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Urteil
Anrechnung von Übergangsgeld bei vollstationärer Betreuung

Gericht:

OVG Niedersachsen


Aktenzeichen:

4 L 3963/00


Urteil vom:

17.10.2001


Grundlage:

  • BSHG § 43 |
  • BSHG § 85

Anrechnung von Übergangsgeld bei vollstationärer Betreuung

Der Kläger leidet an einer psychischen Erkrankung und besucht den Arbeitstrainingsberich (AT-Bereich, jetzt Berufsbildungsbereich) einer Werkstatt. Er wird vollstationär betreut und bezieht ein tägliches Übergangsgeld in Höhe von 40,42 DM. Der Sozialhilfeträger verlangt von dem Kläger einen Kostenbeitrag aus dem Übergangsgeld in Höhe von (rückwirkend) 7088,-DM für die vollstationäre Betreuung. Der Kläger hat gegen die Heranziehung Klage erhoben und eine Berechnung des Kostenbeitrags auf der Grundlage der Freibeträge nach § 85 Abs. 2 BSHG in gleicher Weise wie für das Arbeitseinkommen im Arbeitsbereich der Werkstatt verlangt.

Das Verwaltungsgericht Osnabrück hat mit Urteil vom 17.02.00 den Widerspruchsbescheid der Beklagten aufgehoben, soweit darin ein höherer Kostenbeitrag für die stationäre Betreuung als 6657,-DM gefordert wird. Die Klage sei nur z.T. begründet. Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide seien die §§ 43 Abs. 1, 85 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 BSHG. Es sei für den entscheidungserheblichen Zeitraum zu erwarten gewesen, dass der Kläger mindestens ein Jahr stationär habe betreut werden müssen. Das Übergangsgeld sei dem Kläger nur für die Zeit für die Betreuung im AT-Bereich gewährt worden. Da ein vollständiger Einsatz des Übergangsgeldes dazu führen könne, "das Selbsthilfestreben" des Klägers einzuschränken und ihn veranlassen könne, die Beschäftigung im AT-Bereich abzubrechen, sei es angemessen, wenn ein bestimmter Teil des Übergangsgeldes nicht eingesetzt werden müsse. Dieser Freibetrag sei jedoch nicht nach § 85 Abs. 2 BSHG zu berechnen. Diese Vorschrift gelte nur für eine entgeltliche Beschäftigung worunter das Übergangsgeld nicht falle. Nach Auffassung der Kammer sei es aber gerechtfertigt, das verfügbare Einkommen des Klägers durch Gewährung eines Einkommensfreibetrag in Höhe von 5% des monatlichen Übergangsgeldes (rd. 60,- DM) zu erhöhen. Damit werde einerseits ein zusätzlicher Ansporn für den Kläger geschaffen, im AT-Bereich der Werkstatt tätig zu werden; andererseits werde aber auch ein ausreichend deutlicher Abstand zu dem verfügbaren Einkommen des Klägers während seiner Tätigkeit im Produktionsbereich der Werkstatt eingehalten.

Das OVG hat das Urteil des VG bestätigt und die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

§ 85 Abs. 2 BSHG finde keine Anwendung. Es sei nicht gerechtfertigt, Übergangsgeld gleichermaßen wie Arbeits- oder Erwerbseinkommen zur Erhaltung des Arbeits- und Selbsthilfewillens vom Einkommenseinsatz freizulassen.

Es finde daher allein § 85 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 BSHG Anwendung. Danach könne eine Heranziehung im angemessenen Umfang erfolgen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Heranziehung des einem Behinderten im AT-Bereich gewährten "Ausbildungsgeldes" nach §§ 104 Abs. 1 Nr. 2, 107 SGB III nur rechtmäßig sei, soweit dem Behinderten mindestens 50% des Ausbildungsgeldes verbleibe. Eine Heranziehung im angemessen Umfang sei nämlich nur dann gegeben, wenn die Motivation des Hilfeempfängers aufrecht erhalten werde, an der Maßnahme weiter teilzunehmen und dadurch zu einer Arbeitsleistung angespornt zu werden.

Diese Rechtsprechung könne jedoch nicht im vollem Umfang auf das Übergangsgelds übertragen werden. Die Funktion des Übergangsgeldes, Erwerbseinkommen für die Dauer der Tätigkeit im Berufsbildungsbereich zu ersetzen, um den Unterhalt des Berechtigten während dieser Zeit sicherzustellen, spreche dafür, einen größeren Anteil heranzuziehen als dies beim Ausbildungsgeld der Fall sei. Dabei sei die von dem VG vorgesehene Freilassung von 5% sachgerecht. Im Gegensatz zu dem Ausbildungsgeld, das den Charakter einer Arbeitstrainingsprämie habe, sei das Übergangsgeld eine Leistung mit Lohnersatzfunktion. Es solle den Verlust des Arbeitseinkommens während und in Folge der Durchführung einer Reha-Maßnahme ersetzen und den Lebensunterhalt des Behinderten gewährleisten. Daher komme dem Übergangsgeld eine geringere Anreizfunktion zu als dem Ausbildungsgeld. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass dem Kläger aufgrund seiner vollstationären Betreuung ein Barbetrag in Höhe von 161,- DM zustehe, der gem. § 21 Abs. 3 Satz 4 um 5% (ca. 60,- DM) des Übergangsgeldes erhöht werde, weil der Träger damit die Kosten des Aufenthalts in der Einrichtung zum Teil selbst trage. Damit verbliebe dem Kläger ein Betrag von ca. 220,- DM, der ausreiche, um seine persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Es sei daher nicht notwendig, dem Kläger in Anlehnung an die Rechtsprechung zum Ausbildungsgeld die Hälfte oder einen ähnlich hohen Anteil des Übergangsgeldes für seine persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens zu belassen.

Ein Freibetrag von 5% des Übergangsgelds sei auch angemessen, um einen hinreichend deutlichen Abstand zu dem verfügbaren Einkommen des Klägers während der Tätigkeit im Produktionsbereich einzuhalten. Wenn der Kläger jetzt im AT-Bereich 280,- DM mtl. zur Verfügung habe, verblieben ihm damit 100,- DM weniger als während seiner Tätigkeit im Produktionsbereich, wo er zwischen 370,- und 390,- DM verdienen könne. Eine Verringerung dieses Abstands hätte sich eher negativ auf die Bereitschaft des Klägers zur Wiederaufnahme von Erwerbsarbeit auswirken können.

Die Freilassung von 5% des Übergangsgeldes und damit eines Betrags von 60,- DM mtl. sei auch deshalb geboten, um eine Gleichbehandlung mit denjenigen Beschäftigten im AT-Bereich sicherzustellen, die nur das Ausbildungsgeld und kein Übergangsgeld erhalten. Damit sei garantiert, dass für die gleiche Tätigkeit gleiche finanzielle Anreize zur Verfügung gestellt würden.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Rechtsdienst der Lebenshilfe 01/2002

Referenznummer:

R/R1605


Informationsstand: 14.06.2002