Urteil
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für eine Diplomsportlehrerin in Folge eines Arbeitsunfalls

Gericht:

LSG Sachsen-Anhalt 6. Senat


Aktenzeichen:

L 6 U 155/06


Urteil vom:

29.09.2010


Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Klägerin wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen sind.

Die 1959 geborene, als Diplomsportlehrerin ausgebildete und seit Anfang Januar 1991 (als Bildungsreferentin) beim L S-A e.V. tätige Klägerin geriet am 14. Dezember 1999 auf versichertem Weg mit ihrem Pkw von der Straße, prallte gegen zwei Bäume und zog sich hierbei einen offenen Unterschenkelschaftbruch links, eine Gehirnerschütterung sowie zahlreiche Prellungen zu. Nach Primärversorgung der Fraktur mit einem Fixateur externe wurde vorübergehend ein Gips angelegt und am 27. April 2000 ein Tibianagel eingebracht sowie eine Fibularsektions-osteotomie (Segmententfernung im Wadenbein) links durchgeführt. Bei der Röntgenkontrolle am 11. Oktober 2000 zeigte sich eine in achsgerechter Stellung knöchern konsolidierte Fraktur mit korrekt liegendem Osteosynthesematerial. Außerdem beschrieben die Dres. W., F und Prof. O. von der Universitätsklinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Berufsgenossenschaftlichen Kliniken B. H. in ihrem Gutachten vom 12. Oktober 2000 ein flüssiges Gangbild der Klägerin ohne Hilfsmittel, ein frei bewegliches und unauffälliges linkes Kniegelenk sowie eine mäßig eingeschränkte Funktion des oberen und unteren Sprunggelenkes links (5-0-40°; rechts 30-0-50°). Als Beschwerden gab die Klägerin eine nach wie vor bestehende Schwellungsneigung des linken Unterschenkels an. Zudem träten beim schnellen Gehen und Rennen Schmerzen im distalen Unterschenkeldrittel auf. Als sportliche Betätigung sei derzeit nur Schwimmen und Rad fahren möglich.

Unter dem 19. Dezember 2000 berichtete Prof. Dr. O., dass die Röntgenkontrolle am 14. Dezember 2000 einen noch nicht vollständigen Durchbau des Unterschenkelbruchs gezeigt habe, so dass das Material noch nicht entfernt werden könne. Die Klägerin sei in ihrem Beruf mit Einschränkungen weiter tätig.

Mit bestandskräftigem Bescheid vom 23. November 2000 erkannte die Beklagte den Unfall mit einer geringfügigen Bewegungseinschränkung des linken oberen und unteren Sprunggelenkes als Arbeitsunfall an und lehnte einen Rentenanspruch ab.

Bei der Wiedervorstellung am 16. März 2001 gab die Klägerin gegenüber Prof. Dr. O. eine Schwellungsneigung des linken Unterschenkels nach bzw. während der Arbeit an, so dass dieser einen Kompressionsstrumpf verordnete. Am 14. Mai 2001 fand Prof. Dr. O. einen noch nicht kompletten knöchernen Durchbau der Bruchstelle und berichtete über gelegentliche Beschwerden der Klägerin im oberen Sprunggelenk. In seinem für das Sozialgericht (SG) H. in dem Verfahren S 6 (2) U 51/01 erstellten Gutachten vom 21. Oktober 2001 nach ambulanter Untersuchung am 18. Oktober 2001 dokumentierte der Orthopäde und Rehabilitationsmediziner Prof. Dr. R. der Universität H.-W eine Beweglichkeit des oberen linken Sprunggelenkes von 10-0-40° (rechts 20-0-50°), eine endgradige Bewegungseinschränkung des unteren linken Sprunggelenkes sowie eine Wadenatrophie links gegenüber rechts von 3 cm. Für den 21. November 2001 hielt Prof. Dr. O. eine regelrechte Funktion des linken Knies und des linken oberen Sprunggelenkes sowie ein unauffälliges beschwerdefreies Gangbild fest.

Mit Schreiben vom 6. März 2002 erklärte der Arbeitgeber der Klägerin, diese habe aufgrund gesundheitlicher Probleme den von ihr entwickelten und betreuten Bereich erlebnispädagogischer Lehrangebote an Kollegen abgegeben. Um ihren Einsatz als Bildungsreferentin für die Zukunft zu sichern, müsse sie sich über andere Bildungsträger neue Themen und Inhalte erarbeiten, was mit teilweise erheblichen zusätzlichen Kosten verbunden sei.

Im Rahmen der Wiedervorstellung bei Prof. Dr. O. am 29. April 2002 berichtete die Klägerin über belastungsabhängige Schwellungsneigungen am linken Unterschenkel. Derzeit fühle sie sich in der Lage, ihre berufliche Tätigkeit weiter voll auszuführen.

In dem am 5. Juni 2002 vor dem SG im Verfahren S 6 (2) U 51/01 durchgeführten Verhandlungstermin verpflichtete sich die Beklagte, berufsfördernde Rehabilitationsmaßnahmen zu prüfen und hierüber einen Bescheid zu erteilen.

Nachdem der Arbeitgeber der Klägerin gegenüber der Beklagten in einem Telefonat vom 28. Juni 2002 nochmals deren eingeschränkte Belastbarkeit bestätigt hatte, erkannte die Beklagte am 1. Juli 2002 in einem Telefongespräch mit der Prozessbevollmächtigten der Klägerin einen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach an, da die Klägerin wegen der Unfallfolgen ihre letzte Tätigkeit nicht mehr voll wettbewerbsfähig ausüben könne. Zwecks konkreter Bestimmung der Leistungen und Abklärung der Möglichkeiten einer dauerhaften Eingliederung der Klägerin setzte sich die Beklagte mit ihrem Arbeitgeber in Verbindung und erbat von diesem mit Schreiben vom 8. Juli 2002 eine detaillierte Aufstellung, mit welchen Tätigkeitsschwerpunkten und Merkmalen die Klägerin angesichts der Unfallfolgen langfristig und dauerhaft bei ihm einsetzbar sei und welche Qualifikation und Anforderung er hierbei genau an die Klägerin stelle. Als Fördermöglichkeiten seien etwa eine Kostenübernahme für notwendige Weiterbildungskurse oder die Gewährung einer Eingliederungshilfe in Form eines gestaffelten Lohnkostenzuschusses, die durch öffentlichrechtlichen Vertrag zu vereinbaren wäre, denkbar.

Bei der am 8. Oktober 2002 durchgeführten Kontrolluntersuchung zeigten sich eine knöchern durchbaute Unterschenkelfraktur, regelrechte Funktionen des linken Kniegelenkes und des oberen linken Sprunggelenkes sowie eine diskrete Schwellung des Unterschenkels, woraufhin am 6. November 2002 das Metall operativ aus dem Unterschenkel entfernt wurde. Arbeitsfähigkeit wurde ab dem 9. Dezember 2002 ärztlich bescheinigt. Auf Grundlage der Nachuntersuchung am 27. Mai 2003, für die er keine Schwellung des linken Unterschenkels, eine diskret eingeschränkte Beweglichkeit des linken oberen Sprunggelenkes sowie ein unauffälliges Gangbild mitteilte, sah Prof. Dr. O. unter dem 26. Juni 2003 keine Gründe mehr, warum die Klägerin ihren Beruf nicht ausführen könne. Als Tätigkeitsprofil legte er dabei entsprechend der Angaben des Arbeitgebers vom 28. Juni 2002 u.a. Arbeiten mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die Durchführung von Aufsichten bei Seminaren und die theoretische sowie praktische Vermittlung von Bildungsinhalten in Unterrichtsräumen, im Freien und in der H. im Gehen, Stehen und Sitzen bis hin zum Vorführen sportlicher Aktivitäten zugrunde.

Daraufhin hörte die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 14. Juli 2003 zu der von ihr beabsichtigten Aufhebung der am 1. Juli 2002 erfolgten Anerkennung eines Anspruchs auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben an. Nach den nunmehr vorliegenden medizinischen Erkenntnissen könne diese ihre bisherige berufliche Tätigkeit weiterhin vollschichtig ausüben.

Die Klägerin nahm hierzu am 25. Juli 2003 Stellung und vertrat eine gegenteilige Ansicht. Laut Schreiben ihres Arbeitgebers vom 24. Juli 2003 sei sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen aus dem Arbeitsfeld Seminar und sportliche Lehrtätigkeit herausgenommen worden. Für die Zeit vom 3. Oktober 2003 bis zum 22. April 2005 sei ihre Teilnahme an einem Fernstudium zur PR-Referentin vorgesehen, wobei das Einstiegsseminar vom 18. bis 22. August 2003 stattfinde.

Der nachfolgend von der Beklagten eingeschaltete Chefarzt der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Klinikums B.-B Dr. S. teilte unter dem 8. August 2003 mit, dass im Rahmen der Untersuchung am Vortag keine Unfallfolgen mehr feststellbar und sämtliche Weichteile reizlos gewesen seien. Die Klägerin, die ein flüssiges Gangbild gezeigt habe, sei für die unfallbringende Tätigkeit arbeitsfähig. Sie habe über Schmerzen bei Spielsportarten in der Halle, insbesondere beim Abbremsen aus dem Lauf, beim Mountainbike-Fahren, beim Klettern sowie sonstigen schweren körperlichen Tätigkeiten geklagt. Die von ihr beschriebenen Schwellungszustände nach langem Stehen träten auch bei anderen Personen nach acht bis zehn Stunden stehender Unterrichtstätigkeit auf.

Mit Bescheid vom 2. September 2003 hob die Beklagte ihre Entscheidung vom 1. Juli 2002 mit Wirkung für die Zukunft auf, da kein Rehabilitationsbedarf zu erkennen gewesen und die Zusage damit rechtswidrig sei. Schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin liege nicht vor, da keine Leistung zugebilligt worden sei, welche sie zu Vermögensdispositionen hätte veranlassen können. Bei dem anerkannten Grundanspruch habe es sich vielmehr um eine Zusicherung von Sachleistungen, vorrangig an den Arbeitgeber gehandelt. Damit eventuell verbundene Geldleistungen an die Klägerin seien noch nicht gewährt worden.

Hiergegen erhob die Klägerin am 1. Oktober 2003 Widerspruch und machte geltend, sie könne ihre Arbeitsaufgaben unfallbedingt nur mit Einschränkungen erfüllen. Sowohl sie als auch ihr Arbeitgeber hätten im Hinblick auf die erteilte Zusage Dispositionen getroffen.

Mit am 27. Oktober 2003 zugestelltem Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2003 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte aus, die Entscheidung am 1. Juli 2002 sei zwar rechtmäßig gewesen. Insbesondere habe die Klägerin wegen des noch nicht vollständigen knöchernen Durchbaus und der Schwellungsneigung im Unterschenkelbereich sportliche Übungen im Rahmen von Lehrvorführungen als einem Teil ihrer Tätigkeit als Bildungsreferentin zunächst noch nicht wieder wettbewerbsfähig verrichten können. Die Unfallfolgen hätten sich jedoch wesentlich gebessert, wie sowohl Prof. Dr. O. als auch Dr. S. übereinstimmend bestätigt hätten. Damit sei der Verwaltungsakt vom 1. Juli 2002 wegen wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse aufzuheben gewesen.

Am 25. November 2003 hat die Klägerin vor dem SG Klage erhoben und vertiefend vorgetragen, ihr Arbeitgeber habe aufgrund der erteilten Zusage die Verantwortlichkeiten in ihrem sowie im Arbeitsbereich anderer Kollegen umgestaltet. Zudem habe sie auch privat Dispositionen getroffen.

Das SG hat von dem Facharzt für Anästhesiologie Dr. H. sowie von der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. H. die Befundberichte vom 17. und 31. August 2004 eingeholt. Auf seine Anforderung hat die Klägerin zwecks Beschreibung ihres Arbeitsbereichs den Ablaufplan bei einem Abenteuer-Mädchen-Camp vom 26. bis 30. Oktober 1999 und Arbeitszeitnachweise für September und Oktober 1999 vorgelegt. Mit ebenfalls von ihr übersandtem Schreiben vom 29. September 2006 hat ihr Arbeitgeber angegeben, dass es der Klägerin nur durch gute kollegiale Zusammenarbeit im Team der Bildungsreferenten mit zeitweiliger Übernahme von Arbeitsaufgaben durch andere Mitarbeiter möglich gewesen sei, die Anforderungen einer Bildungsreferentin zu erfüllen. Seit dem 1. September 2006 nehme sie ihre neue Tätigkeit als verantwortliche Referentin für Lehrarbeit wahr (Änderungsvertrag vom 14. Juni 2006). Dies sei mit zusätzlichen Kosten verbunden, da die Klägerin für diese Aufgabe eine entsprechende Einarbeitung und zusätzliche Qualifikation benötige, die sie sich durch ein im Wintersemester 2006/2007 beginnendes Zusatzstudium (welches die Klägerin am 19. März 2009 erfolgreich beendet hat) anzueignen bereit sei.

Mit Urteil vom 18. Oktober 2006 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Infolge der verzögerten Frakturheilung habe die Klägerin zwar zunächst Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gehabt. Dieser sei mit dem knöchernen Durchbau der in achsengerechter Stellung konsolidierten Fraktur nach Entfernung des Osteosynthesematerials jedoch entfallen. Auf diese wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse habe die Beklagte mit der Aufhebung ihrer Zusage reagieren können, zumal diese bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht umgesetzt worden und die Aufhebung für die Zukunft erfolgt sei. Schließlich sei die Aufhebung auch nicht durch Fristablauf ausgeschlossen gewesen. Selbst wenn jedoch von einer rechtswidrig erfolgten Zusage ausgegangen werde, sei die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden.

Gegen das am 22. November 2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19. Dezember 2006 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt und im Wesentlichen vorgetragen, sowohl sie als auch ihr Arbeitgeber hätten darauf vertraut, dass die Beklagte ein Konzept zu ihrer Umsetzung unterstützen und finanzieren werde. In den tatsächlichen Verhältnissen sei auch keine wesentliche Änderung eingetreten. Witterungsbedingt bestünden nach wie vor sowohl an den Narben als auch der knöchernen Struktur Beschwerden. Insgesamt sei die ursprüngliche Entscheidung der Beklagten rechtmäßig gewesen und daher aufrecht zu erhalten. Infolge ihres Studiums seien ihr für Studienentgelte, Studentenbeiträge, Fahrten, Übernachtungen, Lehr- und Arbeitsmaterialien sowie doppelte Haushaltsführung Kosten von etwa 5.000,00 EUR entstanden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 18. Oktober 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des SG. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin erst drei Jahre nach Erlass des angefochtenen Bescheides umgesetzt wurde, wenn ihr die Ausübung der unfallbringenden Tätigkeit nicht möglich gewesen sei. Auch sei nicht plausibel, warum das im Oktober 2006 begonnene Studium Voraussetzung für das bereits seit Anfang September 2006 verrichtete neue Tätigkeitsfeld gewesen sein soll.

Der Senat hat von der Klägerin deren Tätigkeitsbeschreibung für eine Bildung von Arbeitsvorgängen und deren tarifliche Bewertung beigezogen und auf ihren Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von dem Facharzt für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. S. das Gutachten vom 2. September 2009 nach ambulanter Untersuchung am 8. Juli 2009 eingeholt. Dieser hat im Ergebnis eingeschätzt, dass die Klägerin spätestens seit Mitte 2003 wieder in der Lage sei, auch körperlich belastende Tätigkeiten auszuführen, so dass die Unfallfolgen ab diesem Zeitpunkt der vollschichtigen Verrichtung ihrer zum Unfallzeitpunkt ausgeübten Tätigkeit nicht mehr entgegen gestanden hätten. Wenn dies aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen nicht erfolgt sei, hätten hierfür unfallunabhängige Wirbelsäulenbeschwerden Veranlassung gegeben, die im Gegensatz zu den Unfallfolgen auch noch in den letzten Jahren zu regelmäßiger ärztlicher Behandlung und krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit geführt hätten. Wesentliche Unfallfolgen seien eine leicht eingeschränkte Beweglichkeit des linken oberen Sprunggelenkes mit Muskelminderung des linken Beines um 1 cm, eine leichte Störung der Stand- und Gangarten bei Belastung des linken Beines, reizlose Narben im linken Unterschenkelbereich sowie ein in achsengerechter Stellung knöchern fest durchbauter Schienbeinschaftbruch und ein vollständig überbrückter Knochendefekt am Wadenbein. Als Beschwerdeschilderung der Klägerin hat Dr. S. ein schmerzhaftes Anschwellen des linken Unterschenkels im Knöchelbereich bei körperlicher Belastung, dort einsetzende Beschwerden beim Wetterwechsel sowie ein Einschlafen des vorderen linken Fußes nach langem Sitzen und beim Autofahren festgehalten. Klinisch finde sich ein unauffälliges Gangbild, eine freie Kniegelenkbeweglichkeit beiderseits sowie eine gegenüber der rechten Seite weichteilvermehrte Knöchelregion links (Umfangdifferenz 3 cm), wobei die daraus resultierenden Funktionseinbußen durch konsequentes Tragen eines geeigneten Kompressionsstrumpfes vollständig kompensierbar seien. Die Sprunggelenke seien beiderseits frei beweglich, im Seitenvergleich sei die Bewegungsfähigkeit des oberen Sprunggelenkes links leicht gemindert (10-0-40°; rechts 20-0-45°). Die peripheren Reflexe an den unteren Gliedmaßen seien seitengleich regelrecht auslösbar.

Aus dem von Dr. S. seinem Gutachten beigefügten Attest der Dr. H. vom 7. Juli 2009 geht hervor, dass sich die Klägerin in regelmäßigen Abständen wegen einer chronischen Lumboischialgie links bei Bandscheibenvorfall L5/S1 mit wiederholt aufgetretener Arbeitsunfähigkeit und Notwendigkeit einer manuellen Therapie in Behandlung befinde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung des Senats.

Rechtsweg:

LSG Sachsen-Anhalt Urteil vom 18.10.2006 - L 6 U 155/06

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 SGG statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§ 151 Abs. 1 SGG) sowie auch ansonsten zulässige Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 2. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2003 beschwert die Klägerin nicht im Sinne der §§ 157, 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Denn die Aufhebung des ursprünglich zuerkannten Teilhabeanspruchs durch die Beklagte ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Ermächtigungsgrundlage für den angefochtenen Verwaltungsakt vom 2. September 2003 ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit sich die bei seinem Erlass vorliegenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Zunächst stellt die am 1. Juli 2002 von der Beklagten gegenüber der Prozessbevollmächtigten der Klägerin fernmündlich erklärte (vgl. §§ 33 Abs. 2 Satz 1, 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X) Anerkennung eines Anspruchs auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach - im Gegensatz zu der im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 5. Juni 2002 im Verfahren S 6 (2) U 51/01 erteilten Zusage zum Erlass einer solchen Entscheidung - keine Zusicherung i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X dar. Vielmehr erfüllt dieses Anerkenntnis selbst alle Begriffsmerkmale eines Verwaltungsaktes i.S.v. § 31 Satz 1 SGB X. Es erschöpfte sich auch nicht in einer einmaligen Gestaltung der Sach- und Rechtslage, sondern begründete zwischen der Klägerin und der Beklagten ein Rehabilitationsverhältnis, welches typischerweise näherer Ausgestaltung bedarf und damit auf (eine gewisse) Dauerwirkung ausgerichtet ist. Denn nach den §§ 26 Abs. 1 Satz 1, 35 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) i.V.m. den §§ 33 bis 38a Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) kann dem u.a. auf Wiederherstellung seiner Erwerbsfähigkeit gerichteten Anspruch des Versicherten durch ganz verschiedene Teilhabeleistungen aus dem Katalog der §§ 33 Abs. 3 und 8, 34 Abs. 1 SGB IX Rechnung getragen werden, über deren Art, Umfang und Durchführung im Einzelfall der Unfallversicherungsträger nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat (§ 26 Abs. 5 SGB VII).

Die bei Erlass des Verwaltungsaktes vom 1. Juli 2002 zugrunde liegenden tatsächlichen Verhältnisse haben sich auch wesentlich geändert. Spätestens Mitte des Jahres 2003 haben die Unfallfolgen die Klägerin nämlich objektiv nicht mehr gehindert, die von ihr bis zum Unfallzeitpunkt ausgeübte Tätigkeit als Bildungsreferentin wieder vollumfänglich zu verrichten. Bei dieser Bewertung stützt sich der Senat auf die unabhängig voneinander abgegebenen und übereinstimmenden Einschätzungen durch Prof. Dr. O. und Dr. S., deren Sicht Dr. S. ausdrücklich bestätigt hat.

So hatten die Dres. W., F und Prof. O. anlässlich der Untersuchung der Klägerin am 11. Oktober 2000 eine erst beginnende knöcherne Konsolidierung der Defektzone im linken Schienbeinknochen, eine Minderung des Muskelumfangs des linken Unterschenkels um 2 cm sowie erhebliche Bewegungseinschränkungen des linken oberen Sprunggelenkes von 5-0-40° (rechts mit 30-0-50°) und des unteren Sprunggelenkes links um 1/3 festgestellt. Als Beschwerden hatte die Klägerin eine nach wie vor bestehende Schwellungsneigung des linken Unterschenkels, beim schnellen Gehen und Rennen auftretende Schmerzen im unteren Unterschenkeldrittel sowie als im Rahmen der beruflichen Tätigkeit notwendige sportliche Verrichtungen nur die Möglichkeit des Radfahrens und Schwimmens angegeben. Bei der radiologischen Nachkontrolle am 14. Dezember 2000 bestätigte Prof. Dr. O. den nicht vollständigen Durchbau des Unterschenkelbruchs; der Zeitpunkt der Materialentfernung war noch nicht absehbar. In ihrem Beruf war die Klägerin seinerzeit mit Einschränkungen weiter tätig. Auch bei der Wiedervorstellung am 16. März 2001 klagte die Klägerin über nach bzw. während der Arbeit auftretende Schwellungen des linken Unterschenkels, so dass Prof. Dr. O. einen Kompressionsstrumpf verordnete. Zwei Monate später am 14. Mai 2001 berichtete sie Prof. Dr. O. dann über gelegentliche Beschwerden im oberen Sprunggelenk links. Der Bruch war weiterhin nicht komplett durchbaut. Bei seiner Untersuchung am 18. Oktober 2001 dokumentierte Prof. Dr. R. mit einer Beweglichkeit von 10-0-40° eine leicht verbesserte, jedoch noch keine freie Funktion des oberen linken Sprunggelenkes. Das untere Sprunggelenk war nunmehr noch endgradig in seiner Bewegung eingeschränkt. Nach wie vor bestand eine Wadenatrophie. Am 21. November 2001 fand Prof. Dr. O. eine regelrechte Funktion des linken oberen Sprunggelenkes sowie ein beschwerdefreies Gangbild. Bei der Wiedervorstellung am 29. April 2002 berichtete die Klägerin über belastungsabhängige Schwellungsneigungen am linken Unterschenkel und fühlte sich zu diesem Zeitpunkt in der Lage, ihren Beruf weiter voll auszuüben. Prof. Dr. O. sah jedoch noch keine Veranlassung für die operative Entfernung des Tibianagels.

Angesichts des zweieinhalbjährigen Heilungsprozesses war Anfang Juli 2002 also nicht absehbar, ob oder wann die Klägerin ihre Tätigkeit als Bildungsreferentin, die teilweise die Durchführung sportlicher Aktivitäten erforderte, wieder dauerhaft würde ausfüllen können, zumal ihr Arbeitgeber im Telefonat mit der Beklagten am 28. Juni 2002 eine eingeschränkte Belastbarkeit nochmals betont hatte.

Im Oktober 2002 trat jedoch eine wesentliche Änderung ein. Denn bei der am 8. Oktober 2002 durchgeführten Kontrolluntersuchung zeigten sich eine knöchern durchbaute Unterschenkelfraktur sowie (weiterhin) regelrechte Funktionen des linken Kniegelenkes und des oberen linken Sprunggelenkes, woraufhin am 6. November 2002 der Nagel operativ aus dem Schienbein entfernt werden konnte. Folgerichtig bescheinigte Prof. Dr. O. den Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit zum 9. Dezember 2002 und sah auf Grundlage seiner Befunderhebung vom 27. Mai 2003 keine Gründe mehr, die einer im Wesentlichen uneingeschränkten weiteren Verrichtung des Berufs der Klägerin entgegen standen oder künftig stehen würden. Diese ärztliche Einschätzung ist unter Berücksichtigung der von Prof. Dr. O. festgehaltenen lediglich diskreten Bewegungseinschränkung des oberen Sprunggelenkes links, des unauffälligen Gangbildes sowie der fehlenden Schwellung des linken Unterschenkels auch nachvollziehbar und wird durch Dr. S. bestätigt. Auch dieser fand bei seiner gut zwei Monate später am 7. August 2003 erfolgten Untersuchung der Klägerin reizlose Weichteile, ein flüssiges Gangbild und keine objektivierbaren Unfallfolgen mehr.

Die gegenüber Dr. S. von der Klägerin beschriebenen Restbeschwerden in Form von Schmerzen nach körperlich schwerer Belastung (z.B. Abbremsen aus dem Lauf, Mountainbike-Fahren oder Klettern) bzw. Schwellungszuständen nach langem Stehen stehen der Ausübung des Berufs einer Bildungsreferentin nicht entgegen. Denn nach den vorliegenden Schilderungen gehört hierzu in gewissem Umfang zwar auch die praktische Vermittlung sportlicher Aktivitäten. Dieses Anforderungsprofil deckt jedoch schon nur einen geringen Umfang des Gesamttätigkeitsspektrums einer Bildungsreferentin ab, wie insbesondere aus der von der Klägerin vorgelegten Beschreibung für die Bildung von Arbeitsvorgängen und deren tarifliche Bewertung hervorgeht. Entsprechendes gilt für die von ihr angeführten witterungsbedingten Narben- und Knochenbeschwerden. Zudem kann der Senat sich anhand der umfangreiche sporttheoretische Tätigkeitsanteile enthaltenden Tätigkeitsaufstellung auch gegen die verschiedenen Schreiben des Arbeitgebers der Klägerin nicht davon überzeugen, dass die Tätigkeit einer Bildungsreferentin im Jugendsportbereich konkrete und umfassende eigene sportliche Leistungen zur unabdingbaren Voraussetzung hat. Dagegen sprechen die jedem Menschen eigenen altersbedingten Grenzen und die allgemeinen Grenzen jeder sportlichen Befähigung. Umgekehrt ist mit der gutachtlichen Einschätzung erkennbar, dass die Unfallfolgen einen weiten Bereich sportlicher Aktivität zulassen, in dem außergewöhnliche Belastungen des rechten Sprunggelenkes nicht anfallen.

Die plausible ärztliche Bewertung wird durch das jahrelange Verbleiben der Klägerin in ihrem ursprünglichen Arbeitsbereich ohne unfallbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten untermauert. Dieser Umstand spricht dafür, dass sie insbesondere auch den sportlichen und physischen Anforderungen ihres Arbeitsplatzes wieder gewachsen war. Andernfalls hätte eine Reaktion ihres Arbeitgebers durch Änderungskündigung, personenbedingte Kündigung oder frühere betriebsinterne Umsetzung nahe gelegen. Bei echter Dringlichkeit wäre zwecks Umsetzung der von der Beklagten in Aussicht gestellten Teilhabeleistungen zumindest eine zeitnahe Rückantwort auf deren Schreiben vom 8. Juli 2002 zu erwarten gewesen. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin ihr sowie das Vertrauen ihres Arbeitgebers selbst auf ein von der Beklagten zu unterstützendes Umsetzungskonzept bezogen hat, was seine (zumindest teilweise) Erstellung durch den Arbeitgeber voraussetzt. Stattdessen hat dieser selbst im Vorfeld des zunächst vom 3. Oktober 2003 bis zum 22. April 2005 vorgesehenen Fernstudiums einschließlich des vom 18. bis 22. August 2003 beabsichtigten Einstiegsseminars keinen Abstimmungsbedarf mit der Beklagten gesehen. Die von der Beklagten erbetene Aufstellung zu einem möglichen neuen Tätigkeitsprofil mit der dafür erforderlichen Qualifikation der Klägerin und den insoweit an sie gestellten Anforderungen hat der Arbeitgeber nicht nur nicht bis Ende Juni 2003, sondern nie - auch nicht im Vorfeld des im Oktober 2006 begonnenen Studiums - geliefert. Eine innerbetriebliche Umsetzung der Klägerin ist tatsächlich erst am 1. September 2006 erfolgt, wobei eine unfallbedingte Notwendigkeit aus dem Änderungsvertrag vom 14. Juni 2006 gerade nicht hervorgeht. Vielmehr ist aus ihm lediglich zu entnehmen, dass bis auf die nunmehrige Tätigkeit als Referentin für Lehrarbeit und deren Zuordnung zum Geschäftsführer der Abteilung Sport und Lehrarbeit alle anderen Vereinbarungen des Arbeitsvertrages vom 1. Januar 1991 unberührt geblieben sind.

Schließlich ist der Bescheid vom 2. September 2003 auch formell rechtmäßig. Vor seinem Erlass hat die Beklagte die Klägerin nach § 24 Abs. 1 SGB X mit Schreiben vom 14. Juli 2003 angehört, so dass sie Gelegenheit zur Stellungnahme erhielt und hiervon auch Gebrauch gemacht hat. Dass die Beklagte im Widerspruchsbescheid ihre Aufhebungsentscheidung entgegen der in dieser sowie der Anhörung verlautbarten Ermächtigungsgrundlage (§ 45 SGB X) korrigiert und auf § 48 SGB X gestützt hat, stellt vorliegend keinen Verfahrensmangel dar. Denn bereits aus dem Anhörungsschreiben vom 14. Juli 2003 geht der für § 48 SGB X sachlich maßgeblich Umstand, nämlich die auch von der Beklagten als entscheidend für ihre Absicht ausgemachte Materialentfernung aus dem Unterschenkel und die darauf beruhende abschließende Leistungsbewertung durch Prof. Dr. O. hervor. Die weiteren für die Prüfung des § 45 SGB X relevanten Fragen des Vertrauensschutzes gehen im Prüfungsumfang über die Anforderungen der Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X hinaus und sind insoweit unschädlich. Da die Aufhebung der Leistungsbewilligung dem Grunde nach mangels konkreter Umsetzung auch nicht mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgte, sind auch die §§ 48 Abs. 4, 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X nicht einschlägig, zumal die insoweit statuierte Jahresfrist - selbst ausgehend vom Zeitpunkt der Materialentfernung am 6. November 2002 - bis zum Erlass des Bescheides am 2. September 2003 gewahrt wäre.

Nach alledem konnte die Berufung keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

Referenznummer:

R/R4697


Informationsstand: 04.02.2011