Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts gemäß §§ 172
Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Nach § 86b
Abs. 2
S. 1
SGG kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird (sog. Sicherungsanordnung). Gemäß § 86b
Abs. 2
S. 2
SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Voraussetzung sind das Bestehen eines Anordnungsanspruches und das Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Der Anordnungsanspruch bezieht sich dabei auf den geltend gemachten materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird. Die erforderliche Dringlichkeit betrifft den Anordnungsgrund. Die Tatsachen, die den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch begründen sollen, sind darzulegen und glaubhaft zu machen (§ 86b
Abs. 2
S. 4
SGG i.V.m. § 920
Abs. 2 Zivilprozessordnung). Entscheidungen dürfen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte an den Erfolgsaussichten nur orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so hat es anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Je größer die Erfolgschancen in der Sache einzuschätzen sind, desto eher ist es einem Antragsteller nicht zuzumuten, auf die Entscheidung in der Hauptsache verwiesen zu werden (ständige Rechtsprechung des Senats,
z. B. Beschluss vom 23. Oktober 2008 - L 1 B 346/08 KR ER; Beschluss vom 23. Dezember 2010 - L 1 KR 368/10 B ER -, juris Rn. 10, Beschluss vom 4. September 2019 - L 1 KR 238/19 B ER).
Nach diesen Maßstäben war hier entgegen dem Sozialgericht die begehrte einstweilige Anordnung zu erlassen. Der im Hauptsacheverfahren verfolgte Antrag auf die zuzahlungsfreie Versorgung mit den Hörgeräten Phonak Naida V50 SP ist nichts aussichtslos, sondern hat realistische Erfolgsaussichten.
Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch kommt
§ 33 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Betracht. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um eine Behinderung auszugleichen. Bei dem Antragsteller liegt eine Behinderung in der Form einer Hörbehinderung vor. Der Umfang des von der gesetzlichen Krankenversicherung durch Hilfsmittel zu gewährenden Behinderungsausgleichs bestimmt sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (
BSG) danach, ob eine Leistung des unmittelbaren oder des mittelbaren Behinderungsausgleichs beansprucht wird. Bei Hörhilfen handelt es sich um Fälle des unmittelbaren Behinderungsausgleichs, da mit diesen die ausgefallene Körperfunktion "Hören" als solche wiederhergestellt werden soll und nicht nur die Kompensation der Folgen des Ausfalls in Frage steht. Im Rahmen des unmittelbaren Behinderungsausgleichs schuldet die gesetzliche Krankenversicherung einen möglichst vollständigen Ausgleich der Behinderung im Sinne eines Gleichziehens des behinderten Menschen mit den Fähigkeiten eines gesunden Menschen. Die Grenze der Leistungsverpflichtung wird erst erreicht, wenn weitere Gebrauchsvorteile zwar noch möglich sind, sie aber nicht mehr wesentlich erscheinen. In Bezug auf die Versorgung mit Hörhilfen haben Versicherte schon krankenversicherungsrechtlich danach Anspruch auf Hörgeräte, die ihnen im Rahmen des Möglichen auch in größeren Räumen und bei störenden Umgebungsgeräuschen das Hören und Verstehen ermöglichen. Es reicht nicht aus, wenn die Hörgeräte nur eine Verständigung im Einzelgespräch mit direkter Ansprache ermöglichen (
BSG, Urt. v. 14. Januar 2013 -
B 3 KR 5/12 R - juris Rn. 31 mit weiteren Nachweisen).
Nach dem derzeitigen Sachstand ist offen, ob die zum Festbetrag erhältlichen Hörgeräte zur Deckung des so zu bestimmenden krankenversicherungsrechtlichen Versorgungsbedarfs des Antragstellers ausreichen. Sein Vorbringen, dass erst die von ihm ausgewählten Hörgeräte ausreichten, um ihm eine ausreichende Teilhabe am Leben, insbesondere am Arbeitsleben zu ermöglichen, müsste weiter überprüft werden, gegebenenfalls durch die Einholung von Sachverständigengutachten. Jedenfalls ist der Versorgungsanspruch nicht auf das möglichst störungsfreie Verstehen von Sprache beschränkt. Zum Hören gehören auch das räumliche Erkennen von Geräuschen und ein möglichst unverzerrtes Klangbild. Die Sicherstellung des Hörverstehens auch in Situationen, in denen es störende Nebengeräusche gibt und mehrere Personen gleichzeitig reden, ist schon Gegenstand der nach § 33
SGB V geschuldeten Versorgung (Urt. des Senats vom 13. Dezember 2018 -
L 1 KR 431/16).
Die Antragsgegnerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass sie für die berufliche Rehabilitation nicht zuständig ist. Da sie versäumt hat, den Antrag an den aus ihrer Sicht zuständigen Rehabilitationsträger weiterzuleiten, ist sie nunmehr nach
§ 14 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung verpflichtet, über den Antrag auf Versorgung mit Hörgeräten unter allen denkbaren rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Die Versorgungsansprüche des Antragstellers würden auch nicht durch die geltenden Festbeträge eingeschränkt. Denn Festbeträge verändern nicht die gesetzlich begründeten Leistungsansprüche der Versicherten. Reicht ein festgesetzter Festbetrag objektiv nicht für den Ausgleich einer Behinderung aus, sind die Versicherten weiter auf Kosten der Krankenversicherung mit höherwertigen Hilfsmittel zu versorgen (
BSG v. 17. Dezember 2009 -
B 3 KR 20/08 R - juris Rn. 28f). Nur wenn der Versicherte Hilfsmittel wählt, die über das Maß des Notwendigen hinausgehen, hat er die Mehrkosten selbst zu tragen. Schließlich spricht für einen über den Festbetrag hinausgehenden Versorgungsanspruch des Antragstellers noch, dass ein solcher Anspruch von den zuständigen Rehabilitationsträgern in dem 2013 geschlossenen gerichtlichen Vergleich anerkannt worden ist.
Ist demnach eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Bestehen des geltend gemachten Versorgungsanspruchs gegeben, führt eine Folgenabwägung zum Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung. Es besteht aktuell ein offener Versorgungsbedarf, der durch die begehrten Hörgeräte abgedeckt werden würde. Die Fortsetzung des bisherigen Zustands kann dem Antragsteller nicht zugemutet werden. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung eine Überversorgung vorgenommen wird, die nach abschließender Klärung der Sach- und Rechtslage in dem Hauptsachverfahren rückabgewickelt werden müsste. Möglich wäre dann aber eine finanzielle Rückabwicklung in dem Sinne, dass der Antragsteller den überschießenden Betrag an die Antragsgegnerin zurückzahlen müsste. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Durchsetzung eines etwaigen Erstattungsanspruchs von vornherein aussichtslos wäre. Der Antragsteller steht in einem Beschäftigungsverhältnis und dürfte damit in der Lage sein, Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Der möglicherweise bestehende Erstattungsbetrag von 2.613,-
EUR kann gegebenenfalls in Raten beglichen werden. Dem Verlustrisiko der Antragsgegnerin und einem entstehenden Verwaltungsmehraufwand steht gegenüber, dass möglicherweise erst die Versorgung mit den begehrten Hörgeräten dazu führt, dass der Antragsteller im angemessenen Umfang am Leben teilhaben kann. Dieses Interesse überwiegt, so dass die beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen ist.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193
SGG.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177
SGG.