Urteil
Verwaltungsrechtsweg für Streit um Berechnung des Arbeitsförderungsgeldes, SGB 9 § 43 Abs 1

Gericht:

VG Augsburg 3. Kammer


Aktenzeichen:

Au 3 K 03.367


Urteil vom:

12.05.2003


Grundlage:

Orientierungssatz:

1. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und nicht die Arbeitsgerichtsbarkeit ist zuständig für den Streit um den Anspruch des Behinderten auf Arbeitsförderungsgeld gegen den Reha-Träger, hier: Sozialhilfeträger. Dieser Anspruch dient der Lohnaufstockung und tritt als öffentliche, selbständige Leistung des Reha-Trägers neben dem Arbeitsentgelt, das die Werkstatt als Gegenleistung für die Tätigkeit des Behinderten erbringt.

2. Der Anspruch gemäß SGB 9 § 43 Abs 1 richtet sich nach den für den jeweils zuständigen Reha-Träger geltenden Recht.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

JURIS-GmbH

Im Streit war die Berechnung des Arbeitsförderungsgelds durch den für die Auszahlung zuständigen Sozialhilfeträger (§ 43 SGB IX). Der beklagte Sozialhilfeträger hatte die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts bestritten, so dass zunächst ein Beschluss nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG vorab die Zulässigkeit des bestrittenen Rechtswegs klären musste.

Das Verwaltungsgericht sah seine Zuständigkeit als gegeben an, da es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art (§ 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO) handle. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten sei nicht gegeben (§§ 2, 2a, 3 ArbGG). Dieses sei zwar nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 ArbGG für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen behinderten Menschen im Arbeitsbereich von Werkstätten und Trägern der Werkstätten zuständig. Der Anspruch auf Gewährung des Arbeitsförderungsgeldes (AFÖG) betreffe aber keine Streitigkeiten im Rahmen des arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnisses. Bei einer Entscheidung, in der es um die Zulässigkeit des Rechtswegs gehe, könne offen bleiben, ob der behinderte Mensch nach § 43 SGB IX einen direkten Anspruch gegen den Reha-Träger habe (so Wendt FD Lh 2001, 19, 20) oder ob diese Vorschrift zwei Ansprüche begründe - einerseits der Werkstatt gegen den Reha-Träger, andererseits des Behinderten gegen die Werkstatt auf Zahlung des AFÖG (so Haines/Jacobs in LPK SGB IX § 43 Rn 7, 14 unter Bezugnahme auf die Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziale Ordnung vom Juli 2001).
Für diesen Zweck sei nur die Klärung der Frage notwendig, welche Rechtsnatur der vom Kläger gegenüber dem Beklagten als Sozialhilfeträger geltend gemachte Anspruch habe. Mache ein behinderter Mensch einen ihm gegenüber dem Reha-Träger seiner Ansicht nach zustehenden Anspruch auf Arbeitsförderungsgeld geltend, so stelle dies keinen bürgerlich-rechtlichen Anspruch dar. Der Anspruch rühre nicht aus dem Beschäftigungsverhältnis mit einem Arbeitgeber, sondern sei gegen den Reha-Träger auf Zahlung einer Leistung gerichtet. Das AFÖG sei kein Teil des Arbeitsentgelts, das die Werkstatt dem Kläger bezahlt, sondern eine öffentliche Leistung, die neben den Arbeitslohn tritt. Dies folge bereits aus § 138 Abs. 2 SGB IX. Diese Vorschrift bestimme, wie das Arbeitsentgelt für behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten arbeiten, zu bemessen sei. Dieses setze sich aus einem Grundbetrag und einem Steigerungsbetrag zusammen und erwähne das AFÖG nicht. Auch aus dem Wortlaut der Bestimmung des § 43 SGB IX ergebe sich nichts anderes. Das AFÖG sei auf Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestags in das SGB IX aufgenommen worden ( Beschlussempfehlung BT-Drs. 14/ 5786 S. 2). Durch das AFÖG solle das Arbeitsentgelt in der Werkstatt um bis zu 50 DM mtl. erhöht werden, wenn das Arbeitsentgelt dort 630 DM pro Monat nicht erreiche. Zuvor sei bereits mit der Reform des § 41 Abs. 4 BSHG versucht worden, über eine Verordnungsermächtigung es den Werkstätten zu ermöglichen, höhere Arbeitsentgelte zu zahlen. Diese Verordnung sei aber nicht in Kraft getreten. Der Gesetzgeber habe mit der Schaffung des AFÖG dafür einen Ersatz gesucht, um wenigstens den Aspekt der Lohnerhöhung zu verwirklichen. Daher handele es sich um eine zusätzliche Leistung durch den zuständigen Reha- Träger zur Aufstockung des Arbeitsentgelts. Es sei leistungsunabhängig und stehe als selbständige Leistung des Reha-Trägers neben dem Arbeitsentgelt, das die Werkstatt als Gegenleistung für die Tätigkeit des Behinderten erbringt.

Der Rechtsnatur als öffentliche Leistung stehe nicht entgegen, dass das AFÖG möglicherweise ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsentgelt i.S.d. § 14 Abs. 1 SGB IV ist. Denn Arbeitsentgelt i.S. dieser Vorschrift sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (§ 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Dieser Begriff sei weiter als der Vergütungsbegriff des § 612 BGB für den Dienstvertrag wie auch der Begriff des Arbeitsentgelts nach § 138 Abs. 2 SGB IX ( Haines/Jacobs, in: LPK SGB IX § 43 Rn. 9).

Der Anspruch des behinderten Beschäftigten gegen den jeweils zuständigen Reha-Träger auf Gewährung des AFÖG nach § 43 SGB IX richte sich daher nach dem für den jeweils zuständigen Reha-Träger geltenden Recht. Da vorliegend der Beklagte als Träger der Sozialhilfe zur Teilnahme am Arbeitsleben Leistungen gewähre, sei der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VWGO gegeben.

Referenznummer:

MWRE010420300


Informationsstand: 03.03.2004