Urteil
Mittagessen - Werkstatt für Behinderte - Regelsatz - Grundsicherung - Vorrang - Hilfe zum Lebensunterhalt - Zuständigkeit

Gericht:

VG Augsburg 3. Kammer


Aktenzeichen:

Au 3 K 04.1874


Urteil vom:

04.10.2005


Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung der Kosten des Mittagessens für die Klägerin in der Werkstatt für behinderte Menschen ab 1. Januar 2005.

Die Klägerin ist ein wesentlich behinderter Mensch und steht unter Betreuung. Mit Bescheid vom 3. März 1993 wurden die Kosten für die Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte bewilligt; die Hilfe umfasste auch die Kosten für das dort ausgegebene Mittagessen.

Mit Bescheid vom 13. Dezember 2004 bewilligte der Beklagte der Klägerin die Kosten für eine Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen ab dem 1. Januar 2005 weiter, lehnte jedoch die Übernahme der Kosten für das Mittagessen in der Werkstätte ab 1. Januar 2005 ab. Die Eingliederungshilfe erfasse mit Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch ab 1. Januar 2005 nicht mehr den in der Einrichtung erbrachten Lebensunterhalt. Dieser sei durch vorrangige Leistungen der Grundsicherung abzudecken.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin ab 1. Januar 2005 die Kosten für das Mittagessen in der Werkstätte für Behinderte zu bewilligen und den entgegenstehenden Bescheid vom 13. Dezember 2004 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

Die Klägerin beziehe keine Grundsicherungsleistungen. Es sei daher nicht richtig, wenn zur Deckung des Bedarfs für die Kosten des Mittagessens in der Einrichtung auf diese Leistungen verwiesen werde. Im Übrigen enthalte das Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch eine Regelung über den Kostenbeitrag für das Mittagessen in der Werkstatt. Die Grundsicherung decke auch nicht die tatsächlichen Kosten ab. Die tatsächlichen Kosten für das Mittagessen beliefen sich auf 2,60 bis 3.00 EUR pro Tag, was im Monat durchschnittlich 52,-- bis 60,-- EUR ausmache. Der Beklagte sei für alle Hilfen sachlich zuständig, die in Einrichtungen zur teilstationären Betreuung gewährt werden. Der in der Einrichtung gewährte Bedarf müsse daher vom Sozialhilfeträger bewilligt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch gehörten die Kosten für die Deckung des Lebensunterhaltes, der in einer Einrichtung abgedeckt wird, nicht mehr zur Hilfe in besonderen Lebenslagen. Nach der ausdrücklichen Regelung in diesem Gesetz sei die Grundsicherung gegenüber der Hilfe zum Lebensunterhalt vorrangig. Soweit keine Grundsicherungsleistungen bewilligt würden, müsste die Klägerin für die Essenskosten selbst aufkommen.

Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

JURIS-GmbH

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bewilligung der Kosten für das Mittagessen in der Werkstatt für Behinderte ab 1. Januar 2005 (§ 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).

1. Die Klage ist als Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zulässig. Das Schreiben des Beklagten vom 13. Dezember 2004, mit dem er mitteilte, dass er ab 1. Januar 2004 zwar weiterhin die Kosten für die Betreuung der Klägerin in der Werkstatt für Behinderte übernehme, aber nicht mehr die Kosten für das dort eingenommene Mittagessen, stellt einen Verwaltungsakt im Sinn von § 31 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) dar. Er ist als Bescheid bezeichnet. Darin ist die Regelung enthalten, dass der Beklagte ab 1. Januar 2005 die Kosten für das Mittagessen in der Werkstatt nicht mehr übernehmen werde. Das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung steht dem nicht entgegen.

Der frühere Bewilligungsbescheid vom 3. März 1993, mit dem der Klägerin die Hilfe zum Besuch der Werkstätte bewilligt wurde und der auch das Mittagessen umfasste, war kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Sozialhilfe wird nur in einer konkreten Situation zur Überwindung einer bestimmten Notlage bewilligt; nur wenn dem Bescheid zu entnehmen ist, dass der Sozialhilfeträger die Hilfe über einen längeren, fest umrissenen Zeitraum bewilligen will, kann eine Ausnahme von diesem Grundsatz angenommen werden. Das ist hier nicht der Fall. Vorliegend ist damit eine Verpflichtungsklage zu erheben, um das von der Klägerin erstrebte Klageziel der Übernahme der Kosten des Mittagessens über den 31. Dezember 2004 hinaus zu erreichen (BayVGH vom 19.10.2000, 12 CS 00.1030; VG Augsburg vom 30.11.2004, Au 3 K 04.1460).


2. Die Klage ist zulässig, ohne dass der Erlass eines Widerspruchsbescheids abgewartet werden muss.

a) Für das vorliegende Verfahren ist nach § 68 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO ein Widerspruchsverfahren erforderlich. Die Sonderregelung in Art. 15 Nr. 13 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO), wonach das Vorverfahren bei Entscheidungen der Bezirke nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) entfällt, kommt vorliegend nicht zur Anwendung. Zum einen ist diese Regelung mit Ablauf des 31. Dezember 2004 außer Kraft getreten und daher in dem für die Beurteilung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Klage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (Ehlers in Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, RdNr. 19 vor § 40) nicht mehr gültig. Zum anderen erfasste die Sonderregelung ausdrücklich nur Entscheidungen nach dem Bundessozialhilfegesetz; vorliegend hat der Beklagte aber ausdrücklich eine Entscheidung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) getroffen. Diese Ausnahmeregelung vom grundsätzlichen Erfordernis eines Vorverfahrens ist eng auszulegen. Die Norm galt ausdrücklich nur für Entscheidungen nach dem Bundessozialhilfegesetz und nicht für solche auf dem Gebiet der Sozialhilfe allgemein. Gegen eine extensive oder gar analoge Anwendung der Ausnahmeregelung für Entscheidungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches spricht auch, dass ab dem 1. Januar 2005 mit Zuweisung der Angelegenheiten der Sozialhilfe zum Sozialrechtsweg ein Widerspruchsverfahren nach § 78 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) grundsätzlich erforderlich ist. Das Gesetz zur Ausführung des Sozialgesetzbuchs ( AGSGB), das in der Fassung des 4. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzbuchs vom 27. Dezember 2004 (GVBl S. 541) in Folge der bundesgesetzlichen Zuweisung der Sozialhilfestreitigkeiten auf den Sozialrechtsweg landesrechtliche Ausführungsregelungen bestimmt, sieht - anders als Art. 15 Nr. 13 AGBSHG in seiner bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung - keine Regelung über den Wegfall des Vorverfahrens vor, obwohl dies nach § 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGG durch eine landesrechtliche Bestimmung möglich wäre.

b) Vorliegend ist aber der Abschluss des Vorverfahrens durch den Erlass des Widerspruchsbescheides nicht abzuwarten. Aus prozessökonomischen Gründen ist die Klage auch ohne (komplette) Durchführung des Widerspruchsverfahrens zulässig.

Die Klägerin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 4. Oktober 2005 schriftlich Widerspruch erhoben und diesen einem Vertreter der Widerspruchsbehörde übergeben. Darauf wurde ausdrücklich für die Widerspruchsbehörde erklärt, dass eine Verbescheidung des Widerspruchs nicht erfolgen werde. Damit ist dokumentiert, dass sich der Zweck des Widerspruchsverfahrens nicht mehr erreichen lässt, da die Widerspruchsbehörde erklärt hat, ein entsprechendes Nachprüfungsverfahren nicht vorzunehmen. Es wäre daher ein sinnentleertes Festhalten an Formvorschriften, wenn das Verfahren so lange ausgesetzt würde, bis die Drei-Monats-Frist erreicht wäre, deren grundsätzliches Abwarten in § 75 Satz 2 VwGO vor Erhebung der Untätigkeitsklage angeordnet ist (vgl. BVerwG vom 20.4.1994, NVwZ-RR 1995, 90; VGH BW vom 10.11.1993, NVwZ 1995, 280; Rennert in Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, RdNrn. 28 ff. zu § 68). Ein Absehen vom Erfordernis des Vorverfahrens ist vorliegend auch deshalb möglich, da im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung für die Zulässigkeit der Klage die bundesrechtlich vorgeschriebene Beteiligung sozial erfahrener Dritter vor Erlass des Widerspruchsbescheides nach § 116 Abs. 1 SGB XII durch die in § 116 Abs. 2 SGB XII ausdrücklich zugelassene landesrechtliche Regelung des Art. 22 AGSGB keine Anwendung findet (anders zur früheren Rechtslage: BVerwG vom 16.1.1986, NVwZ 1987, 412).


3. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt, um damit die ihr entstehenden Kosten für das Mittagessen in der Werkstatt für Behinderte abzudecken.

a) Zur Deckung des Bedarfs für das Mittagessen in der Werkstatt sind die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach § 19 Abs. 2 Satz 3 SGB XII vorrangig. Es ist ihr zuzumuten, einen eventuell bestehenden Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung gegen den hierfür zuständigen Sozialleistungsträger, den Landkreis Neu-Ulm, durchzusetzen. Es ist nicht ersichtlich, dass ein eventuell bestehender Anspruch auf diese Leistung, der gegenüber einem Sozialleistungsträger besteht, nicht alsbald realisiert werden könnte (Brühl in LPK- SGB XII, 1. Auflage 2005, RdNr. 15 zu § 2). Soweit die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung hat, ist es ihr zuzumuten, sich selbst mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln selbst zu helfen. Insoweit wird durch die Bestimmung des § 41 Abs. 2 SGB XII, dass die Leistungen nur dann gewährt werden, wenn der Bedarf nicht aus Einkommen und Vermögen des Anspruchsberechtigten beschafft werden können, das in § 2 Abs. 1 SGB XII formulierte Selbsthilfeprinzip - das ein Strukturprinzip der Sozialhilfe ist - ausgeformt. Daneben kommen grundsätzlich keine ergänzenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Betracht.

Für die Grundsicherung ist der örtliche Hilfeträger und nicht der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe zuständig. Das folgt aus der in § 97 Abs. 1 SGB XII festgelegten Grundregel, dass der örtliche Träger zuständig ist, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist. Die nach § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB XII vorgesehene Zuweisung der sachlichen Zuständigkeit an den überörtlichen Trägers nach Landesrecht ist insbesondere durch die Bestimmung des Art. 11 Abs. 1 Satz 2 AGSGB nicht erfolgt. Die dort festgelegte Zuständigkeit des überörtlichen Trägers für Grundsicherungsleistungen ist ausdrücklich nur auf den Fall beschränkt, dass zugleich andere Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch in einer stationären Einrichtung geleistet werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der örtliche Hilfeträger in allen anderen Fällen - wie bisher - für die Grundsicherung zuständig bleiben (Landtags-Drucksache 15/1947, S. 13). Die Werkstatt für Behinderte ist keine stationäre Einrichtung im Sinn von § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB XII, sondern nur eine teilstationäre Einrichtung.

b) Die Eingliederungshilfe für behinderte Menschen umfasst nach § 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 41 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) die Kosten der Betreuung in der Werkstatt, die Hilfe zum Lebensunterhalt den dort erbrachten notwendigen Lebensunterhalt (§ 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII).

Das Mittagessen in der Werkstatt für Behinderte ist Hilfe zum Lebensunterhalt. Nach der Bestätigung der Werkstatt für Behinderte vom 30. September 2005 umfassen die Kosten für das Essen keine Kosten für die Betreuung In § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist geregelt, dass der notwendige Lebensunterhalt in Einrichtungen - auch einer teilstationären Einrichtung - den darin erbrachten notwendigen Lebensunterhalt umfasst. Die Norm steht im Drittel Kapitel des Gesetzes, das mit "Hilfe zum Lebensunterhalt" überschrieben ist. Damit kommt ein wesentlicher Grundsatz, der mit der Einführung des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch verfolgt wurde, zum Tragen. Während das Bundessozialhilfegesetz in § 27 Abs. 3 BSHG die Hilfen, die in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung oder in einer Einrichtung zur teilstationären Betreuung gewährt wurden, der Hilfe in besonderen Lebenslagen zugeordnet hat, verfolgt das Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch die Zielsetzung, die Bestandteile der "Komplexleistung" aus dem stationären Bereich herauszulösen (vgl. Begründung des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch, BT-Drucksache 15/1540 S. 53 f., 60 f.). Damit wird das Ziel verfolgt, einerseits die Leistungen denjenigen, die ambulant erbracht werden, vergleichbar zu machen, andererseits auf diese Weise dem Gesichtspunkt Rechnung zu tragen, dass sich der Nachrang der Sozialhilfe und die Selbsthilfemöglichkeiten im Bereich der Deckung des Lebensunterhaltes deutlich von denen unterscheiden, die hinsichtlich der Bedarfe bestehen, die durch Leistungen der Hilfe in besonderen Lebenslagen gedeckt werden (Armborst in LPK-SGB XII, a.a.O., RdNr. 1 zu § 35).

c) Die Klägerin ist grundsätzlich für Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch anspruchsberechtigt. Sie gehört zu dem nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII leistungsberechtigten Personenkreis, da sie das 18. Lebensjahr vollendet hat und unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinn des § 43 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs Sechstes Buch ist und bei ihr unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann. Nach § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 des Sozialgesetzbuchs Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) sind voll erwerbsgemindert auch behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen nach § 1 Satz 1 Nr. 2 a SGB VI arbeiten und die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können. Das liegt nach dem Bericht des Arbeitsamtes vom 27. Februar 1991 sowie der Werkstatt vom 9. Februar 1993 bei der Klägerin unstrittig vor.

d) Die Leistungen der Grundsicherung umfassen nach § 42 Satz 1 Nr. 1 SGB XII unter anderem den für den Antragsberechtigten maßgebenden Regelsatz nach § 28 SGB XII. In § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist bestimmt, dass der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts außerhalb von Einrichtungen ausgenommen Leistungen für Unterkunft und Heizung sowie Sonderbedarfe nach Regelsätzen erbracht wird. In diesen Regelsätzen ist bereits ein Ansatz für die Kosten des Mittagessens enthalten.

e) Neben den Leistungen der Grundsicherung kommt eine ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt für das in der Werkstatt von der Klägerin eingenommene Mittagessen nicht in Betracht. Das folgt aus der Vorschrift des § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, die mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 9. Dezember 2004 ( BGBl. I S.3305) eingeführt wurde. Durch diese Bestimmung wird festgelegt, dass der notwendige Lebensunterhalt in Einrichtungen dem Umfang der Leistungen der Grundsicherung entspricht. Die Regelung wurde auf Vorschlag der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und der Länder (Konferenz der obersten Landessozialbehörden) eingefügt. Damit soll ein Maßstab zur Bemessung des Lebensunterhaltes in Einrichtungen klargestellt werden, um mögliche (Auslegungs-) Probleme der praktischen Umsetzung bei der Berechnung und Feststellung der einzelnen Leistungen auszuschließen (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drucksache 15/3673 S. 3). Damit decken die nach § 19 Abs. 2 Satz 3 SGB XII gegenüber der Hilfe zum Lebensunterhalt vorrangigen Leistungen der Grundsicherung den notwendigen Lebensunterhalt, soweit er nach § 35 Abs. 1 SGB XII in Einrichtungen erbracht wird, ab. Ein Bedarf an Hilfe zum Lebensunterhalt kann neben dem Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nicht mehr bestehen (vgl. auch Protokoll der Arbeitsgruppe der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe vom 6. September 2004, III.).

Reichen die nach Regelsätzen bemessenen Leistungen im Einzelfall nicht aus, um einen anfallenden Bedarf abzudecken, was mit dem Argument geltend gemacht wird, dass die Kosten für das Mittagessen über dem Anteil des Mittagessens im Regelsatz liegen, können weitere Leistungen nach § 42 Satz 2 SGB XII als Darlehen gewährt werden. Hierfür ist aber der für die Grundsicherung zuständige örtliche Träger der Sozialhilfe zuständig, nicht der Beklagte als überörtlicher Träger.

f) Selbst wenn der Auffassung gefolgt wird, dass die Vorschrift des § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB XII auf den Bereich der stationären Hilfegewährung zu beschränken ist, da sie für den teilstationären Bereich zu keinen verwertbaren Ergebnissen führen würde, folgt nichts anderes (vgl. Armborst in LPK-SGB XII a.a.O., RdNr. 4 zu § 35). Nach diesen Überlegungen ist eine Hilfe zum Lebensunterhalt neben den Leistungen der Grundsicherung denkbar. Hierfür wäre der Beklagte nach § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, Art. 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b AGSGB zuständig.

Es ist nach dieser Ansicht nicht sinnvoll, Bestandteile der Leistungen der Grundsicherung, die ohnehin nicht am Bedarfsdeckungsprinzip ausgerichtet ist, zur Definition des Umfangs des Lebensunterhalts heranzuziehen, etwa aus dem Regelsatz einen entsprechenden Anteil für die Kosten des Mittagessens herauszurechnen. Nach diesem Ansatz bleibt zwar ein Bedarf für die Hilfe zum Lebensunterhalt in teilstationären Einrichtungen neben dem Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung grundsätzlich möglich. Die Bedarfsermittlung ergibt jedoch im konkreten Fall, dass mit dem Regelsatz der Leistung der Grundsicherung der Bedarf abgedeckt werden kann und sich somit kein Bedarf für eine ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt ergibt.

Für das Mittagessen ist ein Anteil von 20 % des bis zum 1. Januar 2005 geltenden Regelsatzes nach dem Bundessozialhilfegesetz anzusetzen (NdsOVG vom 8.9.1987, FEVS 39, 108). Das ergibt einen Betrag von 46,-- EUR (230,-- EUR x 20 %). Das ist jedoch der Monatsansatz für 30 Tage. Setzt man durchschnittlich 20 Arbeitstage pro Monat an, ergibt sich ein Betrag von 46,-- EUR : 30 Tage x 20 Arbeitstage = 30,66 EUR. Dieser Betrag ist für das Mittagessen an den Arbeitstagen im Regelsatz enthalten. Das Essen in der Werkstatt für Behinderte wird von Klägerseite mit maximal 60,-- EUR pro Monat angesetzt. Es ist der Klägerin zuzumuten, die Differenz von etwa 30,-- EUR zwischen dem Ansatz des Mittagessens im Regelsatz und den hierfür in der Werkstätte entstehenden Kosten ist von der Klägerin aus dem Regelsatz zu decken. 35 % des früheren Regelsatzes nach dem Bundessozialhilfegesetz sind frei verfügbar für persönliche Bedürfnisse (vgl. Nr. 12.03 Abs. 1 Satz 2 der Sozialhilferichtlinien). Das beträgt 80,50 EUR. Zu keinem anderen Ergebnis kann die Betrachtung des ab 1. Januar 2005 geltenden Regelsatzes nach § 28 SGB XII in Verbindung mit der Verordnung zur Durchführung des § 28 des SGB XII ( Regelsatzverordnung) führen. Der Regelsatz für einen Haushaltsangehörigen ab Vollendung des 18. Lebensjahres beträgt nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 der Regelsatzverordnung 80 % des Eckregelsatzes. Der Regelsatz für die Klägerin beträgt damit 273,-- EUR, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass in diesem neuen, höheren Regelsatz auch einmalige Leistungen abgegolten sind, die vom früheren Regelsatz nach dem Bundessozialhilfegesetz nicht umfasst waren. Auch nach diesem Ansatz erscheint es zumutbar, den durch den Anteil im Regelsatz nach § 28 SGB XII für das Mittagessen nicht abgedeckten Teil des Essens in der Werkstatt für Behinderte zu bestreiten, da das nur eine untergeordneten Teil des frei verfügbaren Satzes darstellt. Wenn die Klägerin im Rahmen ihrer Lebensgestaltung das -nicht verpflichtende - Mittagessen in der Werkstatt einnimmt, ist es auf der anderen Seite gerechtfertigt, die damit verbundenen Mehrkosten von ca. 30 EUR pro Monat gegenüber dem entsprechenden Anteil im Regelsatz aus dem frei verfügbaren Teil der Regelsatzleistung zu bestreiten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Mehrkosten auch den häuslichen Zubereitungsaufwand abgelten, der bei der Einnahme des Mittagessens in der Werkstatt nicht anfällt.


4. Dagegen kann nicht eingewendet werden, dass das Zwölfte Buch des Sozialgesetzbuches in § 92 Abs. 2 Satz 4 SGB XII eine Vorschrift enthält, die die Aufbringung der Mittel nur für die Kosten des Lebensunterhalts u.a. bei den Hilfen in Werkstätten für behinderte Menschen unter engen Voraussetzungen vorsieht. Dabei wird verkannt, dass die Norm als Kostenbeitragsvorschrift einen Bedarf voraussetzt, dessen Deckung durch zur Verfügung stehendes Einkommen zusätzlich beschränkt werden soll. Da sich aber - wie oben dargelegt - kein Bedarf neben dem Regelsatz im Rahmen der Grundsicherung ergibt, der durch eine Hilfe zum Lebensunterhalt abgedeckt werden müsste, kommt die Bestimmung in solchen Fällen nicht zum Tragen.


5. Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Berufung ist nach §§ 124 a Abs. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da dem Rechtsstreit über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukommt und obergerichtliche Entscheidungen zu dem Problem der Kosten des Mittagessens in Werkstätten für behinderte Menschen unter Geltung des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches soweit ersichtlich noch nicht vorliegen.


Parallelentscheidung: Au 3 K 05.140

Referenznummer:

JURE060084453


Informationsstand: 04.10.2006