Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -) ist zulässig, aber unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Kostenerstattung nach § 102
SGB X hat.
Gemäß § 102 Abs 1
SGB X besteht ein Anspruch eines vorläufig leistenden Sozialleistungsträgers auf Kostenerstattung gegen den eigentlich zur Leistung verpflichteten Leistungsträger, wenn dieser nicht
bzw. nicht rechtzeitig die ihm obliegenden Leistungen erbringt. Der Erstattungsanspruch nach § 102
SGB X kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn eine vorläufige Leistungsgewährung vorliegt. Dies ist nur dann der Fall, wenn der angegangene Leistungsträger zwar zunächst nach den jeweiligen Vorschriften des materiellen Sozialrechts dem Berechtigten gegenüber zur Leistung verpflichtet ist, dabei aber entweder in Kenntnis von der Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers leistet oder sich nur erkennbar im Ungewissen darüber befindet, welcher anderer Leistungsträger zuständig ist (
BSG SozR 1300 § 102 Nr 1;
BSG SozR 1300 § 104 Nr 7). Die vorläufige Leistung muss aufgrund gesetzlicher Regelungen des Sozialleistungsrechts erfolgen. Eine freiwillige Vorleistung begründet hingegen keinen Erstattungsanspruch nach § 102
SGB X (von Wulffen,
SGB X, 6.Aufl § 102 RdNrn 10 ff mwN).
Die Klägerin war nach dem im Antragszeitpunkt geltenden materiellen Recht gemäß
§§ 97 ff Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) unter Berücksichtigung des
§ 22 Abs 2 SGB III nur dann für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zuständig, sofern nicht ein anderer Rehabilitationsträger iS des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation - RehaAnglG vom 07.08.1974 (BGBl I
S. 1881; außer Kraft seit 01.07.2001) - zuständig war. Sofern ein anderer Rehabilitationsträger zuständig war, hatte sie diesem die erforderlichen berufsfördernden Maßnahmen vorzuschlagen. Sofern die in § 11
SGB VI genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen beim Rehabilitanden vorliegen, ist jedoch nicht die Klägerin zur Erbringung von Leistungen der beruflichen Rehabilitation zuständig, sondern die Beklagte. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 11
SGB VI sind insbesondere dann erfüllt, wenn die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt ist. Dies war bei der Versicherten
S. erkennbar der Fall und war der Klägerin auch bekannt. Für die Prüfung der Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers durch die Klägerin im Rahmen der §§ 97 ff, 22 Abs 2
SGB III kommt es nicht darauf an, dass die konkrete, materiell-rechtliche Verpflichtung zur Leistungsgewährung durch den anderen Reha-Träger im Einzelfall bereits feststeht; erforderlich ist lediglich, dass die sachliche Zuständigkeit für die begehrte Leistung überhaupt gesehen werden kann. Das Bundessozialgericht hat bereits in der Entscheidung vom 15.11.1979 (Az:
11 RA 22/79) zur Vorgängervorschrift des § 97
SGB III, dem § 57 Arbeitsförderungsgesetz -
AFG - klargestellt, dass die Gewährung berufsfördernder Maßnahmen durch die Bundesanstalt für Arbeit ausgeschlossen ist, sofern ein Rentenversicherungsträger für eine Person als Rehabilitationsträger zuständig ist. Ob und in wie weit konkret nach materiellem Recht ein Anspruch auf Gewährung der berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation besteht, ist für die Entscheidung über die Zuständigkeit nicht entscheidend. Die Zuständigkeit des anderen Reha-Trägers ist für die Entscheidung dann umfassend zu sehen (
vgl. auch Niesel, Kommentar zum Arbeitsförderungsgesetz, 2.Aufl § 57 RdNr 8 mwN; Niesel,
SGB III, 1.Aufl 1998, § 22 RdNr 3 ff).
Die Versicherte
S. hatte die notwendigen Vorversicherungszeiten iS des § 11
SGB VI erfüllt, sodass die Zuständigkeit der Beklagten zur Entscheidung über die Gewährung von Leistungen zur beruflichen Rehabilitation bestand. Damit ist aber gleichzeitig eine Leistungszuständigkeit der Klägerin nach § 97 ff
SGB III ausgeschlossen. Die Klägerin hatte dabei Kenntnis von der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 11
SGB VI durch die Versicherte
S. und hat auch in diesem Wissen unter Hinweis auf die ihrer Ansicht nach gegebene sachliche Zuständigkeit der Beklagten mit Schreiben vom 15.11.2000 den Vorgang an diese zur Entscheidung abgegeben. Mit Abgabe dieses Antrags ging die Entscheidungskompetenz voll umfänglich auf die Beklagte über, die dann über das Ob und das Wie der Maßnahme unter Berücksichtigung der Regelungen der §§ 9 ff
SGB VI zu entscheiden hatte. Die Klägerin wäre allenfalls im Rahmen des § 5 Abs 4 Reha-AnglG im Verfahren zu beteiligen gewesen, wenn die Beklagte die Notwendigkeit beruflicher Reha-Maßnahmen dem Grunde nach gesehen hätte. Dies war aber nicht der Fall.
Eine aus § 6 Abs 2 Nr 2 Reha-AnglG folgende Verpflichtung zur vorläufigen Leistung bestand für die Klägerin ebenfalls nicht. § 6 Abs 2 Reha-AnglG sieht zwar eine vorläufige Leistungspflicht der Bundesanstalt für Arbeit zur Erbringung berufsfördernder Maßnahmen zur Rehabilitation vor. Dies gilt aber nur dann, wenn entweder ungeklärt ist, welcher der in § 2 Reha-AnglG genannten Rehabilitationsträger zuständig ist oder wenn die unverzügliche Einleitung der erforderlichen Maßnahmen aus anderen Gründen gefährdet ist. Beides ist vorliegend nicht der Fall gewesen. Die Zuständigkeit des Reha-Trägers war - wie oben ausgeführt - geklärt, nachdem die Klägerin den Antrag zur Entscheidung an den ihrer Ansicht nach zuständigen Rentenversicherungsträger auch weitergeleitet hatte. Andere Rehabilitationsträger kamen offensichtlich nicht in Betracht. Es ist auch kein Grund ersichtlich, weshalb eine unverzügliche Einleitung der erforderlichen Maßnahmen aus anderen Gründen hätte notwendig sein können. Erst nach Antragsweiterleitung an die Beklagte, was nachweislich - trotz Beginn der Rehamaßnahme am 16.11.2000 - erst am 15.11.2000 der Fall war, bewilligte die Klägerin der Versicherten
S. mit Bescheid vom 21.11.2000 die Rehamaßnahme als solche. Die Bewilligung des Übergangsgeldes und der Fahrtkosten erfolgte gar erst mit Bescheid vom 04.12.2000, und damit in zeitlich unmittelbarer Nähe nach Beginn des Integrationslehrganges. Die Rehamaßnahme war allein von der Klägerin für die Versicherte
S. ausgewählt worden, die Anmeldung und Teilnahme der Versicherten erfolgte, ohne dass die Beklagte in irgendeiner Form hieran hätte mitwirken können. Allein der zeitliche Beginn einer beruflichen Reha-Maßnahme vermag aber für sich genommen eine objektive Notwendigkeit zur unverzüglichen Leistungserbringung durch die Klägerin gegenüber der Versicherten
S. im Sinne des § 6 Abs 2 RehaAnglG nicht zu begründen.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass eine Erstattungsverpflichtung der Beklagten im Rahmen des § 102
SGB X im Übrigen auch nur dann bestehen würde, wenn die Beklagte nach materiellem Recht, d.h. gemäß §§ 9 ff
SGB VI zur Erbringung von Leistungen der beruflichen Rehabilitation verpflichtet gewesen wäre (
vgl. BSG vom 08.11.2005 - B 1 KR 26/04 R = SozR 4-2500 § 39a Nr 1). Hierfür wäre nach § 10
SGB VI eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit der Versicherten
S. wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger, seelischer Behinderung erforderlich gewesen. Wie zwischenzeitlich bereits mehrfach entschieden ist, ist hierbei nicht der Maßstab zugrunde zu legen, der für die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit maßgebend gewesen wäre. Die Ausübung einer Beschäftigung, für die eine Ausbildung erforderlich ist und Berufsschutz nach sich zieht, wird gerade nicht vorausgesetzt. Vielmehr bestimmt sich das Erfordernis der Gewährung von Leistungen zur Rehabilitation ausschließlich nach der Minderung des Leistungsvermögens des Versicherten in seiner nicht nur kurzfristig ausgeübten letzten Tätigkeit (
vgl. BSG vom 29.03.2006 -
B 13 RJ 37/05 R -; Fortführung von
BSG vom 22.09.1981 -
1 RJ 12/80 -;
BSG vom 17.10.2006 -
B 5 RJ 15/05 R und B 5 RJ 36/06 R -;
LSG Niedersachsen-Bremen vom 29.10.2000 -
L 1 R 393/06). Der Begriff der im Gesetz nicht definierten Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 10
SGB VI ist demgemäß als Fähigkeit des Versicherten zu verstehen, seinen bisherigen Beruf oder seine bisherige Tätigkeit weiter ausüben zu können (BSGE 52, 123, 125 f. unter Hinweis
u. a. auf BSGE 48, 74, 75).
Die Versicherte
S. konnte die zuletzt von ihr ausgeübte Tätigkeit als Textilaufbereitungshelferin trotz ihrer bestehenden Behinderung vollschichtig ausüben und hätte dies nach den vorliegenden ärztlichen und psychologischen Gutachten auch weiterhin gekonnt. Eine Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit der Versicherten in ihrer bisherigen Tätigkeit durch die bestehende Legasthenie kann somit nicht gesehen werden, darüber hinausgehende psychische Beeinträchtigungen lagen erkennbar nicht vor. Die Versicherte wurde in den ärztlichen Gutachten auch für fähig erachtet, einfache sonstige Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig auszuüben, bei denen sie auf die Lese- und Rechtschreibfähigkeit nicht angewiesen war. Damit fehlte es jedoch an der relevanten Gefährdung der Erwerbsfähigkeit der Versicherten
S. im Sinne des § 10
SGB VI, die Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation hätte auslösen können. Wie das Bundessozialgericht bereits in der Entscheidung vom 29.03.2006 -
B 13 RJ 37/05 -ausgeführt hat, ist das Recht der Rehabilitation vom Eingliederungsgedanken beherrscht. Der Versicherte soll der Leistungsgemeinschaft der Beitragszahler erhalten bleiben oder wieder zugeführt werden und eigenverantwortlich seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Im Rahmen der persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach §§ 10 bis 12
SGB VI ist deshalb allein auf das Vermögen des Versicherten abzustellen, in einer ihm zumutbaren Erwerbstätigkeit (weiterhin) versicherungspflichtig beschäftigt sein zu können. Diese Fähigkeit hat bei der Versicherten
S. trotz der bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen weiterhin bestanden, sodass die Erbringung von Leistungen zur beruflichen Teilhabe nicht notwendig gewesen ist. Die Ablehnung der Leistungen zur beruflichen Rehabilitation durch den Bescheid der Beklagten vom 06.12.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.03.2001 ist deshalb zu Recht erfolgt. Die Beklagte durfte zu diesem Zeitpunkt auch noch durch Verwaltungsakt entscheiden, obwohl die Klägerin bereits mit Bescheid vom 21.11.2000 die Teilnahme am Integrationslehrgang dem Grunde nach bewilligt hatte. Eine Bindungswirkung für die Beklagte ist hierdurch nicht eingetreten, da mit Zuleitung des Reha-Antrags vom 08.11.2000 am 15.11.2000 die Entscheidungszuständigkeit in vollem Umfang auf die Beklagte übergegangen ist. Für eine freiwillige - und unter Berücksichtigung der Situation auf dem Arbeitsmarkt
ggf. auch sinnvolle - Gewährung einer beruflichen Rehabilitation iS der hier durchgeführten Teilnahme an dem Integrationslehrgang für junge Rehabilitanden steht der Klägerin jedoch ein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte aus § 102
SGB X nicht zu.
Da die Voraussetzungen für den Erstattungsanspruch nach § 102 Abs 1
SGB X dem Grunde nach bereits nicht vorliegen, kommt es auch nicht darauf an, ob sich die Beklagte das von der Klägerin ausgeübte Ermessen hinsichtlich der ausgewählten Maßnahme zurechnen lassen muss und auch nicht darauf, ob die Leistungserbringung durch die Klägerin vom Umfang her in voller Höhe zu erstatten wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a
SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung -
VwGO -.
Der Streitwert des Verfahrens beträgt gemäß § 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz - GKG - 21.088,18
EUR. Dies stellt den maßgeblichen wirtschaftlichen Wert des Interesses der Klägerin dar, der der Streitwertberechnung zugrunde zu legen ist.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2
SGG zuzulassen, liegen nicht vor.