folgt nichts anderes. Auch wenn der Bescheid vom 22.04.2010 als Ausführungsbescheid den angefochtenen Ablehnungsbescheid nicht ersetzt hat, hat er aufgrund der vorstehend dargelegten Zusammenhänge den streitgegenständlichen Sozialhilfeanspruch inhaltlich verändert.

Dementsprechend ist auch insoweit eine Klarstellung des Tenors des SG notwendig. Der Beklagte wird durch diese Klarstellung nicht entgegen § 202 SGG i.V.m. § 528 Abs. 2 ZPO zusätzlich beschwert. Das SG wollte ausweislich seiner Ausführungen auf S. 22 f. des Urteils offensichtlich zum Ausdruck bringen, dass der Beklagte den gesamten Bedarf der Klägerin im Hinblick auf Gebärdendolmetscher und Mitschreibkräfte abzudecken hat. Es hat, weil es die Wirkungen des Bescheids vom 22.04.2010 und die erfolgte vorläufige Leistungsgewährung des Beklagten nicht erkannt hat, lediglich die Verpflichtung des Beklagten inhaltlich falsch umschrieben. Der Beklagte hat zudem den Umfang des von der Klägerin geltend gemachten Bedarfs und die Höhe der im streitgegenständlichen Zeitraum entstandenen Kosten entsprechend den vorläufig bewilligten Leistungen in dem vor dem Senat geschlossenen Teilerledigungsvergleich unstreitig gestellt.

II. Die Klage ist, soweit ihr das SG stattgegeben hat, auch begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf endgültige Übernahme der durch Beauftragung von Gebärdendolmetschern und Mitschreibkräften im Zeitraum vom 20.05.2010 bis zum 22.07.2010 entstandenen Kosten von insgesamt 10.824,56 Euro aus § 19 Abs. 3 i.V.m. §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII und § 13 Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV).

1. Der Beklagte ist für die begehrte Leistung nicht nur mangels rechtzeitiger Weiterleitung des bei ihm gestellten Antrags gemäß § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX), sondern als überörtlicher Sozialhilfeträger auch nach § 97 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII (materiell) sachlich zuständig. Eine abweichende Zuständigkeit ist weder durch Landesrecht noch durch die Satzung des Beklagten (vgl. § 99 Abs. 3 SGB XII i.V.m. § 3 Abs. 1 Landesausführungsgesetz zum Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) - Sozialhilfe - für das Land Nordrhein-Westfalen (AG-SGB XII NRW)) bestimmt.

2. Die Klägerin erfüllt die wirtschaftlichen Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII sowohl dem Grunde nach als auch - bis auf einen Kostenbeitrag von 100,- Euro im Juni 2010 - im Hinblick auf die Höhe der im streitgegenständlichen Zeitraum entstandenen Kosten. Hiervon ist aufgrund des von den Beteiligten im Termin am 27.03.2014 geschlossenen Teilerledigungsvergleich auszugehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des 8. Senats des BSG können einzelne unselbstständige Aspekte eines Streitgegenstandes durch einen "echten" Vergleich, der ein gegenseitiges Nachgeben voraussetzt, unstreitig gestellt werden (vgl. BSG, Urt. v. 20.09.2012 - B 8 SO 4/11 R -, juris Rn. 13). Einen solchen zulässigen Teilerledigungsvergleich haben die Beteiligten hier u.a. in Ansehung der Bedürftigkeit der Klägerin im Sinne von § 19 Abs. 3 SGB XII im streitgegenständlichen Zeitraum geschlossen. Das gegenseitige Nachgeben liegt darin, dass sich einerseits die Klägerin zu einer Kostenbeteiligung in Höhe von 100,- Euro für Juni 2010 bereit erklärt und der Beklagte andererseits auf weitergehende Einwendungen betreffend die Bedürftigkeit der Klägerin im Sinne von § 19 Abs. 3 SGB XII dem Grunde und der Höhe nach verzichtet und diese unstreitig gestellt hat. Dass der geltend gemachte Klageanspruch nur nach Maßgabe des Vergleichs vom 27.03.2014 besteht, ist im Tenor klargestellt worden.

3. Die Klägerin hat gemäß §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII i.V.m. § 13 EinglHV im streitgegenständlichen Zeitraum dem Grunde nach Anspruch auf Übernahme der Kosten für Dolmetscher und Mitschreibkräfte während ihres Studiums der Druck- und Medientechnologie an der Universität X mit dem angestrebten Abschluss Bachelor.

Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (53 Abs. 3 SGB XII). Leistungen der Eingliederungshilfe sind nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII u.a. die Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule. Näheres regelt hierzu die nach § 60 SGB XII erlassene Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV). Nach § 13 Abs. 1 Nr. 5 EinglHV umfasst die Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII u.a. die Hilfe zur Ausbildung an einer Hochschule oder einer Akademie. Diese Hilfe wird nach § 13 Abs. 2 EinglHV gewährt, wenn

1. zu erwarten ist, dass das Ziel der Ausbildung oder der Vorbereitungsmaßnahmen erreicht wird,

2. der beabsichtigte Ausbildungsweg erforderlich ist,

3. der Beruf oder die Tätigkeit voraussichtlich eine ausreichende Lebensgrundlage bieten oder, falls dies wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht möglich ist, zur Lebensgrundlage in angemessenem Umfang beitragen wird.

Diese Voraussetzungen liegen vor.

a) Die Klägerin hat Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe als Pflichtleistung gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII, d.h. das "Ob" der Gewährung steht nicht im Ermessen der Beklagten, denn die Klägerin ist als Gehörlose gemäß § 1 Nr. 5 EinglHV wesentlich behindert im Sinne von § 53 Abs. 1 SGB XII. Näherer Feststellungen zum Ausmaß der Einschränkungen der Teilhabefähigkeit bedarf es bei Gehörlosen nicht (vgl. BSG, Urt. v. 19.05.2009 - B 8 SO 32/07 R -, juris Rn. 14).

b) Bei den begehrten Leistungen handelt es sich ihrer Art nach um Leistungen der Eingliederungshilfe, die nicht anderen Kapiteln des SGB XII zuzuordnen sind. Die Klägerin begehrt nicht etwa Leistungen, die ihren Lebensunterhalt und die Ausbildungskosten, die auch Nichtbehinderten entstehen, decken sollen. Ihr Begehren beschränkt sich vielmehr auf solche Aufwendungen und Kosten, die ausschließlich wegen ihrer Behinderung entstehen und bei Nichtbehinderten nicht anfallen. Solche Leistungen, die behinderungsbedingten Besonderheiten Rechnung tragen sollen, sind von den Leistungen der Eingliederungshilfe umfasst (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urt. v. 19.10.1995 - 5 C 28.95 -, juris Rn. 10 ff.).

c) Das von der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum absolvierte Studium stellt eine schulische Ausbildung für einen "angemessenen Beruf" im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII, § 13 Abs. 1 Nr. 5 EinglHV dar. Der Senat schließt sich insoweit - vorbehaltlich der nachfolgenden Ausführungen - den zutreffenden Ausführungen des SG in dem angefochtenen Urteil an und nimmt auf sie Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Darüber hinaus nimmt der Senat auf die den Beteiligten bekannten Ausführungen des 20. Senats im Beschluss vom 13.08.2010 - L 20 SO 289/10 B ER -, juris Rn. 41 ff. Bezug, denen er sich - vorbehaltlich der nachfolgenden Ausführungen - nach eigener Prüfung ebenfalls anschließt.

Das Berufungsvorbringen des Beklagten führt zu keiner anderen Bewertung.

aa) Nach Auffassung des Senats liegt eine Ausbildung für einen "angemessenen Beruf" im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII, § 13 Abs. 1 Nr. 5 EinglHV vor, wenn auch ein nichtbehinderter Mensch in der Rolle des behinderten Leistungsberechtigten im konkreten Einzelfall bei Anstellen vernünftiger Erwägungen den gewählten Ausbildungsweg eingeschlagen hätte. Hierfür sind folgende Erwägungen maßgeblich:

Der Beklagte weist zunächst zutreffend darauf hin, dass weder im SGB XII noch im SGB IX noch in der EinglHV definiert wird, was unter einem "angemessenen" Beruf zu verstehen ist (vgl. zum Begriff der "angemessenen Schulbildung" im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII ebenso BSG, Urt. v. 23.08.2013 - B 8 SO 10/12 R -, juris Rn. 21) und deshalb der Bedeutungsgehalt durch die anerkannten Methoden juristischer Auslegung erschlossen werden muss.

Insoweit weist der Beklagte auch zutreffend darauf hin, dass dem Begriff der "Angemessenheit" gerade im juristischen Sprachgebrauch stets ein Abwägungsvorgang innewohnt. So wird der Begriff "Angemessenheit" beispielsweise häufig als Synonym für die im Rahmen der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmende Prüfung der sog. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verwendet. Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist stets eine Abwägung der betroffenen gegenläufigen Rechtsgüter erforderlich. Dies legt es nahe, dass nicht jeder von dem behinderten Menschen erstrebte Beruf deshalb angemessen ist, weil sich der behinderte Mensch für ihn entschieden hat, sondern auch objektive Kriterien im Rahmen eines Abwägungsvorgangs berücksichtigt werden müssen. Hierfür spricht auch § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, wonach die grundsätzlich für die Leistungsgewährung maßgeblichen Wünsche der Leistungsberechtigten nur beachtlich sind, soweit sie angemessen sind.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass dem Wunsch des behinderten Menschen beliebige, vermeintlich objektive, gesellschaftspolitisch wertende oder finanzielle Erwägungen als gegenläufige Interessen im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit gegenübergestellt werden können. Die erforderliche Abwägung hat sich vielmehr an den Zielen der Eingliederungshilfe, namentlich der Eingliederung des behinderten Menschen in die Gesellschaft (§ 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII), zu orientieren. Mit Eingliederung ist dabei nicht ein Mindestmaß an Teilhabe gemeint, das auch kaum ohne externe, nicht normtextbezogene Wertungen bestimmt werden könnte (vgl. dazu auch BSG, Urt. v. 02.02.2012 - B 8 SO 9/10 R -, juris Rn. 27). Im Hinblick auf das in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG enthaltene Förderungsgebot (siehe dazu Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 3 Rn. 142, 147) muss es vielmehr auf die Verhältnisse nichtbehinderter Menschen ankommen (siehe insoweit auch BSG, Urt. v. 23.08.2013 - B 8 SO 24/11 R -, juris Rn. 16). Das in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG enthaltene Förderungsgebot verpflichtet insbesondere den Gesetzgeber dazu, im Rahmen des Möglichen, d.h. im Rahmen seines grundsätzlichen weiten Gestaltungsspielraums, durch geeignete Maßnahmen die Lebensverhältnisse von Behinderten und Nichtbehinderten anzugleichen. Auch wenn sich aus diesem Förderungsgebot regelmäßig keine konkreten verfassungsrechtlichen Ansprüche des behinderten Menschen ableiten lassen, kann der Verfassungsauftrag als abstrakte Zielbestimmung, nicht als Gebot einer bestimmten Leistung, für die Auslegung solcher einfach-rechtlicher Bestimmungen herangezogen werden, die gerade der Umsetzung des Förderungsgebotes dienen. Hierzu gehören die Vorschriften über die Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII und gerade auch § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII mit seiner Bestimmung der Ziele der Eingliederungshilfe.

Von daher geht auch der Einwand des Beklagten fehl, die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde sei das Maß aller Dinge im Sozialhilferecht. Es trifft zwar zu, dass das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das seine Grundlage im Übrigen nicht allein in Art. 1 Abs. 1 GG findet, sondern aus einer untrennbaren Verbindung von Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG folgt (dazu Aubel, in Emmenegger/Wiedmann, Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, S. 273 (278 ff.)), die verfassungsrechtliche Wurzel der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII darstellt. Bei der Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel geht es jedoch um mehr als die Gewährleistung einer menschenwürdigen Existenz, sondern um gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen und die Beseitigung faktischer Benachteiligungen Behinderter in der Lebenswirklichkeit.

Die maßgebliche Berücksichtigung der Ziele der Eingliederungshilfe und die Heranziehung der Verhältnisse nichtbehinderter Menschen als Maßstab für die Bestimmung eines "angemessenen Berufs" im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII, § 13 Abs. 1 Nr. 5 EinglHV stellt auch sicher, dass den Wünschen des behinderten Menschen nicht entgegen § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII schrankenlos zu entsprechen ist. Vielmehr muss die gewählte Ausbildung geeignet sein, die Eingliederung des behinderten Menschen im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe nachhaltig zu erreichen. Insoweit kommt es darauf an, ob auch ein nichtbehinderter Mensch in der Rolle des behinderten Menschen bei Anstellen vernünftiger Erwägungen den betreffenden Ausbildungsweg eingeschlagen hätte. Dies schließt zum einen die Förderung solcher Ausbildungen aus, für die der behinderte Mensch nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten ungeeignet ist und die er deshalb bei prognostischer Betrachtung voraussichtlich nicht erfolgreich beenden wird (vgl. hierzu auch § 13 Abs. 2 Nr. 1 EinglHV). Insoweit deckt sich der Begriff eines "angemessenen Berufs" mit dem Begriff der "angemessenen Schulbildung" im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII, § 12 EinglHV, die nach herrschender Rechtsprechung einen Anspruch auf die Ermöglichung einer dem individuellen Potential des Betreffenden entsprechenden Bildung vorsehen (dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 17.01.2013 - 12 B 1360/12 -, juris Rn. 5; abweichend bei bereits bestehendem Schulabschluss VG Augsburg, Urt. v. 17.10.2000 - Au 3 K 99.823 -, juris Rn. 33 ff.). Zum anderen sind auch solche Ausbildungen nicht förderungsfähig, die nicht geeignet sind, die Lebensverhältnisse des behinderten Menschen zu verbessern, z.B. weil sie keine hinreichende Gewähr dafür bieten, dass nach abgeschlossener Ausbildung eine Arbeitsstelle gefunden werden kann (vgl. dazu auch § 13 Abs. 2 Nr. 3 EinglHV). Bei Anstellen vernünftiger Erwägungen würde auch ein nichtbehinderter Mensch einen solchen Ausbildungsweg nicht einschlagen. Maßgeblich sind allerdings stets die individuellen Verhältnisse im Einzelfall (vgl. insoweit auch BSG, Urt. v. 02.02.2012 - B 8 SO 9/10 R -, juris Rn. 26)

bb) Nach diesen Grundsätzen richtet sich auch, ob dann, wenn der behinderte Mensch bereits über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt und sogar eine Tätigkeit in dem erlernten Beruf ausübt, eine andere angestrebte Tätigkeit ein "angemessener Beruf" im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII, § 13 EinglHV sein kann. Für die Annahme eines strengeren Maßstabs, etwa dergestalt, dass nur in Ausnahmefällen insoweit von einem "angemessenen Beruf" auszugehen ist, lässt sich keine normative Grundlage finden (in der Sache ebenso für die Förderung einer höheren Schulbildung nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII, § 12 EinglHV LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 15.12.2008 - L 7 SO 4639/08 ER-B -, juris Rn. 10; VG München, Urt. v. 16.05.2002 - M 15 K 00.244 -, juris Rn. 25; abweichend VG Augsburg, Urt. v. 17.10.2000 - Au 3 K 99.823 -, juris Rn. 33 ff.). Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob der bislang ausgeübte Beruf ebenfalls nach unter aa) genannten Kriterien "angemessen" ist, denn in Abhängigkeit von den Kenntnissen und Fähigkeiten des behinderten Menschen und nach den objektiven Gegebenheiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt können durchaus mehrere und verschiedene Tätigkeiten als "angemessener Beruf" im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII in Betracht kommen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der betreffende behinderte Mensch den höchsten, nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII vorgesehenen Bildungsabschluss, nämlich der Hochschulabschluss, noch nicht gefördert durch Eingliederungshilfe erlangt hat (zu diesem Gesichtspunkt LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 21.02.2011 - L 2 SO 379/11 ER-B -, juris Rn. 8). Einschränkungen können sich allenfalls aus dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit ergeben (dazu unten d) bb)).

Aus § 13 Abs. 2 Nr. 3 EinglHV folgt unabhängig davon, ob sich aus dieser untergesetzlichen Vorschrift überhaupt Folgerungen für den Begriff eines "angemessenen Berufs" im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ziehen lassen, nicht dass bei Sicherung des Lebensunterhalts durch einen bereits ausgeübten Beruf keine weitere Förderung mehr in Betracht kommt. Vielmehr verlangt § 13 Abs. 2 Nr. 3 EinglHV - positiv -, dass der beabsichtigte Beruf voraussichtlich eine ausreichende Lebensgrundlage bietet, und schließt nicht - negativ - die Förderung bei bereits bestehender ausreichender Lebensgrundlage aus.

Soweit im zivilrechtlichen Unterhaltsrecht oder im Recht der Ausbildungsförderung nach dem BAföG Einschränkungen für die Unterstützung oder die Förderung von Zweitausbildungen bzw. die Förderung älterer Auszubildender vorgesehen sind, können diese Wertungen auf die Leistungen der Eingliederungshilfe und die Auslegung des Begriffs "angemessener Beruf" nicht übertragen werden. Während es bei der Leistung von Unterhalt oder von Ausbildungsförderung vornehmlich bzw. ausschließlich um die Sicherung des Lebensunterhalts oder des ausbildungsspezifischen Bedarfs geht, dienen die Leistungen der Eingliederungshilfe allein dem Ausgleich behinderungspezifischer Nachteile und verfolgen damit eine andere Zielrichtung. Dass ein Studierender nach Vollendung des 30. Lebensjahres nach § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG grundsätzlich keine Studienförderung erhalten kann, bedeutet lediglich, dass er, wenn er sich dennoch für das Studium entscheidet, selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen muss. Wenn eine behinderte Studentin, wie die Klägerin, dementsprechend ebenfalls selbst für ihren Lebensunterhalt sorgt, kann ihr im Hinblick auf die Leistungen der Eingliederungshilfe nicht entgegen gehalten werden, sie sei für das Studium zu alt.

Historische oder entstehungsgeschichtliche Erwägungen führen nicht weiter. Zwar fand sich in § 40 Abs. 1 Nr. 5 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in der bis zum 30.06.2001 geltenden Fassung eine Vorschrift, die speziell auf Ausbildungen nach bereits abgeschlossener Berufsausbildung zugeschnitten war. Danach umfasste die Eingliederungshilfe auch Hilfe zur Fortbildung im früheren oder einem diesem verwandten Beruf oder zur Umschulung für einen angemessenen Beruf oder eine sonstige angemessene Tätigkeit; Hilfe konnte auch zum Aufstieg im Berufsleben gewährt werden, wenn die Besonderheit des Einzelfalles dies rechtfertigte. Diese Vorschrift ist jedoch zum 01.07.2001 ersatzlos gestrichen worden. Über die Motive des Gesetzgebers geben die Gesetzgebungsmaterialien keine Auskunft. In der Begründung des entsprechenden Gesetzentwurfs (BT-Drucks 14/5074, S. 124) heißt es lediglich, die Neuregelung gehe nicht hinter das alte Recht zurück. Daraus kann geschlossen werden, dass eine Verschlechterung der Leistungen nicht beabsichtigt war, also die Streichung des § 40 Abs. 1 Nr. 5 BSHG a.F. Leistungen der Eingliederungshilfe bereits ausgeübtem Beruf nicht ausschließen oder einschränken sollte. Die Schlussfolgerung, dass im Rahmen des verbliebenen § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG, dem § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII entspricht, eine weitergehende (Aufstiegs-)Ausbildung nur in Ausnahmefällen durch Leistungen der Eingliederungshilfe gefördert werden sollte, kann jedoch nicht gezogen werden.

Auch aus der bereits unter dem BSHG entwickelten Verwaltungspraxis ergibt sich nichts für die Auslegung des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII. Die überkommene Verwaltungspraxis kann nur insoweit maßgeblich für die Auslegung einer Vorschrift sein, als sie in irgendeiner Weise Eingang in den Normtext gefunden hat, z.B. weil der Gesetzgeber eine bestimmte Verwaltungspraxis "legalisieren" will. Hierfür ist nichts ersichtlich.

Im Hinblick auf das Ziel der Eingliederungshilfe können sich Einschränkungen bei bereits ausgeübtem Beruf nur insoweit ergeben, als ein nichtbehinderter Menschen mit entsprechenden Kenntnissen und Fertigkeiten die Ausbildung für den vom behinderten Menschen erstrebten weiteren oder anderen Beruf nicht angegangen wäre. Hier wird regelmäßig eine Rolle spielen, ob der erstrebte weitere Berufsabschluss in sachlichem Zusammenhang mit der bisherigen Berufsausübung steht und realistische Chancen für eine berufliche Verbesserung bei erfolgreichem Abschluss des weiteren Ausbildungsgangs bestehen. Hierbei wird auch das Lebensalter des behinderten Menschen zu berücksichtigen sein, denn ab einem bestimmten Lebensalter können berufliche Verbesserungen unrealistisch erscheinen. Maßgeblich sind aber stets die individuellen Umstände des Einzelfalls.

cc) Nach diesen Grundsätzen ist das von der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum absolvierte Studium der Druck- und Medientechnologie an der Universität X mit dem angestrebten Abschluss Bachelor als Ausbildung für einen "angemessenen Beruf" im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII, § 13 EinglHV zu werten.

(1) Die Klägerin bot nach ihren Kenntnissen und Fähigkeiten, gleichgültig ob man auf den Zeitpunkt des Erlasses des Ablehnungsbescheids vom 04.11.2009, den Erlass des Widerspruchsbescheids vom 10.02.2010 oder den Zeitraum vom 20.05.2010 bis zum 22.07.2010 abstellt, bei prognostischer Betrachtung die Gewähr dafür, dass sie das begonnene Studium voraussichtlich würde erfolgreich abschließen können. Sie verfügte nicht nur über die Allgemeine Hochschulreife als Zugangsberechtigung, sondern auch über einschlägige praktische Berufserfahrung, die ihr voraussichtlich in dem Studium von Nutzen sein würde. Der spätere Verlauf des Studiums gibt keinen Anlass, diese Prognose in Frage zu stellen. Die Klägerin hat zwar einige Prüfungen nicht bestanden. Sie kann diese aber noch wiederholen. Dies wäre nach § 14 Abs. 6 Satz 1 der Prüfungsordnung für den Bachelor Studiengang Druck und Medientechnologie an der Bergischen Universität X vom 26.01.2005 erst dann nicht mehr möglich, wenn ihr Maluskonto den Wert von 70 Maluspunkten überstiege. Die Klägerin hat aber wegen der nicht bestandenen Prüfungen bislang nur 22 Maluspunkte erhalten. Dass die Klägerin die Regelstudienzeit von 6 Semestern (§ 3 Abs. 1 der Prüfungsordnung) überschritten hat, führt zu keiner anderen Bewertung. Es ist davon auszugehen, dass die Überschreitung der Regelstudienzeit auf der Behinderung der Klägerin beruht und nicht auf mangelnde Fähigkeiten zurückzuführen ist (vgl. insoweit auch das bei dem Beklagten eingereichte Attest ihres Hausarztes Dr. F, Bl. 28 der Verwaltungsakte). Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden auch nicht durch die bislang nur durchschnittlichen Noten den Klägerin in Frage gestellt. Bei den Leistungen nach den § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII handelt es sich nicht um Elitenförderung. Sie zielen vielmehr auf eine Gleichstellung von behinderten Studierenden mit durchschnittlichen nichtbehinderten Studierenden ab.

(2) Für die Aufnahme des Studiums lassen sich auch vernünftige Erwägungen anführen, die auch ein nichtbehinderter Mensch angestellt hätte.

Das Studium Druck und Medientechnologie steht in sachlichem Zusammenhang mit dem bisherigen Berufsweg der Klägerin. Aus der vom Senat eingeholten Auskunft der Bergischen Universität X geht zudem hervor, dass ein großer Teil der Studierenden dieser Fachrichtung bereits, wie die Klägerin, über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt. Dieser Schluss kann nach Auffassung des Senats durchaus aus der Anzahl derjenigen Studierenden gezogen werden, die nicht über die Allgemeine Hochschulreife als Zugangsberechtigung verfügen, sondern deren Vorbildung im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1 der Prüfungsordnung als gleichwertig anerkannt ist. Die berufliche Vorbildung der Klägerin stellt damit keine Besonderheit gegenüber ihren nichtbehinderten Kommilitonen dar.

Der von der Klägerin angestrebte höhere Bildungsabschluss als Bachelor Druck und Medientechnologie bietet ihr auch eine realistische Aussicht auf eine Verbesserung ihrer beruflichen Situation. Dies ergibt sich aus der vom Senat eingeholten Auskunft der Bundesagentur für Arbeit. Danach haben die Absolventen des Studiengangs Druck und Medientechnologie schon deshalb bessere Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt, weil es zu Verdrängungsprozessen dergestalt kommt, dass Stellen für Mediengestalter durch Hochschulabsolventen besetzt werden. Zudem sind nach der Auskunft der Bundesagentur für Arbeit die Verdienstmöglichkeiten erfolgreicher Absolventen des Studiengangs Druck und Medientechnologie deutlich besser. Dieser Gesichtspunkt ist gerade im Falle der Klägerin einschlägig, denn ihr Verdienst, den sie bei ihrem jetzigen Arbeitgeber vor dem Studium in einer Vollzeittätigkeit erhalten hat, lag erheblich unter dem Durchschnitt. Nach der vom Senat eingeholten Auskunft der Bundesagentur für Arbeit können Mediengestalter Bruttovergütungen zwischen 2.341,- Euro und 2.928,- Euro monatlich erhalten. Der Bruttoverdienst der Klägerin betrug vor ihrem Studium demgegenüber nur 1.850,- Euro.

Darüber hinaus hat die Klägerin aber auch bei erfolgreichem Studienabschluss durchaus realistische Chancen, bei ihrem bisherigen Arbeitgeber beruflich aufzusteigen. Auf Befragen des Senats hat dieser angegeben, der Klägerin könnte u.U. mehr Eigenverantwortung gegeben werden, was auch mit Gehaltssteigerungen verbunden wäre. Gründe, an der Richtigkeit dieser Aussage zu zweifeln, sind nicht ersichtlich.

Nicht zuletzt deshalb führt der Umstand, dass die Klägerin bei Beginn des Studiums bereits ihr 30. Lebensjahr vollendet hatte, nicht dazu, dass in ihrem Fall berufliche Verbesserungschancen unrealistisch erscheinen. Darüber hinaus strebt die Klägerin nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat Ende des Jahre 2014 den Abschluss ihres Studiums an. Dies vorausgesetzt, hätte sie bei Abschluss der geförderten Ausbildung ihr 35. Lebensjahr vollendet. In Anbetracht des Umstandes, dass das Studium Druck und Medientechnologie gerade auch von solchen Personen gewählt wird, die schon über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen, erscheint ein solches Alter bei Abschluss des Studiums nicht gänzlich ungewöhnlich. Zudem hätte die Klägerin bis zum Erreichen der Regelaltersrente noch gut 30 Jahre vor sich, die sie mit einer qualifizierteren Erwerbstätigkeit füllen könnte.

Vor diesem Hintergrund stellt der Studiengang Druck und Medientechnologie auch aus Sicht eines nichtbehinderten Menschen in der Lage der Klägerin eine vernünftige Option dar.

d) Die Klägerin erfüllt auch die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 EinglHV.

aa) Im Hinblick auf die berufliche Vorbildung der Klägerin ist es im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 1 EinglHV zu erwarten, dass die Klägerin das Studium erfolgreich abschließen wird und damit das Ziel der Ausbildung erreichen wird. Insoweit wird auf die Ausführungen zu c) cc) (1) Bezug genommen.

bb) Der beabsichtigte Ausbildungsweg ist auch erforderlich im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 2 EinglHV.

(1) Der Senat teilt insoweit allerdings nicht die Auffassung des SG, wonach sich "erforderlich" nicht auf die weitere Ausbildung und den erstrebten weiteren Berufsabschluss, sondern nur auf den Bildungsgang bezieht und mithin lediglich zu prüfen sein soll, ob der erstrebte Berufsabschluss auch über einen anderen Bildungsweg erreichen wäre. Eine solche Sichtweise erscheint dem Senat gerade auch im Vergleich zu den Voraussetzungen für die Leistungen zur angemessenen Schulbildung nach § 12 EinglHV zu eng. Auch der Wortlaut des § 13 Abs. 2 Nr. 2 EinglHV zwingt nicht zu einer entsprechenden Auslegung. Aus dem systematischen Zusammenhang mit § 13 Abs. 1 EinglHV ergibt sich vielmehr, dass Bezugspunkt der Erforderlichkeitsprüfung "ein" angemessener Beruf sein muss. Im Rahmen von § 13 Abs. 2 Nr. 2 EinglHV ist deshalb auch zu berücksichtigen, ob der behinderte Mensch bereits einen anderen "angemessenen Beruf" ausübt, und zu prüfen, ob der mit der beschrittenen Ausbildung erstrebte andere "angemessene Beruf" und die damit gewünschte berufliche Veränderung erforderlich sind.

Wie auch bei anderen Leistungen der Eingliederungshilfe muss für die Erforderlichkeit aber ein individueller, einzelfallbezogener Maßstab gelten, der die angemessenen Wünsche des behinderten Menschen und die Verhältnisse nichtbehinderter Menschen berücksichtigt (vgl. insoweit BSG, Urt. v. 29.09.2009 - B 8 SO 19/08 R -, juris Rn. 22; Urt. v. 02.02.2012 - B 8 SO 9/10 R -, juris Rn. 26). Insoweit bedarf es bezogen auf den Beginn der Ausbildung oder den Beginn der begehrten Hilfen einer Prognose (vgl. BSG, Urt. v. 23.08.2013 - B 8 SO 24/11 R -, juris Rn. 18). Entsprechend den vorstehenden Ausführungen zu c) aa) und bb) kann die Erforderlichkeit nicht unter Bezugnahme auf beliebige, vermeintlich objektive, gesellschaftspolitisch wertende oder finanzielle Erwägungen verneint und der behinderte Mensch auf einen irgendwie gearteten Mindeststandard oder die abstrakt gesehen bereits erfolgte berufliche Eingliederung verwiesen werden. Maßgebliches Beurteilungskriterium ist vielmehr, ob auch ein nichtbehinderter Mensch in der individuellen Lage des behinderten Menschen bei Anstellen vernünftiger Erwägungen eine berufliche Veränderung und zur Erreichung dieses Ziels einen anderen oder höheren Bildungsabschluss angestrebt hätte. Insoweit kommt es nach Maßgabe der Umstände des Einzelfall darauf an, ob ein nachvollziehbarer Anlass für berufliche Veränderungen besteht, ob die erstrebten beruflichen Veränderungen auch ohne weitere Ausbildung und einen höheren Bildungsabschluss gleichermaßen möglich sind und ob die erstrebten beruflichen Veränderungen in angemessenem Verhältnis zu den Belastungen und Risiken stehen, die auch für nichtbehinderte Menschen mit einer mehrjährigen Berufsausbildung und einer damit einhergehenden Unterbrechung der (Vollzeit-)Berufstätigkeit verbunden sind. Insoweit kann auch eine Rolle spielen, ob die bisherige berufliche Tätigkeit schon längere Zeit ausgeübt wurde und zwischen dem letzten Berufsabschluss und der Aufnahme der weiteren Ausbildung ein längerer Zeitraum liegt. Die Anforderungen an die Plausibilität für eine berufliche Veränderung können mit zunehmender Dauer der Ausübung der bisherigen beruflichen Tätigkeit wachsen. Allerdings kann sich u.U. gerade auch aus längerer beruflicher Tätigkeit eine Notwendigkeit nach beruflicher Veränderung ergeben. Zudem ist behinderungsbedingten Besonderheiten Rechnung zu tragen.

(2) Nach diesen Grundsätzen kann im vorliegenden Einzelfall bezogen auf den Beginn der streitgegenständlichen Hilfen im April 2010 und auch unter Berücksichtigung des weiteren Geschehensablaufs die Erforderlichkeit des beabsichtigten Ausbildungswegs nicht verneint werden. Zum einen ist und war der eingeschlagene Bildungsgang, das Studium Druck und Medientechnologie, für den erstrebten Berufsabschluss erforderlich. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG Bezug genommen (§ 153 SGG). Zum anderen ist und war auch die angestrebte berufliche Verbesserung durch einen höheren Bildungsabschluss selbst erforderlich.

Es lassen sich plausible Gründe dafür anführen, dass die Klägerin trotz ihrer seit 2003 ausgeübten Berufstätigkeit einen höheren Bildungsabschluss in Gestalt des Bachelors Druck und Medientechnologie anstrebt und hierfür ein Studium begonnen hat. Zum einen hat die Klägerin ihre Entscheidung ausführlich reflektiert. Sie hat im Berufungsverfahren nachvollziehbar dargelegt, dass sie sich nach der bisherigen Berufstätigkeit fachlich weiterentwickeln will und der breit gefächerte Studiengang ihr Beschäftigungsmöglichkeiten in verschiedenen Bereichen und Branchen ermöglichen würde. Zum anderen und vor allem besteht im Falle der Klägerin auch ein nachvollziehbarer wirtschaftlicher Anlass für eine berufliche Weiterentwicklung. Ihr jetziger Arbeitgeber zahlte ihr zuletzt für ein Vollzeittätigkeit monatlich 1.850,- brutto und damit ein Gehalt, das nach der vom Senat eingeholten Auskunft der Bundesagentur für Arbeit deutlich unter dem durchschnittlichen Gehalt für Arbeitnehmer mit vergleichbarer Ausbildung wie die Klägerin liegt. Zudem zahlt ihr Arbeitgeber ausweislich der auf Aufforderung des Senats eingereichten Kontoauszüge der Klägerin in sehr unregelmäßigen Abschnitten. Von daher würde jeder nichtbehinderte Mensch in Erwägung ziehen, sich beruflich zu verändern und sich insoweit gerade auch vor diesem Hintergrund besser zu qualifizieren.

Ohne den angestrebten Studienabschluss ist die angestrebte berufliche Veränderung nach der Überzeugung des Senats nicht möglich. Die Klägerin kann nicht darauf verwiesen werden, sich mit der vorhandenen Berufsausbildung bei anderen Arbeitgebern zu bewerben, um so eine besser bezahlte Arbeitsstelle zu erhalten. Nach der vom Senat eingeholten Auskunft der Bundesagentur für Arbeit waren im August 2012 1.114 ausgebildete Mediengestalter arbeitslos gemeldet bei lediglich 80 offen gemeldeten Stellen. Demgegenüber waren lediglich 17 Ingenieure/innen im Bereich Druck- und Medientechnik arbeitslos gemeldet. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Situation auf dem Arbeitsmarkt im April 2010 eine andere war. Die deshalb ohnehin eingeschränkten Aussichten der Klägerin, als lediglich ausgebildete Mediengestalterin eine neue Arbeitsstelle zu finden, waren nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit wegen der Behinderung der Klägerin noch schlechter zu beurteilen, weil die Eingliederungschancen schwerbehinderter Menschen grundsätzlich erschwert sind. Berücksichtigt man darüber hinaus den von der Bundesagentur geschildeten "Verdrängungseffekt", wonach erfolgreiche Absolventen des Studiengangs Druck und Medientechnologie den ausgebildeten Mediengestaltern generell vorgezogen werden, erscheint der von der Klägerin gewählte Weg, durch das Studium Druck und Medientechnologie eine höhere Qualifikation zu erwerben, der einzig erfolgversprechende Weg, um eine berufliche Verbesserung zu ermöglichen.

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen steht und stand die angestrebte berufliche Veränderung auch in angemessenem Verhältnis zu den Risiken und Belastungen des begonnenen Studiums. Auch wenn es keinesfalls gewiss ist, dass die Klägerin nach erfolgreichem Abschluss des Studiums eine besser bezahlte Arbeitsstelle findet und auch die Ausführungen ihres Arbeitgebers zu Aufstiegsmöglichkeiten der Klägerin in seinem Betrieb äußerst vage sind, begründet allein der erfolgreiche Abschluss des begonnenen Studiums eine realistische, bessere Chance der Klägerin auf eine berufliche Verbesserung. Gerade im Hinblick auf die aus den dargestellten Gründen schwierige Situation bei ihrem bisherigen Arbeitgeber hätte deshalb auch ein nichtbehinderter Mensch die Belastungen des Studiums auf sich genommen.

Dass zwischen dem Abschluss der Ausbildung zur Mediengestalterin und dem Beginn des Studiums ein Zeitraum von etwa sechs Jahren liegt, führt unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht zu einer anderen Bewertung. Zwar hat die Bergische Universität X auf Befragen des Senats die Einschätzung geäußert, dass sich die meisten der Studierenden mit abgeschlossener Berufsausbildung kurze Zeit nach Beendigung der Berufsausbildung für ein Studium entscheiden und nicht vorher erst längere Zeit berufstätig sind. Für diese Einschätzung lagen der Universität jedoch keine Zahlen vor, so dass es sich letztlich um eine bloße Vermutung handelt. Im Hinblick auf die erhebliche Behinderung der Klägerin erscheint es in jedem Fall nachvollziehbar und vernünftig, dass die Klägerin zunächst beruflich Fuß fassen wollte, bevor sie eine weitere Ausbildung begann. Wegen ihrer erheblichen Behinderungen muss der Klägerin ohnehin ein längerer Zeitraum zugestanden werden, um durch Berufsausübung ihre Fähigkeiten besser einschätzen und beurteilen zu können, ob sie eine weitergehende Qualifikation nach ihren Kenntnissen und Fertigkeiten erreichen, ein Studium bewältigen und sich realistischerweise beruflich verbessern kann.

cc) Der nach erfolgreichem Studienabschluss für die Klägerin mögliche Beruf bietet nach der vom Senat eingeholten Auskunft der Bundesagentur für Arbeit voraussichtlich auch eine ausreichende Lebensgrundlage im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 3 EinglHV. Auf die Ausführungen zu c) cc) (2) wird Bezug genommen.

e) Die Einschaltung von Gebärdendolmetschern und Mitschreibkräften als begehrte Leistung der Eingliederungshilfe war im streitgegenständlichen Zeitraum ebenfalls dem Grunde nach erforderlich.

aa) Dass die begehrten Hilfen im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ihrerseits erforderlich sein müssen, ergibt sich zwar ausdrücklich weder aus dieser Vorschrift noch aus § 13 EinglHV (vgl. demgegenüber § 12 EinglHV). Die Beschränkung der Leistungen der Eingliederungshilfe auf die erforderlichen Leistungen folgt aber auch ohne ausdrückliche Normierung aus dem Nachranggrundsatz gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII (vgl. insoweit das Urteil des Senats v. 30.08.2012 - L 9 SO 452/11 -, juris Rn. 37) und der allgemein für alle Teilhabeleistung geltenden Vorschrift des § 4 Abs. 1 SGB IX. Erforderlich ist eine Leistung dann, wenn unter Anlegung des auch insoweit geltenden individuellen Maßstabs keine verfügbaren Möglichkeiten der Selbsthilfe bestehen oder kostengünstigere Lösungen hätten gewählt werden können (vgl. insoweit BSG, Urt. v. 20.09.2012 - B 8 SO 15/11 R -, juris Rn. 14).

bb) Die von der Klägerin begehrten Hilfen sind in diesem Sinne erforderlich. Auf Selbsthilfe kann die Klägerin nicht zumutbar verwiesen werden. Die Klägerin hat nachvollziehbar geschildert und durch Vorlage von Fachliteratur glaubhaft gemacht, dass sie nicht in der Lage ist, einer Vorlesung nur durch Lippenablesen vollständig zu folgen und auch bei Tätigwerden von Gebärdendolmetschern nicht alles selbst mitschreiben kann. Der Senat hat keinen Anlass, an den Angaben der Klägerin zu zweifeln, zumal auch der Beklagte insoweit keine Einwände geltend macht. Die Klägerin kann auch nicht darauf verwiesen werden, sich den Lernstoff ausschließlich im Selbststudium durch Lektüre von Lehrbücher o.Ä. anzueignen. Ebenso wie nichtbehinderte Studierende muss sie die Möglichkeit haben, einer mündlichen und didaktisch aufbereiteten Erläuterung des Stoffes, wie sie in einer Vorlesung erfolgt bzw. erfolgen sollte, zu folgen, um so zu einem besseren Verständnis zu gelangen.

f) In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen stehen die begehrten Leistungen, auch was die Art und Weise der Leistungserbringung anbetrifft, nicht im Ermessen des Beklagten, so dass es auch auf etwaige Ermessensfehler des Beklagten nicht ankommt. Es handelt sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung. Zwar ist nach § 17 Abs. 2 SGB XII über Form und Maß der Sozialhilfe nach pflichtmäßigem Ermessen zu entscheiden, soweit das SGB XII das Ermessen nicht ausschließt. Soweit der Sozialhilfe Begehrende jedoch von seinem Wunsch und Wahlrecht (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) Gebrauch macht und eine Leistung begehrt, die in der Eingliederungshilfe-VO geregelt ist, kommt es nur auf die in der Eingliederungs-VO normierten Voraussetzungen an und ist für eine Ermessenentscheidung des Sozialhilfeträgers kein Raum. Bei den Vorschriften der Eingliederungshilfe-VO handelt es sich in der Sache um das in § 17 Abs. 2 SGB XII vorgesehene Ermessen konkretisierende Regelungen, die die Gewährung der in der Eingliederungshilfe-VO normierten Leistungen an ihrer Natur nach anspruchsbegrenzende Voraussetzungen ("angewiesen sein", "Geeignetheit", "Erforderlichkeit") knüpft. Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, ist nicht zuletzt im Hinblick auf das Wunsch- und Wahlrecht des Betroffenen kein Gesichtspunkt mehr denkbar, der im Wege einer Ermessensausübung die Ablehnung der begehrten Leistung rechtfertigen könnte. Dies muss auch dann gelten, wenn, wie hier, die Erforderlichkeit der begehrten Leistungen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal zu prüfen ist.

4. Den Anspruch der Höhe nach, d.h. was den Umfang der Inanspruchnahme von Gebärdendolmetschern und Mitschreibkräften im streitgegenständlichen Zeitraum und die dadurch verursachten Kosten anbetrifft, haben die Beteiligten in dem vor dem Senat geschlossenen Teilerledigungsvergleich unstreitig gestellt. Dementsprechend war der Beklagte ohne weitergehende Prüfung zur endgültigen Tragung aller im Zeitraum vom 20.05.2010 bis zum 22.07.2010 vorläufig übernommenen Kosten nach Maßgabe des Teilerledigungsvergleichs vom 27.03.2014 zu verurteilen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin nach dem Teilerledigungsvergleich nur zu einem geringen Teil unterliegt.

IV. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor. Die die Entscheidung des Senats tragenden rechtlichen Grundsätze lassen sich ohne weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG ableiten. Im Übrigen geht es im Wesentlichen um die Entscheidung eines Einzelfalls.

Referenznummer:

R/R6200


Informationsstand: 28.05.2014