Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 15.12.1998 geändert. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf Bewilligung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hat.
Bei der am ...1938 geborenen Klägerin wurde auf ihren erstmaligen Antrag vom 15.06.1981 eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 100 sowie den Merkzeichen "G", "H" und "RF" wegen einer geistigen Behinderung und eines Diabetes mellitus anerkannt. Dem lag ein Bericht von
Dr. S ... vom 17.07.1981 zugrunde, die bei der Klägerin eine geistige Behinderung bei frühkindlicher Hirnschädigung beschrieb.
Die Klägerin schloss die Volksschule im Jahre 1954 ab und besuchte im Anschluss eine hauswirtschaftliche Berufsschule. Sie begann eine Ausbildung zur Kindergärtnerin, die sie jedoch nach einem halben Jahr abbrach. Wegen psychischer und körperlicher Störungen lebte die Klägerin vom 05.01.1956 bis 06.02.1956 und seit dem 05. 04.1957 zunächst in der R ... Landesklinik für Jugendpsychiatrie und nach einer Verlegung wegen Unruhe- und Erregungszuständen depressiver Färbung mit Suizidabsichten seit dem 18.06.1957 in der R ... Landesheilanstalt B ... Seit der im Jahre 1980 erfolgten Aufnahme der Klägerin in das Heilpädagogische Heim B ..., wo sie seit 1981 auf einer offenen Frauengruppe der Abteilung Rehabilitation lebt, ist der Werdegang der Klägerin in den Entwicklungsberichten und -protokollen des Heilpädagogischen Heims vom 14.01. 1986, 16.05.1988, Februar 1991 und vom 11.09.1992 dokumentiert.
Seit dem 01.07.1982 erfolgte die Eingliederung der Klägerin in die B ... Werkstätten der Lebenshilfe B ... im Wege eines von der Arbeitsverwaltung durchgeführten Arbeitstrainings in der Zeit vom 01.07.1982 bis zum 30.06.1984. Seit dem 01.07. 1984 war die Klägerin im Produktionsbereich Verpackung/Montage eingesetzt. Auf die Berichte der B ... Werkstätten über den Verlauf des Arbeitstrainings der Klägerin vom 31.08.1982, 30.05.1983 und 08.03.1984 sowie den Inhalt der Beurteilungsbögen zur Entgeltdefinition vom 06.09.1983, 05.07.1984, 15.11. 1985 und 24.09.1998 wird Bezug genommen.
Nachdem sich der Gesamtzustand der Klägerin mit Beginn des Jahres 1994 wegen einer akuten psychischen Dekompensation verschlechtert hatte, und sie in den Zeiten vom 26.01.1994 bis 09.03.1994 und 02.09.1994 bis 20.09.1994 in der Abteilung für Gerontopsychiatrie der R ... Landesklinik B ... behandelt werden musste ( Berichte vom 14.04.1994 und 10. 11.1994), wurde ihre Tätigkeit in den B ... Werkstätten in beiderseitigem Einvernehmen zum 30.11.1994 beendet.
Die Klägerin entrichtete auf der Grundlage der Einbeziehung ihrer Werkstatttätigkeit in die Sozialversicherung in der Zeit vom 01.07.1982 bis 30.11.1994 Pflichtbeiträge.
Sie beantragte am 07.12.1994 die Bewilligung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Der von der Beklagten beauftragte Arbeitsmediziner
Dr. K ... führte in seinem Gutachten vom 06.02.1995 aus, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin seit dem 07.12.1994 dauernd nur noch weniger als zwei Stunden arbeiten.
Mit Bescheid vom 15.03.1995 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Sie führte aus, da die Klägerin seit dem Eintritt in das Erwerbsleben erwerbsunfähig gewesen sei, habe sie die für eine Rentenbewilligung wegen Erwerbsunfähigkeit erforderliche Wartezeit von 240 Kalendermonaten nicht zurückgelegt. Bezogen auf den Zeitpunkt der Antragstellung fehlten 91 Monate.
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe in der Werkstatt gut und gerne gearbeitet. Erst seit Anfang des Jahres 1994 habe sie nicht mehr in der Werkstatt tätig sein können. Ihr sei nicht verständlich, warum sie die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten für eine Rentenbewilligung nicht erfülle.
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.08.1995 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Der Ärztliche Beratungsdienst habe festgestellt, dass die Klägerin während der Zeit der in der Behindertenwerkstatt verrichteten Tätigkeit nicht auch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes habe tätig werden können.
Mit ihrer am 21.08.1995 bei dem Sozialgericht (SG) Köln erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, bei den von ihr verrichteten Verpackungs- und Montagetätigkeiten handele es sich um typische Arbeitsbereiche jeder Warenindustrie, die sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in vielfacher Form finden ließen. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
BSG) hat sie weiter ausgeführt, die Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte und die Annahme von Erwerbsunfähigkeit seien miteinander vereinbar.
In ihrem auf Anforderung des SG erstellten Befundbericht vom 15.12.1995 hat
Dr. S ... ausgeführt, sie behandele die Klägerin seit über 15 Jahren wegen einer Pfropfpsychose bei geistiger Behinderung mittleren Grades und Diabetes mellitus. Die Klägerin sei krankheitsuneinsichtig und sowohl in ihren psychischen wie körperlichen Einschränkungen nur sehr schwer zu führen, so dass es immer wieder zu diabetischen Entgleisungen und Harnwegsinfekten mangels Hygiene komme. Weiter forderte das SG einen Bericht von der Neurologin und Psychiaterin
Dr. H ... vom 21.12.1995 an, auf dessen Inhalt verwiesen wird.
Die B ... Werkstätten teilten mit Schreiben vom 19.12.1995 und 23.08.1996 mit, die Klägerin habe innerhalb der Werkstatt im Produktionsbereich Verpackung gearbeitet. Nach Anleitung
bzw. ihr entsprechender Einarbeitung sei sie in der Lage gewesen, die ihr aufgetragenen produktiven Arbeiten im Bereich der industriellen Lohnfertigung
(z. B. Verpackungs-, Montage- und Sortierarbeiten) unter gelegentlicher Kontrolle selbständig durchzuführen.
Der vom SG beauftragte Neurologe und Psychiater H ... ist unter Berücksichtigung der während des Aufenthaltes der Klägerin in dem Heilpädagogischen Heim B ... erstellten Berichte zu der zusammenfassenden Beurteilung gelangt, bei der Klägerin bestehe ein überwiegend bisher hirnorganisch gedeutetes Defizit im emotionalen-, im Antriebs- und Kontaktbereich sowie im Bereich der Steuerung von Impulsen und der Frustrationstoleranz mit zeitweiligen akuten Auffälligkeiten. Im Längsschnitt habe die Klägerin zumindest im heimbetreuerischen Bereich ständig der Kontrolle, des Zuspruchs und der Zulieferung bei den das tägliche Leben regelnden Angelegenheiten bedurft. Obwohl die Äußerungen der B ... Werkstätten zur Qualität der arbeitsmäßigen Belastung der Klägerin nichts hergäben, könne auf der Grundlage der Entwicklungsberichte und der dokumentierten Erkrankungen angenommen werden, dass die Klägerin in der Zeit ab dem 01.07.1982 nicht zu Erwerbstätigkeiten in der Lage gewesen sei, wie sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von nicht behinderten Erwerbstätigen wahrgenommen würden.
In dem Erörterungstermin vom 10.09.1998 hat das SG die Sozialarbeiterin in den B ... Werkstätten, Frau S ..., als Zeugin gehört. Wegen des Inhalts ihrer Aussage wird auf die Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift des Termins verwiesen.
Mit Urteil vom 15.12.1998 hat das SG die Beklagte antragsgemäß zur Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit verurteilt und sich dabei maßgeblich auf die Zeugenaussage der Frau S ... gestützt. Diese habe anschaulich die Aufgabenbereiche der B ... Werkstätten beschrieben sowie klar und nachvollziehbar herausgestellt, dass die Klägerin bis zum Zeitpunkt ihrer Erkrankung im Jahre 1994 in der Lage gewesen sei, im Bereich der Verpackungs-, Montage- und Sortierarbeiten wirtschaftlich verwertbare Produktionsergebnisse des allgemeinen Arbeitsmarktes zu erzielen. Die Zeugin, die selbst als Studentin im Montagebereich der Firma G ... gearbeitet habe, habe ihre damalige Beschäftigung mit der Tätigkeit der Klägerin bei den B ... Werkstätten verglichen und herausgestellt, dass die Klägerin gleichwertige Arbeiten verrichtet habe. Die Klägerin sei sehr pünktlich, sehr zuverlässig und selbständig gewesen. Sie habe nahezu fehlerfrei gearbeitet und sei bei ihrer Arbeit konzentriert gewesen.
Gegen das ihr am 13.01.1999 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27.01.1999 Berufung eingelegt. Sie trägt vor, die Fallgestaltung, dass ein in einer Werkstatt für Behinderte Beschäftigter auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein könne, dürfe äußerst selten auftreten. Bei seiner Entscheidung habe das SG die medizinischen Unterlagen und insbesondere das Gutachten des Neurologen und Psychiaters H ... nicht ausreichend berücksichtigt. Da die Zeugenaussage der Sozialarbeiterin, Frau S ..., hierzu im krassen Widerspruch stehe, habe sich das SG zumindest zu weiteren Ermittlungen veranlasst sehen müssen. Die Beklagte hat sich auf ärztliche Stellungnahmen der Neurologin
Dr. M ... vom 03.05.2000 und 20. 06.2000 bezogen, auf deren Inhalt verwiesen wird.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 15.12.1998 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist in der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2000 weder erschienen noch vertreten gewesen. Ihrem schriftsätzlichen Vorbringen ist zu entnehmen, dass sie beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Ausführungen des in erster Instanz gehörten Sachverständigen H ... seien unergiebig, da er lediglich Vermutungen hinsichtlich der Frage einer bereits seit 1982 bestehenden Erwerbsunfähigkeit der Klägerin aufgestellt habe. Im übrigen habe er die Entwicklungsmöglichkeiten und Fähigkeiten der Klägerin, deren Pflegschaft im Jahre 1987 aufgehoben worden sei, nicht thematisiert und bewertet. Im Hinblick auf die Regelung des
Art. 3
Abs. 2 des Grundgesetzes (
GG) erscheine es als verfassungswidrig, dass in einer Werkstatt für Behinderte versicherungspflichtig beschäftigte Behinderte nach einer Wartezeit von fünf Jahren im Regelfall keine Leistungen wegen Erwerbsunfähigkeit erhielten.
Der Senat hat weitere Ermittlungen bei den B ... Werkstätten durchgeführt sowie einen Befundbericht von der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie
Dr. H ... vom 15.05.2000 beigezogen, auf dessen Inhalt verwiesen wird. In dem Erörterungstermin vom 25.07.2000 ist der Werkstattleiter der B ... Werkstätten, Herr N ..., als Zeuge vernommen worden. Wegen des Inhalts seiner Aussage wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Rentenakte sowie der Schwerbehindertenakte der Klägerin beim Versorgungsamt K ... Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.