Urteil
Kostenübernahme für Gebärdensprachdolmetscher, Schriftdolmetscher und die technische Ausstattung des Dolmetscherdienstes - angemessener Beruf - Studium der Erziehungswissenschaften - keine Verweisung auf eine abgeschlossene Berufsausbildung als Ergotherapeutin

Gericht:

SG Karlsruhe


Aktenzeichen:

S 1 SO 3101/14 ER


Urteil vom:

30.09.2014


Leitsätze:

Zum Anspruch auf Hilfe zur Ausbildung an einer Hochschule trotz zuvor abgeschlossener Berufsausbildung.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes Baden-Württemberg

Tenor:

1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin für das Wintersemester 2014/2015 und für das Sommersemester 2015 aus Mitteln der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen vorläufig Hilfe zur Ausbildung an einer Hochschule in Form der Übernahme der tatsächlich entstehenden Kosten für zwei Gebärdendolmetscher für 9,5 Vorlesungsstunden je Woche, für 2 Schriftdolmetscher für weitere 8 Vorlesungsstunden je Woche, für Mitschreibkräfte für jeweils 9,5 Wochenstunden und für die technische Ausstattung für den Schriftdolmetscherdienst zu gewähren.

2. Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt.

3. Der Antragsgegner erstattet der Antragstellerin zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.

4. Der Antragstellerin wird für die Durchführung des Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin H, Ha., als Prozessbevollmächtigte beigeordnet.

Gründe:


I.
Dem am 17.09.2014 beim erkennenden Gericht eingegangenen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist im Wesentlichen stattzugeben.

1. Rechtsgrundlage für das Begehren der Antragstellerin im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist § 86 b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Danach kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall von § 86 b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Ast vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind gemäß Satz 2 der genannten Bestimmung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antrag ist schon vor Klageerhebung zulässig (§ 86 b Abs. 3 SGG).

Vorliegend kommt, da es ersichtlich um die Regelung eines vorläufigen Zustandes geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt zunächst die Statthaftigkeit und Zulässigkeit des Antrags (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 86 b, Rd-Nr. 26 ff.), und des Weiteren auf der Begründetheitsebene die - summarische (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 86 b, Rd-Nrn. 16 c und 36; Binder in Hk-SGG, 4. Aufl. 2012, § 86 b Rd-Nr. 41) - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache im Sinne eines materiell-rechtlichen Anspruchs, ferner die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 123, Rd-Nr. 64, 73 ff. und 80 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage 2014, § 123, Rd-Nr. 23 ff.). Die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung), wobei mit Blick auf das verfassungsrechtliche Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) und die Ausgestaltung des Eilverfahrens die diesbezüglichen Anforderungen um so niedriger sind, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG, NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f und NVwZ 2005, 927 ff. sowie SuP 2009, 235). Deshalb ist in den Fällen, in denen es um existenziell bedeutsame Leistungen für den Antragsteller geht, den Gerichten eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage grundsätzlich verwehrt; vielmehr müssen die Gerichte unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend prüfen. Ist dem Gericht in einem solchen Fall eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. BVerfG, NVwZ 2005, 927, 928; vom 06.02.2007 - 1 BvR 3101/06 - (juris) und BVerfG, SuP 2009, 235 sowie Bay. LSG vom 06.03.2009 - L 17 U 167/08 ER -). Dies gilt indes nicht, wenn die Aufklärung des Sachverhalts an der fehlenden Mitwirkung des Antragstellers scheitert (vgl. Hess. LSG vom 08.08.2008 - L 7 AS 149/08 b ER -).

Um einen Anordnungsgrund im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes glaubhaft zu machen, hat der Antragsteller nachvollziehbar darzulegen, welche Nachteile zu erwarten sind, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen wird.

2. Orientiert daran liegen hier die Voraussetzungen für den Erlass der von der Antragstellerin begehrten einstweiligen Anordnung im Wesentlichen vor.

a) Materiell-rechtliche Rechtsgrundlage des Begehrens der Antragstellerin sind §§ 53, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgesetzbuchs - Sozialhilfe - (SGB XII) i.V.m. § 13 der Eingliederungshilfeverordnung (EinglHV). Danach hat die Antragstellerin dem Grunde nach einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für Dolmetscher und Mitschreibkräfte sowie die technische Ausstattung für den Schriftdolmetscherdienst während ihres Studiums an der Universität K-L im Studienfach "Erziehungswissenschaften" mit dem Teilstudiengang "Sonderpädagogik".

Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalls, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe ist es, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie soweit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (§ 53 Abs. 3 SGB XII).

Leistungen der Eingliederungshilfe sind nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII u.a. die Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf einschließlich des Besuchs einer Hochschule. Näheres regelt hierzu die nach § 60 SGB XII erlassene EinglHV. Nach deren § 13 Abs. 1 Nr. 5 umfasst die Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII u.a. die Hilfe zur Ausbildung an einer Hochschule oder einer Akademie. Diese Hilfe wird nach § 13 Abs. 2 EinglHV gewährt, wenn

1. zu erwarten ist, dass das Ziel der Ausbildung oder der Vorbereitungsmaßnahmen erreicht wird,

2. der beabsichtigte Ausbildungsweg erforderlich ist und

3. der Beruf oder die Tätigkeit voraussichtlich eine ausreichende Lebensgrundlage bieten oder, falls dies wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht möglich ist, zur Lebensgrundlage in angemessenem Umfang beitragen wird.

b) Diese Voraussetzungen liegen im Fall der Antragstellerin vor.

aa) Die Antragstellerin hat Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe als Pflichtleistung gem. § 53 Abs. 1 SGB XII, d.h. das "Ob" der Gewährung steht nicht im Ermessen des Antragsgegners. Denn die Antragstellerin, die an einer hochgradigen, an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit mit nur geringem Resthörvermögen leidet, ist gem. § 1 Nr. 5 EinglHV wesentlich behindert im Sinne von § 53 Abs. 1 SGB XII. Näherer Feststellungen zum Ausmaß der Einschränkungen der Teilhabefähigkeit bedarf es bei diesem Personenkreis nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht (vgl. BSG vom 19.05.2009 - B 8 SO 32/07 R - (Juris)).

bb) Bei den von der Antragstellerin begehrten Leistungen handelt es sich ihrer Art nach um Leistungen der Eingliederungshilfe, die nicht anderen Kapiteln des SGB XII zuzuordnen sind. Denn die Antragstellerin begehrt keine Leistungen, die ihren Lebensunterhalt und die Ausbildungskosten, die auch Nichtbehinderten entstünden, decken sollen. Vielmehr richtet sich ihr Begehren auf solche Aufwendungen und Kosten, die ausschließlich wegen ihrer Behinderung entstehen und bei Nichtbehinderten nicht anfallen würden. Solche Leistungen, die behinderungsbedingten Besonderheiten Rechnung tragen sollen, sind von den Leistungen der Eingliederungshilfe umfasst (vgl. bereits BVerwG vom 19.10.1995 - 5 C 28.95 - sowie LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.03.2014 - L 9 SO 497/11 - (jeweils Juris)).

cc) Das von der Antragstellerin ab dem Wintersemester 2014/2015 beabsichtigte Studium der Erziehungswissenschaften mit Teilstudiengang "Sonderpädagogik" stellt - entgegen der Ansicht des Antragsgegners - eine schulische Ausbildung für einen "angemessenen Beruf" im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII, § 13 Abs. 1 Nr. 5 EinglHV dar.

Welcher Beruf angemessen ist, konkretisiert das Gesetz nicht. Entscheidend sind die körperlichen und geistigen Fähigkeiten und die Leistungsfähigkeit des Behinderten im Einzelfall (vgl. Meusinger in Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Auflage 2009, § 54, Rand-Nr. 69; ferner Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 54, Rand-Nr. 34 in Bezug auf die Angemessenheit einer Schulbildung). Die Antragstellerin muss sich dabei - entgegen der Auffassung des Antragsgegners - nicht auf den erlernten und nachfolgend in der Zeit vom 01.10.2011 bis zum 31.07.2013 am "Klinikum E", Er., und seit dem 15.01.2014 erneut in der A-S-Klinik, Bad S., im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrages ausgeübten Beruf der Ergotherapeutin verweisen lassen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 13.08.2010 - L 20 SO 289/10 B ER - (Juris) und SG München vom 08.12 2009 - S 48 SO 124/09 - (nicht veröffentlicht)). Denn entscheidend ist, dass die Antragstellerin durch ihren bisherigen beruflichen Werdegang mit dem Erlangen der allgemeinen Hochschulreife bereits im Juli 2008 gezeigt hat, dass sie die Fähigkeiten und das Durchhaltevermögen besitzt, einen höher qualifizierten Beruf als den der Ergotherapeutin zu erlernen und erfolgreich auszuüben. Der Beruf der Ergotherapeutin wird ihren Kräften und Fähigkeiten, so wie sie sie bislang unter Beweis gestellt hat, nicht (mehr) gerecht und stellt deshalb keine geeignete (angemessene) Alternative (mehr) für sie dar. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass gerade im Fall eines behinderten Menschen eine möglichst hohe Qualifikation regelmäßig die beste Gewähr dafür bietet, dass der behinderte Mensch auf Dauer seinen Lebensunterhalt selbst sicherstellen kann. Es wäre deshalb nicht nur dem bzw. der Betroffenen gegenüber unangemessen, sondern auch im Interesse der Allgemeinheit kurzsichtig, in einem solchen Fall Hilfen zum Erwerb einer höheren Qualifikation (hier: Durchführung eines Hochschulstudiums) zu verweigern, wenn - wie vorliegend - prognostisch mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem erfolgreichen Abschluss und dem anschließenden beruflichen Einsatz gerechnet werden kann.

Eine Ausbildung für einen "angemessenen Beruf" im Sinne der Vorschriften der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe liegt deshalb vor, wenn auch ein nicht behinderter Mensch in der Rolle des behinderten Leistungsberechtigten im konkreten Einzelfall bei Anstellen vernünftiger Erwägungen den gewährten Ausbildungsweg eingeschlagen hätte. Denn weder im SGB XII noch im SGB IX noch in der EinglHV wird definiert, was unter einem "angemessenen" Beruf zu verstehen ist. Dem Begriff "Angemessenheit" wohnt im juristischen Sprachgebrauch stets ein Abwägungsvorgang inne. So wird der Begriff "Angemessenheit" häufig als Synonym für die im Rahmen der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmende Prüfung der sogenannten "Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne" verwendet. Im Rahmen dieser Prüfung ist stets eine Abwägung der betroffenen gegenläufigen Rechtsgüter erforderlich. Dies legt es nahe, dass nicht jeder von den behinderten Menschen angestrebte Beruf gerade deshalb angemessen ist, weil sich der behinderte Mensch für ihn entschieden hat, sondern auch objektive Kriterien im Rahmen eines Abwägungsvorgangs berücksichtigt werden müssen. Dafür spricht auch § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, demzufolge die grundsätzlich für die Leistungsgewährung maßgebenden Wünsche des Leistungsberechtigten nur beachtlich sind, soweit sie angemessen sind (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.03.2014 - L 9 SO 497/11 - (Juris)). Deshalb hat sich die erforderliche Abwägung an den Zielen der Eingliederungshilfe, namentlich der Eingliederung des behinderten Menschen in die Gesellschaft (§ 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII), zu orientieren. Mit Eingliederung ist dabei nicht ein Mindestmaß an Teilhabe gemeint, das auch kaum ohne externe, nicht normtextbezogene Wertungen bestimmt werden könnte (vgl. hierzu BSG vom 02.02.2012 - B 8 SO 9/10 R - (Juris)). Im Hinblick auf das in Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) enthaltene Förderungsgebot muss es vielmehr auf die Verhältnisse nicht behinderter Menschen ankommen (vgl. hierzu auch BSG vom 23.08.2013 - B 8 SO 24/11 R -). Das in Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 GG enthaltene Förderungsgebot verpflichtet insbesondere den Gesetzgeber dazu, im Rahmen des Möglichen, d.h. im Rahmen seines grundsätzlichen weiten Gestaltungsspielraums, durch geeignete Maßnahmen die Lebensverhältnisse von Behinderten und nicht Behinderten anzugleichen. Auch wenn sich aus diesem Förderungsgebot regelmäßig keine konkreten verfassungsrechtlichen Ansprüche des behinderten Menschen ableiten lassen, kann der Verfassungsauftrag als abstrakte Zielbestimmung, nicht als Gebot einer bestimmten Leistung, für die Auslegung solcher einfach-rechtlichen Bestimmungen herangezogen werden, die gerade der Umsetzung des Förderungsgebotes dienen. Hierzu gehören die Vorschriften über die Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel SGB XII und gerade auch § 53 Abs. 3 Satz 1 SGB XII mit seiner Bestimmung der Ziele der Eingliederungshilfe. Die maßgebliche Berücksichtigung der Ziele der Eingliederungshilfe und die Heranziehung der Verhältnisse nicht behinderter Menschen als Maßstab für die Bestimmung eines "angemessenen Berufs" im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII und § 13 Abs. 1 Nr. 5 EinglHV stellt auch sicher, dass den Wünschen des behinderten Menschen nicht entgegen § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB XII schrankenlos zu entsprechen ist. Vielmehr muss die gewährte Ausbildung geeignet sein, die Eingliederung des behinderten Menschen im Sinne einer gleichberechtigten Teilhabe nachhaltig zu erreichen. Insoweit kommt es darauf an, ob auch ein nicht behinderter Mensch in der Rolle des behinderten Menschen bei Anstellen vernünftiger Erwägungen den betreffenden Ausbildungsweg eingeschlagen hätte. Das schließt zum einen die Förderung solcher Ausbildungen aus, für die der behinderte Mensch nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten ungeeignet ist und die er deshalb bei prognostischer Betrachtung voraussichtlich nicht erfolgreich beenden wird (vgl. hierzu auch § 13 Abs. 2 Nr. 1 EinglHV). Zum anderen sind auch solche Ausbildungen nicht förderungsfähig, die nicht geeignet sind, die Lebensverhältnisse des behinderten Menschen zu verbessern, z.B. weil sie keine hinreichende Gewähr dafür bieten, dass nach abgeschlossener Ausbildung eine Arbeitsstelle gefunden werden kann (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 EinglHV). Denn bei Anstellen vernünftiger Erwägungen würde auch ein nicht behinderter Mensch einen solchen Ausbildungsweg nicht einschlagen. Maßgeblich sind stets die individuellen Verhältnisse im Einzelfall (vgl. nochmals LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., m.w.N.).

Orientiert an diesen Grundsätzen findet sich für die Annahme des Antragsgegners, die von der Antragstellerin erfolgreich abgeschlossene Berufsausbildung zur Ergotherapeutin und deren tatsächliche Berufsausübung stelle bereits einen "angemessenen Beruf" im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII dar, keine normative Grundlage (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, vom 27.03.2014 - L 9 SO 497/11 - m.w.N. (Juris)). Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob der bislang ausgeübte Beruf ebenfalls "angemessen" ist, um den Lebensunterhalt des behinderten Menschen ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen sicherzustellen. Denn in Abhängigkeit von seinen Kenntnissen und Fähigkeiten und den objektiven Gegebenheiten auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt können mehrere und verschiedene Tätigkeiten als "angemessener Beruf" im Sinne des Rechts der Eingliederungshilfe in Betracht kommen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der betroffene behinderte Mensch noch nicht über den höchsten, nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB XII vorgesehenen Bildungsabschluss, nämlich einen Hochschulabschluss, verfügt (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg vom 21.02.2011 - L 2 SO 379/11 ER-B - (Juris)).

Auch aus § 13 Abs. 2 Nr. 3 EinglHV ergibt sich nicht, dass bei Sicherung des Lebensunterhalts durch einen bereits ausgeübten Beruf keine weitere Förderung durch Leistungen der Eingliederungshilfe des zuständigen Sozialhilfeträgers mehr in Betracht kommt; vielmehr verlangt diese Bestimmung - positiv -, dass der beabsichtigte Beruf voraussichtlich eine ausreichende Lebensgrundlage bietet, und schließt - negativ - die Förderung bei bereits bestehender ausreichender Lebensgrundlage aus.

Damit ist das von der Antragstellerin beabsichtigte Studium der Erziehungswissenschaften mit Teilstudiengang "Sonderpädagogik" als Ausbildung für einen "angemessenen Beruf" im Sinne des Rechts der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe zu werten.

dd) Die Antragstellerin bietet nach ihren derzeitigen aus der Verwaltungsakte des Antragsgegners zum Ausdruck kommenden Kenntnissen und Fähigkeiten bei prognostischer Betrachtung die Gewähr dafür, dass sie das beabsichtigte Studium aller Voraussicht nach erfolgreich abschließen kann. Sie verfügt nicht nur über die Allgemeine Hochschulreife als Zugangsberechtigung, sondern auch über einschlägige praktischer Berufserfahrung als Ergotherapeutin, die ihr ihrem eigenen, vom Antragsgegner nicht bestrittenen Vorbringen zufolge voraussichtlich in dem Studium von Nutzen sein werden.

ee) Für die Aufnahme des Studiums lassen sich auch vernünftige Erwägungen der Antragstellerin anführen, die auch ein nicht behinderter Mensch angestellt hätte. Denn das beabsichtigte Studium steht nach dem unbestrittenen Vorbringen der Antragstellerin in sachlichem Zusammenhang mit ihrem bisherigen Berufsweg. Der von ihr angestrebte höhere Bildungsabschluss bietet ihr auch eine realistische Aussicht auf eine Verbesserung ihrer beruflichen Situation. Denn nach der aktenkundigen Stellungnahme des Integrationsfachdienstes K. vom 22.04.2014 sind die Arbeitsplatzchancen nach Abschluss des Studiums als gut zu beurteilen, nachdem jedenfalls derzeit ein großer Bedarf an sozialpädagogisch ausgebildeten Fachkräften besteht. Überdies entspricht es auch den Erkenntnissen der Kammer, dass ein Hochschulabschluss dem Betroffenen und erst recht einem behinderten Menschen regelmäßig sowohl eine breitere berufliche Verwendungsmöglichkeit auf dem Arbeitsmarkt als auch deutlich höhere Verdienstchancen eröffnet als in Berufen ohne Hochschulausbildung.

ff) Schließlich steht auch das Alter der Antragstellerin - diese steht aktuell im 27. Lebensjahr - der Annahme realistischer beruflicher Verbesserungschancen nach Abschluss des Hochschulstudiums nicht entgegen. Unter Berücksichtigung einer Regelstudienzeit von sechs Semestern, um den Studienabschluss "Bachelor of Arts" zu erreichen, wäre die Antragstellerin bei Abschluss des beabsichtigten Studiums 30 Jahre alt; sie hätte daher bis zum Erreichen der Regelaltersrente noch mehr als 30 Jahre vor sich, die sie mit einer qualifizierten Erwerbstätigkeit füllen und dadurch eine ausreichende Altersversorgung z.B. aus der gesetzlichen Rentenversicherung schaffen könnte.

Vor diesem Hintergrund stellt der von der Antragstellerin beabsichtigte Studiengang "Erziehungswissenschaften" auch aus Sicht eines nicht behinderten Menschen in der Lage der Antragstellerin eine vernünftige Option dar.

gg) Die Antragstellerin erfüllt auch die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 EinglHV. Denn im Hinblick auf ihre berufliche und schulische Vorbildung ist es im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 1 EinglHV zu erwarten, dass sie das Studium erfolgreich abschließen wird und damit das Ziel der Ausbildung erreichen wird. Der beabsichtigte Ausbildungsweg ist auch erforderlich im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 2 EinglHV. Denn ohne ein Hochschulstudium kann die Antragstellerin den vor ihr angestrebten Berufsabschluss nicht erreichen.

hh) Weiter bildet der beabsichtigte Studienabschluss für die Antragstellerin auch die Chance für eine voraussichtlich ausreichende Lebensgrundlage.

ii) Schließlich sind auch die Einschaltung von Gebärden- und Schriftdolmetschern sowie Mitschreibkräfte, außerdem die technische Ausstattung für den Schriftdolmetscherdienst erforderliche Leistungen im Sinne des Rechts der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe. Insoweit wird auf das glaubhafte Vorbringen der Antragstellerin in der Antragsschrift vom 17.09.2014 zum Grund und zum Umfang der beantragten konkreten Leistungen Bezug genommen.

Für nicht erforderlich erachtet das erkennende Gericht beim derzeitigen Sach- und Streitstand allerdings die Übernahme von Kosten für Tutoren zur Nachbereitung des Vorlesungsstoffes. Denn insoweit räumt die Antragstellerin selbst ein, dass sie diesen Bedarf derzeit noch nicht beziffern kann, weil sie das Studium noch nicht aufgenommen hat und außerdem zunächst abwarten muss, ob sie diesbezüglich überhaupt einem Bedarf an Unterstützung benötigt.

c) Ist damit ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, so liegt ein Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung unmittelbar auf der Hand. Denn die Antragstellerin verfügt seit dem 07.08.2014 über die Zulassung für den Bachelor-Studiengang "Erziehungswissenschaften" an der Universität K-L zum Wintersemester 2014/2015. Die Lehrveranstaltungen des Wintersemesters 2014/2015 beginnen ausweislich des Zulassungsbescheides der Universität am 27.10.2014. Es kann der Antragstellerin nicht zugemutet werden, zunächst ein unter Umständen mehrjähriges sozialgerichtliches Hauptsacheverfahren mit etwaigen Beweiserhebungen und unter Durchlaufen des gesamten sozialgerichtlichen Instanzenzuges abzuwarten (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 13.08.2010 - L 20 SO 289/10 B ER - (Juris)), das sich durchaus auch über eine Zeitspanne erstrecken könnte, die derjenigen der Regelstudienzeit im Fachbereich "Erziehungswissenschaften" entspricht. Überdies reduziert sich mit zunehmendem Alter erfahrungsgemäß die Chance auf eine dauerhafte Eingliederung im erlernten Beruf auf dem Arbeitsmarkt und führt jedes "verlorene Jahr" außerdem zu einer Minderung möglicher Rentenanwartschaften der Antragstellerin, und damit ihrer späteren Altersversorgung.

Aus eben diesen Gründen war dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes im tenorierten Umfang stattzugeben. Die Kammer hat die vorläufige Leistungspflicht des Antragsgegners auf die ersten beiden Semester des beabsichtigten Studiums der Antragstellerin begrenzt, um insbesondere dem Antragsteller im Verlauf des zweiten Studiensemesters die Möglichkeit einzuräumen, zu prüfen, ob weiterhin zu erwarten ist, dass die Antragstellerin das Ziel der angestrebten Ausbildung tatsächlich erreicht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 Abs. 1 und 4 SGG.

4. Dem Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwältin H, Ha., als Prozessbevollmächtigte war ebenfalls stattzugeben. Denn nach Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses in der A-S-Klinik, Bad S., zur Aufnahme ihres Studiums verfügt die Antragstellerin künftig über keine ausreichenden finanziellen Mittel mehr, um die Kosten der Prozessführung ganz oder teilweise - auch nicht Raten - zu begleichen. Sie ist damit bedürftig im Sinne von § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO). Die Rechtsverfolgung ist auch nicht mutwillig. Schließlich ist auch die Beiordnung einer Rechtsanwältin als Prozessbevollmächtigte erforderlich (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO), denn die Antragstellerin ist rechtlich ungewandt und dem entscheidungserheblichen Streitstoff ohne anwaltliche Unterstützung nicht ausreichend gewachsen.

Referenznummer:

R/R7278


Informationsstand: 16.05.2017