Der am 03.07.2003 erhobene, zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit dem der Antragsteller die Antragsgegnerin verpflichten möchte, ihm vorläufig Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form von Leistungen im Eingangsverfahren einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen zu gewähren, ist begründet. Die Antragsgegnerin hat nach der hier im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen vorläufigen Prüfung zu Unrecht diese Leistungen mit Bescheid vom 08.05.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.07.2003 abgelehnt.
Nach § 86b
Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) kann das Sozialgericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86b
Abs. 2 Satz 4
SGG i. V.m. § 920
Abs. 2 der Zivilprozessordnung (
ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gesichert werden soll ( Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen.Der Antragsteller hat danach sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
1. Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht aufgrund einer vorläufigen, summarischen Prüfung, bei welcher der Sachverhalts soweit dies unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens geboten ist von Amts wegen ermittelt wird und die Beteiligten heranzuziehen sind ( § 103
SGG), zu der Überzeugung gelangt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und deshalb der Antragsteller in einem Hauptsacheverfahren mit dem gleichen Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde ( Krodel, NZS 2002, 234
ff.; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage 1998, Rn. 152, 338; jeweils
m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall.
Anspruchsgrundlage für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form von Leistungen im Eingangsverfahren einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen durch die Antragsgegnerin ist § 97 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches Arbeitsförderung (
SGB III)
i.V.m. den §§ 98 und 102
SGB III sowie § 40 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuchs Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (
SGB IX).
Danach kann die Antragsgegnerin behinderten Menschen im Sinne des § 19
SGB III Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbringen, die wegen der Art oder Schwere der Behinderung erforderlich sind, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern (§ 97
Abs. 1
SGB III). Als besondere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 98
Abs. 1
Nr. 2
SGB III) sind hierbei Leistungen im Eingangsverfahren der Werkstätten für behinderte Menschen nach § 40
SGB IX zu erbringen (§ 102
Abs. 2
SGB III), wenn diese Leistungen anstelle der allgemeinen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne des § 98
Abs. 1
Nr. 1
SGB III wegen der Art oder Schwere der Behinderung oder zur Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben unerlässlich sind oder wenn die allgemeinen Leistungen wegen der Art oder Schwere der Behinderung die erforderlichen Leistungen nicht oder nicht im erforderlichen Umfang vorsehen (§ 102
Abs. 1
SGB III).Dass diese Voraussetzungen beim Antragsteller vorliegen, ist zwischen den Beteiligten unstreitig und auch für das Gericht nicht zweifelhaft. Gemäß dem Gutachten nach Aktenlage durch den ärztlichen Dienst des Arbeitsamtes Dresden vom 04.07.2003 (Blatt 29 der Gerichtsakte) leidet der Antragsteller an einer schweren geistigen Behinderung mit statomotorischer Entwicklungsverzögerung und deutlich eingeschränkter Körperkontrolle sowie Koordinationsstörungen. Hinzu kommt ein Anfallsleiden in Form einer Epilepsie, was zu regelmäßiger Medikamenteneinnahme zwingt. Das Gericht ist deshalb davon überzeugt, dass der Antragsteller wenn überhaupt nur dann eine Chance auf Herstellung einer gewissen, wenn auch begrenzten, Erwerbsfähigkeit hat, wenn er durch Maßnahmen in einer besonderen Einrichtung für behinderte Menschen gefördert wird.Dies stellt, soweit ersichtlich, auch die Antragsgegnerin nicht in Frage. Sie ist lediglich der Auffassung, dass eine Förderung des Antragstellers in einer Werkstatt für behinderte Menschen im Sinne des § 136
Abs. 1
SGB IX angesichts der Schwere seiner Behinderungen nicht die richtige Förderform darstellt, sondern eine Förderung nur in einer der den Werkstätten für behinderte Menschen angegliederten besonderen Förder- und Betreuungsgruppen für behinderte Menschen im Sinne des § 136
Abs. 3
SGB IX möglich ist. Dem vermag sich das Gericht jedoch hier im einstweiligen Rechtsschutzverfahren und vorbehaltlich einer genaueren medizinischen Überprüfung im Hauptsacheverfahren nicht anzuschließen.
Nach § 40
Abs. 1
Nr. 1
SGB IX erhalten behinderte Menschen Leistungen im Eingangsverfahren einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen zum Zwecke der Feststellung, ob die Werkstatt die geeignete Einrichtung für die Teilhabe am Arbeitsleben ist sowie welche Bereiche der Werkstatt und welche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für den jeweiligen behinderten Menschen in Betracht kommen und außerdem um eine Eingliederungsplan zu erstellen. Zwar ist gemäß § 137
Abs. 1 Satz 1
SGB IX Voraussetzung für die Aufnahme eines behinderten Menschen in eine solche Werkstatt, dass dieser die Aufnahmevoraussetzungen gemäß § 136
Abs. 2
SGB IX erfüllt, wonach eine Aufnahme nur erfolgt, wenn zu erwarten ist, dass der behinderte Mensch spätestens nach Teilnahme an Maßnahmen im Berufsbildungsbereich wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen wird. Jedoch dient nach dem eindeutigen Wortlaut des § 40
Abs. 1
Nr. 1
SGB IX das Eingangsverfahren in einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen auch und gerade dem Zweck festzustellen, ob die Werkstatt die geeignete Einrichtung für die Teilhabe am Arbeitsleben ist.
Diese bedeutet allerdings nicht, dass damit, wie der Antragsteller meint, stets ein Eingangsverfahren durchzuführen ist, um festzustellen ob der behinderte Mensch sinnvoll an Maßnahmen in einer Behindertenwerkstatt teilnehmen kann. Die vom Antragsteller zitierte Kommentierung, wonach in jedem Einzelfall die Durchführung eines Eingangsverfahren erforderlich sei, meint lediglich, dass dann, wenn die Voraussetzungen des § 136
Abs. 2
SGB IX tatsächlich erfüllt sind, nicht sofort mit Maßnahmen im Berufsbildungsbereich begonnen werden kann, sondern stets vor Beginn der Berufsbildungsmaßnahmen das Eingangsverfahren durchzuführen ist, um den gemäß § 40
Abs. 1
Nr. 1
SGB IX erforderlichen Eingliederungsplan zu erstellen (Götze in: Hauck/Noftz,
SGB IX, § 40 Rn. 3 mit Verweis auf BT-Drucksache 14/5800, Seite 27 zu
Art. 1 § 40). Dies bedeutet umgekehrt, dass in Zweifelsfällen das Eingangsverfahren der Prüfung dient, ob zu erwarten ist, dass der behinderte Mensch spätestens nach Teilnahme an Maßnahmen im Berufsbildungsbereich wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen wird. Ist hingegen bereits ohne ein solches Eingangsverfahren medizinisch gesichert, dass der behinderte Mensch eine solche Arbeitsleistung nicht wird erbringen können, so liegt kein Zweifelsfall vor und Leistungen im Eingangsverfahren können von vornherein abgelehnt werden.
Letzteres trifft vorliegend jedoch nicht zu. Für das Gericht ist jedenfalls hier im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht medizinisch gesichert, das beim Antragsteller von vornherein und ohne Durchführung des Eingangsverfahren nicht zu erwarten ist, dass er spätestens nach Teilnahme an Maßnahmen im Berufsbildungsbereich wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen wird. Insoweit beschränkt sich das Aktenlagengutachten des ärztlichen Dienstes des Arbeitsamtes vom 04.07.2003 ( Blatt 29 der Gerichtsakte) lediglich darauf, die schon diagnostizierten Gesundheitsstörungen aufzuführen und festzustellen, dass damit ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung nicht zu erwarten sei. Es fehlen Ausführungen dazu, aufgrund welcher Auswirkungen der diagnostizierten Erkrankungen dieses Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit nicht zu erwarten ist. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass es für ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung ausreicht, wenn der behinderte Mensch irgendwie am Arbeitsauftrag der Werkstatt mitwirken,
d. h. an der Herstellung und Erbringung der von der Werkstatt vertriebenen Waren und Dienstleistungen durch nützliche Arbeit beteiligt werden kann, ohne sich und andere zu gefährden (Götze in: Hauck/Noftz,
SGB IX, § 136 Rn. 29). Insoweit ist für das Gericht hinreichend glaubhaft, dass ein Zweifelsfall vorliegt, er die Durchführung eines Eingangsverfahren in einer Werkstatt für behinderte Menschen rechtfertigt.
2. Auch der Anordnungsgrund ist vorliegend zu bejahen.
Ein Anordnungsgrund ist nur dann gegeben, wenn sich aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle Interessenlage des Antragstellers unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter unzumutbar erscheinen lässt, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage 1998, Rn. 154-156
m.w.N.; ähnlich Krodel, NZS 2002, 234
ff.). Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer wiegenden Gründen nötig erscheint (
vgl. Mayer-Ladewig,
SGG, 7. Auflage 2002, § 86b Rn. 29 mit Verweis auf die Rechtslage gemäß § 123
Abs. 1 Satz 2
VwGO).
Vorliegend drohen dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung derartige wesentliche Nachteile. Denn gemäß § 137
Abs. 1 Satz 1
SGB IX kann der Antragsteller nur dann in einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen aufgenommen werden, wenn die Leistungen dafür vom zuständigen Rehabilitationsträger (hier der Antragsgegnerin gemäß § 42
Abs. 1
Nr. 1
SGB IX) gewährleistet sind.
Ein wesentlicher Nachteil liegt allerdings nicht bereits darin, dass bei einer Nichterbringung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben durch die Antragsgegnerin die Mutter des Antragstellers ihre Tätigkeit als Erzieherin aufgeben müsste. Denn für den Fall, dass bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens keine Leistungen im Eingangsverfahren einer Werkstatt für behinderte Menschen erbracht würden, könnte der Antragsteller ohne weiteres beim subsidiär zuständigen überörtlichen Träger der Sozialhilfe ( Landeswohlfahrtsverband Sachsen) Eingliederungshilfe in Form von Leistungen im Sinne des § 136
Abs. 3
SGB IX erhalten, so dass dessen Betreuung und ein gewisses Maß an Förderung vorläufig gesichert wäre.
Vorausgesetzt die Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen wären tatsächlich die richtige Förderungsform für den Antragsteller, würde dies jedoch eine nicht hinzunehmende Unterbrechung der kontinuierlichen Förderung der bisher erlangten Fähigkeiten und Fertigkeiten des Antragstellers bedeuten. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass in der Hauptsache ein Klageverfahren vor dem erkennenden Gericht durchaus ein Jahr oder länger dauern könnte. In Anbetracht des jugendlichen Alters des Antragstellers, in dem dessen Ausbildung und Entwicklung ein besonderes Gewicht zukommt, kann eine derart lange Unterbrechung der kontinuierlichen Förderung des Antragstellers nach Auffassung des Gerichts nicht hingenommen werden. Dies trotz der Tatsache, dass mit der vorliegenden einstweiligen Anordnungen die Hauptsache im Wesentlichen vorweg genommen wird. Denn das Gericht misst insoweit der Sicherung des Wohls und der geordneten Entwicklung des behinderten Antragstellers ein höheres Gewicht zu als dem Umstand, dass bei einer vorläufigen Gewährung der Rehabilitationsleistungen durch die Antragsgegnerin diese gegebenenfalls, wenn das Hauptsacheverfahren zu einem anderen Ergebnis führen sollte, die erbrachten Leistungen nur schwerlich wird zurückfordern können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
Abs. 1 Satz 1
SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.