Urteil
Kein Anordnungsanspruch für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für eine Umschulung zur Altentherapeutin

Gericht:

LSG Bayern 13. Senat


Aktenzeichen:

L 13 R 152/09 B ER


Urteil vom:

22.04.2009


Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 15. Januar 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Beschwerdeführer begehrt Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für eine im Oktober 2008 begonnene Umschulung zur Altentherapeutin.

Die 1955 geborene Beschwerdeführerin (Bf) war zuletzt als Altenpflegerin beim Bayerischen Roten Kreuz beschäftigt. Sie bezog ab März 2006 von der Beschwerdegegnerin (Bg) eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Nach dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) vom 10. März 2006 bestand neben orthopädischen Gesundheitsbeeinträchtigungen vor allem eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung, kombinierte und andere Persönlichkeitsstörungen mit vorwiegend emotional instabilen, histrionischen und dissoziativen Anteilen sowie eine mittelgradige depressive Episode mit somatischen Symptomen, wodurch die Erwerbsfähigkeit erheblich gemindert sei. Der Nervenarzt Dr. K. bestätigte diese Diagnosen in seinem Gutachten vom 26. Juni 2006; die Tätigkeit als Altenpflegerin sowie Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes könnten nur mehr zwischen drei bis unter sechs Stunden täglich ausgeübt werden. Mit einer Besserung sei zu rechnen. Im Rahmen einer Nachbegutachtung gelangte Dr. S. in einem neuro-psychiatrischen Gutachten vom 15. November 2007 zu dem Ergebnis, dass das Leistungsvermögen für die genannten Tätigkeiten weiterhin auf drei bis unter sechs Stunden eingeschränkt sei.

Die Bf beantragte am 7. Oktober 2008, eingegangen am 9. Oktober 2008, bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bayern Süd Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Sie fühle sich wieder belastbar genug um beruflich wieder tätig zu werden und möchte eine einjährige Qualifizierung zur Altentherapeutin machen, die am 13. Oktober 2008 bei der H. Schule in B-Stadt beginne und berufsbegleitend sei.

Ebenfalls am 9. Oktober 2008 stellte sie beim Sozialgericht München einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die DRV Bayern Süd und begehrte die Gewährung einer beruflichen Rehabilitation. Sie beziehe bis Ende 2008 eine Erwerbsminderungsrente. Den bisherigen Beruf als Altenpflegerin könne sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Ihr Antrag auf Umschulung zur Altentherapeutin sei ihr bereits mündlich versagt worden. Die Ausbildung erfolge nur einmal jährlich und beginne bereits am
13. Oktober 2008. Mit Antrag vom 10. Oktober 2008 richtete sie den Antrag gegen die Bg. Diese teilte am 10. November 2008 mit, dass die Antragsbearbeitung noch laufe; es müssen noch weitere ärztliche Unterlagen des behandelnden Nervenarztes/Psychotherapeuten sowie des Orthopäden eingeholt werden. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung lägen nicht vor.

Die Bf teilte mit, dass sie die Maßnahme in der H. Akademie besuche. Sie legte den Lehrplan der Weiterbildung "Altentherapeut" vor. Außerdem stellte sie mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2008 vorsorglich einen Antrag auf Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente.

Mit Bescheid vom 11. Dezember 2008 bewilligte die Bg den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach. Zunächst sei aber ein Beratungsgespräch mit dem Reha-Fachberatungsdienst erforderlich. Sollte eine Vermittlung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz möglich sein, erklärte sie sich bereit, Zuschüsse an den Arbeitgeber zu leisten.

Ferner vertrat die Bg in dem sozialgerichtlichen Verfahren die Ansicht, dass die Bf aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf nervenärztlichem Gebiet den Beruf der Altenpflegerin nicht mehr zumutbar ausüben könne. Dies müsse gleichermaßen für den Wunschberuf der Altentherapeutin gelten. Wegen der psychischen Minderbelastbarkeit der Bf sei der an die psychische Belastbarkeit hohe Anforderungen stellende Beruf der Altentherapeutin nicht leidensgerecht.

Das Sozialgericht wies den Antrag auf einstweilige Anordnung mit Beschluss vom 15. Januar 2009 ab. Es sei nicht erkennbar, dass die Umschulung zur Altentherapeutin die einzig in Betracht kommende Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben für die Bf darstelle. Diese habe eine Ermessensreduzierung auf Null nicht glaubhaft gemacht. Die Bg habe Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Bescheid vom 11. Dezember 2008 dem Grunde nach bewilligt. Aus den beigezogenen Akten ergebe sich nach summarischer Prüfung kein Hinweis darauf, dass die Bg ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe und nur durch die Gewährung einer Umschulung zur Altentherapeutin der grundsätzliche Anspruch der Bf auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erfüllt werden könne. Es liege deshalb bereits kein Anordnungsanspruch vor. Im Übrigen fehle es auch am Anordnungsgrund. Es fänden sich keine Ausführungen der Bf hinsichtlich der Gefahr einer Rechtsvereitelung oder Erschwerung der Rechtsverwirklichung.

Im Nachtrag übersandte die Bf noch zwei Atteste vom 15. und 20. Januar 2009. Die Fachärztin für psychotherapeutische Medizin Dr. H. bescheinigte, dass die therapeutische Behandlung Ende 2008 ausgelaufen sei. Die Bf habe sich gut stabilisiert. Einer Aufnahme einer Weiterbildung bzw. einer Arbeit im altentherapeutischen Bereich bzw. in der Gerontopsychiatrie stehe nichts mehr im Wege. Entsprechendes bescheinigte auch die Allgemeinärztin Dr. R ...

Gegen den Beschluss des Sozialgerichts hat die Bf Beschwerde eingelegt, ohne diese näher zu begründen.

Die Bg hat um Mitteilung gebeten, ob die Bf sich mit der Teilnahme an einer erweiterten Arbeitserprobung im Berufsförderungswerk E. einverstanden erkläre. Diese mehrwöchige Erprobung diene der Ermittlung des Leistungsbildes und der Erarbeitung tragfähiger beruflicher Lösungsansätze unter Beachtung des dabei zum Ausdruck gebrachten Leistungsvermögens.

Die Bf hat mit Schriftsatz vom 2. April 2009 dieses Angebot abgelehnt. Selbst wenn man die Durchführung einer erweiterten Arbeitserprobung für zweckmäßig hielte, sei sie zeitlich nicht in der Lage, an einer derartigen Erprobung teilzunehmen, da sie ja bereits seit Oktober 2008 erfolgreich an der in Streit stehenden Maßnahme teilnehme. Die Bf habe ihr "Wunsch- und Wahlrecht" nicht berücksichtigt.

Hinweis:

Einen Fachbeitrag zum Einstweiligen Rechtsschutz finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
https://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/a/2013/A4...

Rechtsweg:

SG München Urteil vom 15.01.2009 - S 11 R 2552/08 ER

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist gemäß §§ 172 ff Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab.

Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Wenn jedoch eine Klage keine Aussicht auf Erfolg hätte, ist ein Recht, das geschützt werden muss, nicht vorhanden (Bayer. Landessozialgericht, Az.: L 2 B 354/01 U ER). Dabei ist regelmäßig eine summarische Prüfung, bezogen auf den gegenwärtigen Verfahrensstand, vorzunehmen.

Ziel des Antrags der Bf ist nicht die grundsätzliche Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, wie sie die Bg mit Bescheid vom 11. Dezember 2008 bewilligte, sondern einer konkreten Maßnahme, nämlich die Gewährung der Umschulung zur Altentherapeutin in der H. Akademie, an der die Bf seit 13. Oktober 2008 teilnimmt.

Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts, dass bereits kein Anordnungsanspruch besteht. Ein Anspruch auf Förderung einer Ausbildung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben richtet sich nach § 16 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) in Verbindung mit §§ 33 bis 38 des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX). Allerdings stellte die Bf ihren Antrag erst wenige Tage vor Beginn der Umschulungsmaßnahme, so dass in dem Antrag zumindest konkludent auch ein Antrag auf Kostenerstattung zu sehen ist. Rechtsgrundlage für einen Kostenerstattungsanspruch ist entweder § 15 SGB IX (ablehnend zum Bereich der medizinischen Rehabilitation: BSG, Urteil vom 26.06.2007, B 1 KR 36/06; offen lassend: Urteil vom 21.08.2008, B 13 R 33/07 R) oder § 13 Abs. 3 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) in entsprechender Anwendung (so BSG, Urteil vom 01.08.2008, B 13 R 33/07 R).

Dabei ist jeweils zu beachten, dass Leistungen zur Teilhabe gemäß §§ 9 Abs. 2, 13 SGB VI in das Ermessen des Leistungsträgers gestellt sind. Allerdings ergibt sich aus dem Gesetzeszusammenhang, dass das Ermessen nicht die Frage betrifft, "ob" eine Reha-Maßnahme durchzuführen ist (z.B. KassKomm-Niesel, § 13 SGB VI Rdnr. 4 u. 5). Der Versicherungsträger hat jedoch ein Ermessen hinsichtlich des "wie" der Maßnahme; dies betrifft insbesondere die Art, Dauer, Umfang, Beginn, Durchführung und Ort der Rehabilitationsleistung. Dem Senat ist es verwehrt, an Stelle des vom Versicherungsträger auszuübende Verwaltungsermessen sein eigenes Ermessen zu setzen (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 54 Rdnr. 28). Eine Ausnahme kann allenfalls dann bestehen, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, d.h. das Ermessen nur in einem bestimmten Sinne ausgeübt werden kann und jede andere Entscheidung fehlerhaft wäre (Meyer-Ladewig, a.a.O., Rdnr. 29).

Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, ist vorliegend eine derartige Ermessensreduzierung auf Null nicht gegeben. Der konkrete Umschulungsberuf muss vor allem dem orthopädischen und psychiatrischen Gesundheitsbild der Bf gerecht werden. Zwar ist die Bg gehalten, möglichst den beruflichen Wünschen und Vorstellungen der Versicherten durch die Maßnahme gerecht zu werden. Gemäß § 33 Abs. 4 S. 1 SGB IX müssen bei der Auswahl der Leistungen Eignung, Neigung, die bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angemessen berücksichtigt werden. Es bestehen jedoch auch aus Sicht des Senats Zweifel, ob die Tätigkeit als Altentherapeutin dem Leistungsvermögen der Bf gerecht wird. Altentherapeuten organisieren soziale und therapeutische Dienste in der Altenpflege und führen sie durch. Sie müssen sich auf unterschiedlich schwere psychische und physische Erkrankungen bzw. Störungen sowie deren Auswirkungen auf die Gestaltung des Alltags der Patienten einstellen und werden mit gefühlsmäßig belastenden Situationen und Tätigkeiten wie Schicksalsschlägen anderer Menschen konfrontiert (Berufenet: Altentherapeut/in). Es ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass die Bf aufgrund ihrer psychischen Beeinträchtigungen in der Vergangenheit die hierfür notwendigen Voraussetzungen erfüllt, auch wenn sich die psychische Situation nach den aktuellen Attesten Ende 2008 stabilisiert hat. Nach dem Gutachten des Dr. S. vom November 2007 war das Leistungsvermögen der Bf für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes weiterhin noch auf unter sechs Stunden gesunken. Auch sah sich die Bf veranlasst, (vorsorglich) einen Antrag auf Weitergewährung der bis 31. Dezember 2008 befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung zu stellen. Die Entscheidung der Bg, zunächst weitere medizinische Unterlagen einzuholen und gemäß § 33 Abs. 4 S. 2 SGB IX eine erweiterte Arbeitserprobung durchzuführen, ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden. Für den Senat ist somit nicht erkennbar, dass nur die Gewährung der Umschulung zur Altentherapeutin die zutreffende Entscheidung sein konnte und kann.

Da eine Ermessensreduzierung auf Null nicht gegeben ist, scheidet ein Anspruch auf Gewährung der Umschulungsmaßnahme für die am 13. Oktober 2008 begonnene Weiterbildung zur Altentherapeutin durch die H. Akademie und damit auch ein eventueller Anspruch auf Erstattung bereits verauslagter Kosten aus. Vielmehr ist der Bf eine fachlich kompetente Arbeitserprobung zuzumuten.

Die Beschwerde der Bf gegen den Beschluss des Sozialgerichts konnte deshalb keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.

Referenznummer:

R/R4563


Informationsstand: 04.05.2010