Urteil
Kein Erstattungsanspruch eines Trägers der Arbeitslosenversicherung gegenüber einem Sozialhilfeträger für Unterkunftskosten im Rahmen einer Maßnahme in einer Werkstatt für behinderte Menschen

Gericht:

SG Nürnberg 20. Kammer


Aktenzeichen:

S 20 SO 190/14


Urteil vom:

13.12.2017


Grundlage:

Leitsatz:

Bei § 137 SGB IX aF handelt es sich nicht um eine spezialgesetzliche Regelung zu den § 5 und § 6 SGB IX aF sowie § 33 Abs. 7 Nr. 1 SGB IX aF im Sinne einer speziellen Zuständigkeitsregelung; § 137 SGB IX aF setzt vielmehr eine Zuständigkeitsregelung nach anderen Normen, insbesondere nach den §§ 5 und 6 SGB IX aF voraus.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die notwendigen Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen einer allgemeinen Leistungsklage darüber, ob der Beklagte (Träger der Sozialhilfe) der Klägerin (Trägerin der Arbeitslosenversicherung) einen Betrag von EUR 19.298,51 zu erstatten hat für an Herrn C. ("MK") erbrachte Leistungen.

I.

Der 1994 geborene MK (wohnhaft in B.) leidet an einer Autismusstörung, hat einen Grad der Behinderung (GdB) 50, steht unter Betreuung seiner Eltern und absolvierte eine Maßnahme in der Einrichtung Backnanger Werkstätten der der Paulinenpflege W. und war dabei im Wohnheim der Einrichtung untergebracht. Es handelte sich hierbei um eine Werkstatt für behinderte Menschen ("WfbM"). Für den Zeitraum vom 07.01.2013 bis 06.04.2013 handelte es sich um eine Maßnahme im Eingangsverfahren in der WfbM, für den Zeitraum vom 07.04.2013 bis 06.04.2015 um eine geplante Maßnahme im Berufsbildungsbereich der WfbM.

Dies fußte auf einer im Rahmen der Berufsberatung veranlassten gutachterlichen Äußerung vom 27.07.2012 des ärztlichen Dienstes der Klägerin, die Trägerin nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ist, wonach für MK eine Förderung und Betreuung in einer WfbM empfohlen worden sei. Die Familie habe sich nach Unterbreitung des Gutachtens am 31.07.2012 nur die Aufnahme in der oben genannten Einrichtung vorstellen können. Wegen der Übernahme der Internatskosten habe sich die Familie an den Beklagten als Träger der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch wenden wollen.

Am 31.07.2012 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass für MK eine Eingliederung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht in Betracht komme, weil dieser geistig behindert sei. Es werde eine Maßnahme der WfbM Paulinenpflege W. vorgeschlagen, wobei Kostenträgerschaft für Eingangs- und Berufsbildungsbereich durch die Klägerin gegeben sei; Ziel der Maßnahme sei MKs Eingliederung in den Arbeitsbereich der WfbM.

MKs Antrag vom 10.08.2012 auf Kostenübernahme für die stationäre Unterbringung in der Einrichtung ging am 15.08.2012 beim Beklagten ein.

Am 28.08.2012 leitete der Beklagte den Antrag an die aus seiner Sicht zuständige Klägerin weiter. Der Beklagte sei nach § 111 SGB III i.V.m. § 33 Abs. 7 SGB IX nicht zuständig, sondern die Klägerin.

Bereits mit Schreiben vom 08.10.2012 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass aus ihrer Sicht die Weiterleitung zu Unrecht erfolgt sei. In vergleichbaren Fällen sei bisher die internatsmäßige Unterbringung im Rahmen der Eingliederungshilfe durch den Beklagten erfolgt. Der Hinweis auf § 111 SGB III iVm. § 33 Abs. 7 SGB IX gehe fehl: Sei eine Aufnahme in einer WfbM im regionalen Einzugsgebiet des Wohnortes des Behinderten nicht angezeigt und damit eine Unterbringungsnotwendigkeit gegeben, sei zu prüfen, ob die dafür notwendigen Kosten nach § 9 SGB XII zu tragen seien. Dies ergebe sich aus § 137 Abs. 1 SGB IX.

In einem Hilfeplangespräch vom 29.11.2012, an dem neben Vertretern der Klägerin und des Beklagten auch MK und dessen Eltern teilnahmen, wurde übereinstimmend der Berufsbildungsbereich als die aktuell richtige Maßnahme gesehen. Diese solle in der Paulinenpflege in W. stattfinden. Die Klägerin solle die entsprechenden Bewilligungen erteilen und Kostenerstattung beim Beklagten geltend machen.

In der Folge bewilligte die Klägerin MK sodann die Maßnahme in der Paulinenpflege W. einschließlich internatsmäßiger Unterbringung.

Mit weiterem Schreiben vom 14.05.2013 meldete die Klägerin beim Beklagten ihren Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX an und bat diesen um einen Verzicht auf die Einrede der Verjährung.

Letzteren erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 16.05.2013.

Mit Schreiben vom 09.04.2014 erfolgte eine Teilbezifferung des Erstattungsanspruchs durch die Klägerin für den Teilzeitraum vom 06.02.2013 bis 31.01.2014 in Höhe von 19.298,51 EUR.

Der Beklagte wies mit Schreiben vom 22.04.2014 den Erstattungsanspruch zurück und verwies im Ergebnis auf seine Unzuständigkeit. Die Maßnahme "Stationäres Wohnen und Tagesstruktur in der Paulinenpflege W." sei durch die Klägerin im Jahre 2012 beraten und empfohlen worden. Somit sei die Maßnahme als Gesamtmaßnahme zu sehen. In diesem Falle sei die Klägerin auch für die Wohnunterbringung zuständig.

Mit Schreiben vom 07.07.2014 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass die bewilligte Maßnahme zum 17.08.2014 beendet würde und MK in den Berufsbildungsbereich des Therapeutikums B-Stadt zum 18.08.2014 wechseln würde.


II.

Mit Schriftsatz vom 13.11.2014, eingegangen am 18.11.2014, hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt und Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben.

Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, dass sie zuständiger Kostenträger für das Eingangsverfahren und den Berufsbildungsbereich in der WfbM nach § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sei. Grundsätzlich würden zu den Kosten auch solche für Unterkunft und Verpflegung gehören, wenn für die Ausführung der Leistung wegen Art und Schwere der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolges der Teilhabe eine Unterbringung außerhalb des elterlichen Hauses notwendig sei (§ 33 Abs. 7 Nr. 1 SGB IX).

Nach § 137 SGB IX hätten die anerkannten WfbM unabhängig der Art und Schwere der Behinderung die behinderten Menschen in ihrem Einzugsgebiet aufzunehmen. Dies wäre im Falle des MK das Therapeutikum B-Stadt als WfbM gewesen. Da die Eltern jedoch die Aufnahme in einer WfbM gewünscht hätten, die auf Autismus spezialisiert sei, habe die Klägerin in einem Beratungsgespräch auf die Paulinenpflege W. hingewiesen. Die Klägerin habe in diesem Zusammenhang nicht die Übernahme der Kosten für das Internat zugesagt. Vielmehr sei MK an die Beklagte verwiesen worden, da diese für die Sozialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalles zuständig sei (§ 9 SGB XII). Die Beklagte habe daher zu Unrecht den Antrag vom 10.08.2012 wegen angeblicher Unzuständigkeit an die Klägerin weitergeleitet.

Die Klägerin habe dann die Leistungen als im Verhältnis zu MK infolge Weiterleitung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IX zuständig gewordene, zweitangegangene Trägerin die Leistungen für den an sich zuständigen Beklagten erbracht. Dieser habe daher die für die Unterbringung bewilligten Kosten der Klägerin zu erstatten gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX.

Im Übrigen handele es sich bei der Paulinenpflege in W. um eine spezielle Einrichtung für junge Menschen mit Autismus. Bei MK liege als Diagnose ein Asperger-Syndrom bei durchschnittlicher Intelligenz / Autismus und somit eine seelische Behinderung vor.

Aufgrund der spezialisierten Betreuung dort (bereits auch in der Berufsvorbereitung) sowie aufgrund der Inaussichtstellung einer Integrationsfirma / Ausbildung durch das BBW W. mit dem Ziel einer Arbeitsmarktintegration sei MKs Wunsch entsprochen worden, da die Paulinenpflege als spezialisierte Einrichtung einer besonderen Unterstützung für Autisten nicht nur in der WfbM, sondern auch im Wohnbereich biete. Das Therapeutikum in B-Stadt sei seitens der Eltern als nicht geeignet abgelehnt worden.

§ 137 Abs. 1 SGB IX eröffne die Aufnahme in eine Einrichtung außerhalb des Einzugsbereichs nach Maßgabe des § 9 SGB XII. Zuständig hierfür sei aber dann der Träger der Eingliederungshilfe, also der Beklagte.


Die Klägerin beantragt daher,

den Beklagten zu verurteilen, den Erstattungsanspruch in Höhe von 19.298,51 EUR zu erfüllen und eine entsprechende Zahlung an die Klägerin zu leisten.


Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

MK sei wesentlich behindert und habe grundsätzlich Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe.

MK habe das einjährige Berufsvorbereitungsjahr der Paulinenpflege in W. bis 31.07.2011 absolviert in Kostenträgerschaft des Jugendamtes des Beklagten.

Laut Bericht der Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 03.07.2007 liege bei MK ein Asperger-Syndrom bei einer durchschnittlichen Intelligenz vor. Es handele sich hierbei um eine seelische Behinderung.

Das Therapeutikum B-Stadt sei eine Einrichtung für den Personenkreis der seelisch behinderten Menschen. Sie liege im Stadtkreis B-Stadt und werde auch vom Landkreis B-Stadt belegt.

Im Hilfeplangespräch vom 29.11.2012 sei der durch den früheren Besuch der Paulinenpflege geprägte Wunsch von MKs Eltern deutlich geworden, auch die streitgegenständliche Maßnahme in der Paulinenpflege durchzuführen.

Eine tatsächliche Notwendigkeit zur Aufnahme in der Paulinenpflege W. habe jedoch nicht bestanden, weil der Beklagte über eine Einrichtung für seelisch behinderte Menschen verfüge.

Der Wunsch der Eltern beruhe darauf, dass die Paulinenpflege auf Autismus spezialisiert sei.

Allerdings halte die Einrichtung nach ihrem eigenen Internetauftritt keine spezielle Werkstatt für Autisten vor. Sie verfüge lediglich über einen Bereich Autismus.

Aufgrund einer geeigneten WfbM vor Ort habe der Wunsch einer Aufnahme in einer WfbM außerhalb des Landkreises nicht nachvollzogen bzw. berücksichtigt werden können.

Die Maßnahmebewilligung in einer WfbM außerhalb des Einzugsbereiches habe somit die stationäre Unterbringung des MK erforderlich gemacht.

Aufgrund dessen, dass die Klägerin die Aufnahme im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich in der Paulinenpflege W. bewilligt habe, obwohl eine geeignete Einrichtung vor Ort vorhanden gewesen sei, sei die Klägerin aufgrund ihrer eigenen internen Dienstanweisung zur Übernahme der Kosten für die stationäre Unterbringung des MK verpflichtet.

Dies gelte umso mehr, als ab dem 18.08.2014 die Maßnahme nunmehr im Therapeutikum B-Stadt erbracht werde und MK wieder bei seinen Eltern wohne und nicht mehr stationär untergebracht sei.

Sollte entgegen der Auffassung des Beklagten im übrigen § 9 SGB XII anzuwenden sein, so griffe hilfsweise der darin enthaltene Mehrkostenvorbehalt zugunsten des Beklagten ein.

Das Gericht hat die Akten der Beteiligten beigezogen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Akten der Beteiligten sowie die gesamte Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage vom 06.07.2017 ihr Einverständnis erklärt haben.

I.

Die allgemeine Leistungsklage ist statthaft und zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Nürnberg erhoben worden.

II.

Die Klage ist unbegründet, weil die Klägerin gegen den Beklagten keinen Erstattungsanspruch hat.

Einzig mögliche Anspruchsnorm ist § 14 Abs. 4 Satz 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), wonach ein infolge Weiterleitung nach § 14 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 SGB IX zweitangegangener Rehabilitationsträger nach den für ihn selbst geltenden Rechtsvorschriften Kostenerstattung von demjenigen Rehabilitationsträger verlangen kann, der eigentlich ursprünglich materiell-rechtlich zuständig gewesen wäre.

Voraussetzung wäre also, dass für die internatsmäßige Unterbringung des MK im Eingangs- und Berufsbildungsbereich der WfbM der Beklagte materiell-rechtlich zuständig gewesen wäre.

Dies ist in der vorliegenden Fallkonstellation aus Sicht der Kammer jedoch nicht der Fall.

Unstreitig und aus Sicht der Kammer völlig zutreffend ist die Klägerin nach den § 5 Nr. 2, § 42 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX zuständiger Rehabilitationsträger für die von ihr bewilligten Leistungen im Eingangs- und Berufsbildungsbereich der WfbM gem. § 40 SGB IX.

Hierzu gehört nach den §§ 112 ff Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und insbesondere nach § 127 SGB III in Verbindung mit § 33 Abs. 7 Nr. 1 SGB IX die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Verpflegung, wenn für die Ausführung einer Leistung eine Unterbringung außerhalb des eigenen oder elterlichen Haushalts wegen Art und Schwere der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolgs der Teilhabe notwendig ist.

Durch die erfolgte Maßnahmebewilligung in der Paulinenpflege W. hat die Klägerin auch eine Geeignetheit der Einrichtung bejaht. Dies gilt unabhängig davon, ob hierbei das Wunsch- und Wahlrecht des MK nach § 9 SGB IX Berücksichtigung gefunden hat oder nicht. Insbesondere nach dem eigenen Vortrag der Klägerin ist diese Einrichtung auch deswegen besonders für MK geeignet gewesen, weil diese anders als das Therapeutikum B-Stadt auf Autismus spezialisiert ist und Unterstützung nicht nur in der WfbM, sondern auch im Wohnbereich für den am Asperger-Syndrom leidenden MK bietet.

Dem schließt sich die Kammer an.

Nicht erforderlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Maßnahme im Eingangs- und Berufsbildungsbereich selbst notwendigerweise in W. hätte erbracht werden müssen. Es reicht aus, dass die Maßnahme an sich notwendig und die Einrichtung als geeignet von der Klägerin bewilligt worden ist. Dies ist vorliegend der Fall.

Ansonsten könnte die Klägerin, ohne möglicherweise bestehende Notwendigkeit hierzu, Maßnahmen in WfbMen außerhalb von deren Einzugsbereich bewilligen und die hierfür anfallenden Mehrkosten stets und gleichsam willkürlich auf den Sozialhilfeträger abwälzen, was erkennbar nicht dessen Aufgabe ist (vgl. dazu auch unten).

Erst in einem zweiten Schritt ist nach § 33 Abs. 7 Nr. 1 SGB IX zu prüfen, ob infolge der konkret bewilligten Rehabilitationsmaßnahme eine Unterbringung notwendig gewesen ist. Diese Unterbringungsnotwendigkeit des MK ist angesichts der Art und Schwere von dessen Behinderung für eine wohnortferne Maßnahme von keinem der Beteiligten an sich in Zweifel gezogen worden.

Auch dem schließt sich die Kammer an.

Das bedeutet aber, dass, bezogen auf die konkret bewilligte Maßnahme in der Paulinenpflege, eine Unterbringungsnotwendigkeit des MK eindeutig gegeben war.

Demzufolge hat die Klägerin selbst neben den eigentlichen Maßnahmekosten im Eingangs- und Berufsbildungsbereich der WfbM auch die zugehörigen Unterkunfts- und Verpflegungskosten selbst zu tragen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin wird das vorstehende Ergebnis aber nicht durch die Vorschrift des § 137 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz SGB IX abgeändert.

Es handelt sich hierbei nach Auffassung der Kammer eben nicht um eine spezialgesetzliche Regelung zu den § 5 und § 6 sowie § 33 Abs. 7 Nr. 1 SGB IX im Sinne einer speziellen Zuständigkeitsregelung: Vielmehr setzt § 137 SGB IX eine Zuständigkeitsregelung nach anderen Normen, insbesondere nach den §§ 5 und 6 SGB IX voraus.

Würde § 137 SGB IX eine eigene Trägerzuständigkeit festlegen, so müsste dies nicht nur im Bereich der Unterkunfts- und Verpflegungskosten im Sinne des § 33 Abs. 7 Nr. 1 SGB IX gelten, sondern konsequenterweise immer dann eine neue Zuständigkeit auch für die Gesamtmaßnahme an sich beim Träger der Sozialhilfe begründen, sobald eine WfbM-Maßnahme nicht im Einzugsgebiet der für den Rehabilitanden zuständigen WfbM durch einen anderen Rehabilitationsträger als den Sozialhilfeträger bewilligt würde.

Dies würde zum einen der Grundsystematik der §§ 5 und 6 SGB IX völlig widersprechen und zum anderen einer Aushöhlung der darin festgelegten Zuständigkeiten und Erweiterung der Zuständigkeit der Sozialhilfeträger in Bereiche führen, die erkennbar nicht Aufgabe der Sozialhilfe sind und nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung auch nicht sein sollen. Insbesondere könnten andere Rehabilitationsträger gleichsam durch willkürliche, "außerbereichliche" Maßnahmen eine Zuständigkeit der Sozialhilfeträger in Konstellationen erschaffen, in denen sie klassischerweise und unbestritten nicht zuständig sein sollen.

Für diese Sichtweise sprechen aus Sicht der Kammer darüber hinaus auch systematische Erwägungen, weil die Vorschrift des § 137 SGB IX sich nicht bei den allgemeinen Zuständigkeitsregelungen des Ersten Kapitels findet, sondern im Zwölften Kapitel, das die Einzelheiten der WfbM-Maßnahme regelt, so wie dies "vor die Klammer gezogen" für alle Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben im Fünften Kapitel auch die Vorschrift des § 33 Abs. 7 SGB IX bewerkstelligt. Systematisch sind also die Zuständigkeitsregelungen des Ersten Kapitels von den Ausgestaltungsnormen des beispielsweise Fünften und Zwölften Kapitels zu unterscheiden.

Wenngleich dies nicht von der Systematik ausgeschlossen erscheint, so stellt § 137 SGB IX aber auch keine Sondervorschrift zu § 33 Abs. 7 SGB IX dar im Sinne einer abweichenden Zuständigkeitszuweisung. Vielmehr bestimmt letztere, dass zur bewilligten Maßnahme auch die notwendigen Unterkunfts- und Verpflegungskosten dazugehören.

§ 137 SGB IX schränkt dies inhaltlich für außerbereichliche WfbM-Maßnahmen ein im Sinne eines Hinweises auf den nach dem jeweiligen Fachrecht des Trägers oder sich aus den allgemeinen Vorschriften ergebenden Mehrkostenvorbehalt, der im Rechts der Sozialhilfeträger in Form des in der Vorschrift genannten § 9 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) normiert ist.

§ 137 Abs. 1 Satz zweiter Halbsatz ist in erster Linie im Kontext zu sehen mit dem im ersten Halbsatz festgelegten Prinzip der Aufnahme des behinderten Menschen durch diejenige Einrichtung, in deren Einzugsgebiet der Rehabilitand wohnt. Der zweite Halbsatz lockert dieses Prinzip und lässt daneben auch die außerbereichliche Aufnahme zu und weist lediglich daraufhin, dass zum Beispiel der Mehrkostenvorbehalt nach § 9 SGB IX oder andere Regelungen hiervon unberührt bleiben, also der Rehabilitationsträger bei unverhältnismäßigen Mehrkosten dies nach § 9 Abs. 2 SGB XII verweigern darf (im Falle der Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers), oder beispielsweise auch nach § 9 SGB IX in Verbindung mit § 33 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) bei allgemeiner Unangemessenheit (alle Rehabilitationsträger).

Nach Wortlaut ("oder andere Regelungen") und Systematik setzt daher die Vorschrift, die lediglich den Rehabilitationsträgern die entweder nach ihrem Fachrecht oder nach allgemeinen Regeln bestehenden Möglichkeiten der Verweigerung unangemessener Kosten bei einer durch die Vorschrift an sich eröffneten außerbereichlichen Maßnahme offenhält, gerade eine bereits bestehende Trägerzuständigkeit voraus, an Stelle diese abzuändern (vgl. etwa Kommentierung von Hauck/Noftz SGB IX, § 137, RdNr. 10 bis 14, die dieses Normverständnis andeutet bzw. in ihrer Kommentierung voraussetzt).

Insbesondere wäre der Wortlaut ("oder andere Regelungen") völlig redundant, wenn nicht solche Regelungen auch für andere Träger gemeint sein sollen, gleichgeordnet neben denen für den Sozialhilfeträger. Nach Auffassung der Kammer handelt es sich hierbei um § 9 SGB IX und § 33 SGB I sowie um eine dynamische Öffnungsklausel für die gesetzgeberische Einführung ähnlicher Einschränkungen in den jeweiligen Fachgesetzen der jeweils zuständigen Rehabilitationsträger.

Ansonsten hätte der Gesetzgeber § 137 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz ganz anders fassen müssen (beispielsweise: "Für Maßnahmen außerhalb des Einzugsbereiches einer WfbM, in der der Rehabilitand wohnt, ist stets der Träger der Sozialhilfe zuständig." O.ä.).

Nach diesem, aus Sicht der Kammer aus den dargestellten Gründen zutreffenden Verständnis des § 137 Abs. 1 Satz 1 zweiter Halbsatz SGB IX begründet dieser daher keine von den §§ 5, 6 und 42 SGB IX abweichende Zuständigkeit, so dass die nach diesen Normen gegebene Zuständigkeit der Klägerin erhalten bleibt.

Da danach die Klägerin selbst auch für die geltend gemachten Unterkunfts- und Verpflegungskosten weiterhin zuständig ist, geht der gegen den Beklagten gerichtete Erstattungsanspruch ins Leere.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass nach Auffassung der Kammer der Klägerin hinsichtlich der Unterbringungskosten gegenüber MK eine Angemessenheitsprüfung nach § 9 SGB IX in Verbindung mit § 33 SGB I unbenommen gewesen wäre.

Die vorliegende Leistungsklage ist unbegründet und daher abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit den §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Referenznummer:

R/R7950


Informationsstand: 19.02.2019