Urteil
Wirksamkeit der Kündigung eines Werkstattverhältnisses - Werkstattfähigkeit

Gericht:

LAG Mainz


Aktenzeichen:

8 Sa 506/07


Urteil vom:

16.01.2008


Tenor:

I.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 16.5.2007 - 2 Ca 2794/06 - wie folgt abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das Werkstattverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 15.11.2006 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.


II.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung eines Werkstattverhältnisses.

Der am 24.08.1968 geborene Kläger ist seit dem 01.09.1988 bei der Beklagten, die eine Werkstatt für Behinderte betreibt, im Rahmen eines sog. Werkstattverhältnisses beschäftigt. Die näheren Modalitäten dieses Beschäftigungsverhältnisses bestimmen sich nach dem Inhalt eines zwischen den Parteien (zuletzt) unter dem Datum vom 18.09.2002 geschlossenen Werkstattvertrages, hinsichtlich dessen Regelungen auf Bl. 5 - 9 d. A. Bezug genommen wird. Der Kläger ist geistig behindert und leidet an Epilepsie. Der Grad seiner Behinderung beläuft sich auf 80.

Mit Schreiben vom 30.09.2005 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, weil dieser Metallstücke aus der Schlosserei der Beklagten entwendet hatte. Am 13.01.2006 kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und einem Arbeitskollegen, wobei die Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind. Am 18.08.2006 wurde der Kläger abgemahnt, weil er einen Kollegen als "faule Sau" beschimpft und ihm - nach Behauptung der Beklagten - körperliche Gewalt angedroht hatte.

Am 14.11.2006 tagte der bei der Beklagten nach § 2 der Werkstättenverordnung (WVO) gebildete Fachausschuss. Ausweislich des Sitzungsprotokolls, hinsichtlich dessen Inhalts auf Bl. 30 d. A. Bezug genommen wird, fasste der Fachausschuss - den Kläger betreffend - folgenden Beschluss: "Ausschluss aus der RMW wegen fehlender Werkstattfähigkeit zum 14.11.2006."

Mit Schreiben vom 15.11.2006, welches dem Kläger am 16.11.2006 zuging, kündigte die Beklagte das Werkstattverhältnis. Auf das Kündigungsschreiben (Bl. 3 d. A.) wird Bezug genommen. Gegen diese Kündigung richtet sich die vom Kläger am 28.11.2006 beim Arbeitsgericht eingereichte Klage.

Der Kläger hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, die Kündigung sei unwirksam. Er habe gegen die Beklagte Anspruch auf Fortführung des Beschäftigungsverhältnisses, da er das erforderliche Maß an verwertbarer Arbeitsleistung erbracht habe. Aufgrund der langen und beanstandungslosen Dauer des Beschäftigungsverhältnisses sei ungeachtet der seitens der Beklagten behaupteten Vorfälle aus den Jahren 2005 und 2006 die Prognose zu stellen, dass er auch künftig in der Lage sei, seine Arbeit bei der Beklagten fortzusetzen und ein Mindestmaß an wirtschaftlich brauchbarer Arbeitsleistung zu erbringen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei er hingegen nicht vermittelbar und daher auf die Beschäftigung bei der Beklagten angewiesen. Der Beschluss des Fachausschusses vom 14.11.2006 werde hinsichtlich seiner Rechtmäßigkeit sowohl in Bezug auf das Zustandekommen als auch hinsichtlich der Begründung bestritten.

Auch die von der Beklagten nunmehr vorgetragenen Gründe seien nicht geeignet, eine Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses zu rechtfertigen. Was den behaupteten Diebstahl vom 23.09.2005 betreffe, so sei dieser Vorfall bereits zwischen den Parteien geklärt und könne als erledigt betrachtet werden. Soweit die Beklagte angebe, er sei am 10.03. 2006 sechs Minuten zu früh auf dem Betriebsgelände erschienen, so könne hierin allen Ernstes kein vertragswidriges Verhalten gesehen werden. Es treffe nicht zu, dass er durch besonders aggressives Verhalten gegenüber Kollegen und Vorgesetzten aufgefallen sei, wobei jedoch auch zu berücksichtigen sei, dass in der Werkstatt des Öfteren ein etwas rauerer Ton herrsche. Was den Vorfall vom 13.01.2006 anbelange, so habe es sich so verhalten, dass zunächst der betreffende Arbeitskollege ihm gegenüber geäußert habe, er - der Kläger - sei ein "Bahnhofspenner". Daraufhin habe er gegenüber dem Mitarbeiter lediglich geäußert, er solle aufpassen, was er sage. Einen Bohrer habe er während des Vorfalls nicht in der Hand gehalten. Er habe auch keine abfälligen Bemerkungen über die polnische Herkunft seines Vorgesetzten getätigt. Am 18.08. 2006 habe zunächst der Arbeitskollege S ihn beleidigt und als "faule Sau" tituliert, wogegen er sich sodann verbal zur Wehr gesetzt habe. Die im Schreiben des Herrn S vom 20.08.2006 erhobenen Vorwürfe seien völlig haltlos.

Unzutreffend sei die Behauptung, er habe sich am 06.10.2006 einer Arbeitsanweisung seines Gruppenleiters widersetzt. Die Vorfälle vom 20.10.2006 seien in der seitens der Beklagten geschilderten Form unzutreffend. Insbesondere habe er weder zu seinem Gruppenleiter gesagt "Du kannst mich mal" noch habe er den Mitarbeiter x. angeschrien. Die Beklagte scheine Verhaltensmaßstäbe setzten zu wollen, die vielleicht in einem regulären Arbeitsbetrieb zu Grunde gelegt werden könnten, der besonderen Situation einer Werkstatt für Behinderte jedoch nicht gerecht würden. Es müsse bestritten werden, dass Mittel zu seiner Beschäftigung nicht mehr bewilligt würden und nicht mehr bewilligt werden könnten. Zu berücksichtigen sei auch, dass ihm für einen Anspruch auf Bezug der vollen Erwerbsminderungsrente nur noch insgesamt anrechenbare Zeiten im Umfang von einem Jahr und neun Monaten fehlten.


Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Beschäftigungsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 15.11.2006, zugegangen am 16.11.2006, nicht aufgelöst worden ist.


Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, die Kündigung sei ausgesprochen worden, weil der Fachausschuss mit Beschluss vom 14.11.2006 festgestellt habe, dass bei dem Kläger keine Werkstattfähigkeit mehr gegeben sei. Nach Erteilung der Abmahnung vom 30.09. 2005 sei der Kläger mehrfach durch besonders aggressives Verhalten gegenüber Kollegen und Vorgesetzten aufgefallen. Am 13.01.2006 habe der Kläger einen Kollegen verfolgt, dabei seinen unmittelbaren Vorgesetzten angerempelt und den Kollegen am Arm gepackt. Als der Vorgesetzte dies habe unterbinden wollen, habe der Kläger erwidert, er solle sich nicht einmischen, das ginge ihn nichts an. Dabei habe der Kläger einen Bohrer in der Hand gehalten, obwohl ihm dies untersagt gewesen sei.

In einem anschließenden Gespräch sei der Kläger darauf hingewiesen worden, dass eine Wiederholung dieses Fehlverhaltens Konsequenzen für sein Beschäftigungsverhältnis nach sich ziehen könne. Am 10.03.2006 sei der Kläger entgegen der ihm erteilten Auflage, nach deren Inhalt er das Betriebsgelände erst nach 07:45 Uhr betreten dürfe, bereits um 07:39 Uhr auf dem Betriebsgelände erschienen und deshalb ermahnt worden. Dieses Fehlverhalten habe sich am 02.06.2006 wiederholt, weshalb der Kläger eine schriftliche Ermahnung erhalten habe. Am 18.08.2006 sei der Kläger abgemahnt worden, weil er seinen Kollegen S als "faule Sau" beschimpft und ihm körperliche Gewalt angedroht habe. Dessen ungeachtet habe der Kläger seine Beschimpfungen und Bedrohungen gegenüber dem Kollegen S fortgesetzt, wie sich aus einem Schreiben des Herrn S vom 20.08. 2006 (Bl. 39 d. A.) ergebe. Am 06.10.2006 habe sich der Kläger einer Arbeitsanweisung (zunächst) widersetzt und erst nach der Androhung von Konsequenzen zur Vornahme der ihm übertragenen Reinigungsarbeiten bewegen lassen. Am 20.10.2006 habe der Kläger seinen Gruppenleiter angeschrien und versucht, ihn zu provozieren.

Nachdem er vom Gruppenleiter aufgefordert worden sei, sein Verhalten zu mäßigen, habe der Kläger geäußert: "Du kannst mich mal". Ebenfalls am 20.10.2006 habe der Kläger mit einem Mitarbeiter Streit gesucht, diesen angeschrien und ihm unterstellt, den Potenziometer an der CNC-Fräse verstellt zu haben. Der Kläger befinde sich in einer auffällig aggressiven Grundstimmung und neige trotz ständiger Ermahnungen zu unkontrolliertem aggressiven Verhalten. Dies führe zu Eigen- und Fremdgefährdung sowie erheblicher psychischer Beeinträchtigung anderer Mitarbeiter. Der Fachausschuss habe daher eine weiter bestehende Werkstattfähigkeit des Klägers nicht bejahen und dementsprechend keine Mittel für die Weiterbeschäftigung des Klägers bewilligen können. Ihr - der Beklagten - sei daher keine andere Möglichkeit verblieben, als den Werkstattvertrag zu kündigen, da sowohl die Bewilligung der Mittel wie auch die Feststellung der Werkstattfähigkeit durch den Fachausschuss Voraussetzungen für eine zulässige Beschäftigung in der Werkstatt für Behinderte seien.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 16.05.2007 abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 bis 7 dieses Urteils (= Bl. 74 - 76 d.A.) verwiesen.

Gegen das ihm am 27.07.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30.07.2007 Berufung eingelegt und diese am 27.09.2007 begründet.

Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, das erstinstanzliche Urteil sei fehlerhaft, da es in keiner Weise die Besonderheiten eines Werkstattverhältnissess berücksichtige. Die Kündigung eines solchen Beschäftigungsverhältnisse sei nur dann möglich, wenn der Behinderte ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung in der Werkstatt für Behinderte dauerhaft nicht erbringen könne. Der beklagtenseits behauptete Wegfall der Finanzierung der Kosten durch den zuständigen Sozialleistungsträger könne vorliegend nicht als Kündigungsgrund angesehen werden. Ein etwaiger Wegfall der Finanzierung könne nämlich nur aufgrund der Entscheidung des Fachausschusses eingetreten sein. Bezüglich der Entscheidung des Fachausschusses sei jedoch zu berücksichtigen, dass er - der Kläger - keinerlei Gelegenheit gehabt habe, sich zu äußern. Bereits aus diesem Grund seien erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der Entscheidung des Fachausschusses angebracht.


Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 16.05.2007, Az.: 2 Ca 2794/06, aufzuheben und festzustellen, dass das Beschäftigungsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 15.11.2006, zugegangen am 16.11.2006, nicht aufgelöst worden ist.


Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt im Wesentlichen vor, der Kläger erfülle aufgrund seines immer wieder auftretenden aggressiven Verhaltens nicht mehr die Voraussetzung für eine Beschäftigung in der Werkstatt für Behinderte. Darüber hinaus seien aufgrund der fehlenden Werkstattfähigkeit des Klägers die erforderlichen Mittel für dessen Weiterbeschäftigung nicht mehr bewilligt worden. Aufgrund der fehlenden finanziellen Mittel sei sie - die Beklagte - gezwungen gewesen, den Werkstattvertrag zu beenden. Insoweit sei maßgeblich auf den Beschluss des Fachausschusses vom 14.11. 2006 abzustellen. Dort sei festgestellt worden, dass die Werkstattfähigkeit des Klägers nicht mehr gegeben und er deshalb aus der Einrichtung auszuschließen sei.

Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils sowie auf die von den Parteien im Berufungsverfahren zu den Akten gereichten Schriftsätze, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Rechtsweg:

ArbG Koblenz Urteil vom 16.01.2008 - 2 Ca 2794/06

Quelle:

Landesrecht Rheinland-Pfalz

Entscheidungsgründe:

I.

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

II.

Die Klage ist begründet.

Das Werkstattverhältnis zwischen den Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 15.11.2006 nicht aufgelöst worden. Dabei kann offen bleiben, ob das Kündigungsschreiben vom 15.11.2006, dessen Inhalt insoweit nicht eindeutig ist, den Ausspruch einer außerordentlichen oder einer ordentlichen Kündigung beinhaltet. Die Kündigung erweist sich nämlich in beiden Fällen als rechtsunwirksam.

Zwischen den Parteien ist nach Maßgabe der Bestimmungen des Vertrages vom 18.09.2002 ein sog. Werkstattverhältnis und somit ein arbeitnehmerähnliches Rechtsverhältnis im Sinne von § 138 Abs. 1 SGB IX begründet worden. Auf dieses Rechtsverhältnis finden die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes keine Anwendung. Der Werkstattvertrag kann von Seiten der Werkstatt ordentlich und im Ausnahmefall außerordentlich gekündigt werden. Die Vorschriften der §§ 622 und 626 BGB finden auf das Werkstattverhältnis zumindest analoge Anwendung. Die generelle Kündigungsmöglichkeit der Werkstatt ist jedoch in § 137 Abs. 2 SGB IX erheblich eingeschränkt. Nach dieser Bestimmung besteht nämlich so lange eine Verpflichtung der Werkstatt, den behinderten Menschen zu beschäftigen, wie die Voraussetzungen für dessen Aufnahme in die Werkstatt gegeben sind. Aufnahmevoraussetzungen nach § 137 Abs. 1 SGB IX sind die "Werkstattfähigkeit" gemäß § 136 Abs. 2 SGB IX sowie die Kostenübernahme durch den Sozialleistungsträger. Hieraus ergibt sich, dass nur der Wegfall der Werkstattfähigkeit oder die Aufhebung des Leistungsbescheides durch den Sozialleistungsträger oder beides zusammen zu einer Kündigung des Werkstattverhältnisses führen kann. Dies gilt für die ordentliche wie für die außerordentliche Kündigung (vgl. Rühle, DB 2001, 1364 ff.). Ein Recht zur Kündigung des Werkstattverhältnisses unter anderen, erweiterten Voraussetzungen kann vertraglich im Werkstattvertrag nicht vereinbart werden (vgl. Cramer, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 2. Aufl., § 237 Rz. 49) .

Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die streitbefangene Kündigung als unwirksam, da die Beklagte einen Wegfall der Aufnahmevoraussetzungen nicht dargetan hat.

1.) Die Werkstattfähigkeit im Sinne des § 136 Abs. 2 SGB IX erfordert, dass der behinderte Mensch wenigstens ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen kann. Dies ist nach § 136 Abs. 2 Satz 2 SGB IX nicht der Fall, wenn trotz einer der Behinderung angemessenen Betreuung eine erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung zu erwarten ist oder das Ausmaß der erforderlichen Betreuung und Pflege oder sonstige Umstände ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung im Arbeitsbereich dauerhaft nicht zulassen. Darüber hinaus setzt die Werkstattfähigkeit des Behinderten voraus, dass er gemeinschaftsfähig ist. Gemeinschaftsfähig ist ein Behinderter, der den Zweck der Werkstatt, Rehabilitation, Arbeit und Beschäftigung für andere erfolgreich anzubieten, durch sein Verhalten nicht nachhaltig beeinträchtigt (BSG v. 10.03.1994 - 7 RAr 22/93).

In Ansehung dieser Kriterien kann im Streitfall nicht davon ausgegangen werden, dass es an einer Werkstattfähigkeit des Klägers fehlt.

Ohne Belang ist diesbezüglich zunächst der Umstand, dass der bei der Beklagten gebildete Fachausschuss in seiner Sitzung vom 14.11.2006 bezüglich des Klägers einen "Ausschluss aus der RMW wegen fehlender Werkstattfähigkeit zum 14.11.2006" beschlossen hat. Der Fachausschuss kann nach §§ 3 Abs. 4, 5 Abs. 5 WVO lediglich Empfehlungen aussprechen. Seinen Entscheidungen kommt keinerlei Bindungswirkung zu. Weder die Werkstatt noch der Rehabilitationsträger und erst recht nicht das Gericht werden durch Entscheidungen bzw. Auffassungen des Fachausschusses gebunden (BSG v. 10.03.1994 - 7 Rar 22/93).

Die Beklagte stellt nicht in Abrede, dass der Kläger an sich ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen kann. Ebenso wenig macht die Beklagte geltend, dass das Ausmaß der erforderlichen Betreuung und Pflege ein solches Maß an Arbeitsleistung im Arbeitsbereich dauerhaft nicht zulässt.

Der Sachvortrag der Beklagten rechtfertigt auch nicht die Annahme sonstiger Umstände im Sinne von § 136 Abs. 2 Satz 2 SGB IX bzw. einer fehlenden Gemeinschaftsfähigkeit des Klägers. Ebenso wenig kann von der Gefahr einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung ausgegangen werden.

Auf den mit Schreiben vom 30.09.2005 abgemahnten Vorfall (Diebstahl von Metallstücken) kann die Annahme einer fehlenden Werkstattfähigkeit des Klägers nicht mehr mit Erfolg gestützt werden, da sich der Kläger - soweit ersichtlich - nach Erteilung dieser Abmahnung kein gleichartiges bzw. ähnlich gelagertes Fehlverhalten mehr hat zuschulden kommen lassen. Das Seitens der Beklagten behauptete "rempeln" eines Vorgesetzten durch den Kläger sowie das "am Arm packen" eines Arbeitskollegen vom 13.01.2006 rechtfertigen noch keineswegs die Besorgnis einer erheblichen Fremdgefährdung. Dies gilt auch dann, wenn der Kläger seinerzeit - wie von der Beklagten behauptet - einen Bohrer in der Hand hielt. Diesbezüglich ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger eine drohende Haltung einnahm oder gar beabsichtigte, den Bohrer in irgendeiner Weise gegen seinen Kollegen oder seinen Vorgesetzten einzusetzen. Soweit die Beklagte behauptet, der Kläger habe dem Mitarbeiter S einmal körperliche Gewalt angedroht, so erweist sich dieses Vorbringen als unsubstantiiert.

Unstreitig wurde der Kläger am 18.08.2006 abgemahnt, weil er den Mitarbeiter S als "faule Sau" tituliert und somit beleidigt hat. Entgegen der Ansicht der Beklagten lässt sich indessen nicht feststellen, dass der Kläger dieses oder ein ähnliches Verhalten nach Erteilung der Abmahnung fortgesetzt hat. Insoweit fehlt es für diesen, seitens des Klägers bestrittenen Sachvortrag der Beklagten bereits an einem Beweisangebot. Die Beklagte beruft sich insoweit ausschließlich auf den Inhalt eines Schreibens des Mitarbeiters S vom 20.08.2006 (Bl. 39 d. A.). Aus diesem Schreiben ergibt sich jedoch schon nicht, dass die dort wiedergegebenen angeblichen Äußerungen des Klägers auch noch nach der nur zwei Tage vor dem Verfassen des betreffenden Schreibens erteilten Abmahnung getätigt wurden. Diesbezüglich fehlt es an jeglichen konkreten Angaben. Es kann daher keineswegs zu Ungunsten des Klägers unterstellt werden, er habe das am 18.08.2006 abgemahnte Fehlverhalten fortgesetzt.

Der Umstand, dass der Kläger in zwei Fällen entgegen einer ihm erteilten Auflage das Betriebsgelände morgens um wenige Minuten zu früh betreten hat, vermag die Annahme einer fehlenden Werkstattfähigkeit nicht zu begründen. Dies gilt bereits im Hinblick auf die Geringfügigkeit des betreffenden Fehlverhaltens. Entsprechendes gilt bezüglich der von der Beklagten behaupteten Arbeitsverweigerung am 06.10.2006. Die Beklagte trägt insoweit selbst vor, dass der Kläger die ihm übertragenen Reinigungsarbeiten letztlich durchgeführt hat.

Letztlich ergibt sich das Fehlen einer Werkstattfähigkeit des Klägers auch nicht daraus, dass er - unter Zugrundelegung des Sachvortrages der Beklagten - des Öfteren Arbeitskollegen und Vorgesetzte angeschrien hat und sich dabei in einem Fall auch zu der Äußerung "du kannst mich mal" hat hinreißen lassen. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass sich der Umgang mit dem Kläger im Hinblick auf dessen Verhalten schwierig gestaltet und dass das Verhalten des Klägers wohl auch von einer gewissen Aggressivität gekennzeichnet ist. Die Defizite des Klägers im Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten erreichen indessen noch nicht ein solches Ausmaß, dass dessen Werkstattfähigkeit verneint werden könnte. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass - wie die Beklagte selbst vorträgt - bei einem Werkstattvertrag, wie er im vorliegenden Fall mit dem geistig behinderten und unter Epilepsie leidenden Kläger abgeschlossen wurde, der betreuende und therapeutische Zweck im Vordergrund steht und dass das Verhalten des Klägers schon im Hinblick auf seine Behinderung nicht mit den Maßstäben zu messen ist, die in einem "normalen" Arbeitsverhältnis anzulegen sind.

Insofern umfasst der im Vordergrund stehende therapeutische Zweck auch die Notwendigkeit eines Einwirkens von Seiten der Beklagten auf den Kläger mit dem Ziel, dessen Sozialverhalten zu verbessern. Schwierigkeiten bzw. Verhaltensauffälligkeiten des Klägers sind dabei in einem gewissen Umfang in Kauf zu nehmen. Wenn nach § 136 Abs. 2 SGB IX nur ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung gefordert wird und die Besorgnis einer Selbst- oder Fremdgefährdung nur dann der Werkstattfähigkeit entgegensteht, wenn sie erheblich ist, so zeigt dies, dass nach dem Willen des Gesetzgebers nicht jedes Fehlverhalten des behinderten Menschen einer Fortführung des Werkstattvertrages entgegenstehen kann. Vielmehr kann die Werkstattfähigkeit erst dann verneint werden, wenn das Fehlverhalten des Behinderten nach Ausmaß und Schwere eine Qualität erreicht, die den Zweck der Werkstatt, Rehabilitation, Arbeit und Beschäftigung für andere erfolgreich anzubieten, nachhaltig beeinträchtigt wird. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall jedoch (noch) nicht erfüllt. Auch kann noch nicht davon ausgegangen werden, dass beim Kläger keinerlei Bereitschaft vorhanden ist, sein Verhalten zu ändern bzw. dass keine Möglichkeit besteht, durch ein Einwirken auf den Kläger diesbezüglich eine Verbesserung herbeizuführen.

Insgesamt ergibt sich somit, dass ein Wegfall der Werkstattfähigkeit des Klägers nicht festzustellen ist. Dies gilt selbst dann, wenn man nicht der Ansicht folgt, dass Kriterien wie Aggressionen, mangelnde Disziplin, Beleidigungen etc. hierfür ohnehin nicht ausreichen (so aber: Rühle aaO.). Zugunsten des Klägers ist schließlich auch der Umstand zu berücksichtigen, dass das Beschäftigungsverhältnis bereits seit 1988 besteht und die seitens der Beklagten dargelegten Schwierigkeiten erst seit dem Jahre 2005 aufgetreten sind. Eine Prognose dahingehend, das aggressive Verhalten des Klägers werde sich fortsetzen oder gar ein Ausmaß erreichen, welches für die Beklagte eine Fortführung des Vertrages schlechthin unzumutbar machen würde, kann auch von daher (jedenfalls derzeit) noch nicht gestellt werden.

2.) Eine die Beendigung des Werkstattverhältnisses berechtigender Wegfall der Kostenübernahme durch den Sozialleistungsträger, d. h. eine Aufhebung des entsprechenden Leistungsbescheides ist ebenfalls nicht erfolgt.

Die Beklagte hat in der letzten mündlichen Verhandlung selbst erklärt, dass kein Bescheid der insoweit zuständigen Stadt Koblenz vorliege, mit welchem ein Leistungsbescheid bzgl. der für den Kläger zu erbringenden Leistungen aufgehoben worden sei. Dass ein solcher Bescheid gegenüber dem Kläger selbst ergangen ist, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Beklagte kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, die Einstellung der Leistungen sei im Rahmen der Sitzung des Fachausschusses von Seiten der anwesenden Vertreter des Trägers der Sozialhilfe angekündigt bzw. in Aussicht gestellt worden. Erforderlich wäre nämlich insoweit der Erlass eines entsprechenden (Aufhebungs-) Bescheides, der dem Kläger sodann die Möglichkeit eines Rechtsmittels eröffnen würde. Der Fachausschuss selbst ist im Übrigen in keiner Weise befugt, eine solche Entscheidung zu treffen. Vielmehr gibt er - wie bereits ausgeführt - lediglich Empfehlungen ab, welche keinerlei Bindungswirkung entfalten. Auf eine bloße Einstellung der Zahlungen durch den Sozialleistungsträger kann sich die Beklagte vorliegend ohnehin nicht mit Erfolg berufen. Nach § 9 Abs. 3 des zwischen den Parteien geschlossenen Werkstattvertrages kann dieser nämlich nur dann beendet werden, wenn der zuständige Sozialleistungsträger die Kosten der Eingliederungsleistungen nicht innerhalb von drei Monaten nach Rechnungslegung trotz Mahnung und Fristsetzung vollständig begleicht. Diese, das Kündigungsrecht weiter einschränkenden und daher wirksam vereinbaren Voraussetzungen (Mahnung und Fristsetzung) sind nicht erfüllt.

III.

Nach alledem war der Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

Referenznummer:

R/R4033


Informationsstand: 14.10.2008