Urteil
Kosten der Sonderpädagogischen Zusatzausbildung - Rückzahlungsverpflichtung bei Kündigung

Gericht:

ArbG Mönchengladbach


Aktenzeichen:

1 Ca 1996/01


Urteil vom:

30.08.2001


Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rückzahlung von Ausbildungskosten.

Der Beklagte wurde am 10. August 1998 bei der Klägerin, die eine Werkstatt für Behinderte in Grevenbroich betreibt, als vollbeschäftiger Angestellter eingestellt. Die Parteien vereinbarten im Arbeitsvertrag, dass der Beklagte die sonderpädagogische Zusatzausbildung absolviert. Der Beklagte wurde im Betreuungsdienst der WFB Werkstatt für Behinderte Lebenshilfe Grevenbroich eingesetzt. Er verfügte zum Zeitpunkt der Einstellung nicht über eine sonderpädagogische Zusatzausbildung. In § 9 Abs. 3 der Werkstättenverordnung (SchwbWV) ist bestimmt, dass die Fachkräfte pädagogisch geeignet sein müssen und über eine sonderpädagogische Zusatzqualifikation verfügen müssen.

Die Parteien schlossen eine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag. Diese Zusatzvereinbarung regelte die Modalitäten der sonderpädagogischen Zusatzausbildung. Unter Ziffer 4 wurde folgendes vereinbart:

"Die vorgenannten Leistungen des Arbeitgebers werden unter folgenden Bedingungen gewährt:

a) Der/die Angestellte verpflichtet sich, nach Abschluss des Lehrgangs noch 2 Jahre beim Arbeitgeber tätig zu sein.

b) Wird das Arbeitsverhältnis von der/dem Angestellten aus Gründen, die sie/er selbst zu vertreten hat, vor der Bindefrist beendet, sind für jeden verbleibenden Monat 1/24 der entstandenen Kosten ( Bruttopersonalkosten für die Freistellung, Kursgebühren, Reisekostenerstattung durch den Arbeitgeber) von der/ dem Angestellten zu erstatten."

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2000. Mit Schreiben vom 29.10.2001 stellte die Klägerin die Kosten der Fortbildung zusammen und machte sie schriftlich gegenüber dem Beklagten geltend. Die Klägerin schlüsselte die Kosten wie folgt auf:

"Personalkosten 2000 für die Freistellung der einzelnen Seminarwochen (die korrigierten Gehaltsabrechnungen sind als Anlage beigefügt) DM 2080,81
Seminargebühren lt. beil. Aufstellung DM 7560,00
Aufgewendete Fahrtkosten 2000 lt. beil. Aufstellung DM 405.60
Gesamt DM 10.046,41"

Die Klägerin trägt vor, mit der sonderpädagogischen Zusatzausbildung sei es dem Beklagten möglich, als Gruppenleiter in jeder beliebigen Werkstatt für Behinderte anzufangen. Es bestünden insoweit ca. 635 Werkstätten mit ca. 40.000 Arbeitsplätzen für Fachkräfte mit sonderpädagogischer Zusatzqualifikation. Im Übrigen weist die Klägerin darauf hin, dass gemäß Vergütungstarifvertrages Nr. 34 zum BAT aufgrund der Zusatzqualifikation eine Lohnsteigerung von ca. 300,00 DM monatlich vorgesehen sei. Somit eröffnet sich ein größerer Arbeitsmarkt für den Beklagten.

Die Klägerin beantragt,

der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.046,41 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 28.02.2001 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

Er ist der Auffassung, die sonderpädagogische Zusatzqualifikation nach § 9 Abs. 3 SchwbWV liege ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers, da sie nach der Konzeption des Gesetzes öffentlich-rechtliche Voraussetzungen für die öffentlich-rechtliche Zulassung einer Behindertenwerkstatt darstelle. Der Beklagte weist darauf hin, dass er die Zusatzausbildung nicht abgeschlossen habe und im übrigen diese auch nicht benötige.
Er habe eine neue Stelle gefunden und auf dieser Stelle sei diese Zusatzqualifikation nicht erforderlich. Er arbeite nunmehr im heilpädagogischen Bereich. Im übrigen habe der Beklagte auch während seiner Tätigkeit als Fachkraft zur Arbeits- und Berufsförderung gearbeitet. Insoweit habe die Klägerin auf die Zusatzqualifikation keinen Wert gelegt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e.V. (BAG:WfbM)

Entscheidungsgründe:

I. Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Rückzahlung der geltend gemachten Ausbildungskosten.

II. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes sind einzelvertragliche Vereinbarungen grundsätzlich zulässig, wonach Ausbildungskosten, die der Arbeitgeber aufgewendet hat, vom Arbeitnehmer zurückzuzahlen sind, wenn dieser das Arbeitsverhältnis vor Ablauf bestimmter Fristen beendet. Das gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Zahlungsverpflichtungen, die an die vom Arbeitnehmer ausgehende Kündigung anknüpfen, können gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen. Die Rückzahlungspflicht muss vom Standpunkt eines verständigen Betrachters einem begründeten und zu billigenden Interesse des Arbeitgebers entsprechen. Der Arbeitnehmer muss mit der Ausbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung erhalten. Insgesamt muss die Erstattungspflicht dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben zumutbar sein. Die für den Arbeitnehmer tragbaren Bindungen sind aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Heranbeziehung der Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Dabei kommt es u.a. auf die Dauer der Bindung, den Umfang der Fortbildung, die Höhe des Rückzahlungsbetrages und dessen Abwicklung an (vgl. insoweit Urt. des BAG v. 24. Juli 1991).

1. Die gerichtliche Inhaltskontrolle von Rückzahlungsklauseln und die erforderliche Interessenabwägung hat sich insbesondere daran zu orientieren, ob und inwieweit der Arbeitnehmer mit der Aus- und Weiterbildung einen geldwerten Vorteil erlangt. Eine Kostenbeteiligung ist ihm um so mehr zuzumuten, je größer der mit der Ausbildung verbundene berufliche Vorteil für ihn ist. Die Gegenleistung für die Rückzahlungsklausel bewirkte Bindung kann darin bestehen, dass der Arbeitnehmer eine Ausbildung erhält, die ihm auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder im Bereich seines bisherigen Arbeitgebers die Voraussetzungen einer höheren Tarifgruppe erfüllt, sei es dass die erworbenen Kenntnisse sich auch für die anderweitigen Arbeitsverhältnisse nutzbar machen lassen. Die Vereinbarung von Rückzahlungsklauseln kommt namentlich darin in Betracht, wenn der Arbeitnehmer die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten auch außerhalb des Betriebes des ausbildenden Arbeitgebers verwerten und beruflich aufsteigen kann (vgl. BAG Urt. v. 20. April 1975 5 AZR 240/74). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer eine in der Praxis anerkannte Qualifikation erwirbt.

Im vorliegenden Fall sollte der Beklagte eine sonderpädagogische Zusatzausbildung erwerben. Die sonderpädagogische Zusatzausbildung ist auch verwertbar in anderen Werkstätten für Behinderte. Insoweit ist auch gemäß der Vergütungsordnung des BAT eine höhere Vergütung vorgesehen. Gemäß des BAT ist bei einer vierjährigen Bewährung in BAT 5 c dann eine Höhergruppierung möglich, wenn jemand Arbeitspädagoge ist. Dies sieht der Musterzeitplan der möglichen Höhergruppierung für Angestellte im Betreuungsdienst vor. Die Zusatzqualifikation ist somit nicht allein nur Voraussetzung für die Tätigkeit bei der Klägerin, sondern sie eröffnet dem Beklagten auch die Möglichkeit, einen höheren Verdienst zu erzielen und des weiteren erweitert sie die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, da die Arbeitnehmer, die neben einer handwerklichen Ausbildung noch eine sonderpädagogische Zusatzqualifikation nachweisen können, mehr Tätigkeitsfelder vorfinden.

2. Die Zulässigkeit von Rückzahlungsklauseln hängt von der Fortbildungs- und Bindungsdauer ab. Beide müssen in angemessenem Verhältnis stehen. Denn da der Arbeitgeber während der Fortbildung üblicherweise die Vergütung fortzahlt oder einen Unterhaltszuschuss gewährt, hängt von ihrer Dauer im Regelfall die Höhe der Arbeitgeberaufwendungen maßgeblich ab. Entscheidend ist aber, dass die Dauer der Fortbildung ein starkes Indiz für die Qualität der erworbenen Qualifikation ist. Im einzelnen gilt folgendes: Bei einer Lehrgangsdauer von bis zu zwei Monaten ohne Verpflichtung zur Arbeitsleistung kann im Regelfall höchstens eine einjährige Bindung vereinbart werden. Eine Lehrgangsdauer von sechs Monaten bis zu einem Jahr ohne Arbeitsverpflichtung rechtfertigt im Regelfall keine längere Bindung als drei Jahre (vgl. insoweit Urt. des BAG v. 16. März 1994 5 AZR 339/92). Im vorliegenden Fall ist eine Bindungsdauer von zwei Jahren vereinbart worden. Die Lehrgangsdauer übersteigt zwei Monate deutlich, so dass insoweit keine Bedenken bestehen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist insoweit gewahrt.

3. Gegenüber der Höhe der Rückzahlungverpflichtungen bestehen keine Bedenken. Die Klägerin hat im einzelnen dargelegt, für welche Zeiträume sie die Kosten aufgewendet hat und hat insoweit diese Kosten geltend gemacht.

4. Die Wirksamkeit der Rückzahlungsklausel richtet sich nach den Umständen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Insoweit ist es nicht entscheidend, ob der Beklagte nunmehr diese Ausbildung fortführt oder zu Ende führt und ob er sie bei seinem neuen Arbeitgeber benötigt. Bei der Frage, ob und welche beruflichen Vorteile die Weiterbildung dem Arbeitnehmer bringt, handelt es sich demnach um in der Zukunft liegende Umstände. Es ist also eine Zukunftsprognose anzustellen. Häufig wird der Arbeitsmarkt im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses die künftigen Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt nur ungenau überblicken und einschätzen können. Insoweit hat die Rechtsprechung die Notwendigkeit von Erleichterungen der Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf zukünftige Entwicklungen anerkannt. Somit ist entscheidend, dass bei Abschluss der Zusatzvereinbarung im Jahre 1999 konkrete Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Beklagte durch den Erwerb der Zusatzqualifikation seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessert. Somit kommt es nicht darauf an, wie sich später die Entwicklung dargestellt hat. Diese Entwicklung ist nicht entscheidend (vgl. insoweit auch das Urt. das BAG v. 16 März 1994 5 AZR 339/92)
III. Es liegt somit eine wirksame Vereinbarung vor, und der Beklagte ist somit verpflichtet, die geltend gemachten Kosten zurückzuzahlen.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Der Streitwert richtet sich nach der Klageforderung.

Referenznummer:

R/R1402


Informationsstand: 16.10.2001