Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
Streitgegenständlich ist die Weisung der Beklagten vom 15.10.2007 welche unter Berücksichtigung des objektiven Empfängerhorizonts und der Umstände des Einzelfalls (
vgl. hierzu grundsätzlich: Engelmann in von Wulffen,
SGB X, 6. Aufl., § 31 RdNr 26) einen Verwaltungsakt im Sinne eines Verpflichtungsbescheides nach § 89
Abs. 1 Satz 2
SGB IV darstellt. Die Aufforderung, sich nach einer bestimmten Art und Weise zu verhalten, ist ein an die Klägerin gerichtetes Gebot, es handelt sich nicht um eine bloße Anregung oder Bitte. Demgegenüber beinhaltet das erklärende Schreiben vom 27.06.2008 keine eigenständige Regelung, sondern hat lediglich klarstellenden Charakter. Auch das weitere Schreiben vom 23.02.2010 stellt keinen neuen Verwaltungsakt dar, da eine neue "Regelung"
i.S.d. § 31
S. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB X) nicht getroffen, sondern lediglich der Bescheid vom 15.10.2007 um Ermessenserwägungen ergänzt wurde. Dieses Schreiben wurde - da kein Verwaltungsakt - somit auch nicht nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Gegenstand des Berufungsverfahrens.
Statthafte Klageart ist die Aufsichtsklage nach § 54
Abs. 3
SGG. Die funktionelle erstinstanzliche Zuständigkeit des
LSG ist nach § 29
Abs. 1 Nr 2
SGG in der ab 01.04.2008 geltenden Fassung gegeben, denn es handelt sich um eine Aufsichtsangelegenheit gegenüber einem Sozialversicherungsträger (vgl u.a. Seewald in Kasseler Kommentar, vor § 1
SGB IV RdNr 16; Ebsen in Gagel
SGB III, § 367 RdNr 4; a.A. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer
SGG, 9.Aufl., § 29 RdNr. 5). Der Gesetzeszweck der Vorschrift (
vgl. hierzu: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 11.01.2008, BT-Drucks. 16/7716
S. 2, 18), nämlich die Entlastung der Sozialgerichte und die Verkürzung der Phase der Unsicherheit für Bereiche, in denen es vorwiegend um die Klärung von Rechtsfragen geht, in denen fast zwangsläufig der Weg in die zweite, gegebenenfalls dritte Instanz gesucht wird, um eine endgültige Klärung der Rechtsfrage zu erzielen, ist auch bei einer Aufsichtsangelegenheit gegenüber der Klägerin gegeben. Nach § 57 Abs 1 Satz 1 und 2
SGG ist das
LSG örtlich zuständig (
§ 367 Abs. 4 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB III -).
Die Klägerin ist als rechtsfähige bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung gemäß
§ 371 SGB III klagebefugt (
vgl. Keller aaO § 54 RdNr 18). Die Beklagte übt nach
§ 393 SGB III die Aufsicht über die Klägerin aus, §§ 88, 89
SGB IV.
Die Klage ist fristgerecht erhoben worden. Dem Bescheid vom 15.10.2007 war eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht beigefügt. Damit gilt die Jahresfrist des § 66
Abs. 2
SGB X, diese Frist wurde durch die Klageerhebung am 06.10.2008 gewahrt. Der Durchführung eines Vorverfahrens bedurfte es nach § 78 Abs 1 Satz 2 Nr 2
SGG nicht, denn der Verpflichtungsbescheid wurde von einer obersten Bundesbehörde erlassen.
Ein Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, denn für die Zulässigkeit der Aufsichtsklage in Form einer reinen Aufsichtsklage genügt die schlüssige Behauptung, die Beklagte als Aufsichtsbehörde nach § 393
SGB III habe rechtswidrig in das Selbstverwaltungsrecht der Klägerin eingegriffen (
vgl. BSG Urteil vom 28.06.2000 - B 6 KA 64/98 R - SozR 3-2500 § 80 Nr 4).
Die Klage ist auch begründet. Die rechtsaufsichtliche Weisung der Beklagten vom 15.10.2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Beklagte hat bei ihrer Entscheidung das Ermessen nicht ausgeübt.
Nach § 179
Abs. 1
S. 1
SGB VI erstattet der Bund für behinderte Menschen nach § 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a
SGB VI den Trägern der WfB die Beiträge, die auf den Betrag zwischen dem tatsächlich erzielten monatlichen Arbeitsentgelt und 80 vH der monatlichen Bezugsgröße entfallen, wenn das tatsächlich erzielte monatliche Arbeitsentgelt 80 vH der monatlichen Bezugsgröße nicht übersteigt. Im Übrigen erstatten die Kostenträger den Trägern der Einrichtung die von diesen getragenen Beiträge für behinderte Menschen, § 179 Abs 1 Satz 2
SGB VI.
Nach § 1
S. 1
Nr. 2a
SGB VI sind behinderte Menschen versicherungspflichtig, die u.a. in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen tätig sind. Beitragspflichtige Einnahmen dieser behinderten Menschen sind das von diesen erzielte Arbeitsentgelt, mindestens jedoch 80 vom Hundert der Bezugsgröße (§ 162
Nr. 2
SGB VI). Die Beiträge werden bei behinderten Menschen von den Trägern der Einrichtung getragen, wenn ein Arbeitsentgelt nicht bezogen wird oder das monatliche Arbeitsentgelt 20 vom Hundert der monatlichen Bezugsgröße nicht übersteigt, sowie für den Betrag zwischen dem monatlichen Arbeitsentgelt und 80 vom Hundert der monatlichen Bezugsgröße, wenn das monatliche Arbeitsentgelt 80 vom Hundert der monatlichen Bezugsgröße nicht übersteigt; im Übrigen von den Versicherten und den Trägern der Einrichtung je zur Hälfte, § 168
Abs. 1
Nr. 2
SGB VI. Daneben sind Bezieher von Übergangsgeld versicherungspflichtig, wenn diese im letzten Jahr vor Beginn der Leistung zuletzt versicherungspflichtig waren, § 3
S. 1
Nr. 3
SGB VI. Beitragspflichtige Einnahmen sind dann 80 vom Hundert des der Leistung zugrunde liegenden Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommen,
§ 166
Abs. 1
Nr. 2
SGB VI. Die Beitragstragung erfolgt nach § 170
Abs. 1
Nr. 2b
SGB VI durch die Leistungsträger, hier die Klägerin.
Die Tätigkeit in anerkannten WfB umfasst neben dem Arbeitsbereich (
§ 41 SGB IX) auch den Eingangs- und Trainingsbereich (so bereits die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 11/4124
S. 148), bestätigt durch
BSG, Urteil vom 14.02.2001 - SozR 3-2500 § 44 Nr 8). Behinderte Menschen erhalten nach
§ 138 Abs. 2 SGB IX allerdings lediglich im Arbeitsbereich ein Arbeitsentgelt nach § 14
SGB IV. Im Eingangs- und im Berufsbildungsbereich sind die Teilnehmer keine Beschäftigten der Werkstatt (§§ 138 Abs 4
iVm 36 SGB IX). Sie erhalten von den zuständigen Rehabilitationsträgern (wie
z.B. von der Klägerin) ein Übergangsgeld nach
§ 44 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX i.V.m. § 160 SGB III oder Ausbildungsgeld nach § 44
Abs. 1
Nr. 1
SGB IX i.V.m. 104 SGB III. Nach der Rspr. sind derartige Ausbildungsgelder keine Arbeitsentgelte
i.S.d. § 14 Abs. 1 SGB IV (vgl
BSG Urteil vom 14.02.2001 aaO).
Zur Berechnung der Beiträge sind daher auch im Eingangs- und Berufsbildungsbereich für die in einer WfB Tätigen als Bemessungsgrundlage 80 vH der monatlichen Bezugsgröße heranzuziehen. Die sich hieraus ergebenden Beiträge haben grundsätzlich die Träger der Einrichtung nach § 168
Abs. 1
Nr. 2
SGB VI zu tragen.
Diese Beiträge hat nach § 179
Abs. 1
S. 1
SGB VI der Bund den Trägern der Einrichtung zu erstatten. § 179
SGB VI entspricht im Wesentlichen § 174 des gemeinsamen Fraktions-Entwurfs (Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung, Rentenreformgesetz 1992, BT-Drucks. 11/4124
S. 1 ff). Danach entspreche die Regelung des Absatzes 1 dem geltenden Recht. Sie übernehme die bisher in § 3 Abs 4 und § 10 Abs 1 des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter (SVBG) enthaltenen Erstattungsvorschriften. Änderungen im Wortlaut dienten der Harmonisierung mit anderen Vorschriften (
vgl. BT-Drucks. 11/4124
S. 186). Nach der Gesetzesbegründung ist somit eindeutig eine Beibehaltung des bisherigen Erstattungsverfahrens durch den Bund für das
SGB VI entsprechend der Vorgängerregelung des SVBG gewollt gewesen.
Nach § 1 Abs 1 SVBG (in der Fassung vom 07.05.1975, BGBl I
S. 1061 ff) waren körperlich, geistig oder seelisch Behinderte, die in Werkstätten für Behinderte oder Blindenwerkstätten beschäftigt waren, gesetzlich kranken- und rentenversicherungspflichtig. Als beschäftigt galten Behinderte, die ohne oder gegen Entgelt in gewisser Regelmäßigkeit eine Leistung erbrachten, die einem Fünftel der Leistung eines voll erwerbsfähigen Beschäftigten in gleichartiger Beschäftigung entsprach, § 2
Abs. 2 SVBG. Nach § 3 Abs 3 SVBG galt der Träger der Einrichtung als Arbeitgeber der in der WfB Beschäftigten. In den Fällen des § 1 SVBG waren die Beiträge zur Sozialversicherung, die der Träger der Einrichtung als Arbeitgeber zu tragen hatte, mit Ausnahme der Aufwendungen nach § 10 Abs 1 SVBG von den für die Behinderten zuständigen Kostenträgern zu erstatten, § 3
Abs. 4 SVBG. Der Berechnung der Beiträge war als Arbeitsentgelt mindestens ein Betrag in Höhe von 90 vH des durchschnittlichen Arbeitseinkommens aller Versicherten der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten ohne Lehrlinge und Anlernlinge im vorvergangenen Kalenderjahr zugrunde zu legen, § 8 SVBG. Nach § 9 SVBG war, soweit das tatsächliche Arbeitsentgelt niedriger war als der nach § 8 maßgebliche Mindestbetrag, der Unterschiedsbetrag von dem Träger der Einrichtung allein zu tragen. In den Fällen des § 1 waren die nach § 9
S. 1 SVBG entstehenden Aufwendungen je zur Hälfte vom Bund und von den Ländern zu tragen (§ 10
Abs. 1 SVBG).
Bereits das SVBG unterschied damit zwischen dem tatsächlich erzielten Arbeitsentgelt des Behinderten und einem festgelegten Mindestarbeitsentgelt nach § 8 SVBG. Sowohl für das tatsächlich erzielte Arbeitsentgelt wie auch für das Mindestarbeitsentgelt war der Träger der Einrichtung als Arbeitgeber (§ 3 Abs 3 SVBG) zur Tragung der Beiträge zur Sozialversicherung verpflichtet. Allerdings wurden dem Träger der Einrichtung die gezahlten Beiträge zur Sozialversicherung wegen des tatsächlich erzielten Arbeitsentgelts von dem für die Behinderten zuständigen Kostenträger erstattet. Die Beiträge wegen des festgelegten Mindestarbeitsentgelt und der sich hieraus ergebenden Beitragspflicht nach § 9 SVBG wurden dem Träger der Einrichtung nach § 10 SVBG vom Bund und den Ländern erstattet.
Aus der Gesetzesbegründung des SVBG folgt nichts anderes. Nach dem Entwurf des Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter der Bundesregierung (BT-Drucks. 7/1992
S. 11) war bei der Finanzierung des SVBG zu unterscheiden zwischen den tatsächlichen Arbeitsentgelten und einem Fiktiventgelt. Für die Aufbringung der Beiträge, die von den tatsächlichen Arbeitsentgelten der Behinderten abzuführen und insoweit Teil der Lohnsumme seien, würden die allgemeinen Regelungen gelten. Soweit die Beiträge für Behinderte in geschützten Einrichtungen zur gesetzlichen Rentenversicherung nach dem Fiktiventgelt bemessen würden, sei die Erstattung der auf den Unterschiedsbetrag zwischen dem tatsächlichen und dem fiktiven Arbeitsentgelt entfallenden Beiträge durch Bund und Länder vorgesehen.
Entsprechende Formulierungen finden sich im Bericht und Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Sozialversicherung Behinderter (BT Drucks. 7/3237
S. 3): "Um den Behinderten angemessene Renten zu sichern, werden die Beiträge zur Rentenversicherung bei allen Versicherten, sofern deren tatsächliches Arbeitseinkommen nicht höher ist, nach dem fiktiven Arbeitsentgelt - 90 vH des durchschnittlichen Arbeitsentgelts aller Versicherten der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten - bemessen. Bund und Länder übernehmen je zur Hälfte die Beitragsaufwendungen für den Unterschiedsbetrag zwischen dem tatsächlichen und dem fiktiven Entgelt. Die Beiträge zur Rentenversicherung, die für die tatsächlichen Arbeitsentgelte der Behinderten anfallen, und die Krankenversicherungsbeiträge werden von den Werkstätten als Arbeitgeber und den Behinderten als Arbeitnehmer nach den allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften getragen. Die auf die Werkstätten entfallenden Arbeitgeberbeiträge müssen von den Kostenträgern der Behinderten erstattet werden. Ob Arbeitslohn gezahlt wird, ist für die Versicherung unerheblich."
Bei der Frage der Finanzierung ging der Gesetzgeber davon aus, dass es sich bei der neu geschaffenen Versicherungspflicht um soziale Fürsorge für einen besonders benachteiligten Personenkreis der Gesellschaft handle. Er hat deshalb eine Finanzierung durch die Beklagte vorgesehen. Dies ergibt sich wiederum aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 7/1992
S. 14), wonach die Werkstätten die besonderen Beitragslasten zur sozialen Sicherheit nicht allein tragen könnten und deshalb dafür öffentliche Mittel (Bund und Länder) bereitgestellt werden würden. Die Kostentragung nach Satz 1 beruhe dabei auf Art 104 a
Abs. 3 des Grundgesetzes.
Nach dem eindeutig erklärten gesetzgeberischen Willen sollten Bund und Land somit je zur Hälfte die Beitragsaufwendungen für den Unterschiedsbetrag zwischen dem tatsächlichen und dem fiktiven Entgelt auch dann übernehmen, wenn ein tatsächlicher Arbeitslohn an den Behinderten nicht gezahlt wurde.
Der Grundgedanke der sozialen Fürsorge der Sicherung von angemessenen Renten für Behinderte wurde unter Verweis auf Art 104 a
Abs. 3 Grundgesetz (
GG) als Bundesaufgabe angesehen. Lediglich die Versicherungsbeiträge, die für tatsächlich gezahlte Arbeitsentgelte anfielen, sollten von den WfB (anteilig) getragen werden, nur insoweit ergab sich eine Erstattungspflicht durch den Kostenträger der Einrichtung.
§ 179
SGB VI sollte unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen diese Unterscheidung zwischen tatsächlich gezahltem und fiktivem Arbeitsentgelt und die sich hieraus ergebende unterschiedliche Erstattungspflicht der Kostenträger einerseits und dem Bund andererseits übernehmen.
Damit ergibt sich eine Erstattungspflicht der Beklagten für Beiträge behinderter Menschen, die sich im Eingangs- und Berufsbildungsbereich einer WfB befinden auch dann, wenn diesen tatsächlich kein Arbeitseinkommen ausgezahlt wird.
§ 179 Abs 1 Satz 1
SGB VI setzt keinen Arbeitslohn von mehr als 0,00
EUR, sondern lediglich eine Differenz zwischen dem tatsächlichem Arbeitsentgelt und 80 % der Bezugsgröße voraus.
Entgegen der von der Beklagten unter Bezugnahme auf die Urteile des Bundesverfassungsgerichts (
BVerfG, Urteil vom 11.11.1986, BVerfGE 73, 206) und des
BSG (Urteil vom 08.05.2007, BSGE 98, 219) geäußerten Auffassung ist hierdurch die Wortlautgrenze als äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation nicht überschritten. Nach der Entscheidung des
BVerfG, die sich im Übrigen auf die Auslegung des Nötigungstatbestandes des § 240 Strafgesetzbuch (StGB) bei Sitzblockaden bezog, kann Gegenstand der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen immer nur der Gesetzestext sein. Dieser erweist sich als maßgebendes Kriterium. Nach der Entscheidung des
BSG verbietet sich in der Regel eine Auslegung, die unter Berufung auf die Rechtsentwicklung und die Vorstellungen des historischen Gesetzgebers den durch den Gesetzestext gezogenen Rahmen sprengt.
§ 179
SGB VI regelt allerdings nur die Frage der Erstattungspflicht bei Beiträgen, die auf einen Betrag zwischen einem tatsächlich erzielten monatlichen Arbeitsentgelt und 80% der monatlichen Bezugsgröße entfallen. § 179
SGB VI enthält keine Regelung darüber, dass ein Arbeitsentgelt von mindestens 0,01 Euro erzielt werden müsse um die Erstattungspflicht nach § 179
Abs.1
S. 1
SGB VI zu eröffnen. Der Wortlaut lässt dies vielmehr offen, so dass es maßgeblich auf den Gesetzeszweck und den gesetzgeberischen Willen ankommt (
vgl. BVerfGE 2, 266). Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen war vom Gesetzgeber die Begründung einer eigenen Rentenversicherung der Behinderten unter Berücksichtigung eines gesetzlich bemessenen Mindestarbeitsentgelts und deren Finanzierung durch staatliche Mittel von Bund und Land bezweckt. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten, wonach § 179
SGB VI nicht zu entnehmen sei, von wem eine Erstattung vorzunehmen ist, ist demgegenüber nicht nachvollziehbar, denn § 179 Abs 1
SGB VI beantwortet ausschließlich diese Frage.
Es kann auch dahinstehen, dass - wie die Beklagte meint - in der Gesetzesbegründung aus 1975 die Klägerin noch nicht erwähnt sein konnte, da diese erst 1979 Maßnahmeträgerin im Sinne des Gesetzes wurde. Bereits im ursprünglichen Gesetzesentwurf war eine Unterscheidung von Kostenträger nach § 3
Abs. 4 SVBG und Bund nach § 10 SVBG vorgenommen worden. Damit war die grundsätzliche Weiche für eine unterschiedliche Erstattungspflicht gesetzt. Auch andere Kostenträger wie
z.B. die Rentenversicherung sind namentlich nicht erwähnt.
Auf die übrigen zwischen den Beteiligten gewechselten Argumente kam es somit nicht mehr an. Die von der Beklagten zitierten gegenläufigen Literaturmeinungen überzeugen den Senat unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen nicht. Eine Begründung für deren gegenteilige Ansicht ist den Kommentierungen auch nicht zu entnehmen.
Die Beitragserstattungspflicht der Beklagten nach § 179 Abs 1 Satz 1
SGB VI ist somit auch gegeben, wenn bei behinderten Menschen für die Bemessung der Rentenversicherungsbeiträge kein positives Arbeitseinkommen angesetzt werden kann. Damit verbleibt für eine Beitragserstattungspflicht der Klägerin im streitigen Umfang nach § 179 Abs 1 Satz 2
SGB VI kein Raum mehr. Die aufsichtliche Weisung der Beklagten verstößt gegen § 179 Abs 1
SGB VI und ist somit rechtswidrig.
Darüber hinaus hat die Beklagte bei dem Erlass des Verpflichtungsbescheides vom 15.10.2007 das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt. Als Aufsichtsbehörde hatte sie in Bezug auf den Erlass der aufsichtsrechtlichen Weisung sowohl ein Entschließungs- als auch ein Auswahlermessen (
vgl. Schütte-Geffers in Kreikebohm,
SGB IV, § 89 Rn. 18), wobei eine Weisung als belastender Verwaltungsakt den Erfordernissen des
SGB X genügen muss. Nach § 35
Abs. 1 Satz 3
SGB X muss die Begründung eines schriftlichen Verwaltungsaktes, der eine Ermessensentscheidung zum Inhalt hat, auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Der Begründung des Bescheides muss zu entnehmen sein, dass die Aufsichtsbehörde sich ihrer Befugnis und Pflicht zur Ermessensausübung bewusst gewesen ist, dass sie die Möglichkeit erwogen hat, unter Opportunitätsgründen von der Durchführung abzusehen, und welche Gründe dafür entscheidend gewesen sind, stattdessen dem Verpflichtungsbescheid den Vorzug zu geben (
vgl. Schütte-Geffers aaO § 89
Rdnr. 13). Die Begründung muss deutlich machen, dass die Beklagte überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen hat (
vgl. BSG, Urteil vom 31.10.1991 - 7 RAr 60/89 - SozR 3-1300 § 45
Nr. 10).
Vorliegend ergeben sich weder aus dem streitgegenständlichen Bescheid vom 15.10.2007 noch aus den Akten der Beklagten Hinweise darauf, dass sich die Beklagte vor Erlass des belastenden Bescheides der Notwendigkeit einer Ermessensbetätigung bewusst war. Vielmehr hat sie ihren Ermessensspielraum verkannt - sog. Ermessensausfall (
vgl. Schütze in von Wulffen,
SGB X, 6. Aufl.,
§ 41 Rn.11 mwN) und damit dieses Ermessen im Bescheid auch nicht zum Ausdruck gebracht. Dass eine Ermessensentscheidung in der Sache entbehrlich gewesen sei (sog. Ermessensreduzierung auf "Null", vgl hierzu
BSG, Urteil vom 24.06.1987 - 5a RKnU 2/86 - SozR 1200 § 40
Nr.3), wird von der Beklagten nicht vorgetragen, stünde im Widerspruch zu ihrem Schreiben vom 23.02.2010 und ist dem Senat auch nicht ersichtlich. Der Bescheid vom 15.10.2007 war somit auch aus diesem Grund rechtswidrig.
An dem Vorliegen eines Ermessensausfalls ändert auch das Schreiben der Beklagten vom 23.02.2010 nichts. Ein Nachschieben von Ermessensgründen im Klageverfahren ist unzulässig (
vgl. Schütze aaO § 41
Rdnr. 12), denn der Gesetzgeber hat eine § 114
S. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) entsprechende Regelung nicht geschaffen (
vgl. Keller aaO § 54
Rdnr. 36). Ein Ermessensakt darf nicht mit Gründen aufrechterhalten werden, die der Ermessensentscheidung der Verwaltung nicht zugrunde gelegen haben (
vgl. Bundesverwaltungsgericht (
BVerwG) Urteil vom 28.11.1980, BVerwGE 61, 200, 210;
BSG, Urteil vom 24.04.2002, BSGE 89, 227, 235). Ob die Heilung eines solchen Fehlers durch den Erlass eines neuen Bescheides nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens möglich ist (
vgl. Schütze aaO § 41
Rdnr. 11) muss vorliegend nicht entschieden werden, denn bei dem Schreiben der Beklagten vom 23.02.2010 handelt es sich mangels Regelung
i.S.d. § 31
S. 1
SGB X nicht um einen Verwaltungsakt, der Gegenstand des Berufungsverfahrens hätte werden können.
Nach all dem war die aufsichtliche Weisung vom 15.10.2007 aufzuheben
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a
SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO).
Gründe, die Revision nach § 160
Abs. 2
Nr. 1 oder N. 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.