Urteil
Förderung der beruflichen Weiterbildung - Verbindlichkeit eines Bildungsgutscheines für die Übernahme der Kosten für eine abgeschlossene Weiterbildung zur Ergotherapeutin für die Dauer der ersten 24 Monate

Gericht:

SG Berlin 70. Kammer


Aktenzeichen:

S 70 AL 2359/06


Urteil vom:

26.11.2010


Grundlage:

  • SGB III § 77 Abs 1 S 1 Nr 3 vom 23.12.2003 |
  • SGB III § 77 Abs 3 S 1 vom 23.12.2003 |
  • SGB III § 85 Abs 2 S 3 vom 23.12.2003 |
  • AZWV § 12

Leitsatz:

Ein Bildungsgutschein, in dem Zuschnitt, Struktur und Inhalt der auf ein bestimmtes Bildungsziel gerichteten Maßnahme bis hin zur Finanzierung des dritten Ausbildungsjahres konkretisiert sind, ist eine durch Verwaltungsakt erteilte Leistungsbewilligung dem Grunde nach. Die Arbeitsagentur ist nach Erteilung eines solchen Bildungsgutscheines nicht mehr berechtigt, die Umschulungsmaßnahme aus anderen Gründen abzulehnen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Tenor:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2006 verurteilt, der Klägerin die beantragten Kosten für die Weiterbildungsmaßnahme zur Ergotherapeutin zu erstatten.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten ihrer abgeschlossenen beruflichen Weiterbildung zur Ergotherapeutin in der Zeit 01.04.2006-31.03.2009 für die Dauer der ersten 24 Monate.

Die 1970 geborene Klägerin nahm nach Ablegung des Abiturs zunächst das Studium der Erziehungswissenschaften auf, das sie nicht beendete. Nach Ausübung verschiedener Tätigkeiten absolvierte sie einen CAD-Grundausbildungslehrgang mit Zertifikat und anschließend von Dezember 1993 bis September 1995 eine Umschulung zur Tischlerin mit Abschlussprüfung bei der IHK Berlin. Von 1996 bis ca. Februar 2003 war sie als Tischlerin versicherungspflichtig beschäftigt, danach arbeitsuchend bei Bezug von Arbeitslosengeld bzw. -hilfe. In dieser Zeit war sie von Oktober 2003 bis Oktober 2004 als Mitarbeiterin auf "FKZBasis" bei ... e. V. in B tätig (Redaktionsarbeit im Rahmen einer Stadtteilzeitung, Organisation des K-C). Ab Januar 2005 bezog die Klägerin Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Im Rahmen einer arbeitsamtsärztlichen Begutachtung Anfang 2005 (Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. J) wurden bei ihr Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit festgestellt: Die Klägerin wurde als vollschichtig leistungsfähig nur noch für ständig leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeiten mit gewissen Einschränkungen befunden; die Ausübung ihres bisherigen Berufes als Tischlerin wurde für nicht mehr zumutbar erachtet; Schulungsfähigkeit wurde bejaht. Daraufhin beantragte die Klägerin mit Formantrag vom 29. März 2005 bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Beklagte stellte ihre Zuständigkeit sowie die Erforderlichkeit von Teilhabeleistungen mit Schreiben vom 13. April 2005 fest. Unter dem 16. März 2006 wurde auf Drängen der Klägerin von der Beklagten ein bis zum 16. Juni 2006 gültiger Bildungsgutschein (Nr. ...) nach § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 77 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ausgestellt für die Übernahme der Lehrgangskosten einer bis zu 24 Monate - einschließlich eines notwendigen Betriebspraktikums - dauernden Weiterbildung mit dem Bildungsziel "Ergotherapeutin/Umschulung zur Ergotherapeutin" in Vollzeitunterricht an einer außerbetrieblichen Weiterbildungsstätte im Tagespendelbereich. Weiter heißt es in dem begleitenden Schreiben, mit dem Bildungsgutschein würden die Kosten für die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildung übernommen, solange Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vorliege und die Weiterbildung für die Weiterbildungsförderung nach § 85 SGB III zugelassen sei. Die Klägerin solle sich vor Beginn der Teilnahme beim Bildungsträger vergewissern, ob die Weiterbildung zugelassen sei. Auch sei der ausgehändigte Antrag oder Fragebogen rechtzeitig vor der Teilnahme an der Weiterbildung einzureichen. Sofern die Inhalte der von ihr ausgewählten Weiterbildung nicht mit dem Gutschein übereinstimmten, sei die Bewilligung von Lehrgangskosten wie auch die Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt in Frage gestellt. Dem Bildungsgutschein war auch eine Anlage beigefügt, in dem die Beklagte auf die Besonderheiten bei der Förderung von Maßnahmen mit einer Dauer von mehr als 24 Monaten belehrte (§ 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III). Darüber wurde auf dieser Anlage eine schriftliche Bestätigung des Teilnehmers und des Trägers gefordert, die die Klägerin mit Unterschrift vom 04. April 2006 und der Träger mit Stempel und Unterschrift vom 30. März 2006 abgaben. Der Träger - die Akademie der Gesundheit ... e. V. Campus B (nachfolgend: Gesundheits-Akademie) - bestätigte darin, dass die Finanzierung (Ausbildungsvergütung/Weiterbildungskosten) des dritten Drittels der Maßnahme nach § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III gesichert sei. Wegen der Einzelheiten zum Inhalt der Anlage wird auf die Verwaltungsakte verwiesen.

Am 17. März 2006 unterzeichnete die Klägerin einen Umschulungsvertrag über eine Ausbildung zur staatlich geprüften Ergotherapeutin nach dem Gesetz über den Beruf der Ergotherapeutin und des Ergotherapeuten vom 25. Mai 1976 (ErgThG; BGBl 1976 S 1246; in der hier maßgeblichen Fassung der Achten Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 25. November 2003 - BGBl 2003 S 2304, 2306) i. V. m. der nach § 5 ErgThG erlassenen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten vom 02. August 1999 (ErgThAPrV; BGBl 1999 S 1731 ff; in der Fassung des Gesetzes zur Reform der beruflichen Bildung vom 23. März 2005 - BGBl 2005 S 931) für die Dauer vom 01. April 2006 bis zum 31. März 2009. In § 8 des Vertrages wurde die Höhe der Lehrgangskosten mit insgesamt 11.700,00 EUR festgelegt. Des Weiteren wurde darin vereinbart, dass die Finanzierung über die Agentur für Arbeit erfolgen solle, jedoch für das 3. Ausbildungsjahr durch eine Eigenfinanzierung der Umzuschulenden. Mit Datum vom gleichen Tage traf die Klägerin mit der Gesundheits-Akademie eine Nebenabrede zum Umschulungsvertrag, wonach die Finanzierung des 3. Ausbildungsjahr in der Form erfolgen solle, dass die Lehrgangskosten in Höhe von 3.840,00 EUR in monatlichen Raten (24) von je 160,00 EUR ab April 2006 von der Klägerin an die Gesundheits-Akademie gezahlt werden.

Unter Vorlage einer Abtretungserklärung der Klägerin und des Bildungsgutscheines beantragte die Gesundheits-Akademie am 30./31. März 2006 bei der Beklagten die Übernahme der Lehrgangskosten für die ersten zwei Jahre der Ausbildung sowie die Zertifizierung der beruflichen Weiterbildungsmaßnahme im Einzelfall nach § 12 der Verordnung über das Verfahren zur Anerkennung von fachkundigen Stellen sowie zur Zulassung von Trägern und Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (Anerkennungs- und Zulassungsverordnung - Weiterbildung - AZWV) vom 16. Juni 2004 (BGBl I 1100).

Mit Bescheid vom 12. Mai 2006, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2006, lehnte die Agentur für Arbeit Berlin-Süd die Förderung der Teilnahme der Klägerin an der Umschulung zur Ergotherapeutin an der Gesundheits-Akademie ab: Die Dauer der Weiterbildungsmaßnahme sei nicht nach § 85 Abs. 2 Satz 2 SGB III i. V. m. § 16 Abs. 1 SGB II um mindestens ein Drittel im Verhältnis zur regulären Ausbildung verkürzt worden. Zwar sei eine Verkürzung der Ausbildung zur Ergotherapeutin nach Bundes- oder Landesrecht nicht möglich, so dass ausnahmsweise eine Förderung nach § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III erfolgen könne, wenn die Sicherstellung der Finanzierung des dritten Drittels der Ausbildung zu Beginn der Maßnahme gewährleistet sei. Die Eigenfinanzierung des dritten Drittels durch den Teilnehmer entspreche jedoch nicht der Intention des Gesetzgebers, da § 85 SGB III sich eindeutig auf die Anforderungen an die Maßnahmen beziehe. Auch enthalte der Bildungsgutschein keine Zusicherung im Sinne von § 34 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), da die Zusage auf den Erlass eines bestimmten Verwaltungsaktes gerichtet sei und die Erklärung sich auf einen konkreten Sachverhalt beziehen müsse. Der Bildungsgutschein weise dagegen keinen konkreten Bildungsträger aus, sondern beinhalte lediglich das Bildungsziel. Daher liege eine Zusicherung, die berufliche Weiterbildung gerade bei diesem Bildungsträger absolvieren zu können, nicht vor.

Die Klägerin, die am 01. April 2006 die Ausbildung zur Ergotherapeutin an der Gesundheits-Akademie begonnen hatte, hat am 20. Juli 2006 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben und verfolgt damit ihr Begehren weiter. Sie hatte zuvor am 13. Juli 2006 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Beschluss vom 27. Juli 2006 (Az. S 56 AL 2359/06) vorläufig verpflichtet, die Kosten für die begonnene Umschulung für die Dauer von 24 Monaten zu übernehmen. Auf die dagegen eingelegte Beschwerde hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg durch Beschluss vom 29. November 2006 (Az. L 6 B 388/06 AL ER, abrufbar unter juris und sozialgerichtsbarkeit.de) den Beschluss des Sozialgerichts aufgehoben und den Eilantrag der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung seines ablehnenden Beschlusses hat das LSG in erster Linie ausgeführt, dass es sich bei der begonnen Umschulung der Klägerin um eine nicht-förderungsfähige berufliche Ausbildungsmaßnahme und nicht um eine Weiterbildung nach § 77 SGB III handele.

Auf Anforderung des LSG hat die Gesundheits-Akademie die Zertifizierungsurkunden vom 11. Mai 2006 (Zertifizierungszeitraum vom 11. Mai 2006 bis zum 10. Mai 2009) über die Zulassung als Träger für die Förderung der beruflichen Weiterbildung nach dem Recht der Arbeitsförderung und über die Zulassung der Weiterbildungsmaßnahme 2006-AZWV-1018- M103 Ergotherapeut/in (Dauer 36 Monate, Kostensatz 4,33 EUR pro Stunde und Teilnehmer) vorgelegt. Hierzu hat die Beklagte ausgeführt, Bildungsträger könnten auch Bildungsmaßnahmen zertifizieren lassen, die nicht den Anforderungen des § 77 SGB III und des § 85 SGB III entsprechen würden, sofern sie glaubhaft darlegten, dass keine Kunden in die Maßnahme aufgenommen werden, die nach SGB III oder SGB II gefördert werden.

Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Klage im Wesentlichen vor:

Seit der im Februar 2005 erfolgten Feststellung, dass ihre körperliche Belastbarkeit eingeschränkt sei, habe sie sich aktiv um eine Weiterbildungsmaßnahme bemüht und wiederholt Gespräche mit dem für sie zuständigen Sachbearbeiter geführt. Hierbei habe sich im Laufe der Zeit heraus kristallisiert, dass für sie eine Weiterbildung zur Ergotherapeutin in Betracht komme. Dabei sei allen Beteiligten von Anfang an klar gewesen, dass es sich um eine dreijährige Ausbildung handele, bei der eine Verkürzung der Ausbildungszeit gesetzlich ausgeschlossen sei. Nachdem sie sich bei den in Betracht kommenden Schulen erkundigt und von der Gesundheits-Akademie die Zusage erhalten habe, dass eine Weiterbildungsmaßnahme dort möglich sei, habe sie sich erneut an den für sie zuständigen Sachbearbeiter gewandt, der ihr am 16. März 2006 einen Bildungsgutschein mit dem Bildungsziel Ergotherapeutin ausgehändigt habe. Da nur eine Finanzierung durch die Beklagte für ca. 24 Monate in Betracht gekommen sei, habe sie mit dem Umschulungsträger die Vereinbarung geschlossen, dass die Kosten für das letzte Ausbildungsjahr von ihr in Eigenfinanzierung übernommen würden. Die Unterlagen habe sie dann bei der Beklagten eingereicht, die ihr erst nach Beginn der Maßnahme mitgeteilt habe, dass die Maßnahme nicht gefördert werden könne. Die Auslegung der Beklagten, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit der Eigenfinanzierung durch die Klägerin ausgeschlossen habe, sei weder aus dem Gesetz selbst noch aus den Kommentierungen zu entnehmen. Die Nichtverlängerung der Übergangsregelung bedeute lediglich, dass eine dreijährige Förderung nur noch bei Maßnahmen zulässig sei, die bis zum 31. Dezember 2005 begonnen hätten. Für die Zeit danach könne nicht mehr die gesamte Dauer der dreijährigen Maßnahme, sondern es könnten nur noch die ersten zwei Jahre gefördert werden. Würde man der Auffassung der Beklagten folgen, könnten Weiterbildungen in den Gesundheitsfachberufen mit dreijähriger Ausbildungszeit überhaupt nicht mehr gefördert werden, was Auswirkungen auf die Existenz der ausbildenden Schulen und im Ergebnis auf die Versorgung mit Arbeitskräften in den betroffenen Berufsgruppen hätte. Ihr sei bekannt, dass die Beklagte eine Mitschülerin fördere und die Lehrgangskosten für zwei Jahre übernommen habe. Eine Finanzierung sei jedenfalls durch Dritte sichergestellt. Zwischenzeitlich sei auch das Zertifizierungsverfahren für die Gesundheits-Akademie und die Weiterbildungsmaßnahme zur Ergotherapeutin positiv abgeschlossen worden. Zudem handele es sich um eine echte Weiterbildungsmaßnahme im Sinne des § 77 SGB III in Form der Umschulung auf einen neuen Beruf und damit nicht um eine Ausbildung, dies folge auch aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Von der Förderung solle nur eine Berufsausbildung ausgeschlossen sein, die zu einem ersten beruflichen Abschluss führt. Die sei vorliegend nicht der Fall. Die Ablehnung der Förderung trotz der Zusicherung im Bildungsgutschein verstoße gegen Art 10 und 20 der Verfassung von Berlin (VvB) sowie gegen das Gleichbehandlungsgebot in Art 3 Abs. 1 GG. Im Übrigen stelle der Bildungsgutschein, was auch das LSG in seiner Entscheidung verkannt habe, hier eine Leistungsbewilligung dem Grunde nach dar. Der Bildungsgutschein sei auch im Hinblick auf die später aufgenommene Weiterbildung hinreichend bestimmt; dies ergebe sich aus der Anlage zum Bildungsgutschein, den der Maßnahmeträger ausgefüllt habe. Sie sei bereit, für die Dauer der Ausbildung Einschränkungen in der Lebensführung in Kauf zu nehmen. Zur Finanzierung der Umschulungskosten habe sie von Ihrem Onkel, Herrn U N, ein Darlehen in Höhe von 11.520,00 EUR erhalten. Dieses Darlehen zahle sie nach Aufnahme einer Berufstätigkeit als Ergotherapeutin seit dem 01.03.2010 in monatlichen Raten von 100,00 EUR zurück.


Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2006 zu verpflichten, ihr die beantragten Kosten für die Weiterbildungsmaßnahme zur Ergotherapeutin zu bewilligen,

2. hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihren Antrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.


Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide. Sie wendet sich insbesondere gegen die von der Klägerin vertretene Auslegung des § 85 Abs. 2 Satz SGB III. Entgegen der Darstellung in dem Beschluss des Sozialgerichts hätten nicht verfassungsrechtliche Bedenken des Gesetzgebers zu den jeweiligen Übergangsvorschriften (bis zum 31. Dezember 2001 § 417 SGB III, ab 01. Januar 2002 § 434 d SGB III) geführt. Vielmehr habe der Gesetzgeber bei der Begründung des § 434 d SGB III auf die Gesetzesbegründung zur Vorgängerregelung von § 85 Abs 2 Satz 3 SGB III - dem inhaltsgleichen § 92 Abs. 2 Satz 2 SGB III - verwiesen. Danach hatte der Gesetzgeber mit der Befristung der Übergangsregelung des § 417 SGB III die Erwartung verbunden, dass in den Berufsgesetzen Verkürzungsmöglichkeiten der Ausbildung bei Umschulung geschaffen werden, insbesondere bei den von der Regelung betroffenen Gesundheitsfachberufen. Diese Erwartungen hätten sich jedoch nicht erfüllt. Deswegen seien weitere Übergangsregelungen geschaffen worden, um wegen der arbeitsmarktpolitischen Bedeutung solcher Weiterbildungen diese trotzdem fördern zu können. Der Gesetzgeber habe weiter ausgeführt, dass eine Förderung nur dann zulässig sei, wenn bereits zu Beginn der Weiterbildung die Finanzierung für die gesamte Dauer gesichert sei, wobei die Finanzierung zum Beispiel durch Leistungen Dritter gesichert sein könne. Da Finanzierungsstrukturen für eine Teilfinanzierung durch Dritte noch nicht geschaffen seien, müsse für eine dreijährige Übergangszeit eine Vollförderung durch die Beklagte gewährleistet werden. Anhand dieser Gesetzesbegründung werde deutlich, dass die Übergangsregelungen in erster Linie dazu dienen sollten, so genannte Finanzierungsstrukturen durch Dritte zu schaffen. Keinesfalls sei es um eine Form der Eigenfinanzierung durch die Teilnehmer selbst gegangen, da die Regelung keineswegs auf Kosten der in der Regel finanziell schwach bemittelten Maßnahmeteilnehmer umgesetzt werden sollte. Dies entspreche nicht der Intention des Gesetzgebers. Aus dem Bildungsgutschein folge insoweit nichts anderes, da auch danach für nicht zugelassene Maßnahmen keine Kosten zu übernehmen seien; das ergebe sich unschwer aus dem Bildungsgutschein selbst.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten, einschließlich der Gerichtsakte des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens (Az. S 56 AL 2359/06 ER), sowie die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung ihrer Kosten für die Ausbildung zur Ergotherapeutin im Zeitraum 01.04.2006-31.03.2008. Dieser Anspruch folgt zur Überzeugung der Kammer aus dem von der Beklagten erteilten Bildungsgutschein vom 16. März 2006.

Durch den erfolgreichen Abschluss der Umschulungsmaßnahme hat sich die Klage auf Übernahme der Kosten für die Umschulungsmaßnahme nicht etwa erledigt. Denn der Klägerin sind erhebliche Kosten entstanden, indem sie ein Darlehen für die Finanzierung ihrer Umschulung übernommen hat. Da die Beklagte die Übernahme der Umschulungskosten zu Unrecht abgelehnt hat, ist er zur Erstattung der der Klägerin dadurch entstandenen Aufwendungen verpflichtet. Dies entnimmt die Kammer aus den Rechtsgedanken in § 15 Abs. 1 Sätze 3 und 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), die hier entsprechend anzuwenden sind (ebenso: SG Osnabrück, Urteil v. 01.12.2009, S 16 AL 200/07, zitiert nach juris). Danach ist der Rehabilitationsträger zur Erstattung der Aufwendungen verpflichtet, die für eine durch den Leistungsberechtigten selbstbeschaffte erforderliche Leistung entstehen, wenn er u. a. eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Die entsprechende Anwendung dieser Regelung ist vorliegend bereits aus dem Gesichtspunkt der Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG) geboten, da andernfalls die Beklagte allein durch Zeitablauf die Durchsetzung von Rechten durch Bürger vereiteln könnte.

Zwar ist mit der Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg davon auszugehen, dass hier kein Fall einer Weiterbildung nach §§ 77 ff. SGB III vorliegt, sondern einer Ausbildung (vgl. Beschluss v. 29.11.2006 Rn. 18 f., zitiert nach juris). Denn die objektiven Voraussetzungen für die Annahme einer Weiterbildung liegen nicht vor. Insoweit schließt sich die Kammer den zutreffenden Ausführungen des LSG an. Allerdings kommt es nach Überzeugung der Kammer hierauf nicht an, da die Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme der Ausbildungskosten bereits aus dem der Klägerin erteilten Bildungsgutschein folgt.

Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB III in der Fassung bis zum 31.12.2008 (nunmehr wortgleich geregelt in § 77 Abs. 4 Satz 1 SGB III) wird dem Arbeitnehmer das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Förderung durch den Bildungsgutschein bescheinigt. Der Bildungsgutschein kann zeitlich befristet sowie regional und auf bestimmte Bildungsziele beschränkt werden (Satz 2) und ist durch den vom Arbeitnehmer ausgewählten Träger der Arbeitsagentur vor Beginn der Maßnahme vorzulegen (Satz 3).

Der an die Klägerin ausgehändigte Bildungsgutschein kann im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten nicht als unverbindliche Erklärung der Behörde angesehen werden. Vielmehr geht die Kammer davon aus, dass jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art in dem Bildungsgutschein eine durch Verwaltungsakt erteilte Leistungsbewilligung dem Grunde nach liegt (vgl. BSG, Urteil v. 18.05.2010, S 16 AL 200/07 Rn. 10, zitiert nach juris; LSG Sachsen, Beschluss v. 31.01.2005, L 2 B 192/04 AL-ER Rn. 35, zitiert nach juris; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 02. 09. 2005, L 8 AL 4970/04 Rn. 18, zitiert nach juris; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB III, § 77 Rn. 126). Jedenfalls wenn wie hier im Bildungsgutschein Zuschnitt, Struktur und Inhalt der auf ein bestimmtes Bildungsziel gerichteten Maßnahme bis hin zur Finanzierung des 3. Ausbildungsjahres konkretisiert sind, kann dem Bildungsgutschein nicht lediglich eine Bescheinigung der persönlichen Förderungsvoraussetzungen entnommen werden (vgl. Berlit in: jurisPR-SozR 18/2007 Anm. 2; LSG Sachsen, Beschluss v. 31.01.2005, L 2 B 192/04 AL-ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 04.12.2008, L 9 AS 529/08 ER). Zumindest in diesem Fall beinhaltet der Bildungsgutschein auch die durch Verwaltungsakt begründete Verpflichtung der zuständigen Agentur für Arbeit eine konkrete Umschulungsmaßnahme, die den Anforderungen des Bildungsgutscheins entspricht und innerhalb der ggf. dort gesetzten Frist begonnen wird, zu fördern. Die Arbeitsagentur ist daher nach Erteilung eines solchen Bildungsgutscheins nicht mehr berechtigt, die Umschulungsmaßnahme aus anderen Gründen abzulehnen. Eine Durchbrechung der Bindung an die Leistungsbewilligung dem Grunde nach ist dann nur unter den Voraussetzungen der Aufhebung nach §§ 45 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) möglich (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, a. a. O.).

Wenn die Agentur für Arbeit einen hinreichend konkretisierten Bildungsgutschein im oben genanten Sinn an den Arbeitsuchenden ausgibt, gibt es für die Kammer keinen sachlichen Grund, sie im Umfang der von ihr getroffenen Konkretisierung an die Erklärungen im Bildungsgutschein zu binden. Der Arbeitsvermittler hat im Vorfeld der Erteilung des Bildungsgutscheins hinreichend Gelegenheit Inhalt und Umfang des begehrten Bildungsgutscheins zu prüfen (vgl. die Beratungspflicht gem. § 77 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB III). Insoweit besteht kein Grund, hier etwas anderes gelten zu lassen als in anderen Verwaltungsverfahren nach dem SGB X und eine Unverbindlichkeit des Bildungsgutscheins anzunehmen, soweit die sachlichen bzw. maßnahmebezogenen Förderungsvoraussetzungen betroffen sind. Im Gegenteil erscheint es für die Kammer im Hinblick auf Vertrauensschutzgesichtspunkte untragbar, insoweit trotz der im Bildungsgutschein getroffenen Konkretisierungen von unverbindlichen Erklärungen auszugehen. Denn die Arbeitsuchenden, so auch die hiesige Klägerin, verlassen sich mit Recht auf die im Bildungsgutschein bereits enthaltene Leistungsbewilligung dem Grunde nach und beginnen im Vertrauen darauf mit ihren Umschulungsmaßnahmen.

Der hier erteilte Bildungsgutschein ist hinreichend konkretisiert in dem oben dargelegten Sinn. Es enthält insbesondere folgende Erklärungen: Gültigkeit bis 16.06.2006, Bildungsziel/Qualifizierungsinhalte ("8528-103 Ziel-BKZ, Ergotherapeut/in, Umschulung zur Ergotherapeutin"), Weiterbildungsdauer von bis zu 24 Monaten, Unterricht in Vollzeit, außerbetriebliche Weiterbildungsstätte und Weiterbildungsort im Tagespendelbereich. Darüber hinaus war dem Bildungsgutschein eine Anlage beigefügt, die Belehrungen zu den Besonderheiten bei einer dreijährigen Umschulung enthielt. Aus der am Ende dieser Anlage befindlichen Erklärung des Maßnahmeträgers zur Sicherstellung der Finanzierung des dritten Drittels der Maßnahme ist zu erkennen, dass der Beklagten der Umstand der Überschreitung der maximalen Weiterbildungsdauer von 24 Monaten bewusst war. Daher konnte sie entsprechend seiner Erklärungen im Bildungsgutschein die beantragte Förderung nur ablehnen, wenn die Klägerin nicht mehr hilfebedürftig war, die Weiterbildung für die Weiterbildungsförderung nach § 85 SGB III nicht zugelassen war oder nicht innerhalb der Gültigkeitsdauer begonnen wurde. Diese Voraussetzungen wurden durch die Klägerin jedoch sämtlich zu Beginn der Umschulung erfüllt, so dass die Ablehnung der Kostenübernahme rechtswidrig war. Insbesondere waren auch die Voraussetzungen für die Weiterbildungsförderung nach § 85 SGB III erfüllt. Zudem lag kein Grund für eine Aufhebung der im Bildungsgutschein getroffenen grundsätzlichen Förderungsentscheidung nach §§ 45 ff. SGB X vor. Daher kann die Ablehnung auch nicht etwa mit einer schlüssig erklärten Aufhebung des Bildungsgutscheins gerechtfertigt werden, weil es sich um eine Ausbildungs- und keine Weiterbildungsmaßnahme handele. Durch die Erklärungen im Bildungsgutschein hat die Beklagte vielmehr eine rechtsverbindliche Regelung auch dahingehend getroffen, dass es sich bei der konkret benannten förderungsfähigen Maßnahme der Umschulung zur Ergotherapeutin um eine Weiterbildung nach §§ 77 ff. SGB III handelt.

Hinsichtlich der Anforderungen an die Förderung einer Weiterbildung nach § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III ist die Beklagte fehlerhaft davon ausgegangen, dass eine Eigenfinanzierung durch den Arbeitsuchenden oder eine dritte Person nicht genügt. Ist eine Verkürzung einer Maßnahme um mindestens ein Drittel der Ausbildung auf Grund bundes- oder landesgesetzlicher Regelungen ausgeschlossen, so ist nach dieser Vorschrift die Förderung eines Maßnahmeteils von bis zu zwei Dritteln der Maßnahme nicht ausgeschlossen, wenn bereits zu Beginn der Maßnahme die Finanzierung für die gesamte Dauer der Maßnahme gesichert ist. Es entspricht, soweit hier ersichtlich, der allgemeinen Ansicht in der Rechtsprechung, dass die Finanzierung durch den Maßnahmeteilnehmer selbst oder durch dritte Personen gesichert werden kann und eine Sicherstellung der Finanzierung über den Maßnahmeträger nicht erforderlich ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 08.10.2007, L 12 B 468/06 AL ER; OVG Bremen, Urteil v. 24.08.2007, S 1 D 426/07; SG Berlin, Beschluss v. 12.01.2007, S 22 AL 4250/06 ER; Hessisches LSG, Beschluss v. 06.11.2008, L 9 AL 158/08 B ER; Hessisches LSG, Beschluss v. 28.04.2009, L 7 AL 118/08 B ER). Mit den genannten Entscheidungen geht die Kammer davon aus, dass es sich bei der Umschulung/Ausbildung zur Ergotherapeutin um eine Maßnahme handelt, deren Verkürzung nach landesgesetzlichen Regelungen nicht zulässig ist.

Im Übrigen kann aus § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III hier eine Ablehnung auch dann nicht gerechtfertigt werden, wenn man insoweit einer anderen Auffassung folgt. Denn insofern ist die Erklärung in der Anlage zum Bildungsgutschein zu beachten. Darin erklärte die Beklagte, dass das Vorliegen der Bedingung der Sicherstellung der Finanzierung des dritten Drittels der Weiterbildungsmaßnahme durch den Bildungsträger (Schulträger) in der ihr vorzulegenden Ausfertigung des Bildungsgutscheins zu bestätigen sei. Der Vordruck für diese Bestätigung findet sich am Ende der Anlage und ist vom Bildungsträger am 30.03.2006 ordnungsgemäß ausgefüllt worden. Der Träger hat darin bestätigt, dass das letzte Drittel der Maßnahme nach § 85 Abs. 2 S. 3 SGB III gesichert sei. Demnach hat sich nach Überzeugung der Kammer die Beklagte auch bezüglich der Art des Nachweises über die Sicherstellung der Finanzierung des letzten Ausbildungsjahres gebunden. Indem die Klägerin die von der Beklagten insoweit gestellten Anforderungen durch die Vorlage der Bestätigung des Schulträges erfüllt hatte, war es der Beklagten nicht gestattet, insoweit weitergehende Anforderungen zu stellen und die Übernahme der Ausbildungskosten aus diesem Grunde zu verweigern.

Ein Ermessen hinsichtlich der Förderung steht der Beklagten zwar nach § 77 Abs. 1 SGB III zu (vgl. Wortlaut "kann"). Allerdings ist sie insoweit ebenfalls an ihre im Bildungsgutschein getroffene Leistungsbewilligung dem Grunde nach gebunden. Denn der Bildungsgutschein enthält auch die rechtsverbindliche Erklärung, dass die Agentur für Arbeit das ihr zustehende Ermessen dahingehend ausgeübt hat, die Teilnahme des Arbeitslosen an einer Weiterbildungsmaßnahme zu fördern (vgl. BSG, a. a. O.; LSG Sachsen, a. a. O.).

Andere Gründe für eine Ablehnung der Übernahme/Erstattung der Umschulungskosten sind weder durch die Beklagte vorgetragen noch für die Kammer ersichtlich. Dementsprechend ist die Beklagte verpflichtet, die in den beiden ersten Jahren angefallenen Kosten für die Umschulungsmaßnahme an die Klägerin zu erstatten. Die Klage hatte somit Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Referenznummer:

R/R3977


Informationsstand: 27.07.2012