Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Beitragszuschlägen für kinderlose Werkstättenbeschäftigte.
Der Kläger ist Einrichtungsträger einer Werkstatt für behinderte Menschen im Sinne der §§ 136 ff
SGB IX. Die im Arbeitsbereich tätigen behinderten Menschen unterliegen der Pflegeversicherungspflicht. Dies folgt aus
§ 5 Abs. 1 Nr. 7 SGB V, § 20
Abs. 1 Satz 1 und
Abs. 1 Satz 2
Nr. 7
SGB XI. Als Einrichtungsträger ist der Kläger verpflichtet, die Beiträge zur Sozialversicherung abzuführen gemäß § 59
Abs. 1
SGB XI i. V. m. 251
Abs. 2
SGB V. Der zuständige Rehabilitationsträger - für den Arbeitsbereich handelte sich um die Beklagte - erstattet dem Einrichtungsträger die für behinderte Menschen abgeführten Beiträge, soweit das tatsächliche Arbeitsentgelt einen bestimmten Mindestbeitrag nicht übersteigt. Dementsprechend rechnete der Kläger mit der Beklagten die jeweils abgeführten Beiträge ab.
Seit 01.01.2005 erhöhte sich für behinderte Menschen, die in einer Werkstatt beschäftigt sind, der Beitrag in der sozialen Pflegeversicherung um einen so genannten Beitragszuschlag für Kinderlose, § 55
Abs. 3
S. 1
SGB XI. Dieser Zuschlag beläuft sich bei den behinderten Menschen auf monatlich 1,21
EUR. Der Kläger machte die Erstattung des Beitragszuschlags bei der Beklagten geltend, welche dies mit Schreiben vom 31.05.2005 ablehnte.
Am 26.07.2005 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Wiesbaden erhoben, welches den Rechtsstreit mit Beschluss vom 04.11. 2005 an das örtlich zuständige Sozialgericht Gießen verwiesen hat. Der Kläger begehrt die Erstattung der Beitragszuschläge für kinderlose Werkstättenbeschäftigte.
Der Kläger trägt vor, gemäß
§ 251 Abs. 2 SGB V sei die Beklagte verpflichtet, auch den Beitragszuschlag für kinderlose erwachsene Beschäftigte zu erstatten. Die
§§ 138,
41 SGB IX seien nicht im Zuge der Einführung des Zuschlags für kinderlose Versicherte geändert worden, dennoch zeige diese Regelung ganz eindeutig, dass es dem Gesetzgeber darum gegangen sei, dem behinderten Menschen aus seiner Arbeit in der Werkstatt für behinderte Menschen ein Arbeitsentgelt zukommen zu lassen, welches nicht gekürzt werden solle, etwa dadurch, dass Beiträge zur Sozialversicherung entrichtet werden müssten. Die Erstattungspflicht des § 251
Abs. 2
S. 2
SGB V korrespondiere mit §§ 41, 138
SGB IX. Der Einrichtungsträger müsse die vollen Beiträge zur Sozialversicherung zahlen; dann handele es sich um Kosten der Einrichtung, wie von Kostenträger zu erstatten seien, andernfalls müsse die Einrichtung diese Kosten aus dem Arbeitsergebnis finanzieren, was das Gesetz gerade untersage. Wenn der Einrichtungsträger gemäß § 60
Abs. 5
S. 3
SGB XI das Arbeitsentgelt des behinderten Menschen monatlich um ein Betrag von 1,21
EUR kürze, entspreche dieser Betrag in der Regel nicht 0,25 % des tatsächlichen Entgeltes, sondern sei höher. Gemessen am bundesdurchschnittlichen Arbeitsentgelt mache dies mit 0,76% mehr als das dreifache aus. Die Anwendung des § 60
Abs. 5
S. 3
SGB XI habe zur Folge, dass der behinderte Mensch aus dem von ihm erwirtschafteten Arbeitsergebnis gerade nicht das ihm zustehende volle Arbeitsentgelt erhalte, sondern gekürzt um den Zuschlag. Diese Kürzungen müssten nur die behinderten Menschen hinnehmen, die kinderlos seien, und unter ihnen auch solche, deren Arbeitsentgelt niedriger als das Arbeitslosengeld II. Einen solchen "Solidarbeitrag" könne das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 03.04.2001 nicht gemeint haben. Dementsprechend habe der Gesetzgeber Zivildienstleistende und Personen, die zur Berufsausbildung beschäftigt seien, und nicht mehr als 325
EUR im Monat verdienten, gemäß § 55
Abs. 3
S. 7
SGB XI von dem Beitragszuschlag befreit. Es sei also verfassungswidrig, einer Bürgerin oder einem Bürger Sozialversicherungsbeiträge aufzuerlegen aus einem Entgelt, welches nicht einmal geeignet sei, das Existenzminimum im Sinne der Grundsicherung sicherzustellen - so wie dies der Gesetzgeber auch ausdrücklich für die Personen geregelt habe, die Leistungen nach dem
SGB II erhielten.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm die von ihm abgeführten Beitragszuschläge für kinderlose Werkstättenbeschäftigte, die das 23. Lebensjahr vollendet haben, gemäß § 251
SGB V zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte führt aus, ein Erstattungsanspruch stehe dem Kläger nicht zu und
§ 51 SGB V finde vorliegend keine Anwendung. Dies folge daraus, dass nach § 59
Abs. 5
SGB XI der Beitragszuschuss für Kinderlose nach § 55
Abs. 3
SGB XI vom Mitglied getragen werde. Der Kläger könne sich allenfalls an den Versicherten selbst halten und diesen Beitrag vom Lohn des Betroffenen abziehen. Der Kläger sei somit weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht wirtschaftlich beschwert, da er diese Kosten nicht selbst zu tragen habe. Insoweit stelle die geltend gemachte Erstattungsklage eine unzulässige Prozessstandschaft dar, so dass diese mangels Rechtsschutzbedürfnis als unzulässig anzusehen und somit abzuweisen sei. Darüber hinaus sei die Entscheidung, dass der Zuschlag nach dem Kinderberücksichtigungsgesetz von den Mitgliedern allein zu tragen sei, vom Gesetzgeber bewusst getroffen. In der amtlichen Begründung zu § 55
Abs. 3
SGB XI werde ausdrücklich ausgeführt, dass der Beitragssatz für Kinderlose von den Mitglied allein zu tragen sei und dass zuschlagspflichtig auch Personen seien, die selbst keinen Beitrag zur Pflegeversicherung tragen, weil ein Dritter den Beitrag trage. Die gesetzgeberische Entscheidung sei damit begründet, dass die Frage, ob jemand Kinder habe oder nicht, allein in der Person desjenigen selbst begründet liege. Die Argumentation des Gesetzgebers setze sich in der Begründung zu § 59
Abs. 5
SGB XI fort. Die Intention des Gesetzgebers sei eindeutig. Das Mitglied solle den Beitrag allein tragen, auch wenn für den Beitrag der Pflegeversicherung ein Dritter aufkomme. Zudem könnten behinderte Menschen neben dem Arbeitsentgelt aus der Werkstattbeschäftigung ergänzende Leistungen zum Lebensunterhalt durch die Sozialhilfe oder Leistungen der Grundsicherung erhalten. Wenn sich aufgrund des Kinderberücksichtigungszuschlages die Sozialhilfe- oder Grundsicherungsleistungen reduzierten, könnten sich die Beschäftigten an ihren Sozialhilfeträger wenden und mehr Sozialhilfe- oder Grundsicherungsleistungen geltend machen. Das Existenzminimum im Sinne der Grundsicherung bleibe gewahrt.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, welche Gegenstand der Entscheidungsfindung war, Bezug genommen.
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben, § 124
Abs. 2
SGG.
Die Klage ist zulässig.
Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist
gem. § 51
Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) eröffnet.
Die Klage ist zunächst als Feststellungsklage
gem. § 55
Abs. 1
Nr. 1
SGG statthaft, da der Kläger die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt. Das im Streit stehende Rechtsverhältnis ergibt sich aus § 59
Abs. 1
S.1
SGB XI i. V. m. § 251
Abs. 2 Satz 2
SGB V und betrifft die Frage, ob Beklagte dem Kläger Beitragszuschläge zum Pflegeversicherungsbeitrag für kinderlose Werkstattbeschäftigte zu erstatten hat. Die Feststellungsklage ist ausnahmsweise nicht gegenüber der allgemeinen Leistungsklage subsidiär, da es sich um ein mögliches Dauerrechtsverhältnis handelt, das - im Falle des Obsiegens des Klägers - zu einem regelmäßig wiederkehrenden - jedoch je nach Zahl der Werkstattbeschäftigten - der Höhe nach schwankenden Erstattungsanspruch führen könnte. Insoweit ist auch ein Interesse des Klägers an der alsbaldigen Feststellung gegeben, denn er hat ein wirtschaftliches Interesse an der Klärung des Rechtsverhältnisses, da er im Falle des Nichtbestehens des Rechtsverhältnisses den Beitragszuschlag
gem. § 60
Abs. 5 Satz 2 und 3
SGB XI gegenüber den zuschlagspflichtigen Werkstattbeschäftigten im Wege des Abzugs vom Arbeitsentgelt geltend machen kann.
Der Kläger ist auch klagebefugt, denn er behauptet, in subjektiven Rechten betroffen zu sein. Die bloße Möglichkeit der Betroffenheit ist dabei ausreichend und vorliegend gegeben, denn im Falle des Bestehens des behaupteten Rechtsverhältnisses aus § 251
Abs. 2
SGB V wäre ein Anspruch des Klägers auf die Erstattung des Beitragszuschlags
gem. § 55
Abs. 3
SGB XI gegeben, so dass der Kläger eigene Rechte geltend macht und nicht etwa - wie von der Beklagten angenommen - Rechte Dritter. Ein Fall unzulässiger Prozessstandschaft ist nicht gegeben.
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Denn aus § 59
Abs. 1 Satz 1
SGB XI i. V. m. § 251
Abs. 2
SGB V ergibt sich kein Erstattungsanspruch des Klägers hinsichtlich der Beitragszuschläge
gem. § 55
Abs. 3
SGB XI. Das Bestehen eines entsprechenden Rechtsverhältnisses ist nicht festzustellen.
Gemäß § 251
Abs. 2 Satz 2
SGB V, der
gem. § 59
Abs. 1 Satz 1
SGB XI für die Beiträge zur Sozialen Pflegeversicherung entsprechend gilt, sind die Beiträge für die nach § 20
Abs. 1
Nr. 7
SGB XI versicherungspflichtigen behinderten Menschen, die der Träger der Einrichtung zu tragen hat, von den für die behinderten Menschen zuständigen Leistungsträgern zu erstatten.
Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, denn des handelt sich bei dem Beitragszuschlag für kinderlose Versicherte
gem. § 55
Abs. 3
SGB XI nicht um Beiträge, die der Kläger als Träger der Einrichtung zu tragen hat. Dies ergibt aus dem bereits aus dem Wortlaut der Regelung über die Beitragstragung, § 59
Abs. 5
SGB XI, wonach den Beitragszuschlag für Kinderlose nach § 55
Abs. 3
SGB XI das Mitglied trägt.
§ 59
Abs. 5
SGB XI ist mit Wirkung vom 01.01.2005 durch
Art. 1
Nr. 4 Kinder-Berücksichtigungsgesetz (KiBG) vom 15.12.2004, BGBl I 3348, angefügt worden und ist hinsichtlich des Beitrags für Kinderlose lex specialis zu allen Regelungen über die Beitragstragung in § 59
Abs. 1 bis 4
SGB XI (Peters in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 46. Ergänzungslieferung, Kommentierung zu § 59
SGB XI, Rn. 26). Die Verweisung des § 59
Abs. 1 Satz 1
SGB XI auf die Vorschrift des § 251
Abs. 2 Satz 1
Nr. 1
SGB V, wonach der Träger der Einrichtung den Beitrag allein trägt für die nach § 5
Abs. 1
Nr. 7 oder 8 versicherungspflichtigen behinderten Menschen, wenn das tatsächliche Arbeitsentgelt den nach § 235
Abs. 3
SGB V maßgeblichen Mindestbetrag nicht übersteigt, und die Beitragstragung des Klägers begründet, greift wegen der spezielleren Regelung des § 59
Abs. 5
SGB XI nicht ein.
Darüber hinaus entspricht es auch dem gesetzgeberischen Willen, dass die kinderlosen Werkstättenbeschäftigten den Beitragszuschlag
gem. § 55
Abs. 3
SGB XI - bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen - selbst tragen sollen. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zum Gesetz zu Berücksichtigung der Kindererziehung im Beitragsrecht der sozialen Pflegeversicherung (BT-Drucks. 15/3671,
S. 7); dort wird folgendes ausgeführt: "Mit dem Beitragszuschlag wird nur der Versicherte belastet, er ist nicht anteilig vom Versicherten und
z. B. der Bundesagentur für Arbeit oder anderen beitragspflichtigen Stellen zu tragen. Versicherte, die selbst keinen Beitrag zur Pflegeversicherung tragen, weil für sie ein Dritter den Beitrag allein trägt, müssen den Beitragszuschlag selbst tragen. Es wäre nicht gerechtfertigt, den Dritten zu einem Beitragszuschlag wegen Nichterziehung oder -betreuung eines Kindes heranzuziehen." Der Gesetzgeber hat die Entscheidung über die Beitragstragung bewusst getroffen, so dass für eine vom Wortlaut abweichende Auslegung kein Raum ist.
Soweit sich der Kläger darauf stützt, es sei verfassungswidrig, einer Bürgerin oder einem Bürger Sozialversicherungsbeiträge aufzuerlegen aus einem Entgelt, welches nicht einmal geeignet sei, das Existenzminimum i.
S. d. Grundsicherung sicherzustellen, kann er mit diesem Vortrag nicht durchdringen, da er damit nicht eigene subjektiv- öffentliche Rechte geltend macht, sondern die Rechte Dritter, nämlich die der Werkstattbeschäftigten.
Die Entscheidung über die Kosten ergeht nach § 197a
SGG i. V. m. § 154 Verwaltungsgerichtsordnung.