Die Klage ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren subjektiven Rechten, da ihr gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von 3.341,80
EUR zusteht.
1) Rechtsgrundlage des geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs ist
§ 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V. Danach hat die Krankenkasse, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Der Erstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender - primärer - Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben. Der Anspruch ist demgemäß gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalleistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbst beschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Selbstbeschaffung besteht, die selbst beschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat (
BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, Az.:
B 3 KR 20/08 R, veröffentlicht unter www.bundessozialgericht.de,
m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin erfüllt. Denn die Beklagte hat ihre Leistungspflicht zu Unrecht auf den Festbetrag begrenzt und die vollständige Erfüllung des gegebenen Leistungsanspruchs rechtswidrig abgelehnt (dazu unten 3. - 12.). Außerdem hat sich die Klägerin die geschuldete Leistung selbst beschafft und hierbei die Grenzen des Notwendigen gewahrt. Es fehlt auch nicht an dem erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung und Kostenbelastung (hierzu unter 2.).
2) Der Kostenerstattungsanspruch scheitert nicht an der fehlenden Kausalität zwischen Leistungsablehnung und Kostenbelastung. Ansprüche nach
§ 13 Abs. 3 Satz 1 Fall 2 SGB V sind zwar nur gegeben, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten "dadurch" Kosten für die selbst beschaffte Leistung entstanden sind. Dazu muss die Kostenbelastung des Versicherten wesentlich auf der Leistungsversagung der Krankenkasse beruhen. Hieran fehlt es, wenn diese vor Inanspruchnahme der Versorgung mit dem Leistungsbegehren nicht befasst worden ist, obwohl dies möglich gewesen wäre, oder wenn der Versicherte auf eine bestimmte Versorgung von vornherein festgelegt war (
BSG a.a.O.). Das ist hier nicht der Fall.
"Selbst verschafft" ist eine Hilfsmittel-Leistung nicht schon mit deren Auswahl. Die Auswahl ist dem Hilfsmittelbewilligungsverfahren notwendig vorgeschaltet und scheidet als Anknüpfungspunkt nur dann aus, wenn der Versicherte schon zu diesem Zeitpunkt zur Anschaffung des Hilfsmittels unabhängig von der noch einzuholenden Entscheidung seiner Krankenkasse entschlossen ist. Unschädlich sind danach Auswahlentscheidungen, die regelmäßig Voraussetzung für den Leistungsantrag sind, wie bei der Hörgeräteversorgung die Prüfung der Eignung und Anpassungsfähigkeit der in Betracht kommenden Geräte. Dazu gehört auch eine probeweise Hörgeräteüberlassung.
Ein solcher Leistungsausschlussgrund ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Die Klägerin hat insoweit nachvollziehbar dargelegt, dass sie sich erst nach Einlegung des Widerspruchs aufgrund der bis dahin eingetretenen Gewöhnung an das gute Sprachverständnis der streitgegenständlichen Hörgeräte zu deren Kauf entschlossen habe. Der Senat sieht keinen Anlass, diese Angaben in Zweifel zu ziehen. Dass Hörgeräte von den Leistungserbringern in der Regel für mehrere Wochen und Monate den Versicherten leihweise überlassen werden, damit diese ihre Auswahl nicht nur anhand der Schallverhältnisse in den Geschäftsräumen der Hörgeräte-Akustiker treffen, sondern die Hörgeräte in möglichst vielen alltäglichen Situationen einschließlich des Arbeitsplatzes testen können, entspricht nicht nur der Beobachtung des Senats und anderer Gerichte, sondern auch den praktischen Bedürfnissen eines länger währenden Anpassungszeitraums zur Erreichung eines optimalen Hörergebnisses (
vgl. Sozialgericht Würzburg, Urteil vom 12. Mai 2009, Az.: S 4 KR 116/07, veröffentlicht in Juris). Die Selbstbeschaffung der Hörgeräte fand somit erst nach der erstmaligen Leistungsablehnung durch die Beklagte statt.
3) Rechtsgrundlage des primär verfolgten Leistungsanspruchs ist
§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V, hier in der zum Zeitpunkt der Leistungsverschaffung geltenden Fassung des
GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14. November 2003 (im Folgenden: § 33
SGB V aF) . Hiernach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, wenn sie erstens nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach
§ 34 Abs. 4 SGB V aus der
GKV-Versorgung ausgeschlossen und zweitens im Einzelfall erforderlich sind, um entweder den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen. Demgemäß besteht nach § 33
Abs. 1 Satz 1
SGB V ein Anspruch auf Hörhilfen, die kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens und nicht nach § 34 Abs 4
SGB V aus der
GKV-Versorgung ausgeschlossen sind und weder der Krankenbehandlung noch der Vorbeugung einer Behinderung dienen, soweit sie im Rahmen des Notwendigen und Wirtschaftlichen (
§ 12 Abs. 1 SGB V) für den von der Krankenkasse geschuldeten Behinderungsausgleich erforderlich sind.
4) Hörgeräte stellen zwar - mit Ausnahme von Cochleaimplantaten - keine Körperersatzstücke
i.S.v. § 33 Abs 1 Satz 1
SGB V dar; andernfalls wäre deren Anführung in der Vorschrift entbehrlich. Sie stehen ihnen aber insoweit funktionell gleich, als sie ungeachtet ihrer Funktionsweise unmittelbar auf die mindestens teilweise Wiederherstellung des körpereigenen Hörvermögens und nicht lediglich auf den Ausgleich mittelbarer Behinderungsfolgen ausgerichtet sind. Dienen sie somit dem unmittelbaren Behinderungsausgleichs, ist die Hilfsmittelversorgung grundsätzlich von dem Ziel eines vollständigen funktionellen Ausgleichs geleitet, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und technischen Fortschritts. Deshalb kann auch die Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel nicht mit der Begründung abgelehnt werden, der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem gesunden Menschen erreicht ist. Für den Bereich der Hörhilfen bedeutet dies, dass erforderlich ist, was die bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder erlaubt und damit im allgemeinen Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil gegenüber anderen Hörhilfen bietet (
BSG a.a.O.). Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat die Beklagte daher nicht nur für die Aufrechterhaltung eines - wie auch immer zu bestimmenden - Basishörvermögens aufzukommen, sondern auch für das Hören und Verstehen bei Gruppengesprächen und bei störenden Umgebungsgeräuschen.
5) Begrenzt ist der so umrissene Anspruch allerdings durch das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs 1
SGB V. Die Leistungen müssen danach ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten; Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Demzufolge verpflichtet auch § 33 Abs 1 Satz 1
SGB V nicht dazu, den Versicherten jede gewünschte, von ihnen für optimal gehaltene Versorgung zur Verfügung zu stellen. Ausgeschlossen sind danach Ansprüche auf teure Hilfsmittel, wenn eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell ebenfalls geeignet ist; Mehrkosten sind andernfalls selbst zu tragen (§ 33 Abs 1 Satz 5
SGB V). Eingeschlossen in den Versorgungsauftrag der
GKV ist eine kostenaufwendige Versorgung dagegen dann, wenn durch sie eine Verbesserung bedingt ist, die einen wesentlichen Gebrauchsvorteil gegenüber einer kostengünstigeren Alternative bietet. Keine Leistungspflicht besteht dagegen für solche Innovationen, die nicht die Funktionalität betreffen, sondern in erster Linie die Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels. Dasselbe gilt für lediglich ästhetische Vorteile. Desgleichen kann eine Leistungsbegrenzung zu erwägen sein, wenn die funktionalen Vorteile eines Hilfsmittels ausschließlich in bestimmten Lebensbereichen zum Tragen kommen. Weitere Grenzen der Leistungspflicht können schließlich berührt sein, wenn einer nur geringfügigen Verbesserung des Gebrauchsnutzens ein als unverhältnismäßig einzuschätzender Mehraufwand gegenübersteht (
BSG a.a.O.). Solche Begrenzungen sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
a) Die vorangegangene Versorgung der Klägerin mit einem Hörgerät des Modells Widex Senso CX liegt 7 Jahre zurück. Die Frist von 6 Jahren (Ziffer 69 der im Jahre 2004 geltenden, auf der Grundlage von
§ 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassenen Hilfsmittel-Richtlinien (HM-RL
aF) des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA)), die für die Wiederverordnung einer Hörhilfe ohne besondere Begründung verstrichen sein muss, ist somit überschritten. Die alten Hörgeräte der Klägerin befanden sich nach deren Angaben nicht auf dem aktuellen technischen Stand und zeigten Altersschwächen. Letzteres entspricht dem natürlichen Verschleiß, dem Hörgeräte aufgrund ihrer Exposition gegenüber Witterung und wegen des ständigen Hautkontakts unterliegen (
vgl. Sozialgericht Dresden, Urteil vom 8. September 2005, Az.:
S 18 KR 499/03, veröffentlicht in Juris).
b) Der nach den HM-RL
aF für die Versorgung mit einem Hörgerät vorausgesetzte Hörverlust liegt bei der Klägerin vor. Zwar wurde im o.g. Anpassbericht vom 16. April 2004 die Frage (
vgl. Ziffer 62.2, 1. Hs. HM-RL
aF), ob der tonaudiometrische Hörverlust "bei wenigstens einer Prüffrequenz 500, 750, 1000, 2000, 3000
Hz mindestens 30
dB auf dem besser hörenden Ohr" beträgt, verneint. Hierbei muss es sich jedoch um eine - möglicherweise der umständlichen Formulierung der Frage geschuldete - versehentliche Fehleintragung handeln. Denn beiden vorliegenden Tonaudiogrammen (des Anpassberichts und der ohrenärztlichen Verordnung) ist unzweideutig zu entnehmen, dass der Hörverlust der Kläger auf dem besseren rechten Ohr bei den Frequenzen 500, 1000, 2000 und 3000
Hz jeweils mehr als 30
dB betrug. Ferner lag die Verstehensquote für einsilbige Worte auf dem besseren rechten Ohr bei 65
dB mit nur 70 % - entsprechend Ziffer 62.2, 2. Hs. HM-RL
aF - unterhalb der Grenze von 80 %.
c) Auch die Anforderungen für eine beidohrige Versorgung nach Ziffer 64.1 HM-RL
aF sind erfüllt. Durch die beidohrige Versorgung wird gegenüber der einohrigen Versorgung das Sprachverstehen im Störgeräusch nicht nur um die geforderten 10 %, sondern sogar um 15 % (
vgl. Ziffer 10 b) des Anpassberichts) verbessert. Zweifel daran, dass
- die auditive Kommunikationsbehinderung nicht beidseitig effektiv versorgbar ist,
− nicht zu erwarten ist, dass beide Hörgeräte durch den Patienten gleichzeitig benutzt werden können, oder
− die Fähigkeit zur sachgerechten Bedienung von zwei Hörgeräten bei der Klägerin nicht vorhanden ist,
sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
d) Die Notwendigkeit, mit einem mehrkanaligen Hörgerät versorgt zu werden, ergibt sich im Fall der Klägerin aus dem frequenzabhängig unterschiedlichem Verstärkungsbedarf
bzw. der eingeschränkten Dynamik (
vgl. Ziffer 64.4 HM-RL
aF), wie der Senat der im Widerspruchsverfahren eingeholten Begründung der behandelnden HNO-Ärztinnen entnimmt und wie der MDK in seiner Stellungnahme vom 8. September 2004 im Ergebnis bestätigt hat. Auch die Ausstattung der Hörgeräte mit einer AGC ist wegen des eingeschränkten Dynamikbereichs erforderlich (
vgl. ebenfalls Ziffer 64.4 HM-RL
aF).
e) Einen ausreichenden Ausgleich der Hörbeeinträchtigung der Klägerin gewährleisten nur die streitgegenständlichen Hörgeräte. Mit den anderen beiden von ihr getesteten o.g. Hörgeräten erzielte die Klägerin ein wesentlich schlechteres Sprachverstehen als mit den streitgegenständlichen, wie sich aus dem o.g. Anpassbericht der Hörgeräteakustikerin A-B ergibt. Danach betrug die Verstehensquote mit dem Hörgerät Senso Diva CIC bei der Freifeldmessung (65
dB, 1 m Abstand) rechts und links jeweils 85 %, bei den anderen beiden Hörgeräte demgegenüber nur 70
bzw. 65 %. Letztere ermöglichten der Klägerin i.ü. kein gutes Sprachverständnis bei störenden Hintergrundgeräuschen und in wechselnden Hörsituationen. Der Senat legt auch insoweit die glaubwürdigen klägerischen Angaben, die von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen wurde, seinen Feststellungen zugrunde.
Anhaltspunkte dafür, dass die o.g. Hörverbesserungen mit anderen - kostengünstigeren - Hörgeräten oberhalb der Festbetragsgrenze ebenso zu erreichen gewesen wäre und der Klägerin demzufolge die Inanspruchnahme einer kostengünstigeren Versorgung hätte zugemutet werden können, sind nicht ersichtlich.
6) Dieser als notwendig festgestellte Versorgungsbedarf gilt auch im Rahmen der Festbetragsregelung. Sie stellt eine besondere Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots dar, legitimiert aber nicht zu grundsätzlichen Einschnitten in den
GKV-Leistungskatalog.
a) In dem vom Sachleistungsgrundsatz bestimmten System der
GKV trifft das Risiko, für überhöhte Vergütungsansprüche aufkommen zu müssen, grundsätzlich die Krankenkassen und Beitragszahler, nicht aber die Versicherten bei der Inanspruchnahme von Leistungen. Dem grundlegenden Strukturprinzip entsprechend erhalten sie die
GKV-Leistungen gemäß
§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V als Sach- und Dienstleistungen und - von besonders geregelten Ausnahmen abgesehen - mithin grundsätzlich kostenfrei. Demgemäß obliegt die kostengünstige Abwicklung der
GKV-Versorgung im Wesentlichen den Krankenkassen, die dazu mit den zuständigen Selbstverwaltungskörperschaften der Leistungserbringer sowie zum Teil auch mit Leistungserbringern selbst Verträge über Organisation, Abwicklung und Erbringung der Versorgung schließen (
vgl. insbesondere
§§ 72 Abs. 1,
109,
112,
115,
125,
127,
129,
132a Abs. 2 und 133 ff
SGB V). Eingeschlossen hierin ist grundsätzlich auch die Verantwortung für die Wahrung der angemessenen Vergütung. Demgegenüber sind die Versicherten, von Zuzahlungen abgesehen, zur prinzipiell kostenfreien Inanspruchnahme der bewilligten Leistungen bei allen Leistungserbringern berechtigt, die zur Versorgung von
GKV-Versicherten befugt sind. Dies entlastet die Versicherten einerseits von dem Risiko, dass die Krankenkasse eine Vergütung im Nachhinein als überhöht ansieht und nicht vollständig trägt. Andererseits besteht weder für Versicherte noch für Leistungserbringer ein Anreiz für eine kostengünstige Versorgung mit Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln. Solange für die nachfragenden Versicherten die Preise ohne Belang sind, besteht auch für die Hersteller kein Anlass zum Preiswettbewerb (
BSG a.a.O. unter Bezugnahme auf BVerfGE 106, 275 - Arzneimittelfestbetrag -).
b) Diesem Strukturdefizit hat der Gesetzgeber bei der Einfügung der
GKV in das SGB durch das Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz - GRG) vom 20.12.1988 (BGBl I 2477) u.a. durch die Festbetragsregelungen der §§ 35 und 36
SGB V zu begegnen gesucht. Vorbild für die Hilfsmittelfestbeträge (
§ 36 SGB V) war und ist die Regelung für den Arzneimittelsektor in
§ 35 SGB V. Hiernach sollte ein Preiswettbewerb unter den Arzneimittelherstellern vor allem dadurch ausgelöst werden, dass die Leistungspflicht der
GKV auf die Vergütung preisgünstiger Arzneimittel beschränkt wird. Dazu sind Gruppen von Arzneimitteln zu bilden (§ 35
Abs. 1 Satz 2
SGB V) und sodann die Geldbeträge festzusetzen, mit denen einerseits eine ausreichende medizinische Versorgung gewährleistet, andererseits aber ein Preiswettbewerb unter den Herstellern ermöglicht wird (§ 35
Abs. 5 Satz 1 und 2
SGB V) . Die Versicherten können zwar weiter unter allen medizinisch notwendigen und ihnen verordneten Arzneimitteln frei wählen. Die Leistungspflicht der
GKV war und ist jedoch auf den im Vorhinein festgesetzten und in regelmäßigen Abständen zu überprüfenden Festbetrag begrenzt (
§ 31 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Hierdurch sollte den Versicherten ein Anreiz zur Wahl preisgünstiger Mittel gegeben werden, ohne ihren Anspruch auf das im Einzelfall medizinisch erforderliche Mittel einzuschränken (
BSG a.a.O.).
c) Dieses Konzept hat der Gesetzgeber entsprechend auf die Hilfsmittelversorgung übertragen, im Zeitpunkt der Leistungsverschaffung hier nach § 33
Abs. 2 Satz 1
SGB V i.V.m. §§ 36 und 35
Abs. 5 und 7
SGB V, jeweils in der im Jahre 2004 geltenden Fassung. Danach sind die Kosten der Hilfsmittelversorgung von der Krankenkasse bis zur Höhe des Festbetrages zu tragen, wenn "für ein erforderliches Hilfsmittel ein Festbetrag nach § 36 festgesetzt" ist (§ 33
Abs. 2 Satz 1
SGB V aF).
d) Rechtsgrundlage für die Umsetzung dieser preisbegrenzenden Wirkungen im Hilfsmittelbereich ist die Ermächtigung des § 36
SGB V aF. Danach waren die Spitzenverbände der Krankenkassen zur Bestimmung der Hilfsmittel berechtigt, "für die Festbeträge festgesetzt werden" (§ 36
Abs. 1 Satz 1
SGB V). Dies soll für "in ihrer Funktion gleichartige und gleichwertige Mittel" in Gruppen zusammengefasst erfolgen (§ 36
Abs. 1 Satz 2
SGB V). Auf dieser Grundlage hatten die Spitzenverbände der Krankenkassen erstmals zum 31.12.2004 bundeseinheitliche Hilfsmittelfestbeträge festzulegen (§ 36
Abs. 2 Satz 1
SGB V aF); bis dahin waren nach Satz 2 dieser Vorschrift - wie vorliegend - jeweils für den Bereich eines Landes die von den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen getroffenen Festsetzungen maßgeblich. Materiell maßgebend sind gemäß § 36
Abs. 3
SGB V die Kriterien des § 35
Abs. 5
SGB V für die Arzneimittelfestbeträge. Demgemäß galt und gilt im Wesentlichen bis heute unverändert: "Die Festbeträge sind so festzusetzen, dass sie im Allgemeinen eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten. Sie haben Wirtschaftlichkeitsreserven auszuschöpfen, sollen einen wirksamen Preiswettbewerb auslösen und haben sich deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten; soweit wie möglich ist eine für die Therapie hinreichende Arzneimittelauswahl sicherzustellen" (§ 35
Abs. 5 Satz 1 und 2
SGB V aF) .
e) Diese Befugnisse berechtigen nicht zu Einschränkungen des
GKV-Leistungskatalogs, sondern zu Leistungsbegrenzungen nur im Hinblick auf die Kostengünstigkeit der Versorgung (
BSG a.a.O.;
BVerfG a.a.O.). Danach bestehen zwar keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Festbetragsregelungen. Das
BVerfG (a.a.O.) hat aber im Hinblick auf die Festbetragsregelung für Hilfsmittel ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber das Sachleistungsprinzip nicht aufgegeben habe und der Gesetzestext keine Stütze für die in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachte Annahme biete, dass Versicherte insbesondere in der Anfangsphase der Regelung notwendige Leistungen nur mit Zuzahlung erhalten könnten. Vielmehr sei die Festbetragsfestsetzung eine Maßnahme des Verwaltungsvollzugs, deren Maßstäbe dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprächen, aber nicht zu Begrenzungen der Leistungsansprüche auf Teilleistungen ermächtigten. Soweit die Versicherten sich an notwendigen Leistungen mit Eigenanteilen zu beteiligen hätten, müsse der Gesetzgeber dies selbst regeln. Dem hat sich der 3. Senat des
BSG angeschlossen und ergänzend ausgeführt, dass ein Hilfsmittelfestbetrag keine Leistungsbegrenzung bewirkt, soweit er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreicht (BSGE 90, 220, 224).
7) Soweit der Festbetrag für den Behinderungsausgleich objektiv nicht ausreicht, bleibt es bei der Verpflichtung der Krankenkasse zur - von Zuzahlungen abgesehen - kostenfreien Versorgung der Versicherten.
a) Grundsätzlich allerdings genügt die Krankenkasse ihrer Leistungspflicht im Geltungsbereich einer Festbetragsfestsetzung durch den und bis zu dem jeweiligen Festbetrag. Demgemäß erfüllt sie ihre Leistungspflicht mit dem Festbetrag, wenn für eine Leistung ein solcher festgesetzt ist (
§ 12 Abs. 2 SGB V); sie trägt die Versorgungskosten bis zur Höhe des jeweiligen Festbetrages (
vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 SGB V - Arzneimittel - und
§ 33 Abs. 2 Satz 1 SGB V aF). Voraussetzung dieser Erfüllungswirkung ist indes die Rechtmäßigkeit des Festbetrages. Eine Festbetragsfestsetzung ist nicht rechtmäßig, wenn eine objektiv ausreichende Versorgung zum Festbetrag unmöglich ist. Dieser Ansatz begünstigt einerseits die Krankenkassen, die nicht in jedem Einzelfall zu prüfen haben, ob ausnahmsweise Anlass zur Versorgung mit Arznei-, Verband- oder Hilfsmitteln ohne Festbetragsbindung besteht. Umgekehrt darf ein Festbetrag leistungsbegrenzende Wirkung nur entfalten, wenn er im Zeitpunkt der beanspruchten Versorgung den Anforderungen insbesondere von § 35
Abs. 5
SGB V genügt. Insoweit liegt das Risiko der ausreichenden Festbetragsbemessung bei den Krankenkassen, nicht aber bei den Versicherten.
b) Dem steht der Rechtscharakter der Festbeträge als Allgemeinverfügung nicht entgegen. Zwar besitzt eine Festbetragsregelung mit dieser Rechtsqualität Gültigkeit bis zu ihrer Aufhebung oder Änderung. Jedoch kann ihr keine Tatbestandswirkung dahin zukommen, dass ihre Rechtmäßigkeit im Rechtsstreit um die Versorgung mit einer
GKV-Leistung ungeprüft zu bleiben hat. Eine solche Wirkung wäre mit der Rechtsschutzgarantie des
Art. 19
Abs. 4
GG unvereinbar. Diese gebietet vielmehr, dass die Rechtmäßigkeit einer Festbetragsfestsetzung als ein für die Leistungsbewilligung maßgeblicher Akt hoheitlicher Gewalt im Rechtsstreit mit dem Einwand zur Überprüfung gestellt werden kann, die Festsetzung sei von Anfang an oder durch Zeitablauf partiell oder vollständig rechtswidrig und reiche demgemäß zum Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht aus. Verfassungskonform können die Vorschriften zur Erfüllungswirkung der Festbeträge insbesondere in den
§§ 12 Abs. 2,
31 Abs. 2 Satz 1 SGB V und § 33
Abs. 2 Satz 1
SGB V aF deshalb nur so verstanden werden, dass sie als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal die - anfängliche oder fortdauernde - Rechtmäßigkeit der Leistungsbegrenzung durch den maßgeblichen Festbetrag im Zeitpunkt der beanspruchten Versorgung voraussetzen. Anders ist auch die aus der Dauerwirkung der Festbeträge u.U. resultierende Problematik nicht auflösbar, dass ein zum Festbetrag anfangs ausreichend zu erfüllender Versorgungsbedarf mangels genügender Fortschreibung zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr hinreichend erfüllt werden kann.
8) Objektiv ausreichend ist der Festbetrag, wenn die Vergütung - von atypischen Ausnahmefällen abgesehen - die erforderliche Versorgung prinzipiell jedes betroffenen Versicherten abdeckt. Hieran ändert auch das Tatbestandsmerkmal "im Allgemeinen" in § 35 Abs 5 Satz 1
SGB V nichts.
a) Nach § 35
Abs. 5 Satz 1
SGB V haben die Festbeträge "im Allgemeinen" eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung zu gewährleisten. Damit sind die für die Versorgung im Einzelfall wesentlichen Versorgungsmaximen des Wirtschaftlichkeitsgebots nach § 12 Abs 1
SGB V einerseits und des Leistungsstandards nach § 2 Abs 1 Satz 3
SGB V andererseits entsprechend auf die Festbetragsregelung übertragen. Demgemäß sind die Maßstäbe für Festbetragsfestsetzungen und Einzelfallentscheidungen in der
GKV grundsätzlich identisch. Jedoch können sie im Rahmen der Festbetragsfestsetzung nur generalisierend beurteilt werden. Dem trägt die Formulierung des § 35
Abs. 5 Satz 1
SGB V Rechnung, dass die dort angeführten Kriterien "im Allgemeinen" erfüllt sein müssen. Hiermit ist nicht zum Ausdruck gebracht, dass ein Festbetrag nur global eine ausreichende Versorgung zu ermöglichen hat und ein - wie auch immer zu bestimmender - Teil von Versicherten auch für notwendige medizinische Leistungen auf private Zuzahlungen zu verweisen ist (so aber BT-Drs. 11/2237,
S. 176). Dies würde, wie bereits vom
BVerfG ausgeführt, der Festbetragsbestimmung den Charakter des Verwaltungsvollzugs nehmen und Entscheidungen des Gesetzgebers dazu voraussetzen, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen sich Versicherte über die gesetzlich allgemein angeordneten Zuzahlungen hinaus (für die Arznei- und Hilfsmittelversorgung
vgl. §§ 31
Abs. 3 und 33
Abs. 8
i.V.m. § 61 SGB V) im Einzelfall mit zusätzlichen Beträgen an den Kosten ihrer Versorgung mit medizinisch notwendigen Leistungen zu beteiligen haben. Demgemäß kann das Merkmal "im Allgemeinen" nur auf die Gesamtheit der in § 35
Abs. 5 Satz 1
SGB V aufgeführten Bemessungskriterien bezogen sein. Verlangt ist hiernach, dass - von "äußersten und eher zufälligen Ausnahmen" abgesehen - die für die Festbetragsfestsetzung notwendige Abwägung zwischen dem Versorgungsbedarf einerseits und der Wirtschaftlichkeit der Versorgung andererseits für grundsätzlich jede Hilfsmittelversorgung so vorzunehmen ist, dass alle bei der Festsetzung zu beachtenden Vorgaben angemessen Berücksichtigung finden.
b) Für diese Abwägung bilden die Bemessungskriterien nach § 35
Abs. 5 Satz 1 und 2
SGB V eine obere und eine untere Festsetzungsgrenze. Zunächst ist der Festbetragsfestsetzung als obere Preisgrenze vorgegeben, dass die Versorgung wirtschaftlich zu sein und sich deshalb an möglichst preisgünstigen Versorgungsmöglichkeiten auszurichten hat (§ 35
Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1
SGB V); demzufolge sollen
z.B. die Festbeträge im Arzneimittelsektor im Regelfall das untere Drittel der Preisspanne des jeweiligen Marktes nicht übersteigen (§ 35
Abs. 5 Satz 4
SGB V). Andererseits dürfen die Festbeträge nicht so niedrig bemessen sein, dass die erforderliche Versorgung nicht hinreichend gewährleistet ist; diese untere Preisgrenze gewährleistet die Leistungsansprüche der Versicherten und darf nicht unterschritten werden.
c) Gewährleistet ist die erforderliche Versorgung zum Festbetrag, wenn sich ein Betroffener die ihm zustehende Leistung mit einem Mindestmaß an Wahlmöglichkeit zumutbar beschaffen kann. Insoweit gilt für seinen Anspruch zunächst das allgemeine Leistungsrecht des
SGB V. Im Rahmen der Festbetragsbestimmung hat er aber auch Anspruch auf die Wahl therapeutischer Alternativen, wie
z.B. die Regelungen zur Gruppenbildung bei Arzneimitteln mit vergleichbaren Wirkstoffen (§ 35
Abs. 1 Satz 2
Nr. 2
SGB V) und vergleichbarer Wirkung (§ 35
Abs. 1 Satz 2
Nr. 3
SGB V) sowie zur Arzneimittelauswahl (§ 35
Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2
SGB V) zeigen. Deshalb hat der Festbetrag im medizinisch vertretbaren Rahmen regelmäßig Raum für eine hinreichende Auswahl unter verschiedenen Versorgungsmöglichkeiten zu belassen. Zudem sind Zumutbarkeitsgesichtspunkte zu beachten; es reicht nicht aus, dass überhaupt ein Leistungserbringer die notwendige Leistung bereit hält. Erforderlich ist vielmehr, dass dieser angemessen erreichbar und seine Inanspruchnahme auch ansonsten zumutbar ist. Dieser Rechtsgedanke war in der übergangsweise am 1. Januar 2004 in Kraft und am 1. April 2007 außer Kraft getretenen Regelung des § 33
Abs. 2 Satz 3
SGB V aF ausdrücklich angelegt, ist nunmehr in
§ 127 Abs. 3 Satz 1 SGB V fortgeführt und liegt implizit auch weiterhin allen Festbetragsregelungen zugrunde. Das schließt die Verweisung auf Festbetragsleistungen aus, soweit sich ein Versicherter zum Festbetrag nur mit einem ihm nicht zumutbaren Aufwand oder mit nicht zuzumutenden Einbußen an Anpassungsleistungen versorgen könnte (
vgl. BT-Drucks 15/1525
S. 85;
BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, a.a.O.) .
9) Von der Aufgabe einer ausreichenden Festbetragsbemessung selbst abgesehen, enthebt die Festbetragsregelung die Krankenkassen nicht von ihrer Pflicht, im Rahmen der Sachleistungsverantwortung (§ 2
Abs. 1 Satz 1
SGB V) für die ausreichende Versorgung der Versicherten Sorge zu tragen. Hieraus können gesteigerte Obhuts- und Informationspflichten erwachsen, wenn vor allem bei anpassungsbedürftigen Hilfsmitteln der notwendige Überblick über die Marktlage und geeignete Angebote auch bei zumutbarer Anstrengung für Versicherte schwierig zu erlangen ist. Das Festbetragsregime setzt nicht die Verantwortung der Krankenkassen für die Leistungsverschaffung im Rahmen des Sachleistungsprinzips außer Kraft, sondern modifiziert nur das Entscheidungsverfahren zur Bestimmung der angemessenen Leistungsvergütung (BSGE 90, 220). Insoweit gilt die Verpflichtung, Versicherten bei einem unübersichtlichen Leistungsangebot einen konkreten Weg zu den gesetzlich möglichen Leistungen aufzuzeigen (BSGE 96, 161), gerade auch hier. Zweifelhaft kann deshalb sein, ob schon die abstrakte Möglichkeit einer ausreichenden Versorgung zum Festbetrag zur Erfüllung der Leistungspflicht ausreicht, wenn der Versicherte trotz zumutbarer eigener Anstrengungen den Weg zu der erforderlichen Versorgung nicht findet (
BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, a.a.O.).
10) Maßgebend für die gerichtliche Beurteilung des Festbetrages in tatsächlicher Hinsicht ist der Versorgungsbedarf, wie er von dem zu entscheidenden Einzelfall ausgehend für jeden Betroffenen in vergleichbarer Lage allgemein besteht. Das folgt aus der Rechtsnatur der Festbetragsfestsetzung. Als Allgemeinverfügung mit Dauerwirkung trifft sie eine konkret-individuelle Regelung gegenüber einem nach allgemeinen Merkmalen bestimmbaren Personenkreis. Soweit diese Adressaten einen sachlich und zeitlich übereinstimmenden Versorgungsbedarf haben, lässt sich die Rechtmäßigkeit der Festbetragsfestsetzung nur einheitlich beurteilen. Maßgeblich ist insoweit nicht die Möglichkeit der ausreichenden Versorgung im konkreten Einzelfall, sondern die ausreichende Bemessung des Festbetrages zur Erfüllung des Versorgungsbedarfes, wie er sich in diesem Rechtsstreit allgemein darstellt. Im vorliegenden, die Klägerin betreffenden Fall ist das die Gruppe der hochgradig Schwerhörigen, d.h. mit einem beidseitigen Hörverlust von 60 bis 80 % (
vgl. zur Klassifizierung: Teil B, Ziffer 5.2.4, der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze", Anlage zu
§ 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung). Anzeichen für eine atypische Versorgungslage, für die möglicherweise andere Prinzipien gelten könnten, sind nicht erkennbar. Rechtmäßig wäre die Verweisung der Klägerin auf die Festbetragsversorgung deshalb nur, wenn jeder Versicherte mit einem solch erheblichen Hörverlust mit Festbetragshörgeräten ausreichend versorgt wäre, und zwar hier nach der im Jahr 2004 geltenden Festsetzung zum Preis von 440.-
EUR (Pos.-Nr. 13.20.03 der o.g. Festbetragsfestsetzung).
11) Zur Versorgung von hochgradig schwerhörigen Versicherten war die Festbetragfestsetzung für Hörgeräte im Jahr 2004 im Land Berlin nicht mehr ausreichend.
a) Schon bei der Klägerin blieb die Versorgung mit einem Festbetragshörgerät hinter den Möglichkeiten zurück, die nach dem Stand der Hörgerätetechnik zu diesem Zeitpunkt bestanden und Menschen mit hochgradiger Hörbehinderung wesentliche Gebrauchsvorteile im Alltagsleben boten. Denn die Versorgung mit den von der o.g. Hörgeräteakustikerin zum Festbetrag angebotenen Hörgeräten führte bei der Klägerin zu Rückkoppelungseffekten; außerdem war die Unterscheidung von Worten in geräuschvoller Umgebung deutlich erschwert. Die diesbezüglichen Angaben der Klägerin legt der Senat seiner Entscheidung zugrunde; sie sind nachvollziehbar und wurden auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen. Die Klägerin wäre bei einer Versorgung mit Hörgeräten zum Festbetrag angesichts ihrer Hörbehinderung deutlich hinter dem umfassenden Hörvermögen gesunder Menschen zurückgeblieben und musste sich deshalb nach Maßgabe des § 33
Abs. 1
SGB V nicht darauf verweisen lassen, auf die Nutzung dieser technischen Möglichkeiten zu verzichten, indem sie - in der Regel mit unangenehmen Pfeifgeräuschen verbundene - Rückkoppelungseffekte sowie eine erheblich erschwerte Unterscheidung von Worten bei geräuschvoller Umgebung, also etwa im Straßenverkehr, in Einkaufspassagen oder in zahlreichen öffentlichen oder öffentlich zugängliche Gebäuden, hinnimmt.
b) Anhaltspunkte dafür, dass solche Defizite bei der Versorgung einer hochgradigen Schwerhörigkeit nur bei der Klägerin aufgetreten sind, lassen sich nicht festzustellen. Vielmehr erfordert die Unterdrückung von Rückkopplungseffekten bei der von hochgradig Schwerhörigen benötigten großen Verstärkungsleistung grundsätzlich einen besonderen technischen Aufwand, was bei den im Jahre 2004 verfügbaren Festbetragshörgeräten nicht ausreichend gelang (
vgl. BSG a.a.O.). Dieses Ergebnis wird durch sozialgerichtliche Feststellungen in anderen Verfahren bestätigt: So ist das Sozialgericht Neubrandenburg (Urteil vom 10. Juni 2008, Az.:
S 4 KR 39/04, veröffentlicht in Juris) nach Auswertung zahlreicher Auskünfte u.a. von Berufsverbänden, Verbänden der Krankenkassen und einer Interessenvertretung Schwerhöriger sowie eines wissenschaftlichen Gutachtens zur Hörgeräteversorgung im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung zu der Überzeugung gelangt, dass selbst bei einer mittelgradigen Schwerhörigkeit eine Versorgung mit Festbetragshörgeräten nicht ausreichend ist. In dieselbe Richtung weist auch die Antwort der damaligen Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit Caspers-Merk vom 1. Juli 2009 auf eine parlamentarische Anfrage zur Hörgeräteversorgung (BT-Drs. 16/13710,
S. 27f). Danach ist die Frage des Versorgungsbedarfs hochgradig schwerhöriger Menschen Gegenstand einer wissenschaftlichen Studie zur Ermittlung des spezifischen Versorgungsbedarfs dieser Menschen; diese sei jedoch noch nicht abgeschlossen. Einer solchen Studie bedürfte es nicht, wenn eine ausreichende Versorgung dieses Personenkreises durch Festbetragshörgeräte gesichert wäre. All dies lässt für den Senat nur den Schluss zu, dass mit den zur Verfügung gestellten Festbetragshörgeräten eine ausreichende Versorgung hochgradig schwerhöriger Versicherter im Jahre 2004 nicht gewährleistet war und die Beklagte demzufolge auch für die weitergehenden Kosten der Hörgeräteversorgung der Klägerin aufzukommen hat.
12) Der Senat verkennt nicht, dass die Krankenkassen grundsätzlich über die Wirtschaftlichkeit einer Versorgung zu wachen haben (
§ 12 Abs. 1 SGB V) und hierbei gerade im Bereich der Hörgeräteversorgung vor besondere Anforderungen gestellt sind. Schon die Weiterentwicklung und Perfektionierung der Hörgerätetechnik zieht höhere Versorgungskosten nach sich, weil die Möglichkeiten zum Ausgleich mangelhaften Hörvermögens durch digitale Geräte immer besser werden. Zusätzliche Probleme ergeben sich bei der Beurteilung der individuellen Versorgungsnotwendigkeit, weil die Gebrauchsvorteile teurer Geräte mit objektivierbaren Verfahren nicht immer ausreichend messbar sind. Vor allem aber ist der Markt für die Hörgeräteversorgung aus dem Blickwinkel der Versicherten und der Krankenkassen durch ein hohes Maß an Intransparenz gekennzeichnet und bietet deshalb für die Leistungserbringer wenig Anreize für kostengünstige Versorgungen. So nähren Hinweise auf wettbewerbswidrige Praktiken von Herstellern weiterhin den Verdacht, dass das Preisniveau durch überzogene Gewinnspannen bei Handel und Herstellern beeinflusst ist (
vgl. BSG a.a.O.). Das ändert jedoch nichts daran, dass die Krankenkassen auf der Grundlage des geltenden Rechts zu Leistungseinschränkungen nicht befugt sind und hierzu auch die Festbetragsregelung nicht ermächtigt. Solche Entscheidungen könnten vielmehr nur vom Gesetzgeber selbst getroffen werden. Auf der Basis des geltenden Rechts ist es hingegen Aufgabe der Krankenkassen und des MDK, Maßstäbe und Verfahren zur Beurteilung der Erforderlichkeit der Versorgung im Einzelfall zu entwickeln und im Rahmen von Verträgen mit Leistungserbringern eine kostengünstige Hörgeräteversorgung zu organisieren und zu gewährleisten. Dabei sind weiterhin die Grundsätze zu beachten, die das
BSG in seiner Rechtsprechung zur Hilfsmittelversorgung dem Gebot der wirtschaftlichen Versorgung entnommen hat (s.o.).
13) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160
Abs. 2
SGG nicht vorliegen.