Urteil
Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben - Kostenübernahme für einen Vollzeitlehrgang zum staatlich geprüften Techniker

Gericht:

SG Würzburg 5. Kammer


Aktenzeichen:

S 5 U 78/06


Urteil vom:

25.01.2007


Tenor:

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 14.9.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2006 verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verbescheiden.

II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Der am 1979 geborene Kläger erlitt als auszubildender Werkzeugmacher am 22.06.1998 einen Unfall, als er an einer Schleifmaschine hängen blieb, seitlich umknickte und auf das linke Kniegelenk fiel. Er wurde daraufhin im Klinikum A. untersucht, wo eine Patellaluxation links diagnostiziert wurde und im Rahmen eines stationären Aufenthaltes vom 24.06.1998 bis 28.06.1998 operativ versorgt wurde. Im weiteren Verlauf der Behandlung stürzte der Kläger aufgrund einer muskulären Insuffizienz und erlitt hierbei einen knöchernen Abriss der Quadrizepssehne am Oberrand der Kniescheibe.

Der Kläger schloss seine Ausbildung nicht ab, nachdem er die Abschlussprüfung nicht bestanden hatte und an einer Wiederholungsprüfung nicht teilgenommen hatte. Nachdem medizinisch festgestellt worden war, dass der Kläger eine Tätigkeit als Werkzeugmacher wegen der Unfallfolgen nicht mehr wettbewerbsfähig ausüben konnte, beabsichtigte dieser zunächst das Fachabitur nachzumachen, wobei der Beginn einer entsprechenden Ausbildung für August 2001 vorgesehen war. Der Kläger war sodann arbeitslos und bezog Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) und nahm an einer sechsmonatigen Schulung zum Nutzfahrzeugführer bis September 2001 teil.

Ab August 2002 besuchte der Kläger sodann das "Hessen-Kolleg", wo er das Fachabitur nachmachen wollte. Nach einem Führerscheinentzug für zwei Monate brach der Kläger diese Ausbildung ab und war arbeitslos und bezog Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit.

Am 07.04.2004 beantragte der Kläger sodann bei der Beklagten die Gewährung von Teilhabeleistungen am Arbeitsleben mit dem Wunsch im August 2004 eine Ausbildung zur Sicherheitsfachkraft für Personen- und Werkschutz zu machen. Von der BA war insoweit als Ausbildungsstätte die Ausbildungsakademie für Sicherheit W. (AASW) GmbH empfohlen worden. Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 13.05.2004 ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Kostenübernahme für die Ausbildung zur Sicherheitsfachkraft für Personen- und Werkschutz dem Kläger mitgeteilt hatte und der Kläger einen Eignungstest des Ausbildungsbetriebes bestanden hatte und die Beklagte auf den Beginn der Ausbildungsmaßnahme am 30.08.2004 hingewiesen hatte, gewährte sie mit Bescheid vom 18.08.2004 die Kostenübernahme der Ausbildung des Klägers zur Sicherheitsfachkraft für Personen- und Werkschutz bei der AASW GmbH mit entsprechenden Leistungen. Die Ausbildungskosten betrugen hierbei 7.500,00 Euro. Der Kläger absolvierte sodann einen Lehrgang vom 30.08.2004 bis 11.03.2005, wobei er auch eine Prüfung am 09. und 10.03.2005 für den Teilbereich Personenschutz mit Erfolg absolvierte und ein entsprechendes Prüfungszeugnis Teil I erhielt, in dem darauf hingewiesen ist, dass eine Zertifizierung durch die IHK R. erst nach erfolgreich abgeschlossener Prüfung für Werkschutzfachkraft vor der IHK erfolgt. Nachdem der Kläger sich erfolglos bemüht hatte einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erlangen, leitete die Beklagte eine "begleitende Arbeitsvermittlungsmaßnahme" bei der Bfz GmbH A. ab 04.07.2005 ein.
Der Kläger teilte der Beklagten am 06.09.2005 mit, dass er sich für einen 4-semestrigen Vollzeitlehrgang zum staatlich geprüften Techniker, Fachrichtung Maschinentechnik ab 30.09.2005 angemeldet habe und beantragte die Kostenübernahme dieser Ausbildung. Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 14.09.2005 lehnte die Beklagte die Gewährung einer (weiteren) qualifizierten Berufsbildungsmaßnahme (Ausbildung, Fort- und Weiterbildung) ab. Die Ablehnung wurde unter anderem damit begründet, dass der Kläger sich zum Unfallzeitpunkt noch in Ausbildung befunden habe und die Abschlussprüfung seinerzeit nicht bestanden habe und an einer geplanten Wiederholungsprüfung aus persönlichen Gründen nicht teilgenommen habe und somit über keine abgeschlossene Berufsausbildung verfüge. Das angestrebte Berufsziel als staatlich geprüfter Techniker sei ein besonders qualifizierter Beruf, der mit der bisherigen Tätigkeit "stufenmäßig" nicht übereinstimme. Unabhängig davon fehle es beim Kläger für die beabsichtigte anspruchsvolle Ausbildung an der notwendigen geistigen und begabungsmäßigen Leistungsfähigkeit. In dem Bescheid bot die Beklagte dem Kläger an, begleitende Arbeitsvermittlungsmaßnahmen bzw. berufspraktische Wiedereingliederungsmaßnahmen durchzuführen. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.02.2006 zurück. Die Zurückweisung wurde unter anderem damit begründet, dass der Kläger in der Zeit vom 30.08.2004 bis 11.03.2005 an einer Ausbildung zur Sicherheitsfachkraft für Personen- und Werkschutz teilgenommen habe und diese mit erfolgreicher Weiterbildungsprüfung bei der IHK abgeschlossen habe und damit von der Beklagten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten habe, die es ihm ermöglichen würden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz zu erlangen. Eine tatsächliche Aufnahme einer Tätigkeit in dieser Branche sei letztlich daran gescheitert, dass der Kläger auf den Bereich des Personenschutzes fixiert sei und somit einer Arbeitstätigkeit im Werkschutz nicht aufgeschlossen gegenüber stehe. Eine an die Bfz A. übertragene begleitende Arbeitsvermittlungsmaßnahme sei letztendlich nicht abgeschlossen worden, weil der Kläger hinsichtlich seiner beruflichen Zukunft orientierungslos sei. Die Beklagte sei grundsätzlich bereit Kosten für eine begleitende Arbeitsvermittlungsmaßnahme oder berufspraktische Wiedereingliederungsmaßnahmen z.B. in Form von befristeten Lohnkostenzuschüssen oder Kostenübernahme für Probearbeitsverhältnisse zu übernehmen.

Mit der am 23.03.2006 beim Sozialgericht Würzburg erhobenen Klage begehrt der Kläger weiterhin die Gewährung von Teilhabeleistungen am Arbeitsleben im Sinne von qualifizierten Berufsbildungsmaßnahmen (konkret in Form der Kostenübernahme des von ihm am 29.09.2006 beim Berufskolleg Westfalen-Technikum D. begonnenen Vollzeitlehrganges zum staatlich geprüften Techniker). Die Klage begründet er unter anderem damit, dass die bei der AASW GmbH durchgeführte Ausbildung zur Sicherheitsfachkraft nicht mehr als ein Lehrgang gewesen sei, dieser aber keine qualifizierte Ausbildungsmaßnahme dargestellt habe und ein qualifizierter Berufsabschluss hierdurch nicht zu erreichen gewesen sei. Die Möglichkeit die Ausbildung mit der sogenannten Prüfung Sicherheitsfachkraft bei der IHK abzuschließen, habe er zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich gar nicht mehr gehabt. Ihm sei telefonisch von der IHK A. die Auskunft gegeben worden, dass es den in einer Broschüre der AASW GmbH bezeichneten Abschluss nicht mehr gäbe und vielmehr eine dreijährige Berufsausbildung notwendig sei. Er habe sich auch mehrfach im Personen- und Werkschutz erfolglos beworben. Von der Bfz A. sei ihm angeraten worden, eine Ausbildung zum Techniker durchzuführen.

Das Gericht hat die den Kläger betreffenden Unfallakten der Beklagten beigezogen.

Es hat sodann am 07.09.2006 einen Erörterungstermin durchgeführt und Auskünfte der IHK Regensburg und der IHK N. eingeholt.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 25.01.2007 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.09.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2006 zu verurteilen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verbescheiden.

Der Beklagtenvertreter beantragte,

die Klage abzuweisen.

Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Gerichtsakte auch im Übrigen sowie die den Kläger betreffenden Unfallakten der Beklagten.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird hierauf sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Sozialgerichtsbarkeit BRD

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht beim Sozialgericht Würzburg erhobene Klage ist zulässig.

Sie erweist sich auch als begründet.

Gemäß § 26 Abs. 1 SGB VII haben Versicherte unter anderem auch Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII haben die Unfallversicherungsträger insbesondere den Versicherten einen ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz im Arbeitsleben zu sichern. Gemäß § 35 Abs. 1 SGB VII erbringen die Unfallversicherungsträger die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach den §§ 33 bis 38 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XI) sowie in Werkstätten für behinderte Menschen nach den §§ 40 und 41 des SGB IX. Gemäß § 33 SGB IX werden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern.

Der Versicherte hat dabei einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn er wesentlich durch die Unfallfolgen bedingt daran gehindert ist, seine bisherige Tätigkeit wettbewerbsfähig auszuüben. Gemäß § 26 Abs. 5 SGB VII besteht dabei ein Auswahlermessen bezüglich Art, Umfang und Durchführung der Maßnahme für den Unfallversicherungsträger. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I ist bei Ermessensentscheidungen der Zweck der Ermächtigung, also insbesondere das Ziel der Rehabilitation zu beachten und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Das Hauptziel der Teilhabe am Arbeitsleben stellt die dauerhafte Integration des Versicherten ins Arbeitsleben dar. Demgegenüber steht das Prinzip der Effiziens (günstigste Relation zwischen verfolgtem Zweck und eingesetztem Mittel). Hieraus ergibt sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Zweck und Mittel inklusive der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist auch der Grundsatz der Individualität (Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit, Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes, Vermittlungschancen) zu beachten (§ 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII i.V.m. § 33 Abs. 1 und 4 SGB IX). Zudem ist zu berücksichtigen, dass der zuständige Rehabilitationsträger auch eine Gesamtverantwortung für den Ablauf der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bis zur erfolgreichen Wiedereingliederung des Versicherten trägt (BSG v. 16.06.1994, 13 Rj 79/93).

Unter Beachtung dieser Grundsätze war der streitgegenständliche Bescheid vom 14.09.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.02.2006 rechtswidrig und aufzuheben und der Kläger erneut dahingehend zu verbescheiden, dass ihm nochmals eine (aussichtsreiche) qualifizierte berufliche Rehabilitationsmaßnahme gewährt wird.

Die "Ausbildung" bei der AASW GmbH stellte keine angemessene qualifizierte Berufsbildungsmaßnahme für den Kläger dar. Für die Erlangung einer Qualifikation als Sicherheitsfachkraft für Personen- und Werkschutzschutz wäre eine mehrjährige Berufsausbildung des Klägers mit Berufsschule und praktischer Ausbildung vorab notwendig gewesen, wie sich auch aus der Verordnung über die Prüfung "geprüfte Werkschutzfachkraft" bzw. (für Sachverhalte ab 01.08.2006) aus den besonderen Rechtsvorschriften für die Umschulungsprüfung zu "geprüften Schutz- und Sicherheitsfachkraft" der IHK ergibt.

Der Hauptzweck der beruflichen Rehabilitation ist die dauerhafte Integration des Versicherten ins Arbeitsleben. Die Erreichung dieses Zwecks war mit der von der Beklagten finanzierten Maßnahme bei der AASW nicht zu realisieren. Zwar ist auch der Grundsatz der Effiziens und der Verhältnismäßigkeit der Mittel zu beachten auch jedoch der Grundsatz der Individualität. Das Kriterium der zuvor vom Kläger ausgeübten Tätigkeit ist dabei nicht zu hoch anzusetzen. Die Argumentation der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid, dass das angestrebte Berufsziel staatlich geprüfter Techniker mit der bisherigen Tätigkeit stufenmäßig (im Sinne der Vierstufentheorie des BSG) nicht übereinstimmt, geht fehl. Der Kläger konnte seine Berufsausbildung zum Werkzeugmacher (auch) wegen der Unfallfolgen nicht beenden oder war hieran durch die Unfallfolgen erheblich gehindert. So wird ja auch im Widerspruchsbescheid ausgeführt, dass der Kläger die Tätigkeit wegen der Unfallfolgen nicht mehr wettbewerbsfähig ausüben kann, was durch die berufsgenossenschaftliche Unfallklinik auch festgestellt worden war. Dann aber wäre es rechtsmissbräuchlich sich auf eine insoweit fehlende Berufsausbildung des Klägers zu berufen. Zudem soll die Bezugnahme auf die bisherige Tätigkeit in § 33 Abs. 4 SGB IX in erster Linie einen sozialen Abstieg des Versicherten vermeiden, nicht aber eine Aufstiegsgrenze ziehen (Benz in Hauck, Sozialgesetzbuch - SGB VII - § 26 Nr. 22). Die Begründung der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid, der Kläger habe für die Ausbildung zum Techniker nicht die notwendige geistige und begabungsmäßige Leistungsfähigkeit nachgewiesen, geht ebenso fehl, zumal in einem psychologischen Test des Arbeitsamtes vom 17.07.2000 darauf hingewiesen wurde, dass der Kläger über recht gute Leistungsvoraussetzungen für mittelqualifizierte bis qualifizierte Ausbildungen verfügt. Die Beklagte hätte bei ihrer Entscheidung auch berücksichtigen müssen, dass für sie eine Gesamtverantwortung für den Ablauf der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bis zur erfolgreichen Wiedereingliederung des Versicherten besteht (BSG a.a.O.). Die Verpflichtung des zuständigen Rehabilitationsträgers endet insoweit erst, wenn der Rehabilitant einen Dauerarbeitsplatz gefunden hat oder aber die mangelnde Erfolgsaussicht weiterer Leistungen festgestellt wird.

Die Beklagte war daher antragsgemäß zu verurteilen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Referenznummer:

R/R4583


Informationsstand: 08.07.2010