Die Klage ist zulässig und begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung von Leistungen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich in der Werkstatt für behinderte Menschen.
Die Klägerin erfüllt unstreitig die Voraussetzungen für die Aufnahme in der Werkstatt für behinderte Menschen
gem. § 40 i.V. m.
§ 136 Abs. 2 SGB IX.
Insbesondere ergibt sich die Werkstattfähigkeit aus dem von der Beklagte eingeholten Gutachten des ärztlichen Dienstes vom 04.05.2004, in dem von der Werkstattfähigkeit der Klägerin ausgegangen wird. Auch wird die Fähigkeit der Klägerin, die beantragte Form der beruflichen Bildung erfolgreich zu absolvieren, durch das erste Zwischenzeugnis der Kindertagesstätte x von November 2004 bestätigt. Abgesehen davon bestätigt die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 14.01.2005, dass die Voraussetzungen für die Aufnahme in einer Werkstatt für behinderte Menschen bei der Klägerin vorliegen, indem sie nämlich der Förderung im Eingangsverfahren/Berufsbildungsbereich in einer der 3 örtlich zuständigen Werkstätten zustimmt. Streitig ist ausschließlich, ob die Klägerin auch Anspruch auf Leistungen der beruflichen Rehabilitation außerhalb der von der Beklagte benannten 3 örtlich zuständigen Werkstätten für behinderte Menschen hat.
Gem.
§ 1 Werkstättenverordnung hat die Werkstatt für behinderte Menschen zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sie die behinderten Menschen im Sinne des § 136
Abs. 2 des 9. Buches Sozialgesetzbuch aus ihrem Einzugsgebiet aufnehmen kann. Gem.
Abs. 2 soll der unterschiedlichen Art der Behinderung und ihren Auswirkungen innerhalb der Werkstatt durch geeignete Maßnahmen, insbesondere durch Bildung besonderer Gruppen im Berufsbildungs- und Arbeitsbereich Rechnung getragen werden. Aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass Werkstätten für behinderte Menschen regional (ortsnah) tätig sein sollen (
vgl. Götzel, Kommentar zum
SGB IX,
Rdnr. 9 zu § 136), dies bedeutet jedoch nicht, dass in einer Werkstatt für behinderte Menschen ausschließlich Menschen aus deren Einzugsgebiet aufgenommen werden können.
Grundgedanke dieser Vorschrift ist vielmehr, dass ein Erreichen der Werkstatt für Behinderte in zumutbarer Zeit zu gewährleisten ist. Dies ergibt sich aus
§ 8 Abs. 3 Werkstättenverordnung wonach das Einzugsgebiet so bemessen sein muss, dass die Werkstatt mit öffentlichen oder sonstigen Verkehrsmitteln in zumutbarer Zeit erreichbar ist. Das Problem der örtlichen Erreichbarkeit stellt sich im vorliegenden Fall für die Klägerin nicht, da der von ihr in Anspruch genommene ausgelagerte Ausbildungsplatz in xx, nahe ihres Wohnortes, ist. Aus den Vorschriften der Werkstattverordnung kann schon vom Wortlaut her nicht der Zweck entnommen werden, den Zugang der Werkstatt ausschließlich auf die regional zuständige zu beschränken. Es werden vielmehr Pflichten der Werkstatt definiert, nämlich Arbeitsplätze zu schaffen, um die Menschen mit Behinderung in ihrem Einzugsgebiet aufzunehmen und diese so zu gestalten, dass geeignete Maßnahmen angeboten werden.
Die Klägerin hat glaubhaft dargelegt, dass die Maßnahme in der Kindertagesstätte die für sie geeignete ist und ihr auch die Möglichkeit bietet, im Anschluss an die hier begehrte Maßnahme als Mitarbeiterin in einem ausgelagerten Arbeitsplatz in der Kindertagesstätte x zu arbeiten. Diesem Wunsch der Klägerin ist
gem. § 9 SGB IX Rechnung zu tragen. Nach dieser Vorschrift besteht ein Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten, soweit es sich um berechtigte Wünsche handelt. Gem. § 9
Abs. 3
SGB IX lassen Leistungen, Dienst- und Einrichtungen den Leistungsberechtigten möglichst viel Raum eigenverantwortlicher Gestaltung ihrer Lebensumstände und fördern die Selbstbestimmung. Gem.
§ 33 SGB IX, auf den § 9
Abs. 1
S. 2
SGB IX verweist, wird ausgeführt, dass den Wünschen des Berechtigten entsprochen werden soll, soweit sie angemessen sind. Bei der von der Klägerin begehrten und bereits begonnenen Maßnahme handelt es sich um einen "berechtigten" Wunsche im Sinne der vorgenannten Vorschriften. Die Klägerin hatte bereits in der Zeit vom 27.10. bis 14.10.2003 ein Praktikum in der Kindertagesstätte x in x absolviert. In dem ihr anschließend erstellten Zeugnis wird ausgeführt, das sich die Klägerin stets als "Mitarbeiterin im Praktikum" erwiesen habe. Sie habe gegen Ende des Praktikums zunehmend ihre Aufgaben selbst sehen und einfordern können. Sie habe zum Schluss von sich aus auf Kinder zugehen, Kontakte aufnehmen und sich in die Aktionen einmischen können. Zusammenfassend könne gesagt werden, dass sich das Praktikum für alle Seiten sehr gelohnt habe. Man könne sich vorstellen, dass unter noch zu bestimmenden Voraussetzungen eine qualifizierte berufliche Orientierung der Klägerin in der Kindertageseinrichtung geleistet werden könne.
In dem Zwischenzeugnis der Kindertagesstätte x vom November 2004 wird unter "Fazit" ausgeführt, dass der bisherige Verlauf der Erprobung die Aussagen zum Betriebspraktikum vom 27.10. bis 14.10.2003 bestätige. Darüber hinaus wird ausgeführt: "So sehr sie anfangs beobachtete, abwartete, sich zurückhielt, kann sie heute von sich aus auf die Kinder zugehen, Kontakt aufnehmen, sich in die Aktionen einmischen. Zunehmend übernimmt sie unter Anleitung selbständige Aufgaben. Die Bildungs- und Erziehungsaufgabe schließt im vorliegenden Fall den eigenen Erkenntnisprozess der Fachbegleitung in besonderer Weise mit ein. Soweit es gelingt die allseitigen Bedarfe zu begreifen, gelingt analog die Integration und Fortentwicklung aller Teilnehmenden."
In einem weiteren Zwischenzeugnis vom April 2005 wird unter "Fazit" ausgeführt: "Im Kontext bekannter Abläufe lernt Frau x schnell. Alltagspädagogik ist offensichtlich nicht nur für Kinder erste und beste Bildungsquelle. Beeindruckend sind auch ihre Fortschritte in den Kulturtechniken. Der eigentliche Erfolg liegt jedoch in ihrer Teilhabe im Rahmen ganz normaler zwischenmenschlicher Beziehungen und Kooperation mit unseren sogenannten Nichtbehinderten. Gerne würden wir uns deshalb weiter mit Frau x in Richtung "Normalität" entwickeln wollen."
Nach alledem bestehen für das Gericht keine Zweifel an der Geeignetheit der Maßnahme für die Klägerin und damit ihrem berechtigten Wunsch nach Durchführung dieser Maßnahme. Da nach glaubhaften Aussagen der Eltern der Klägerin keine der regional zuständigen Werkstätten im Kreis x diese Form der beruflichen Bildung des Eingangs- und Berufsbildungsbereiches mit einem aus den Räumlichkeiten der Werkstatt ausgelagerten Ausbildungsplatz, nämlich der Kindertagesstätte x, durchführen wollte, steht die Tatsache, dass diese Maßnahme nunmehr von der Werkstatt für Behinderte x in x durchgeführt wird, dem Anspruch der Klägerin auf eine berufliche Rehabilitationsmaßnahme nicht entgegen. Diese Art der Ausbildung in einer Kindertagesstätte kann auch nur mit ausgelagerten Ausbildungsplätzen angeboten werden. Dementsprechend ist die Klägerin auch unter Respektierung ihres
gem. § 9
SGB IX bestehenden Wunsch- und Wahlrechts nicht auf eine andere Leistung im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich, die innerhalb der Werkstätten des Kreises x angeboten werden können, zu verweisen. Der Wunsch der Klägerin ist auch insbesondere deswegen berechtigt, weil nach Angaben der Eltern der Klägerin und aufgrund des entsprechenden Konzeptes der Werkstatt für Behinderte x im Anschluss an die Berufsbildungsmaßnahme der Übergang auf den allgemeinen Arbeitsplatz möglich sein wird. Die Klägerin hat begründete Aussicht, im Anschluss an die Maßnahme als Mitarbeiterin mit Werkstattvertrag in einem ausgelagerten Arbeitsplatz in einer Kindertagesstätte zu arbeiten. Diese Leistungen im Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen
gem. § 41
SGB IX erbringen
gem. § 42
Abs. 2
Nr. 4 die Träger der Sozialhilfe unter den Voraussetzungen des § SGB 12. Soweit die Beklagte diesbezüglich ausführt, das Sozialamt des Kreises x würde eine Förderung im Arbeitsbereich für einen Außenarbeitsplatz in einer Kindertagesstätte in x nicht zustimmen, so dass diese Tatsache schon einer Gewährung von Leistungen im Eingangsverfahren/ Berufsbildungsbereich entgegenstünde, so ist diesem entgegen zu halten, dass keine gesetzliche Vorschrift ersichtlich ist, die für die Gewährung von Leistungen im Eingangs- und Berufsbildungsbereich Voraussetzung ist, dass bereits eine Zustimmung des für die Leistung im Arbeitsbereich zuständigen Trägers vorliegt.
Die Gewährung von Leistungen wird zu gegebener Zeit, nämlich nach Absolvierung der Maßnahmen im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich erfolgen. Erst dann entscheidet der jeweils zuständige Träger über die Bewilligung. Eine derartige Entscheidung kann nicht bereits vor Beginn der Förderung im Berufsbildungsbereich getroffen werden, weil zu diesem Zeitpunkt in der Regel nicht feststeht ob und welcher Arbeitsplatz tatsächlich zur Verfügung steht. Im Übrigen liegt bei der Beklagte auch lediglich ein sich in den Verwaltungsvorgängen befindlicher Vermerk über eine Besprechung seitens eines Vertreters der Beklagte mit einer Mitarbeiterin des Sozialamtes, die geäußert habe "das Kreissozialamt sei nicht bereit, in einer "WfbM-Förderung" einzusteigen, die de facto keine sei". Eine derartige Äußerung bzgl. einer Anschlussförderung kann unter keinen Gesichtspunkten von der Beklagte als eine verbindliche Erklärung gewertet werden, auf die eine Ablehnung der hier begehrten Maßnahme gestützt werden kann.
Nach alledem war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193
SGG.
Unter dem Aktenzeichen S 9 AL 11/05 ER wurde die Antragsgegnerin (Bundesagentur für Arbeit) am 24.05.2005 beim SG Kiel im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin Leistungen in der Werkstatt für behinderte Menschen x im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich zu gewähren. Auf
S. 5 des Beschlusses heißt es hierzu: "Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet. Gemäß § 86b
Abs. 2 Satz 2
SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind vorliegend erfüllt. Die betroffene Regelungsanordnung ist zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Antragstellerin nötig. Der Notwendigkeit steht nicht entgegen, dass das Gericht am selben Tage durch Urteil in der Hauptsache (S 9 Al 48/05) entschieden hat, da sonst effektiver Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für die Antragstellerin unzumutbar wäre. Eine möglicherweise von der Beklagten gegen das Urteil einzulegende Berufung hätte gemäß § 154
Abs. 1
SGG aufschiebende Wirkung. Es wäre für die Antragstellerin unzumutbar, ein Rechtsmittelverfahren gegen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten..."
Auf
S. 9 heißt es weiter: "Es ist der Antragstellerin nicht zuzumuten, eine rechtskräftige Entscheidung im Hauptsacheverfahren abzuwarten, da es für die Antragstellerin insbesondere aufgrund ihrer geistigen Behinderung mit wesentlichen Nachteilen verbunden wäre. Die Antragstellerin ist auf die kontinuierliche Förderung und Betreuung angewiesen. Andernfalls droht behinderungsbedingt der Verlust bereits erarbeiteter Fähigkeiten und Fertigkeiten. Dementsprechend hat die Antragstellerin auch die Entscheidung der Antragsgegnerin nicht abgewartet, sondern bereits am 01.09.2004 mit der Maßnahme begonnen. Die Werkstatt am x hat mit Schreiben vom 27.04.2005 der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin mitgeteilt, dass eine weitere Förderung im Berufsbildungsbereich von x im Berufsbildungsbereich ohne Kostenzusage der Bundesagentur für Arbeit nicht länger möglich sei. Daher müsste die bereits nach der Schulentlassung vom 08.08.2004 begonnene Bildungsmaßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben eingestellt werden.
Nach alledem ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Antragstellerin erforderlich."