Urteil
Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung im Arbeitsbereich trotz hohem Pflegeaufwand

Gericht:

SG Dresden 19. Kammer


Aktenzeichen:

S 19 SO 143/06 ER


Urteil vom:

21.11.2006


Zum Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung (5 Stunden täglich) im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen, soweit ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung nach wie vor erbracht werden kann. (Rn.44)

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

JURIS-GmbH

Tatbestand:

Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Eingliederungshilfe zur Weiterbeschäftigung im Arbeitsbereich der in der Trägerschaft der Beigeladenen stehenden anerkannten Werkstatt für Behinderte W. in Dresden. Zur Zeit ist sie im Förder- und Betreuungsbereich beschäftigt, der dieser Werkstatt angeschlossen ist.

Die 1971 geborene Antragstellerin ist dem Personenkreis der wesentlich behinderten Menschen im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. der Eingliederungshilfe-VO zuzuordnen. Sie ist zu 100 Prozent schwerbehindert und hat einen unbefristeten Schwerbehindertenausweis mit den Merkzeichen B, H, G und RF. Sie ist geistig behindert, an Diabetes erkrankt und insulinpflichtig. Die Antragstellerin lebt im elterlichen Haushalt und erhält von der Pflegekasse Pflegeleistungen nach der Pflegestufe II. Das Amtsgericht Kamenz hat die Mutter der Antragstellerin zu ihrer Betreuerin bestellt.

Die Antragstellerin begehrt Leistungen der Eingliederungshilfe gem. § 53 Abs. 1 SGB XII und § 54 Abs. 1 SGB XII i. V. m. § 41 SGB IX in Form der Leistungen im Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstatt für Behinderte.

Die Antragstellerin arbeitet seit dem 1. Juni 1994 in der Werkstatt für Behinderte W. der Beigeladenen. Nach Absolvierung des zweijährigen Berufsbildungsbereiches wurde sie von der Beigeladenen in den Arbeitsbereich der Werkstatt übernommen. Dort arbeitete sie seit dem 1. Juni 1996 bis zum Juni 2006. Die Kosten hierfür wurden vom Antragsgegner auf der Grundlage seines Bescheides vom 4. Juni 1997 rückwirkend ab dem 1. Juni 1996 bis auf Weiteres, längstens jedoch für die Dauer der tatsächlichen Anwesenheit in der Werkstatt für Behinderte W., übernommen. Seit dem 17. Juli 2006 ist die Antragstellerin im Förder- und Betreuungsbereich der Beigeladenen beschäftigt. Die Kosten hierfür werden ebenfalls vom Antragsgegner getragen.

Zwischen der Antragstellerin und der Beigeladenen wurde am 6. April 2000 mit Wirkung vom 1. Juli 1999 ein Werkstattvertrag auf unbestimmte Dauer für Eingliederungsmaßnahmen im Arbeitsbereich abgeschlossen (§ 1 Abs. 2 Werkstattvertrag). Dieser wurde von der Beigeladenen unter dem 2. November 2006 fristlos mit sofortiger Wirkung gekündigt, weil die Antragstellerin gem. § 8 Abs. 4 des Werkstattvertrages die Voraussetzungen für eine Aufnahme in der Werkstatt nicht mehr erfülle. Gegen diese Kündigung hat die Antragstellerin Klage vor dem Arbeitsgericht Dresden unter dem Aktenzeichen 2 Ca 4338/06 erhoben. Eine Güteverhandlung ist dort für den 5. Dezember 2006 angesetzt.

Nach § 8 Abs. 4 Werkstattvertrag kann die Werkstatt den Vertrag beenden, wenn die zur Aufnahme in die Werkstatt erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind. Bei erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung kann der Vertrag fristlos beendet werden. Die Werkstatt verpflichtet sich in diesem Fall gem. § 8 Abs. 5 Werkstattvertrag, vor Kündigung des Vertrages die Stellungnahme des Fachausschusses einzuholen. Bei fristloser Beendigung werden Stellungnahmen nachträglich eingeholt. Die Beendigung des Vertrages nach Abs. 4 wird erst bei Zustimmung durch den Fachausschuss wirksam.

Der Antragsgegner gab nach Hinweisen der Werkstatt zu einer Überforderung der Antragstellerin ein ärztliches Gutachten in Auftrag. Frau Dr. med D. kam am 21. Juni 2005 in ihrer amtsärztlichen Stellungnahme zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin auf Grund des Krankheitsbildes und der geistigen Behinderung eine leichte körperliche, sitzende Arbeit mit zwischenzeitlichen Bewegungsmöglichkeiten und Ruhephasen vorerst weiterhin ohne eine Verkürzung der Arbeitszeit ausführen könne. Einen Wechsel vom Arbeitsbereich in den Förder- und Betreuungsbereich erachte sie aus medizinischer Sicht für noch nicht notwendig. Der Gesundheitszustand der Antragstellerin habe sich im Vergleich zur letzten Begutachtung am 17. Januar 2005 nicht verschlechtert.

Die Antragstellerin wurde danach unverändert arbeitstäglich sieben Stunden weiterbeschäftigt.

Die Werkstattleitung regte nach einem Teamgespräch am 31. März 2006 an, die Arbeitszeit der Antragstellerin von täglich sieben auf fünf Stunden zu reduzieren und erklärte dies mit Schreiben vom 10. April 2006 auch gegenüber dem Antragsgegner ( z.Hd.v. Frau K.). Eine solche Reduzierung der Arbeitszeit wurde jedoch von der Betreuerin der Antragstellerin zum damaligen Zeitpunkt abgelehnt.

Der Antragsgegner holte auf Drängen der Werkstatt eine weitere amtsärztliche Stellungnahme ein. Frau Dr. med. D. kam in ihrem Gutachten vom 8. Juni 2006 zu dem Ergebnis, dass keine volle Belastbarkeit der Antragstellerin im Arbeitsbereich der Werkstatt mehr gegeben sei und ein deutlicher Leistungsabfall während eines Arbeitstages deutlich werde. Es sei eine allgemeine Überforderungssymptomatik festzustellen.

Die Antragstellerin arbeitete in der Werkstatt bis zum Juni 2006 arbeitstäglich 7 Stunden von 7 Uhr 30 bis 14 Uhr 30. Sie wurde mit einem Behindertentransport von zu Hause zur Arbeit und wieder zurückgefahren. Im Juni 2006 absolvierte die Antragstellerin ein Praktikum innerhalb des Förder- und Betreuungsbereiches der Werkstatt, nachdem dort ein Platz frei geworden war.

Ihre Betreuerin beantragte zunächst am 3. Juli 2006 beim Antragsgegner für die Antragstellerin die Aufnahme in den Förder- und Betreuungsbereich. Mit Schreiben vom 4. Juli 2006, beim Antragsgegner eingegangen am 6. Juli 2006, stellte sie ihren Antrag auf Sozialhilfe bis zur Klärung durch den Fachausschuss zurück.

Ein Protokoll über die Fachausschusssitzung durch Umlauf trägt die Unterschriften eines Werkstattvertreters vom 3. Juli 2006, eines Vertreters des Arbeitsamtes vom 4. Juli 2006 und des Vertreters der überörtlichen Sozialhilfeträgers vom 11. Juli 2006. Als Vorschlag ist darin enthalten die "Übernahme in den Förder- und Betreuungsbereich ab dem 17.7.2006 (Antrag der Betreuerin beiliegend)".

Der Antragsgegner teilte der Antragstellerin mit Bescheid vom 13. Juli 2006 mit, dass ihr ab dem 17. Juli 2006 bis zunächst zum 16. Juli 2007, längstens jedoch für die Dauer der tatsächlichen Anwesenheit im Förder- und Betreuungsbereich der W. Werkstätten Eingliederungshilfe für den Förder- und Betreuungsbereich durch Übernahme der entstehenden Kosten in Höhe des vereinbarten Betreuungssatzes gem. § 54 Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX gewährt werde. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner bei Vorliegen einer positiven Einschätzung für die erneute Aufnahme in den Arbeitsbereich bereit sei, die Kosten für den Arbeitsbereich zu tragen.

Die Werkstattleitung der W. Werkstätten der Beigeladenen teilte mit Schreiben vom 4. Oktober 2006 gegenüber dem Antragsgegner mit, dass sie auch einer probeweisen Wiederaufnahme der Antragstellerin in den Arbeitsbereich für arbeitstäglich 5 Stunden nicht zustimmen könne. Sie verweise in diesem Zusammenhang auf ihre Stellungnahme vom 21. August 2006 sowie auf weitere Stellungnahmen und fachliche Einschätzungen aus ihrem Haus, die alle nach wie vor aktuell seien. Das Anforderungsprofil des Förder- und Betreuungsbereiches entspreche den vorhandenen Möglichkeiten der Antragstellerin. Eine Reintegration in den Arbeitsbereich - auch für arbeitstäglich 5 Stunden - würde den Prozess der Stabilisierung der Antragstellerin erheblich gefährden und sei daher nicht verantwortbar. Die Entscheidung, die Antragstellerin probeweise wieder in den Arbeitsbereich zu integrieren, sei keine Entscheidung im Sinne und zum Wohle der Betroffenen und werde deshalb abgelehnt.

Die Antragstellerin hat am 24. August 2006 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.

Die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin trägt vor, dass es der Antragstellerin auf Grund ihrer geistigen Behinderung sehr schwer gefallen sei, sich die Arbeitsabläufe in der Werkstatt einzuprägen. Die Ausbildung dort sei aber erfolgreich gewesen, so dass sie in der Lage sei, ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit im Sinne des § 41 Abs. 1 SGB IX und § 136 Abs. 2 SGB IX zu erbringen. Der Antragsgegner habe in den letzten zehn Jahren Leistungen der Eingliederungshilfe für den Arbeitsbereich erbracht. Die Gewährung von Eingliederungshilfe ab dem 17. Juli 2006 für den Förder- und Betreuungsbereich sei gegen den Willen der Antragstellerin erfolgt. Das Betreuungspersonal der Werkstatt erkläre seit über zwei Jahren, dass sich ihr Gesundheitszustand erheblich verschlechtert habe. Das Personal habe eingeschätzt, dass ihre tatsächliche Belastbarkeit bei weitem nicht mehr für sieben Stunden Arbeitszeit ausreiche und sie regelmäßig Ruhephasen benötige. Sie sei an einigen Tagen kaum zu einer Arbeitsleistung fähig. Diese Feststellungen hätten ihre Eltern nicht bestätigen können. Bei einer ausgewogenen Behandlung ihrer Diabetes, also einem ausgeglichenen Stoffwechsel, zeige sie nicht mehr als die normalen Ermüdungs- und Belastungserscheinungen geistig behinderter Menschen. Sie verlange selbst dann noch nach sinnvoller Beschäftigung, wenn sie nachmittags aus der Werkstatt komme. So wolle sie etwa nachmittags im Haus, Hof oder Garten arbeiten. Eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes hätten ihre Eltern ebenfalls nicht feststellen können. Das Betreuungspersonal der Werkstatt habe trotz unverändertem Gesundheitszustand immer wieder darauf gedrängt, dass sie entweder nur noch fünf Stunden pro Tag in der Werkstatt arbeite oder doch besser gleich in den Förder- und Betreuungsbereich wechseln solle. Das habe ihre Mutter als Betreuerin abgelehnt, da sie eine Tendenz zur gesundheitlichen Verschlechterung ihres Zustandes nicht habe erkennen können. Auch der Betreuungs- und Pflegeaufwand sei nicht so überdurchschnittlich hoch, dass eine Weiterbeschäftigung in der Werkstatt nicht möglich sei.

Die amtsärztliche Stellungnahme vom 8. Juni 2006 sage nichts darüber aus, dass die Antragstellerin nicht werkstatttauglich im Sinne des § 136 Abs. 2 SGB IX sei. Sie sage auch nichts dazu aus, ob und in welchem Umfang seit dem letzten Jahr gesundheitliche Verschlechterungen eingetreten seien. Eine volle Belastbarkeit habe unstreitig nie bestanden. Unstreitig könne sie auch nicht gleichmäßig hohe Arbeitsleistungen über den ganzen Arbeitstag erbringen und brauche während der sieben Arbeitsstunden Bewegung und Ruhepausen. Dies sei ihrer Grunderkrankung, der geistigen Behinderung, und der Diabetes, geschuldet. Aber gerade solche Menschen fänden in der Werkstatt für Behinderte einen geeigneten Arbeitsplatz. Sie sei auch werkstatttauglich im Sinne des § 37 Abs. 1 SGB IX.

Ihre Mutter und Betreuerin sei schließlich im Ergebnis dieser Begutachtung unter Druck gesetzt werden, dass sie einen Antrag auf Kostenübernahme für den Besuch des Förder- und Betreuungsbereichs unter dem verlängerten Dach der Behindertenwerkstatt stellen solle. Dies habe sie zwar zunächst getan, den Antrag aber sofort am nächsten Tag widerrufen.

Der Antragsgegner habe mangels Antrag keinen rechtlichen Grund, mit Bescheid vom 13. Juli 2006 eine Kostenzusage für den Förder- und Betreuungsbereich zu erteilen. Gegen diesen Bescheid sei fristgemäß Widerspruch eingelegt worden. Das Widerspruchsverfahren sei noch nicht beendet. Vom Antragsgegner sie lediglich eine Zwischeninformation eingegangen, dass noch Recherchen zur Werkstatttauglichkeit erfolgen müssten.

Die Werkstatt beschäftige die Antragstellerin auf Grund der fehlenden Kostenzusage des Antragsgegners für den Arbeitsbereich nun nicht weiter im Arbeitsbereich. Sie habe deshalb zwangsläufig in den Förder- und Betreuungsbereich wechseln müssen. Aktuell werde die Betreuerin der Antragstellerin von der Werkstattleistung unter Druck gesetzt, dass sie einen Vertrag über die Betreuung im Förder- und Betreuungsbereich unterschreiben solle. Dies entspreche aber nicht den Interessen, den Fähigkeiten und den Wünschen der Antragstellerin. Die Werkstattleitung wolle ihre Betreuung verweigern, wenn der so genannte Betreutenvertrag nicht unterschrieben werde.

Grundlage der Entscheidung des Antragsgegners sei offensichtlich ausschließlich das Protokoll über die Fachausschusssitzung gewesen. Aus diesem Protokoll könne man entnehmen, dass eine Ausschusssitzung im eigentlichen Sinne, das heißt unter gleichzeitiger Teilnahme des Vertreters der Werkstatt, des Vertreters des überörtlichen Sozialhilfeträgers und eines Vertreters der Bundesagentur für Arbeit gem. § 2 Abs. 1 WVO gar nicht stattgefunden habe. Dem Antragsgegner sei lediglich ein ausgefüllter Vordruck vorgelegt worden, der von drei Fachausschussmitgliedern am 3. Juli 2006, am 4. Juli 2006 und am 11. Juli 2006 unterschrieben worden sei. Eine Vorschlagsbegründung des Fachausschusses sei nicht enthalten gewesen. Es sei lediglich ein handschriftlicher Vermerk auf dem Protokoll "Übernahme in den Förder- und Betreuungsbereich ab dem 17.07.2006 (Antrag der Betreuerin beiliegend)" erfolgt. Der Fachausschuss habe seine Pflichten gem. § 2 Abs. 2 WVO nicht wahrgenommen und keine begründete Empfehlung gegeben. Er habe es versäumt, geeignete Möglichkeiten zu prüfen, um die Leistungsfähigkeit der Antragstellerin zu erhalten oder wieder zu verbessern, etwa durch einen Wechsel des Arbeitsplatzes oder mehr Entspannungsmöglichkeiten. Ein Eingliederungsplan sei nicht erarbeitet worden. Der Fachausschuss habe keine Alternativen gesucht. Es sei mehr als fragwürdig, dieses Protokoll des Fachausschusses und einen widerrufenen Antrag der Betreuerin als Grundlage für einen Wechsel der Kostenzusage für den ursprünglichen Arbeitsbereich in den jetzigen Fördergruppenbereich gegen ihren Willen und gegen den Willen ihrer Betreuerin zu nehmen. Sie habe sowohl in der Werkstatt als auch beim Antragsgegner gem. § 6 Abs. 2 WVO beantragt, ihre Beschäftigungszeit von arbeitstäglich sieben auf arbeitstäglich fünf Stunden zu reduzieren. Die Werkstattleitung habe dies in den letzten zwei Jahren ebenfalls mehrfach vorgeschlagen. Weder der Antragsgegner noch die Werkstatt hätten bisher darauf reagiert.

Eine einstweilige Anordnung sei aus folgendem Grund erforderlich. Die Antragstellerin habe über Jahre hinaus ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten mühevoll erarbeitet und weiter ausgebaut. Sie müsse immer wieder motiviert und angeleitet werden, um die antrainierten Fähigkeiten nicht wieder zu verlernen. Im Förder- und Betreuungsbereich erbringe sie keine Arbeitsleistungen und werde nicht mit den Arbeiten konfrontiert, die sie in den letzten zehn Jahren ausgeführt habe. Die in vielen Jahren antrainierte Selbständigkeit und ihr dadurch erworbenes Selbstbewusstsein würden sich schon nach sehr kurzer Zeit rückläufig entwickeln. Bereits jetzt seien erste Tendenzen erkennbar, dass Fähigkeiten verloren gingen und die Motivation nachlasse. Es bestehe deshalb die Gefahr, dass durch die Veränderung des seit zehn Jahren bestehenden Zustandes die Verwirklichung ihres Rechts auf Weiterbeschäftigung im Arbeitsbereich vereitelt oder wesentlich erschwert werde und sie die angelernten Fähigkeiten und Fertigkeiten verliere.

Der Antrag auf einstweilige Anordnung sei begründet, weil der angegriffene Kostenbescheid des Antragsgegners vom 13. Juli 2006 erhebliche Mängel enthalte; so fehle es an einem Antrag und es gebe keine Begründung des Fachausschusses, weshalb die Antragstellerin nicht mehr werkstatttauglich sein solle. Der durch den Antragsgegner ursprünglich erteilte Bescheid vom 4. Juni 1997 über die rückwirkende Kostenzusage ab 1. Juni 1996 für den Arbeitsbereich der Werkstatt sei nicht aufgehoben worden. Der Anordnungsanspruch ergebe sich aus § 136 Abs. 2 SGB IX i.V.m. § 53 Abs. 1, 3 und 4 SGB XII, § 56 SGB XII i.V.m. § 41 SGB IX.

Der gesamte Sachvortrag werde durch die eidesstattliche Versicherung ihrer Betreuerin glaubhaft gemacht. Insbesondere habe sich ihr Gesundheitszustand in den letzten zwei Jahren nicht verschlechtert. Sie sei gesundheitlich in der Verfassung, im Arbeitsbereich einer Werkstatt für Behinderte arbeiten zu können. Die Mitarbeiter der Werkstatt hätten ihrer Betreuerin gegenüber mehrfach deutlich erklärt, dass sie zu wenig Personal zur Verfügung hätten, um alle Behinderten gut betreuen zu können. Die Betreuerin habe den Eindruck, dass ihre Tochter nur deshalb in den Förder- und Betreuungsbereich wechseln solle, weil sie bei ihnen im elterlichen Haushalt lebe und der Antragsgegner Eingliederungshilfe statt für den Arbeitsbereich auch für den Fördergruppenbereich erbringen könne. Der Antragsgegner zahle nicht sowohl für die Heimunterbringung als auch für den Förder- und Betreuungsbereich Eingliederungshilfe. Diese behinderten Mitarbeiter müssten dann nur im Heim bleiben. Es sei ihr Eindruck, dass aus diesem Grund ein solcher Druck auf sie ausgeübt werde. Aus ihrer jahrelangen Erfahrung wisse sie, dass ihre Tochter Erlerntes sehr schnell wieder vergesse. Sie müssten mit ihr immer üben, damit sie wenigstens den jetzigen Entwicklungsstand beibehalte. Sie habe bemerkt, dass ihre Tochter schon nach einer Urlaubszeit von drei Wochen Probleme habe, die von ihr geforderten Arbeiten durchzuführen. Je länger sie nicht gefordert werde, desto mehr gingen die Fähigkeiten wieder verloren. Sie befürchte erhebliche Rückschritte, wenn ihre Tochter über längere Zeit im Förder- und Betreuungsbereich bleibe.

Die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin trägt weiter vor, dass sich aus dem eigenen Vortrag des Antragsgegners ergebe, dass die Antragstellerin ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit geleistet habe. Aus der Formulierung "Die Zeiten, in denen die Antragstellerin wegen Überforderung nicht arbeite und gesondert betreut werden müsse bzw. ruht, überwiegen mehrheitlich. . Nach dem Mittagessen sei nunmehr fast täglich ein deutlicher Leistungsabfall erkennbar." folge im Umkehrschluss, dass sie zu einigen Zeiten während ihres siebenstündigen Arbeitstages Arbeitsleistungen erbringe. Das Gesetz spreche bewusst von einem Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung. Von den behinderten Menschen würden nicht durchgängig konstante Arbeitsleistungen über den gesamten Arbeitstag verlangt. Die Antragstellerin sei unstreitig nur gering belastbar, schwer pflegebedürftig und benötige erhebliche Betreuung. Dies sei aber nicht in einem solch hohen Maße notwendig, dass eine Werkstatttauglichkeit nicht mehr gegeben sei. Unstreitig zeige sie auch Verhaltensauffälligkeiten wie Haare raufen oder Weinen bei Überforderung. Dies sei bei geistig behinderten Menschen jedoch keine Ausnahmeerscheinung, sondern eher die Regel. Auf keinen Fall reagiere sie bei Überforderung mit so erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdungen, dass ein Werkstattbesuch unmöglich werde. Diese Verhaltensauffälligkeiten habe es schon in den vergangenen zehn Jahren gegeben, ohne dass sie problematisiert worden seien. Es sei gerade Aufgabe des Fachpersonals der Werkstatt, solche Überlastungssituationen zu vermeiden. Ihre Arbeitsergebnisse seien auch laut einem Schreiben der Werkstatt vom 21. August 2006 an Tagen mit ausgeglichenem Befinden von guter Qualität. Es sei nicht ungewöhnlich, dass ein behinderter Mitarbeiter der Werkstatt arbeitstäglich durchgängig eine engmaschige Betreuung und ständige Begleitung zu Toilettengängen, zum Essen und zu anderen Dinge benötige. Auch ihnen stehe die Werkstatt offen, weil sie gleichwohl eine geringe Arbeitsleistung erbringen könnten. Genau so verhalte es sich bei der Antragstellerin. Der geringe Betreuungsschlüssel von 1:12 im Arbeitsbereich könne auf keinen Fall der Grund sein, die "unbequeme" Antragstellerin in den Förder- und Betreuungsbereich zu delegieren. Aus Sicht ihrer Betreuerin sei die Überlastung des Personals mit der Betreuung und Pflege aller behinderten Mitarbeiter ihrer Arbeitsgruppe der alleinige Grund für ihre Aufnahme in den Förder- und Betreuungsbereich. Das der Antragserwiderung beigefügte Schreiben der Amtsärztin Dipl. med. M. vom 23. August 2006 sage gerade nicht aus, dass die Antragstellerin aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sei, im Werkstattbereich zu arbeiten. Es werde nur allgemein formuliert, dass in der Vergangenheit mehrfach zum Sachverhalt Stellung genommen worden sei. In keinem der früheren ärztlichen Stellungnahmen werde der Gesundheitszustand der Antragstellerin so gravierend geschildert, dass sie nicht mehr werkstatttauglich sei. Eine konkrete medizinische Stellungnahme werde nicht abgegeben. Die Antragstellerin habe den Willen zu arbeiten. Sie sei im Förder- und Betreuungsbereich unterfordert. Ihr Selbstwertgefühl leide ganz erheblich.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, für sie die Kosten zu übernehmen, die durch ihre Beschäftigung im Umfang von arbeitstäglich fünf Stunden im Arbeitsbereich der W. Werkstätten an der P, D. entstehen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner trägt vor, dass der Antrag unbegründet sei, da er nicht insgesamt die Voraussetzungen des § 86 b Abs. 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 und § 294 Abs. 1 ZPO erfülle. Ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund seien nicht insgesamt glaubhaft gemacht worden.

Die Antragstellerin habe einen Anspruch auf Beschäftigung im Arbeitsbereich der Werkstatt für Behinderte nach §§ 53, 54 SGB XII i.V.m. § 41 Abs. 1 SGB IX nicht glaubhaft gemacht; insbesondere nicht, dass sie in der Lage sei, ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen. Ihm lägen Beobachtungs- und Entwicklungsberichte sowie Verlaufsdokumente und amtsärztliche Stellungnahmen vor, auf deren Inhalt insgesamt verwiesen werde. Nach Einschätzung der Werkstatt im April 2004 sei bei der Antragstellerin im Jahr 2003 ein Leistungsabfall zu verzeichnen gewesen. Es werde beschrieben, dass die Antragstellerin nur bis mittags belastbar und in der zweiten Hälfte des Tages zu einer produktiven Arbeitsleistung nicht mehr fähig sei. Unter den Bedingungen der Werkstatt benötige sie in der Regel ab 12 Uhr 30 eine Ruhepause, die sich jedoch nachmittags auf das Allgemeinbefinden auswirke. Seitens der Werkstatt sei deshalb die Prüfung angeraten worden, inwieweit sich eine Arbeitszeitverkürzung auf fünf Stunden täglich positiv auf das Wohlbefinden der Antragstellerin auswirken könne. Im Januar 2005 habe die Werkstatt mitgeteilt, dass ihre tatsächliche Belastbarkeit bei weitem nicht mehr sieben Stunden entspreche. Die Antragstellerin zeige zunehmend zu Arbeitsbeginn immer wieder Schwächeanfälle. An solchen Tagen sei sie kaum zu einer Arbeitsleistung fähig. Insgesamt sei laut Einschätzung der Werkstatt die Antragstellerin durch einen siebenstündigen Arbeitstag überfordert, was sich negativ auf den Verlauf ihrer Krankheit auswirke, weshalb dringend für eine Arbeitszeitverkürzung plädiert werde, um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Seitens der Amtsärztin sei daraufhin im Januar 2005 eine Entscheidung über die Verkürzung der Arbeitszeit von der medikamentösen Einstellung sowie der weiteren Entwicklung des Leistungsvermögens abhängig gemacht worden. Im März 2005 habe die Werkstatt angemahnt, dass die Tätigkeit im Arbeitsbereich wegen der unverändert schlechten gesundheitlichen Situation der Antragstellerin nicht länger verantwortbar sei. Mit einer zunehmenden Überforderung sei eine fortschreitende Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu befürchten. Konkret benannt worden seien etwa die Erschöpfung des Leistungsvermögens ab dem Mittag, zunehmende Gangunsicherheiten, sehr geringe Arbeitsleistung und trotz strenger Einhaltung der Maßgaben der Diätverordnung starke Unregelmäßigkeiten der gemessenen Blutzuckerwerte. Unter den Bedingungen des Produktionsbereiches könne die für die Antragstellerin notwendige Betreuung nicht mehr erbracht werden. Mit Schreiben vom 10. April 2006 habe die Werkstatt dringend um eine weitere zeitnahe amtsärztliche Begutachtung der Antragstellerin gebeten. Sie sei seit längerem mit den ganztägigen Anforderungen in der Werkstatt überfordert, entsprechende Abbauprozesse sowie eine weiterhin sehr instabile gesundheitliche Situation seien zu beobachten. Die Zeiten, in denen die Antragstellerin wegen Überforderung nicht arbeite und gesondert betreut werden müsse bzw. ruhe, würden nun mehrheitlich überwiegen. Die Antragstellerin sei nur sehr gering belastbar. Nach dem Mittagessen sei fast täglich ein deutlicher Leistungsabfall erkennbar. Die Antragstellerin sacke am Tisch zusammen und schlafe ein. Weiterer Ausdruck ständiger Überforderung seien Weinkrämpfe, die fast jeden Tag und ohne erkennbare äußere Anlässe auftreten würden. Dieser Eindruck verstärke sich durch das Auftreten autoaggressiver Handlungen. Im Ergebnis sei die Antragstellerin als nicht mehr werkstattfähig zu betrachten, da sie den dortigen Anforderungen und Belastungen nicht mehr gewachsen sei. Eine weitere Beschäftigung sei daher nach Einschätzung der Werkstatt nicht verantwortbar, weshalb ihre Übernahme in den Förder- und Betreuungsbereich empfohlen werde. Nach einer erneuten amtsärztlichen Untersuchung befürwortete die Amtsärztin im Juni 2006 einen Wechsel der Antragstellerin in den Förder- und Betreuungsbereich der Werkstatt zunächst probeweise. Ihr anschließender Verbleib dort sei von der Amtsärztin sehr empfohlen worden. Am 8. Juni 2006 habe der Fachausschuss der Werkstatt getagt, der sich für die Übernahme der Antragstellerin in den Förder- und Betreuungsbereich ausgesprochen habe. Mit Schreiben vom 3. Juli 2006 habe die Mutter und Betreuerin der Antragstellerin deren Aufnahme in den Förder- und Betreuungsbereich ab dem 17. Juli 2006 bei ihm beantragt. Eine Rückkehr der Antragstellerin in den Arbeitsbereich der Werkstatt für fünf Stunden täglich sei derzeit auf Grund der Stellungnahme der Werkstatt sowie der Amtsärztin nicht angezeigt. Nach den vorliegenden Einschätzungen erbringe sie nicht das zur Beschäftigung im Arbeitsbereich erforderliche Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung.

Das Gericht hat mit Beschluss vom 13. Oktober 2006 die Trägerin der anerkannten Werkstatt für Behinderte zum Verfahren beigeladen.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Beigeladene trägt vor, dass sie die Antragstellerin aus gesundheitlichen Gründen - insbesondere wegen der bereits geschilderten Überforderungssystematik und hier wiederum insbesondere wegen ihrer autoaggressiven Handlungen - derzeit für nicht werkstattfähig im Sinne des § 136 Abs. 2 SGB IX halte. Diese Ansicht vertrete sie bereits seit dem Jahr 2004. Dass sie gleichwohl die Möglichkeit nicht kategorisch ausgeschlossen habe, die Antragstellerin für ca. fünf Stunden täglich im Arbeitsbereich zu beschäftigen, liege allein daran, dass sie stets den Eltern der Antragstellerin entgegen gekommen sei. Denn diese hätten sich zwar wiederholt in Gesprächen ihrer Gesamteinschätzung gegenüber aufgeschlossen gezeigt, aber stets nach wenigen Tagen ihre Einstellung revidiert und an einer vollständigen Werkstattbeschäftigung der Antragstellerin festgehalten. Ihre fachlichen Bedenken rührten nicht daher, dass die Antragstellerin etwa nicht in der Lage wäre, ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Arbeitsleistung im Sinne des § 136 Abs. 2 SGB IX zu erbringen. Denn in der Tat gebe es durchaus "gute Tage", in denen die Antragstellerin im Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen - wenn auch nur in geringem Umfang - verwertbare Arbeit leiste. Sie habe aber beobachtet, dass die Antragstellerin unter den Werkstattbedingungen, wie sie im Werkstattvertrag vom 6. April bzw. 4. Mai 2000 vereinbart worden seien, überfordert gewesen sei. Sie habe daher die Antragstellerin seit dem Jahr 2002 in einer Abteilung beschäftigt, in der mit einem erhöhten Betreuungsschlüssel als dem gem. § 9 Abs. 3 Satz 2 WVO vorgegebenen Personalschlüssel von 1:12 gearbeitet werde. Dennoch habe sich ihr gesundheitlicher Zustand unter den durch die Arbeit entstehenden Belastungssituationen ständig weiter verschlechtert. Nicht das Personal der Werkstatt sei mit der Antragstellerin, sondern die Antragstellerin sei mit der Situation ihrer Beschäftigung im Arbeitsbereich einer - nicht dieser speziellen - Werkstatt für behinderte Menschen überfordert. Die Antragstellerin möge im Übrigen bedenken, dass sie - ohne hierauf gesetzlich oder auch nur gem. Werkstattvertrag einen Rechtsanspruch gehabt zu haben - von ihr über mehrere Jahre hinweg mit erhöhtem Personalaufwand betreut worden sei. Dennoch reagiere sie seit zwei Jahren mit massiven Überforderungssymptomen auf die Beschäftigung im Arbeitsbereich der Werkstatt. Sie sei nicht der Auffassung, dass die Antragstellerin generell unfähig sei, im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen irgendein wirtschaftlich verwertbares Arbeitsergebnis zu erbringen. Die Beschäftigung im Arbeitsbereich der Werkstatt tue ihr einfach nicht gut, und zwar auch nicht stundenweise und auch dann nicht, wenn sie mit einem verbesserten Betreuungsschlüssel betreut werde. Soweit dem Antragsgegner aufgegeben werde, die Kosten für die Beschäftigung im Arbeitsbereich der W. Werkstätten vorläufig zu übernehmen, werde sie dem selbstredend nachkommen und einen neuen Werkstattvertrag schließen. Sie gebe aber zu bedenken, dass es für die Antragstellerin eine weitere zusätzliche Belastung sein werde, abermals einen Wechsel zu verkraften. Sie gebe weiter zu bedenken, dass ein Beschäftigungsanspruch der Antragstellerin eine Beschäftigung im Arbeitsbereich zu einem Betreuungsschlüssel von 1:12 beinhalte. Sofern die Antragstellerin an ihrem Begehren festhalte, wieder vollständig in den Arbeitsbereich der Werkstatt integriert zu werden, werde sie sich dem nicht verweigern. Sie sei selbstverständlich bereit, die Antragstellerin wieder in den Arbeitsbereich der W. Werkstätten aufzunehmen und zu beschäftigen, wenn und soweit eine entsprechende Kostenzusage des Antragsgegners erteilt werde.

Der Antragsgegner erklärte daraufhin mit Schriftsatz vom 9. November 2006, dass er eine entsprechende Kostenzusage erteilen werde. Mit Schriftsatz vom 14. November 2006 teilte er dann mit, dass er - nach der bereits erteilten Kostenzusage vom 9. November 2006 - nun doch eine gerichtliche Entscheidung des Rechtsstreits für unumgänglich halte. Die Beigeladene könne eine Weiterbeschäftigung der Antragstellerin im Arbeitsbereich aus fachlicher Sicht nicht gutheißen. Die Beigeladene würde - wenn auch wider besserer Überzeugung - einer Beschäftigung der Antragstellerin im Arbeitsbereich der W. Werkstätten nachkommen, wenn und insoweit er im Wege der einstweiligen Anordnung zur Kostentragung verpflichtet würde.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze in der Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Behördenakte verwiesen, die dem Gericht bei der Entscheidung vorlagen.

Entscheidungsgründe:

Der Antrag auf einstweilige Anordnung ist zulässig und begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen der Durchsetzung zugänglichen, materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Dringlichkeit der Entscheidung voraus. Grundsätzlich ist der Antragsteller auf das vom Gesetzgeber vorgesehene Hauptsacheverfahren zu verweisen. Eine Regelungsanordnung hingegen dient lediglich der Sicherung der Entscheidungsfähigkeit des Hauptsacheverfahrens vor Zeit überholenden Entwicklungen; das Hauptsacheverfahren soll nicht in Folge Zeitablaufs oder anderer Hemmnisse durch die lange Verfahrensdauer eines Hauptsacheverfahrens entwertet oder vereitelt werden (Berliner Komm. zum SGG, § 86 b Rdziff. 13).

Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung).

Der Antrag ist zulässig. In Angelegenheiten der Sozialhilfe eröffnet § 51 Abs. 1 Nr. 6 a den Rechtsweg zu den Sozialgerichten. Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Dresden folgt aus § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG. Die Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG ist vorliegend auch statthaft, da die Antragstellerin die Gewährung von Sozialhilfeleistungen begehrt, mithin eine Verpflichtungssituation gegeben ist.

Der Antrag ist auch begründet.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung. Die Betreuerin der Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass diese ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten im Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen mühevoll erarbeitet und weiter ausgebaut hat. Es ist für das Gericht nachvollziehbar, dass die Antragstellerin eines ständigen Trainings und ständiger Wiederholungen der einzelnen Arbeitsschritte bedarf, dass sie immer wieder motiviert und angeleitet werden muss, um die antrainierten Fähigkeiten nicht wieder zu verlernen. Dies ist in dem Förder- und Betreuungsbereich, in welchem sie jetzt betreut wird, nicht gegeben, da sie dort keine Arbeitsleistungen erbringen muss und damit nicht mehr die Arbeiten ausführen kann, die sie in den vergangenen zehn Jahren ausgeführt hat. Aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt sich, dass es die individuelle Interessenlage der Antragstellerin unzumutbar erscheinen lässt, sie zur Durchsetzung ihres geltend gemachten Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen. Vorliegend drohen der Antragstellerin ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung wesentliche Nachteile. Es besteht nach Ansicht des Gerichts bei summarischer Prüfung die begründete Gefahr, dass sich die in vielen Jahren mühsam angelernten Fähigkeiten und Fertigkeiten der Antragstellerin und ihre dadurch entstandene Selbständigkeit schon nach sehr kurzer Zeit rückläufig entwickeln werden und verloren gehen. Diese, durch die eidesstattliche Versicherung der Mutter und Betreuerin der Antragstellerin glaubhaft gemachte Befürchtung ist auch weder durch den Antragsgegner noch durch die Beigeladene ernsthaft in Abrede gestellt worden. Es ist daher absehbar, dass durch die nun erfolgte Veränderung des seit zehn Jahren bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Anspruchs der Antragstellerin auf Eingliederungshilfe in Gestalt von Leistungen im Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte, weil die Antragstellerin zunehmend ihre angelernten Fähigkeiten und Fertigkeiten verliert und somit schließlich in die Lage kommen könnte, ein von § 41 SGB IX für notwendig erachtetes Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung nicht mehr erbringen zu können. Um dies auszuschließen, hält das Gericht zumindest übergangsweise bis zur Entscheidung in der Hauptsache eine tägliche Beschäftigung der Antragstellerin im Arbeitsbereich im Umfang von fünf Stunden für erforderlich.

Die Antragstellerin hat nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einen Anordnungsanspruch gegenüber dem Antragsgegner auf Eingliederungshilfe in Gestalt von Leistungen im Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen im oben genannten Umfang gem. §§ 53, 54 SGB XII i.V.m. § 41 Abs. 1 SGB IX und § 42 Abs. 2 Nr. 4 SGB IX.

Die Antragstellerin gehört unstreitig zu dem Personenkreis behinderter Menschen im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII und § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX, die grundsätzlich Leistungen der Eingliederungshilfe nach den §§ 53 ff. SGB XII erhalten und bei denen gem. § 41 Abs. 1 SGB IX eine Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt oder eine berufliche Ausbildung wegen der Art und Schwere ihrer Behinderung nicht in Betracht kommt.

Das Gericht geht - entgegen der Ansicht des Antragsgegners - nach den insoweit weitgehend übereinstimmenden Einschätzungen der Betreuerin der Antragstellerin und der Beigeladenen davon aus, dass die Antragstellerin wohl nach wie vor in der Lage ist, wenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung im Sinne des § 41 Abs. 1 SGB IX im Arbeitsbereich der von ihr bisher besuchten anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen zu erbringen.

Zwar kommt das amtsärztliche Gutachten vom 8. Juni 2006 im Unterschied zum amtsärztlichen Gutachten vom 21. Juni 2005 zu dem Ergebnis, dass eine volle Belastbarkeit der Antragstellerin im Arbeitsbereich der Werkstatt nun nicht mehr gegeben sei. Während der Untersuchung sei eine allgemeine Überforderungssymptomatik und ein deutlicher Leistungsabfall der Antragstellerin während des - zum damaligen Zeitpunkt siebenstündigen - Arbeitstages in der Werkstatt für Behinderte deutlich geworden. Es werde der Verbleib der Antragstellerin im Förder- und Betreuungsbereich der W. Werkstätten sehr empfohlen. Sofern sich der Gesundheitszustand und das Leistungsvermögen der Antragstellerin wieder wesentlich verbessere, sollte die Möglichkeit einer Rückkehr in den Arbeitsbereich gegeben sein. Das Gutachten schließt mit der Empfehlung einer Nachuntersuchung in einem halben Jahr.

Aus diesem Gutachten kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass die Antragstellerin ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann. Es führt lediglich aus, dass sie - bei einem siebenstündigen Arbeitstag - nicht voll belastbar sei und ein deutlicher Leistungsabfall während des Arbeitstages erkennbar werde, was im Umkehrschluss bedeutet, dass jedenfalls zunächst, zu Beginn des Arbeitstages von der Antragstellerin wirtschaftlich verwertbare Arbeitsleistungen erbracht werden. Dies deckt sich auch mit den Ausführungen der Werkstattleitung im Schreiben vom 10. April 2006 an den Antragsgegner, wonach die Antragstellerin mit den ganztägigen Anforderungen im Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Beigeladenen überfordert und sie nur gering belastbar sei, insbesondere nach dem Mittagessen fast täglich ein deutlicher Leistungsabfall erkennbar werde. Aus diesem Grund empfahl die Werkstattleitung auch dringend eine Verkürzung der Anwesenheitszeit der Antragstellerin auf arbeitstäglich fünf Stunden.

Das Gericht geht davon aus, dass - wie von Seiten der Antragstellerin außer im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren auch sowohl gegenüber dem Antragsgegner als auch gegenüber der Werkstatt gem. § 6 Abs. 2 WVO beantragt und von Seiten der Beigeladenen jedenfalls bis zum 10. April 2006 für möglich gehalten - eine Arbeitszeit von fünf Stunden täglich im Arbeitsbereich ausreicht, um zum einen der Gefahr entgegen zu wirken, dass die Antragstellerin das bisher mühsam Gelernte mangels Übung wieder vergisst. Zum anderen kann damit auch einer nicht auszuschließenden Überforderung der Antragstellerin begegnet werden, die im amtsärztlichen Gutachten vom 8. Juni 2006, dort bezogen auf einen siebenstündigen Arbeitstag, sowie in den Ausführungen der Beigeladenen zum Ausdruck gekommen ist.

Die Werkstattleitung selbst hat eine fünf Stunden dauernde Beschäftigung der Antragstellerin im Arbeitsbereich nach einem Teamgespräch am 31. März 2006 trotz der schon damals vorgetragenen Überforderungssymptomatik noch als sinnvolle Übergangslösung angesehen. Dies, obwohl nach ihrer eigenen Einschätzung bereits im Jahr 2004 ein Wechsel der Antragstellerin aus gesundheitlichen Gründen aus dem Arbeitsbereich in den Förder- und Betreuungsbereich dringend erforderlich gewesen wäre, der im amtsärztlichen Gutachten vom 21. Juni 2005 so jedoch nicht bestätigt werden konnte. Obwohl die Werkstattleitung eine Beschäftigung der Antragstellerin im Arbeitsbereich mit fünf Stunden in einem Schreiben vom 10. April 2006 gegenüber dem Antragsgegner dennoch für grundsätzlich möglich hält, wird dies zwei Monate später kategorisch ausgeschlossen. Nach eigener Auskunft der Werkstattleitung erfolgte dieser Argumentationswechsel erst, als Anfang Mai 2006 ein Betreuungsplatz im Förder- und Betreuungsbereich der Werkstatt frei wurde, weil dieses Angebot auf Grund des beeinträchtigten Gesundheitszustandes der Antragstellerin für am geeignetsten gehalten wurde. Auch nach den eigenen Angaben der Werkstattleitung hat sich der Gesundheitszustand der Antragstellerin in diesem Zeitraum nicht verschlechtert. Diese Einschätzung deckt sich auch mit der Stellungnahme der die Antragstellerin betreuenden Hausärztin Dr. med. K. Die Beigeladene hat auch nicht vorgetragen, dass die Arbeitsleitung der Antragstellerin in diesem Zeitraum ab dem 10. April 2006 bis zum Übergang in den Förder- und Betreuungsbereich ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Verwertbarkeit nicht mehr erbracht hätte.

Die Beigeladene führt vielmehr aus, dass ihre fachlichen Bedenken gegen eine Beschäftigung der Antragstellerin im Arbeitsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen nicht daher rührten, dass die Antragstellerin nicht in der Lage wäre, ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Arbeitsleistung zu erbringen. Dies bedeutet jedoch, dass auch nach Einschätzung der Beigeladenen die Antragstellerin durchaus in der Lage ist, wenn auch nur in geringem Umfang, ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen.

Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen im Arbeitsbereich einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen nach § 41 Abs. 1 SGB IX ist jedoch lediglich die Fähigkeit des behinderten Menschen, zumindest ein Mindestmaß an verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen. Die Antragstellerin hat fast acht Jahre lang seit ihrer Aufnahme in den Arbeitsbereich im Jahr 1996 bis zum Jahr 2004 unstreitig ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbracht. Auch jetzt ist sie nach Einschätzung ihrer Betreuerin und der Beigeladenen durchaus in der Lage, ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen. Dass die Antragstellerin in ihrer - ohnehin schon schwächeren - Arbeitsgruppe das mit Abstand schwächste Gruppenmitglied sein soll, ist dabei ohne Belang, solange ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbracht wird.

Ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung wird erbracht, wenn das Ergebnis der Arbeitsleistung des Einzelnen für die Werkstatt wirtschaftlich verwertbar ist bzw. das Gesamtergebnis der Werkstatt bereichert. Ein Minimum an Arbeitsleistung reicht hierfür bereits aus.

Weder der Antragsgegner noch die Beigeladene haben damit substantiiert vorgetragen, dass die Antragstellerin nicht in der Lage sei, ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung im Sinne des § 41 Abs. 1 SGB IX zu erbringen. Die Werkstattleitung bewertet nach ihrer eigenen Auskunft lediglich, ob es bei einem behinderten Menschen beim Erbringen des Arbeitsergebnisses dauerhaft zu Überforderung und gesundheitlichen Beeinträchtigungen kommt. Weiter wird die Verhältnismäßigkeit zwischen körperlich und psychischem Aufwand und der Qualität und Quantität des Arbeitsergebnisses hinterfragt. Die von der Beigeladenen vorgetragenen Verhaltensauffälligkeiten der Antragstellerin, wie Haare ausraufen und Weinkrämpfe, lassen nicht erkennen, dass sie das Ausmaß einer erheblichen und ernsthaften Selbstgefährdung erreichen, die zur Verneinung ihrer Werkstattfähigkeit führen würden oder dazu führen könnten, dass von ihr ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung nicht erbracht werden kann.

Anderenfalls hätten wohl auch weder der Antragsgegner noch die Beigeladene im April 2006 den Vorschlag einer Beschäftigung der Antragstellerin im Umfang von fünf Stunden täglich im Arbeitsbereich gemacht und für sinnvoll erachtet. Dass sich weder der gesundheitliche Zustand der Antragstellerin noch ihr wirtschaftlich verwertbares Arbeitsergebnis seit diesem Zeitpunkt im April 2006 verschlechtert hat, steht für das Gericht nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten fest. Im Übrigen hätte der Antragsgegner in diesem Fall auch wohl nicht mit Schriftsatz vom 9. November 2006 erkennen lassen, dass er selbst grundsätzlich zu einer Übernahme der Kosten bereit wäre.

Die Beigeladene hat mit Schriftsatz vom 6. November 2006 und vom 7. November 2006 deutlich gemacht, dass sie mit der Antragstellerin einen neuen Werkstattvertrag schließen würde, sofern dem Antragsgegner - wie nun geschehen - im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben wird, die Kosten für die Beschäftigung im Arbeitsbereich der W. Werkstätten vorläufig zu übernehmen.

Offen bleiben kann daher insoweit die Frage, ob der alte Werkstattvertrag der Antragstellerin von der Beigeladenen mit sofortiger Wirkung zum 2. November 2006 wirksam fristlos gekündigt worden ist. Das Gericht hat wie oben bereits ausgeführt Bedenken, ob das Haare ausreißen und die Weinkrämpfe der Antragstellerin die Annahme einer erheblichen und ernsthaften Selbstgefährdung im Sinne des § 136 Abs. 2 Satz 2 SGB IX rechtfertigt und ob das geringe Arbeitsergebnis der Antragstellerin oder sonstige Umstände den Schluss zulassen, dass ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung im Arbeitsbereich dauerhaft nicht zu erzielen ist. Zweifelhaft erscheint auch, inwieweit die nach § 8 Abs. 5 Werkstattvertrag erforderliche Anhörung des Fachausschusses vor der fristlosen Kündigung erfüllt ist, wenn diese fast fünf Monate zuvor und dazu noch unter ganz anderen Voraussetzungen, nämlich unter der Annahme eines einvernehmlichen Übergangs der Antragstellerin in den Förder- und Betreuungsbereich und ohne Kenntnis des zwischenzeitlich zurückgenommenen Antrags, stattgefunden hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183 und 193 SGG.

Referenznummer:

JURE070102728


Informationsstand: 27.06.2007