Der Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 15. Dezember 2003 und des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2004 verpflichtet, der Klägerin Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für die Betreuung im Förder- und Beschäftigungsbereich der Christopherus-Werkstätten der Samariteranstalten in ... zu gewähren.
Der Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Klägerin begehrt Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für ihre Beschäftigung in einem Förder- und Beschäftigungsbereich (FBB) nach
§ 136 Abs. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) IX.
Die am ... 1959 geborene Klägerin ist geistig behindert, blind und wegen einer zusätzlichen körperlichen Behinderung (spastische Parese, Kleinhirnausfall) an den Rollstuhl gebunden. Sie lebt in einer Wohnstätte der Samariteranstalten in .. Mit Bescheid des Landesamtes für Soziales und Versorgung (LASV) vom 19. Dezember 1995 wurde ihr rückwirkend zum 1. März 1993 Eingliederungshilfe nach § 40
Abs. 1
Nr. 8 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) für ihre Beschäftigung im Förder- und Beschäftigungsbereich der Christopherus-Werkstätten in ... bewilligt. Zuvor war sie dort im Arbeitsbereich tätig, konnte aber aufgrund ihrer Behinderung die Mindestanforderungen an diese Tätigkeit nicht mehr erfüllen.
In einem Schreiben vom 26. November 2003 teilte das LASV den örtlichen Trägern der Sozialhilfe und damit auch dem Beklagten mit, dass sich
u. a. die Samariteranstalten ... bereit erklärt hätten zu prüfen,
"wie unter Ausnutzung vorhandener Ressourcen in den Wohnstätten und durch Einbeziehung bestehender örtlicher Möglichkeiten die in den Wohnstätten vorgehaltenen Angebote der internen Tagesstruktur auch für die derzeit noch im FBB an der WfbM betreuten behinderten Menschen mit Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erweitert werden können ... Die Samariteranstalten haben in Aussicht gestellt, Leistungen ab dem 01.07.04 anzubieten. Dieser Termin sollte durch Sie bei der Aktualisierung der Bescheiderteilung gegenüber den Hilfeempfängern und der Befristung
bzw. Verlängerung der Kostenübernahmeerklärung gegenüber der Werkstatt Berücksichtigung finden."
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2003 änderte der Beklagte daraufhin den Bescheid vom 19. Dezember 1995 dahingehend ab, dass die Eingliederungshilfe im FBB der Christopherus- Werkstätten nur noch bis zum 30. Juni 2004 gewährt wurde. Zur Begründung wurde angeführt, dass sich mit der Einführung des
SGB IX am 1. Juli 2001 die Grundlagen für die weitere Gewährung von Eingliederungshilfe in den Förder- und Beschäftigungsbereichen geändert hätten. Dort würden nunmehr die folgenden Leistungen angeboten: 1. Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich sind, behinderten Menschen im Erwerbsalter die für sie erreichbare Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen, 2. Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. In Auswertung der Entwicklungsberichte werde nunmehr festgestellt, dass der Klägerin im FBB "vordergründig" die unter Punkt 2. benannte Hilfeart zuteil werde.
Hiergegen legte die Klägerin am 12. Januar 2004 durch ihre Betreuerin Widerspruch ein: In der Konzeption des FBB der Christopherus-Werkstätten fänden sich die Förderziele "Hilfe zur Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft" und "Hilfe zur Teilhabe am Arbeitsleben" gleichberechtigt nebeneinander. Schwerstbehinderte würden die ihnen mögliche Teilhabe nur und gerade in den Förder- und Beschäftigungsbereichen erfahren. Deren Leistungsangebot richte sich an Menschen, welche die Zugangsvoraussetzung für die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) nicht erfüllten. Eine strukturierende Förderung lediglich in der Wohnstätte wäre ohne Schaffung der erforderlichen Voraussetzungen eine Verschlechterung der Hilfegewährung unter Umgehung des Wunsch- und Wahlrechts nach
§ 9 SGB IX.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2004, zugestellt am 30. Juni 2004, zurück. Die Förderung im FBB an einer WfbM komme immer dann in Betracht, wenn die spätere Aufnahme in eine Werkstatt möglich erscheine. Weiterhin würden behinderte Menschen aufgenommen, wenn ihr Anspruch auf Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht anders realisierbar sei. Für die Bewohner einer Wohnstätte könne die Aufnahme
bzw. der Verbleib in einem FBB nur so lange erfolgen, bis eine Förderung in der Wohnstätte gewährleistet sei. Nach dem Entwicklungsbericht und einem weiteren amtsärztlichen Gutachten vom 12. Mai 2004 werde eingeschätzt, dass die Klägerin zum Personenkreis gehöre, dem Förderung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu gewähren sei und noch bis zum 30. Juni 2004 im FBB gewährt werde. Eine Aufnahme in den Bereich zur Teilhabe am Arbeitsleben sei aufgrund der gesundheitlichen Voraussetzungen der Klägerin nicht möglich. Laut Information des LASV könnten ab dem 1. Juli 2004 die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in der Wohnstätte der Klägerin erbracht werden, der weitere Verbleib im FBB sei ab diesem Zeitpunkt nicht mehr notwendig. Dabei komme das Wunsch- und Wahlrecht nach § 9
SGB IX nicht zum Tragen, da im Sozialhilferecht vorrangig § 3
Abs. 2 BSHG gelte. Danach solle den Wünschen von Hilfeempfängern in Heimen, Anstalten oder gleichartigen Einrichtungen nur entsprochen werden, wenn dies nach den Besonderheiten des Einzelfalles erforderlich ist. Daran fehle es hier, da die erforderliche Hilfe in der Wohnstätte gewährleistet werde.
Die Klägerin ist seit dem 1. Juli 2004 nicht mehr im FBB beschäftigt.
Am 26. Juli 2004 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Sie gehöre unstreitig zum Personenkreis der nicht werkstattfähigen behinderten Menschen. Aus § 136
Abs. 3
SGB IX ergebe sich, dass diese in Einrichtungen oder Gruppen betreut und gefördert werden sollten, die der Werkstatt angegliedert sind. Die dort erbrachte Leistung sei also keine Leistung der Teilhabe am Arbeitsleben, sondern Hilfe zur Teilhabe an der Gemeinschaft, die den behinderten Menschen einen zweiten Lebensraum eröffne. Die Hilfe in der Wohnstätte mit ihrem tagesstrukturierenden Angebot sei keine angemessene Maßnahme. Sie begehre neben dem Lebensfeld "Wohnen" die Realisierung des Lebensfeldes "Beschäftigung", und zwar außerhalb der Wohnung. Der ausnahmslose Aufenthalt in der Wohnstätte und die Weigerung, die Kosten für den FBB zu übernehmen, kämen einer Hospitalisierung gleich. Tag für Tag dieselbe Umgebung und dieselben Menschen zu erleben, widerspreche dem Anspruch auf Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Der Verlust des FBB habe bei ihr zu depressivem, aggressivem und autoaggressivem Verhalten geführt. Ihr fehle die tägliche Busfahrt und das Gefühl, "zur Arbeit" zu gehen. Sie habe keinen Kontakt mehr zu anderen Kollegen und vermisse diese sehr. Im FBB habe sie aktiv an der Arbeit in der Gruppe teilgenommen, sie sei mit individuellen Arbeiten konfrontiert worden und habe diese mit Konzentration und Freude erledigt. Das individuelle Eingehen auf ihre Belange sei in der Wohnstätte nicht möglich, da dort schon nicht ausreichend Personal vorhanden sei. Im Übrigen dürfe der Beklagte nur in einem atypischen Fall von der Sollvorschrift des § 136
Abs. 3
SGB IX abweichen, ein solcher atypischer Fall liege hier aber gerade nicht vor.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 15. Dezember 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2004 zu verpflichten, ihr Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für ihre Betreuung im Förder- und Beschäftigungsbereich der Christopherus-Werkstätten der Samariteranstalten in ... zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Nach § 136
Abs. 3
SGB IX sei es nicht zwingend notwendig, dass behinderte Menschen, die nicht, noch nicht oder nicht mehr werkstattfähig sind, im FBB "unter dem verlängerten Dach der WfbM" betreut werden. Vielmehr komme es darauf an, für den behinderten Menschen ein bedarfsgerechtes Angebot zur Verfügung zu stellen. Behinderte Menschen, die in Wohnstätten leben, könnten nur dann im FBB aufgenommen werden, wenn absehbar sei, dass sie werkstattfähig werden können oder die Wohnstätte auch künftig keine strukturierte Förderung bieten werde. Behinderte Menschen, die die persönlichen Entwicklungsvoraussetzungen für die Aufnahme in den FBB dauerhaft nicht erfüllten, erhielten andere geeignete Maßnahmen im Bereich der individuellen Lebensgestaltung (alltägliche Lebensführung, individuelle Basisversorgung, Gestaltung sozialer Beziehungen, Teilnahme am kulturellen und gesellschaftlichen Leben). Bei schwerstbehinderten Menschen in vollstationären Einrichtungen solle dies grundsätzlich Bestandteil des dort vorgehaltenen Leistungsangebotes sein.
Bei der Klägerin belegten die Entwicklungsberichte und die amtsärztlichen Gutachten, dass sie die Voraussetzungen für den FBB dauerhaft nicht erfülle, da nicht absehbar sei, dass sie werkstattfähig werde. Somit könnten keine Leistungen gewährt werden, welche das Ziel hätten, auf die Teilhabe am Arbeitsleben vorzubereiten. Deshalb solle künftig eine strukturierte Förderung in der Wohnstätte der Samariteranstalten erfolgen, die nach Auskunft des LASV den Maßnahmen dem FBB entsprechen würden. Die Vereinbarung nach § 75
Abs. 3
SGB XII weise diese Wohnstätte als Wohnstätte für geistig Behinderte mit ganzheitlicher Betreuung auf der Basis von Normalisierung und Individualisierung im Sinne der sozialen Integration und Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft aus. Einzelheiten der Tagesstruktur in der Wohnstätte seien von ihm, dem Beklagten, nicht angefordert worden, weil davon ausgegangen worden sei, dass die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in jedem Fall sichergestellt sei. Im Übrigen werde auf die Konzeption der Gestaltung des Tages in den Wohnbereichen Bethanien/Posen der Samariteranstalten verwiesen. Danach gelte dort auch das 2-Milieu-Prinzip, durch vielfältige Aktivitäten werde ein zweiter Lebensraum eröffnet. Eine angemessene Förderung im Wohnbereich liege deshalb vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten ergänzend Bezug genommen.
Die Kammer kann gemäß § 102
Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) trotz des Ausbleibens eines Vertreters der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da sie ordnungsgemäß und unter Hinweis auf diese Möglichkeit geladen worden ist.
Die Klage ist als Verpflichtungsklage statthaft. Das Begehren der Klägerin ist - wie aus den eingereichten Schriftsätzen hervorgeht - auf die (erneute) Übernahme der Kosten für ihre Beschäftigung im FBB und damit auf den Erlass eines begünstigenden Verwaltungsaktes gerichtet. Auch im Übrigen ist die Klage zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass der Anspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (
BVerwG) grundsätzlich nur in dem zeitlichen Umfang in zulässiger Weise zum Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gemacht werden kann, in dem der Träger der Sozialhilfe den Hilfefall geregelt hat; das ist regelmäßig der Zeitraum bis zur letzten Verwaltungsentscheidung, also bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides (
vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Januar 1986 -
5 C 36.84 -, Buchholz 436.0 § 39 BSHG
Nr. 5; Urteil vom 31. August 1995 - 5 C 9.94 -, BVerwGE 99, 149). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allerdings dann zu machen, wenn die Behörde den Hilfefall für einen längeren Zeitraum geregelt hat. Ebenso wie sich eine Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe über einen längeren Zeitraum (über den Erlass des Widerspruchsbescheides hinaus) erstrecken kann, kann auch die Ablehnung einer solchen Bewilligung einen längeren Zeitabschnitt erfassen, wobei der die Ablehnung betreffende Regelungszeitraum nicht ausdrücklich benannt zu sein braucht, sondern sich aus dem maßgeblichen Bescheid durch Auslegung ergeben kann (
vgl. BVerwG, Urteil vom 31. August 1995,
a. a. O.). Vorliegend ist aus der Begründung der angegriffenen Bescheide ersichtlich, dass die weitere Übernahme der Kosten für den FBB dauerhaft abgelehnt werden sollte, weil der Anspruch der Klägerin auf Eingliederungshilfe anderweitig erfüllt sei. Der Beklagte wollte den Sozialhilfefall insoweit nicht "weiter unter Kontrolle halten", sondern die Klägerin für die Zukunft auf die Förderung im Bereich ihrer Wohnstätte verweisen.
Die Klage ist auch begründet.
Die Klägerin hat Anspruch darauf, dass der Beklagte die Kosten für den Besuch des FBB der Christopherus-Werkstätten der Samariteranstalten in ... zukünftig wieder im Rahmen der Eingliederungshilfe übernimmt. Der Bescheid des Beklagten vom 15. Dezember 2003 und der Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2004 sind - soweit sie diesem Anspruch entgegenstehen - rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113
Abs. 5 Satz 1
VwGO).
Der Anspruch der Klägerin auf Eingliederungshilfe folgt aus
§ 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Danach erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von
§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann.BesondereAufgabe der Eingliederungshilfe ist es nach
§ 53 Abs. 3 SGB XII, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern. Hierzu gehört vor allem, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen. Für die Leistungen zur Teilhabe gelten die Vorschriften des
SGB IX, soweit sich aus dem
SGB XII und den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen nichts Abweichendes ergibt (§ 53
Abs. 4
SGB XII).
Es ist nicht zweifelhaft und zwischen den Beteiligten auch nicht streitig, dass die Klägerin wegen ihrer geistigen und körperlichen Behinderungen zu dem Personenkreis gehört, dem Eingliederungshilfe nach § 53
Abs. 1 Satz 1
SGB XII zu gewähren ist. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe zählen nach
§§ 54 Abs. 1 SGB XII,
55 SGB IX auch Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Danach werden als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 des
SGB IX nicht erbracht werden. Dazu gehören auch Hilfen zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die erforderlich und geeignet sind, behinderten Menschen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen (§ 55
Abs. 2
Nr. 3
SGB IX) und Hilfen zur Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben (§ 55
Abs. 2
Nr. 7
SGB IX).
Die Beschäftigung der Klägerin im FBB der Christopherus Werkstätten (
bzw. die Übernahme der Kosten hierfür durch den Beklagten) stellt eine Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im vorgenannten Sinne dar; demgegenüber handelt es sich bei der Hilfe zum Besuch einer solchen Förderstätte - entgegen der Ansicht des Beklagten - grundsätzlich nicht um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 54
Abs. 1
Nr. 5
SGB XII, 33
SGB IX. Eine Förderstätte i.
S. d. § 136
Abs. 3
SGB IX ist der WfbM nur organisatorisch, aber nicht rechtlich angegliedert und zählt nicht zum Arbeitsbereich der Werkstatt nach
§ 41 SGB IX. Daraus folgt zugleich, dass eine solche Förderstätte allen schwerbehinderten Menschen offen steht, die die Aufnahmekriterien des § 136
Abs. 2
SGB IX (insb. "Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung")für die WfbM nicht erfüllen ( und nicht etwa nur den "noch nicht" werkstattfähigen Behinderten). Wenn der Beklagte vorliegend die Auffassung vertritt, die Klägerin erfülle nicht die Zugangsvoraussetzungen für den FBB, weil sie dauerhaft nicht werkstattfähig sein werde, so ist dies deshalb unzutreffend (
vgl. zum Ganzen: VGH München, Urteil vom 27. Dezember 2005 -
12 B 03.2609 -, Juris, nachfolgend
BVerwG, Beschluss vom 07.07.2006 - 5 B 18.06 -, Juris;
VG Greifswald, Urteil vom 12.07. 2006 -
5 A 1897/03 -, Juris; Schorn, in: Müller-Wenner/Schorn, SGB IX-Kommentar, Teil 2, § 136 Rn. 45 f.).
Dass der frühere Besuch des FBB der Christopherus-Werkstätten durch die Klägerin auch im Übrigen eine geeignete Maßnahme der Eingliederungshilfe war, erscheint im Hinblick auf die im Verwaltungsvorgang befindlichen amtsärztlichen Begutachtungen sowie die diversen Entwicklungsberichte der Christopherus-Werkstätten nicht zweifelhaft. Noch im letzten Gutachten vom 24. Februar 2004 schätzte die Amtsärztin ein, dass der Klägerin Eingliederungshilfe im FBB der WfbM gewährt werden sollte (Blatt 89 des Verwaltungsvorgangs). Der Kammer liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass die Geeignetheit der Förderung im FBB nunmehr anders zu beurteilen und die Wiederaufnahme der Klägerin in den FBB nicht mehr möglich oder untunlich sein könnte. Die Christopherus-Werkstätten haben der Kammer auf Nachfrage bestätigt, dass im FBB freie Kapazitäten bestünden und die Klägerin dort wieder aufgenommen werden könnte.
Demgegenüber wird der Anspruch der Klägerin auf Eingliederungshilfe durch die Förderung in ihrer Wohnstätte nicht angemessen erfüllt. Hierzu ist im Einzelnen auszuführen:
Über Form und Maß der Leistung (und damit auch über die konkrete Hilfemaßnahme) hat der Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (§ 17
Abs. 2
SGB XII). Dabei richten sich gemäß § 9
Abs. 1
SGB XII Art, Form und Maß der Sozialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalls, vor allem nach der Person des Hilfeempfängers, der Art seines Bedarfs und den örtlichen Verhältnissen, und soll gemäß § 9
Abs. 2 Satz 1
SGB XII den Wünschen des Hilfeempfängers, die sich auf die Gestaltung der Hilfe richten, entsprochen werden, soweit diese angemessen sind.
Es kann dahinstehen, ob das Ermessen der Beklagten bezüglich der Kostenübernahme für eine Beschäftigung im FBB im Regelfall durch
§ 136 Abs. 3 SGB IX gebunden ist (so
VG Potsdam, Urteil vom 18.07.2008 -
11 K 2483/04 -, juris;
a. A. wohl Schellhorn, SGB XII-Kommentar, § 9 Rn. 45). Gegen die Annahme einer strikten Bindungswirkung spricht aus Sicht der Kammer zumindest der Umstand, dass § 136
Abs. 3
SGB IX wohl nicht den Zweck verfolgen dürfte, einen unbedingten Vorrang der an die WfbM angegliederten Förderbereiche gegenüber anderen geeigneten Einrichtungen zu postulieren; vielmehr dürfte § 136
Abs. 3
SGB IX eine Auffangfunktion zukommen, wenn eine angemessene Förderung und Betreuung anderweitig nicht gewährleistet ist (
vgl. Pahlen, in: Neumann
u. a.,
SGB IX, 11. Auflage 2005, § 136
Rdnr. 14). Allerdings bringt die Regelung des § 136
Abs. 3
SGB IX die gesetzgeberische Intention zum Ausdruck, den behinderten Menschen auch in räumlicher Hinsicht einen "zweiten Lebensraum" zu eröffnen und dadurch ihre Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu erweitern. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll die Tagesförderung grundsätzlich nicht in der Wohnstätte, sondern räumlich davon getrennt erfolgen. Auch denjenigen behinderten Menschen, die (
ggf. dauerhaft) nicht werkstattfähig sind, wird damit die Möglichkeit eingeräumt, einen den Gewohnheiten nichtbehinderter Menschen ähnlichen Tagesablauf zu erleben (ebenso
VG Potsdam, Urteil vom 18. Juli 2008,
a. a. O.). Dieses gesetzliche Leitbild der Tagesförderung hat der Beklagte - schon im Hinblick auf § 53
Abs. 4
SGB XII - bei der Entscheidung über die konkrete Hilfemaßnahme zu beachten. Im Ergebnis bedeutet dies, dass eine Förderung in einer anderen Einrichtung (und
ggf. auch im Wohnbereich) zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, im Hinblick auf die vorgenannten gesetzlichen Vorgaben mit der Förderung im FBB aber zumindest gleichwertig sein muss, um den Anspruch des Behinderten auf Eingliederungshilfe zu erfüllen (ähnlich VGH München, Urteil vom 27. Dezember 2005 -,
a. a. O.).
An dieser Voraussetzung fehlt es hier. Die tagesstrukturierende Förderung in der Wohnstätte der Klägerin kann nicht als gleichwertig angesehen werden. Der Beklagte hat hierzu allein ein "Arbeitspapier- Konzeption der Gestaltung des Tages in dem Wohnbereich Bethanien/Posen der Samariteranstalten" vorgelegt, das - wie er in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigte - die aktuelle Situation im Wohnbereich wiederspiegeln soll. Zwar geht aus diesem Arbeitspapier hervor, dass das "2-Milieu-Prinzip" auch für die Förderung im Wohnbereich gelten und im Einsatz speziell für die Tagesgestaltung beschäftigter Mitarbeiter sowie in der vorrangigen Nutzung von Räumlichkeiten, die nicht unmittelbar zum Wohnbereich gehören, zum Ausdruck kommen soll. Allerdings wird die Umsetzung dieses Ansatzes in dem eingereichten Arbeitspapier selbst in erheblichem Maße in Zweifel gezogen. So wird ausgeführt, es stünden nur zwei Räume für die Tagesbetreuung zur Verfügung, was "nicht ausreichend" sei; daher müssten zusätzlich zwei Wohn- und Esszimmer der Gruppen 1 und 4 in Posen genutzt werden, was zu nicht unerheblichen Spannungen führe. Eine der wesentlichen Ziele der Förderung im FBB - die Eröffnung eines zweiten Lebensraums in räumlicher Hinsicht - wird damit nach dem eigenen Vortrag des Beklagten im Bereich der Wohnstätte verfehlt oder jedenfalls nur unzureichend erreicht. Ferner gehört zu den typischen Leistungen des FBB, die Fähigkeiten und Fertigkeiten im persönlichen und lebenspraktischen Bereich zu fördern und zu erhalten sowie die Mobilität zu trainieren (
vgl. Schorn,
a. a. O., § 136 Rn. 44). In den Entwicklungsberichten der Christopherus-Werkstätten werden hierzu etwa die (handwerklichen) Förderangebote im kognitiv-motorischen Bereich sowie ein tägliches Lauftraining mit dem Gruppenleiter angeführt, um die geringe Mobilität der Klägerin zu erhalten. Die handwerklichen Tätigkeiten der Klägerin seien nur mit Einzelanleitung möglich (
vgl. Entwicklungsbericht vom 11. April 2001). Dass eine vergleichbare individuelle Förderung im Wohnbereich angeboten wird
bzw. (angesichts der personellen Situation) angeboten werden kann, ist weder vom Beklagten vorgetragen worden noch sonst erkennbar.
Darüber hinaus hat der Beklagte - entgegen § 9
Abs. 1
SGB XII - keinerlei einzelfallbezogenen Feststellungen getroffen, ob die Förderung im Wohnbereich für die Klägerin geeignet und angemessen ist. Die Vertreter des Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie hätten weder die Förderstätte der Christopherus-Werkstätten noch den Wohnbereich der Klägerin besucht. Der Beklagte hat ferner eingeräumt, dass er aufgrund der Mitteilung des LASV "in jedem Fall" davon ausgegangen sei, dass die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in der Wohnstätte sichergestellt sei. Dies erscheint hinsichtlich der Klägerin aber gerade zweifelhaft. So ist in den Entwicklungsberichten durchweg davon die Rede, die Klägerin leide unter starken und plötzlichen Stimmungsschwankungen, die zu aggressivem und autoaggressivem Verhalten führten; in diesen Stresssituationen bedürfe sie besonderer Fürsprache und Hilfe der Gruppenleiterin. Im letzten Entwicklungsbericht vom 8. Mai 2003 heißt es, diese Verhaltensweisen hätten eingeschränkt werden können; sie nutze nun häufiger das Gespräch mit dem Gruppenleiter als alternative Möglichkeit gegenüb er autoaggressiven Verhaltensweisen. Nach dem Vortrag der Klägerin habe ihre Herausnahme aus dem FBB zu depressivem, aggressivem und autoaggressivem Verhalten geführt. Der Beklagte hat sich mit diesem Vorbringen nicht einmal ansatzweise auseinandergesetzt. Er ist deshalb auch insoweit seiner Darlegungslast, dass der Anspruch der Klägerin auf Eingliederungshilfe durch die Förderung in ihrer Wohnstätte erfüllt wird, nicht nachgekommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154
Abs. 1, 188 Satz 2
VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167
VwGO i. V. m. §§ 708
Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.