Urteil
Beendigung eines Verfahrens zur beruflichen Rehabilitation durch Verwaltungsakt - Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben

Gericht:

LSG Bayern 10. Senat


Aktenzeichen:

L 10 AL 199/10


Urteil vom:

18.10.2012


Grundlage:

Leitsatz:

Der Agentur für Arbeit steht keine Rechtsgrundlage für die Beendigung eines beruflichen Reha-Verfahrens durch Verwaltungsakt zur Verfügung, wenn zuvor schon Leistungen bewilligt und kein abstrakter Bewilligungsbescheid zu Beginn erteilt worden ist.

Rechtsweg:

SG Nürnberg Urteil vom 08.06.2010 - S 5 AL 642/09

Quelle:

BAYERN.RECHT

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des SG Nürnberg vom 08.06.2010 abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 18.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2009 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Beendigung eines Verfahrens zur beruflichen Rehabilitation durch Verwaltungsakt.

Auf einen Antrag des Klägers vom 23.07.2001 auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bewilligte die Beklagte für die Zeit vom 27.01.2003 bis 07.02.2003 eine Maßnahme zur Abklärung der beruflichen Eignung, vom 06.10.2003 bis 26.01.2004 einen Lehrgang zur Rehabilitationsvorbereitung und vom 27.01.2004 bis 26.01.2006 eine Ausbildung zum technischen Zeichner. Zum 01.04.2004 musste der Kläger die Ausbildung zum technischen Zeichner aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. Der Bildungsträger teilte der Beklagten mit, er sehe den Kläger grundsätzlich als geeignet an, die Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Vor einer erneuten Zuweisung des Klägers bitte man jedoch um eine Kontaktaufnahme, um in einem persönlichen Gespräch klären zu können, ob sich der gesundheitliche Zustand des Klägers, insbesondere dessen psychische Belastbarkeit, gebessert habe.

In der Folgezeit war der Kläger längerfristig arbeitsunfähig erkrankt. Es war vereinbart, der Kläger werde sich melden, wenn er wieder arbeitsfähig sei. Nachdem die Beklagte eine Begutachtung des Klägers durch den ärztlichen Dienst in Auftrag gegeben hatte, teilte der ärztliche Dienst mit, eine Erstellung eines sozialmedizinischen Gutachtens zum Rehabilitationsbedarf sei nicht möglich, weil der Kläger den mehrfach angebotenen Termin zu einer fachärztlichen Zusatzbegutachtung nicht wahrgenommen habe. Daraufhin versagte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 13.04.2006 die Gewährung weiterer Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, da ohne die Mitwirkung des Klägers nicht zu klären sei, ob und in welchem Umfang die beantragten Leistungen gewährt werden könnten. Diesen Bescheid hob die Beklagte aufgrund eines Anerkenntnisses vor dem Bayer. Landesssozialgericht (L 10 AL 150/08) mit Bescheid vom 07.05.2009 auf.

Nachdem der Kläger einen Termin für ein Beratungsgespräch am 19.05.2009 unter Verweis auf seine Arbeitsunfähigkeit nicht wahrgenommen hatte, fragte die Beklagte an, ob er durchgehend ab 13.04.2006 arbeitsunfähig gewesen sei. Im Falle einer neuen Arbeitsunfähigkeit werde um Mitteilung gebeten, seit wann wieder Arbeitsunfähigkeit eingetreten sei und wie lange diese voraussichtlich dauern werde. Nachdem der Kläger hierauf nicht reagierte, beendete die Beklagte mit Bescheid vom 18.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2009 das Verfahren zur Teilhabe am Arbeitsleben (berufliche Rehabilitation). Der Kläger sei seit 13.04.2006 arbeitsunfähig erkrankt, weshalb davon auszugehen sei, dass das Ziel der Teilhabe am Arbeitsleben - die dauerhafte Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu sichern - nicht mehr in einem absehbaren Zeitraum erreicht werden könne. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Teilhabe am Arbeitsleben würden auf Antrag erneut geprüft werden.

Dagegen hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Bei der Arbeitsunfähigkeits-(AU)-Bescheinigung vom 19.05.2009 habe es sich um eine Erstbescheinigung gehandelt. Er habe gegenüber der Beklagten wiederholt sein Interesse an einer "Reha-Berufsmaßnahme" bekundet. Mit Urteil vom 08.06.2010 hat das SG die Klage abgewiesen. Im Hinblick auf die über Jahre andauernde Arbeitsunfähigkeit - auch auf psychiatrischem Fachgebiet - des Klägers könne ohne nähere Abklärung nicht davon ausgegangen werden, dass ein Verfahren zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erfolgreich durchgeführt werden könne. Eine über längere Zeiträume nachgewiesene Unterbrechung der Arbeitsunfähigkeit sei nicht erkennbar. Dem Kläger sei es auch möglich, einen neuen Antrag zu stellen, womit seinen Interessen Rechnung getragen werde. Es obliege ihm vorzutragen, dass keine Arbeitsunfähigkeit mehr bestehe und er erfolgreich und wettbewerbsfähig an Maßnahmen teilnehmen könne.

Dagegen hat der Kläger Berufung beim Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Die Beklagte sei unzutreffend von einer Arbeitsunfähigkeit seit dem 13.04.2006 ausgegangen, da es sich für die Zeit ab 19.05.2009 um eine neue Erkrankung gehandelt habe.


Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 08.06.2010 sowie den Bescheid vom 18.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2009 aufzuheben.


Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 19.05.2009 sei erstmalig im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt worden.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten und den Inhalt der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage insgesamt abgewiesen, denn die Beklagte war nicht berechtigt, das Reha-Verfahren durch Verwaltungsakt zu beenden. Der Bescheid vom 18.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten und war daher, wie es dem zuletzt allein gestellten Antrag des Klägers entsprach, aufzuheben.

Der Beklagten steht keine Rechtsgrundlage für die Beendigung des Reha-Verfahrens durch den Bescheid vom 18.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2009 zur Verfügung. Soweit Rechte und Pflichten im Bereich des Sozialgesetzbuches festgestellt werden sollen, ist dies nach § 31 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) nur zulässig, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Für einen Eingriff in die Rechte des Klägers bedarf es einer Rechtsgrundlage. Mit dem angefochtenen Verwaltungsakt wird in Rechte des Klägers eingegriffen, da die weitere Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben abgelehnt wird.

Auf den Antrag des Klägers bezüglich der Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vom 23.07.2001 hat die Beklagte bereits die Maßnahme zur Eignungsfeststellung, den Lehrgang zur Reha-Vorbereitung und eine Ausbildung zum technischen Zeichner in den Jahren 2003 und 2004 bewilligt, mithin über diesen Antrag entschieden. Damit ist aber der Leistungsantrag verbeschieden und insofern erledigt. Soweit die Beklagte für sich entschieden hat, keine weiteren Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erbringen, bedarf es aus ihrer Sicht lediglich keiner weiteren Leistungsbewilligung. Eine Einstellung des Reha-Verfahrens durch Verwaltungsakt ist nicht notwendig und mangels entsprechender Rechtsgrundlage nicht zulässig. Einen solchen verfahrensbeendenden Verwaltungsakt sehen die Vorschriften der §§ 97 ff Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) idF des Sozialgesetzbuches - Neuntes Buch - (SGB IX) Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.06.2001 (BGBl I 1046) ebenso wenig vor wie das SGB IX. Ein die Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben pauschal bewilligender Bescheid (siehe dazu Karmanski in: Brand, SGB III, 6. Auflage, § 112 Rn 39), der aufzuheben wäre, lag auch nicht vor.

Die Berufung hat damit Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

Referenznummer:

R/R5914


Informationsstand: 02.12.2013