Urteil
Zuständigkeit der Kostenübernahme für ein digitales Hörgerät

Gericht:

LSG Niedersachsen-Bremen 10. Senat


Aktenzeichen:

L 10 R 247/05


Urteil vom:

08.03.2007


Tenor:

Unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten im Übrigen wird das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 13. April 2005 geändert und wie folgt neu gefasst: Der Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2003 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Antrag des Klägers auf Erstattung der Kosten digitaler Hörgeräte unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger drei Viertel seiner außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Beklagte hat dem Kläger drei Viertel seiner außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben die Kosten digitaler Hörgeräte zu erstatten.

Der 1957 geborene Kläger ist seit seiner Geburt schwerhörig und wird seit seinem 9. Lebensjahr mit Hörgeräten versorgt. Er ist seit 1973 als Lagerarbeiter bei der Firma I. in J. beschäftigt. Er führt innerhalb der Lagerhalle Transporte mit dem Gabelstapler durch und ist auch im Bereich der Warenausgabe und -annahme eingesetzt. Alle Transportwege sind frequentiert und erfordern Aufmerksamkeit sowie das Wahrnehmen von Warnsignalen und Fahrgeräuschen.

Nachdem der behandelnde HNO-Arzt Dr. K. Anfang November 2002 eine an Taubheit grenzende Schallempfindungs-Schwerhörigkeit beidseits diagnostiziert und dem Kläger mit der Begründung, die Leistung der bisherigen (analogen) Geräte sei unzureichend, neue Hörgeräte verordnet hatte, beantragte der Kläger Ende November 2002 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für digitale Hörgeräte als Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 2. Dezember 2002 mit der Begründung ab, solche Hörgeräte seien nicht förderungsfähig, da sie neben dem Einsatz am Arbeitsplatz auch einer verbesserten Hörfähigkeit im Alltag dienten. Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die - ihm inzwischen gelieferten und mit 2.800,00 EUR (3.715,00 EUR abzüglich 915,00 EUR Krankenkassen-Anteil) in Rechnung gestellten - digitalen Hörgeräte (zwei Hinter-dem-Ohr Geräte) ermöglichten ihm erst die Ausübung seines Berufs. Die Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme der Betriebsärztin Dr. L. vom 20. Februar 2003 ein, in der das Tragen der digitalen Hörgeräte mit verbesserter Hörfähigkeit als eine den Arbeitsplatz sichernde Maßnahme angesehen wurde. Am 21. Februar 2003 ließ die Beklagte den Arbeitsplatz des Klägers besichtigen; wegen des Ergebnisses der Besichtigung wird auf den darüber angefertigten Vermerk vom gleichen Tag verwiesen. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2003 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte sie unter Hinweis auf ein Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. November 1997, Az.: L 8 AR 428/96, wiederum aus, dass Hilfsmittel, die auch unabhängig vom Beruf den Gesundheitsbedürfnissen des menschlichen Lebens dienten oder für jede Form der Berufsausübung erforderlich seien, nicht förderungsfähig seien.

Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht Hildesheim Klage erhoben, mit der er die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der ihm durch die Versorgung mit den digitalen Hörgeräten entstandenen Kosten begehrt hat. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, mit den neuen Hörgeräten könne er den Anforderungen, die sein Arbeitsplatz an das Hörvermögen stelle, wesentlich besser gerecht werden. Aus arbeitsmedizinischer Sicht sei die Versorgung mit den digitalen Hörgeräten als Arbeitsplatz sichernde Maßnahme anzusehen. Im privaten Bereich sei er mit den alten Analoggeräten noch zurechtgekommen. Die berufliche Situation sei ausschlaggebend für die Anschaffung der digitalen Geräte gewesen. Inzwischen habe seine Schwerhörigkeit auch weiter zugenommen, sodass sie jetzt zu einem Grad der Behinderung nach dem SGB IX von 80 geführt habe. Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des behandelnden HNO-Arztes Dr. K. vom 2. Oktober 2003 eingeholt.

Mit Urteil vom 13. April 2005 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2003 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Kosten für der digitalen Hörgeräte abzüglich des von der Krankenkasse übernommenen Anteils zu erstatten. Der Kläger habe gemäß § 33 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 SGB IX Anspruch auf Erstattung dieser Kosten, weil die digitalen Hörgeräte wegen seiner an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit zur Ausübung seines Berufs als Lagerarbeiter erforderlich seien. Für die Ausübung seiner Tätigkeit sei ein uneingeschränktes Hörvermögen Voraussetzung, um eine Eigengefährdung bzw. eine Gefährdung der Mitarbeiter auszuschließen. Ohne ein optimales Hörvermögen sei - wie sich aus dem Befundbericht des behandelnden HNO-Arztes Dr. K. ergebe - eine akustische Gefahrenabwehr und eine Verständigung mit dem Kläger nicht möglich. Darüber hinaus habe die Betriebsärztin Dr. L. in ihrer Stellungnahme festgestellt, dass der Kläger auf sämtlichen Transportwegen unbedingt darauf angewiesen sei, Warnsignale und Fahrgeräusche wahrzunehmen und außerdem eine Kommunikation mit den Kollegen unabdingbar sei. Die digitalen Hörgeräte hätten für den Kläger gegenüber analogen Geräten deutliche Gebrauchsvorteile. Diese seien vor allem in einer verbesserten Hörfähigkeit durch den im Betrieb auftretenden unterschiedlichen Geräuschpegel zu sehen, sodass das Tragen der digitalen Hörgeräte als eine den Arbeitsplatz sichernde Maßnahme anzusehen sei. Dass die Gebrauchsvorteile digitaler Hörgeräte dem Kläger auch im außerberuflichen Bereich zugute kämen, rechtfertige keine andere Beurteilung, zumal ausschließlich die berufliche Situation ausschlaggebend für die Neuanschaffung gewesen sei.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 2. Mai 2005 zugestellte Urteil am 10. Mai 2005 Berufung eingelegte, mit der sie die Aufhebung des Urteils und die Abweisung der Klage begehrt. Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen vor, das Sozialgericht habe keine ausreichenden Feststellungen zur Notwendigkeit der Versorgung des Klägers mit digitalen Hörgeräten getroffen. Es sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger seinen Arbeitsplatz ohne die Versorgung mit digitalen Hörgeräten verloren hätte. Das im Berufungsverfahren eingeholte HNO-ärztliche Gutachten des Prof. Dr. M. stütze ihre Auffassung, dass die Versorgung des Klägers mit digitalen Hörgeräten nicht ausschließlich der Ausübung seines Berufes diene, sondern unabhängig davon auch seinem allgemeinen Gesundheitsbedürfnis, sodass sie in den Aufgabenbereich der Krankenversicherung falle.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 13. April 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 13. April 2005 zurückzuweisen.

Er bekräftigt seine Auffassung von der beruflichen Notwendigkeit der digitalen Hörgeräte, sieht sich durch das HNO-ärztliche Gutachten des Prof. Dr. M. bestätigt und legt ergänzend den Anpassungsbericht der Hörgeräteakustikers vom 4. Februar 2003 und eine Dokumentation zur Hörgeräteanpassung mit Sprachverstehensmessungen im Vergleich mit anderen Geräten vom 14. September 2006 vor.

Der Senat hat den Kläger durch den HNO-Arzt Prof. Dr. M. begutachten lassen. Dieser Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 15. August 2006 zu dem Ergebnis gelangt, wegen der Art und Schwere der Hörbehinderung des Klägers sei zur Ausübung seines Berufes und zur Erhöhung der Sicherheit auf Wegen vom und zum Arbeitsplatz und am Arbeitsplatz die Versorgung mit digitalen Hörgeräten erforderlich. Analoge Hörgeräte genügten diesen Erfordernissen nicht mehr. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Der Inhalt dieser Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Rechtsweg:

SG Hildesheim Urteil vom 13.04.2005 - S 5 RI 117/03
BSG Urteil vom 21.08.2008 - B 13 R 33/07 R

Quelle:

JURIS-GmbH

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist (nur) insoweit begründet, als das Sozialgericht die Beklagte nicht lediglich zur Neubescheidung des Antrags des Klägers auf Gewährung einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben verpflichtet hat. Insoweit war das angegriffene Urteil abzuändern und die weitergehende Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht durfte die Beklagte nicht zur Leistung verurteilen, weil die angefochtenen Bescheide der Beklagten nicht eine Leistung betreffen, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Der Kläger hat zwar gemäß § 15 Abs. 1 Sätze 3 und 4 Alternative 2 SGB IX dem Grunde nach gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der ihm durch die Selbstbeschaffung der digitalen Hörgeräte entstandenen Kosten. Über das "Wie" der Erstattung und dabei insbesondere die Höhe des Erstattungsbetrages hat die Beklagte jedoch unter Beachtung der Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, § 15 Abs. 1 Satz 3 SGB IX. Das ihr durch § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI eingeräumte Auswahlermessen wird durch die Selbstbeschaffung der Leistung nicht gänzlich beseitigt. Eine Reduzierung des Ermessens "auf Null" ist nicht ersichtlich. Dementsprechend war neben der Aufhebung der angefochtenen Bescheide gemäß § 131 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 SGG lediglich die Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung auszusprechen (vgl. BSG, Urteile vom 11. September 1980, Az.: 1 RA 47/79, SozR 2200 § 1237 a Nr. 16, vom 16. November 1993, Az.: 4 RA 22/ 93 , SozR 5765 § 10 Nr. 1 und vom 31. Mai 1989, Az.: 4 RA 50/88, SozR 2200 § 1236 Nr. 50 m. w. N. ) und die weitergehende Klage abzuweisen.

Im Übrigen ist die Berufung nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Die Beklagte ist gemäß § 15 Abs. 1 Sätze 3 und 4 Alternative 2 SGB IX dem Grunde nach verpflichtet, dem Kläger die Kosten der von ihm selbst beschafften, mehrkanaligen und Störschall unterdrückenden digitalen Hörgeräten zu erstatten. Sie hat den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben in Gestalt der Versorgung mit digitalen Hörgeräten zu Unrecht abgelehnt. Entgegen ihrer Auffassung sind die Voraussetzungen der §§ 9, 16 SGB VI i.V.m. § 33 Abs. 3 Nr. 6, Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 SGB IX für eine solche Leistung erfüllt.

Gemäß § 9 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 SGB VI können Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Die in § 11 SGB VI genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind erfüllt und ein zum Ausschluss von Leistungen zur Teilhabe führender Tatbestand des § 12 Abs. 1 SGB VI liegt nicht vor.

Der Kläger erfüllt die persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe gemäß § 10 Abs. 1 SGB VI. Seine Erwerbsfähigkeit ist wegen körperlicher Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert, und durch eine Versorgung mit geeigneten Hörgeräten kann voraussichtlich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit abgewendet bzw. eine geminderte Erwerbsfähigkeit wesentlich gebessert werden. Der Kläger leidet - wie sich aus dem Befundbericht des behandelnden HNO-Arztes Dr. K. vom 2. Oktober 2003 und dem HNO-ärztlichen Gutachten des Prof. Dr. M. vom 15. August 2006 ergibt - an einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit mit einem zuletzt gemessenen sprachaudiometrischen Hörverlust von beidseits 90 %. Dadurch ist seine Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet bzw. gemindert. Abzustellen ist dabei nach der vom Bundessozialgericht bestätigten (vgl. Urteil vom 17. Oktober 2006 - Az.: B 5 RI 15/05 R) ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. zuletzt Urteile vom 17. November 2005 zu den Az.: L 10 RI 183/04 und L 10 RI 345/04 - jeweils mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum) auf die tatsächlichen Verhältnisse am bisherigen Arbeitsplatz des Klägers. Die Tätigkeit des Klägers als Lagerarbeiter und ihre Anforderungen an das Hörvermögen lassen sich ausgehend von dem Bericht der Betriebsärztin Dr. L. vom 20. Februar 2003 und dem Vermerk über die Arbeitsplatzbesichtigung vom 21. Februar 2003 sowie den im Gutachten des Prof. Dr. M. wiedergegebenen Angaben des Klägers im Wesentlichen wie folgt beschreiben: Der Kläger ist im Logistikzentrum eingesetzt. Dort werden Waren entgegengenommen, eingelagert, transportiert und versandt. Zu seiner Tätigkeit gehören das Fahren eines Elektrogabelstaplers sowie die Warenausgabe und -annahme. Alle Transportwege sind frequentiert und erfordern das aufmerksame Wahrnehmen von Warnsignalen und Fahrgeräuschen. Durch Gabelstapler sowie die sich elektrisch automatisch öffnenden und schließenden Tore entstehen Geräusche innerhalb der Halle. Im Bereich der Warenannahme (Rampe) verursachen Lkw und gasbetriebene Gabelstapler laute Geräusche. Insbesondere bei der Warenausgabe und -annahme ist es erforderlich, dass der Kläger die Anweisungen seiner Kollegen exakt versteht. Der Sachverständige Prof. Dr. M. hat in seinem Gutachten überzeugend dargelegt, dass sich mit digitalen Mehrkanalgeräten mit Störschallunterdrückung gegenüber den zuvor verwendeten analogen Hörgeräten in der geräuschvollen Arbeitsumgebung des Klägers ein erheblich besserer Hörverlustausgleich erzielen lässt, sodass durch die Versorgung des Klägers mit solchen Hörgeräten zumindest eine wesentliche Besserung der durch die Hörbehinderung verursachten Einschränkung seiner beruflichen Leistungsfähigkeit bewirkt wird.

Steht damit fest, dass alle Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vorliegen, so ist die Beklagte als für den Kläger zuständiger Träger der Rentenversicherung dem Grunde nach verpflichtet, die entsprechenden Leistungen nach § 16 SGB VI i.V.m. §§ 33 bis 38 SGB IX zu erbringen. Gemäß § 33 Abs. 1 SGB IX werden zur Teilnahme am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit Behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Die Leistungen umfassen gemäß § 33 Abs. 3 Nr. 6 i.V.m. Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 SGB IX insbesondere auch die Übernahme der Kosten für Hilfsmittel, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufsausübung oder zur Erhöhung der Sicherheit auf dem Weg vom und zum Arbeitsplatz und am Arbeitsplatz erforderlich sind. Nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. M. steht zur Überzeugung des Senats fest, dass wegen der Art und Schwere der Hörbehinderung des Klägers in Bezug auf die Bedingungen und Anforderungen seines Arbeitsplatzes eine Versorgung mit digitalen Hörgeräten mit Mehrkanaltechnik und Störschallunterdrückung erforderlich ist. Abzustellen ist auch hier auf die letzte, d.h. die gegenwärtig ausgeübte Tätigkeit des Klägers als Lagerarbeiter. Prof. Dr. M. hat die Versorgung des Klägers mit digitalen Hörgeräten wegen der Art und Schwere der Hörbehinderung ausdrücklich zur Berufsausübung sowie zur Sicherheit auf dem Arbeitsweg und am Arbeitsplatz für erforderlich befunden. Analoge Hörgeräte genügten diesen Erfordernissen nicht mehr. Der Sachverständige hat diese Beurteilung nach gründlicher Untersuchung des Klägers und in Kenntnis der Bedingungen und Anforderungen des Arbeitsplatzes des Klägers überzeugend damit begründet, durch ein digitales Mehrkanalgerät werde ein optimaler Hörverlustausgleich ermöglicht. Es werde eine hohe Sprachauflösung auch im Störschall erzielt. Die Geräte verfügten über eine Mehrmikrophontechnik für ein verbessertes Sprachverstehen in geräuschvoller Umgebung und gleichzeitig über eine Störschallunterdrückung. Der Kläger sei auf seinem Arbeitsplatz zur eigenen Sicherheit und zur Sicherheit der Mitarbeiter auf eine derartige Versorgung angewiesen. Zudem müsse er auch präzise bei der Warenannahme und -auslieferung den gegebenen Anweisungen rasch folgen können.

Die Ausnahmeregelung in § 33 Abs. 8 Satz 1 Nr. 4 letzter Halbsatz SGB IX steht nicht entgegen. Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Kläger ein entsprechendes Hörgerät zur Verfügung zu stellen, ist nicht ersichtlich. Ob eine Hörgeräteversorgung als medizinische Leistung erbracht werden kann, kann dahinstehen. Denn auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI gegen die Beklagte sind hier erfüllt.

Die Entscheidung darüber, für welche der den vorgenannten Anforderungen genügenden Hörgeräte von welchem Hersteller die Beklagte die (nach Abzug des Krankenkassen-Anteils verbleibenden) Kosten erstattet, hat die Beklagte gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB VI sowie § 15 Abs. 1 Sätze 3 und 4 Alternative 2 SGB IX unter Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen.

Mit dem - wie vorstehend ausgeführt - Vorliegen der tatbestandsmäßigen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Hörgeräteversorgung als Leistung zur Teilhabe steht zur Überzeugung des erkennenden Senats die Zuständigkeit der Beklagten als leistungspflichtiger Rentenversicherungsträger im Sinne von § 9 SGB VI ohne weiteres fest. Inwieweit daneben die gesetzliche Krankenversicherung im Rahmen der Krankenbehandlung im Sinne von § 27 SGB V (auch) leistungsverpflichtet ist, berührt den hier streitgegenständlichen Anspruch nicht, so dass sich der Senat auch nicht veranlasst gesehen hat, die Krankenkasse des Klägers gemäß § 75 SGG beizuladen. Eine nur subsidiäre Leistungsverpflichtung des Rentenversicherungsträgers im Verhältnis zu den Krankenkassen, wie dies das Bundessozialgericht bei der Versorgung mit Zahnersatz zum Recht des AVG bzw. der RVO und des RehaAnglG in mehreren Entscheidungen angenommen hat (Urteil vom 24. Juni 1980, Az.: 1 RA 51/79, SozR 2200 § 1237 Nr. 15; Urteil vom 15. November 1983, Az.: 1 RA 13/ 83, SozR 2200 § 1236 Nr. 42, Urteil vom 28.02.1991, Az.: 4/1 RA 93/88), vermag der erkennende Senat dem hier anwendbaren Recht des SGB VI, IX und V nicht zu entnehmen. Durch das Erfüllen der gegenüber den krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften engeren Tatbestandsmerkmale der §§ 9 ff SGB VI ist die originäre Zuständigkeit des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung begründet. Das gilt jedenfalls für die Versorgung mit dem Hilfsmittel eines Hörgeräts. Der Gesetzgeber hat parallel zum Inkrafttreten des SGB IX am 1. Juli 2001 § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB VI dahin neu gefasst, dass eine zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz als Leistung zur medizinischen Rehabilitation nur erbracht wird, wenn sie unmittelbar und gezielt zur wesentlichen Besserung oder Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, insbesondere zur Ausübung des bisherigen Berufs, erforderlich und soweit sie nicht als Leistung der Krankenversicherung zu erbringen ist. Insoweit hat sich der Gesetzgeber der vorgenannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts angeschlossen, dies aber zugleich allein auf den Bereich der zahnärztlichen Behandlung einschließlich des Zahnersatzes beschränkt. Eine weitergehende Regelung einer nur subsidiären Zuständigkeit der Rentenversicherungsträger - namentlich bezüglich einer Versorgung mit Hörgeräten - ist im Gesetz nicht getroffen worden. Im Wege des Umkehrschlusses geht der erkennende Senat davon aus, dass es über den von § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB VI erfassten Teilbereich hinaus bei der sich aus dem eindeutigen Wortlaut der §§ 9 ff SGB VI i.V.m. § 33 SGB IX ergebenden Leistungsverpflichtung der Rentenversicherungsträger und damit hier der Verpflichtung der Beklagten zur Versorgung des Klägers mit geeigneten Hörgeräten ungeachtet des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung verbleibt (so schon Urteil des erkennenden Senats vom 15. Dezember 2005, Az.: L 10 R 480/05).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG, wobei der Senat den Anteil des Obsiegens der Beklagten in Gestalt der Abänderung der Verurteilung zur Leistung in eine solche zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts mit einem Viertel und dementsprechend ihr Unterliegen mit drei Vierteln bemessen hat.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, weil höchstrichterliche Rechtsprechung zur Abgrenzung der Zuständigkeiten von Renten- und Krankenversicherung bei der Versorgung mit Hilfsmitteln für die Zeit seit Inkrafttreten des SGB VI nicht vorliegt.

Referenznummer:

JURE070103535


Informationsstand: 27.06.2007