Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. April 2007 und das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26. Juli 2004 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin unter Änderung ihres Bescheids vom 26. Februar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Juni 2003 Altersrente für schwerbehinderte Menschen bereits ab 1. April 2002 mit dem Zugangsfaktor 1,0 an Stelle der bis Januar 2003 gewährten Altersrente für Frauen zu leisten. Die Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten aller Rechtszüge zu erstatten.
I
Die Beteiligten streiten über einen früheren Beginn sowie die Höhe der der Klägerin gewährten Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
Die am 30.3.1942 geborene Klägerin beantragte am 4.1.2002 bei der Ortsbehörde für Arbeiter- und Angestelltenversicherung, Verwaltungsstelle H., T., die Gewährung von Altersrente. Im Antragsvordruck (R 100) kreuzte sie die Rentenart "Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres" an. Die ua aufgeführten Alternativen "Altersrente für Frauen wegen Vollendung des 60. Lebensjahres" und "Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für Versicherte, die als Schwerbehinderte nach § 1 des Schwerbehindertengesetzes anerkannt sind" kreuzte sie nicht an; bei letzterer ist im Vordruck vermerkt: "Schwerbehindertenausweis oder Anerkennungsbescheid ... bitte beifügen". Im "Fragebogen zur Prüfung der Vertrauensschutzregelungen bei vorzeitigen Altersrenten sowie zum Rentenbeginn" (R 240) gab die Klägerin ua an, die Rente solle vom frühestmöglichen Zeitpunkt an geleistet werden; am 16.11.2000 sei sie nicht schwerbehindert gewesen. Sie bestätigte unterschriftlich ua, ihr sei bekannt, unter welchen Voraussetzungen eine "Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige und Erwerbsunfähige" in Anspruch genommen werden könne und dass diese Altersrente von der Anhebung der Altersgrenzen derzeit nicht betroffen sei.
Die Beklagte stellte fest, dass die Klägerin auch die Voraussetzungen für die Gewährung der - für sie günstigeren - Altersrente für Frauen nach § 39
iVm § 237a des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB VI) erfülle. Mit Bescheid vom 7.3.2002 gewährte die Beklagte der Klägerin daher Altersrente für Frauen beginnend am 1.4.2002 (Zahlbetrag monatlich
EUR 450,41). Auf Grund der vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente minderte sich der Zugangsfaktor um 0,081 (27 Kalendermonate x 0,003) auf 0, 919.
Zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung hatte die Versorgungsverwaltung bei der Klägerin einen Grad der Behinderung (
GdB) von 40 festgestellt; über ihren Neufeststellungsantrag von Dezember 2001 war noch nicht entschieden. Mit Bescheid des Versorgungsamts R. vom 6.12.2002 wurde ein
GdB von 50 ab 27. Dezember 2001 - und damit die Schwerbehinderteneigenschaft iS des
§ 2 Abs 2 des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX) - und auf Antrag der Klägerin vom 19.12. 2002 mit Bescheid vom 13. 2. 2003 nach § 44 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB X) dieser
GdB bereits ab 1.4.1998 festgestellt. Unter Vorlage dieses Bescheids begehrte die Klägerin am 17.2.2003 die Überprüfung des Altersrentenbescheids mit dem Ziel, abschlagsfreie Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab April 2002 zu erhalten. Mit Bescheid vom 26.2. 2003 gewährte die Beklagte der Klägerin auf diesen Antrag Altersrente für schwerbehinderte Menschen "an Stelle Ihrer bisherigen Rente" mit Wirkung ab 1.2.2003. An Stelle des Zugangsfaktors von 0,919 berücksichtigte die Beklagte den höheren Zugangsfaktor von 0,970 (Erhöhung für 17 Kalendermonate x 0,003). Der Zahlbetrag der Altersrente für schwerbehinderte Menschen betrug im April 2003 monatlich
EUR 484,01.
Mit ihrem Widerspruch vom 24.3.2003 begehrte die Klägerin, die Altersrente unter Berücksichtigung der Vertrauensschutzregelung des § 236a
SGB VI mit dem Zugangsfaktor 1,0 neu zu berechnen und diese Neuberechnung der Rente von Anbeginn an (1.4.2002) vorzunehmen. Sie bezog sich darauf, dass das Versorgungsamt R. festgestellt habe, die Schwerbehinderung habe bereits am 1.4.1998 vorgelegen. Die Rechtsfehlerhaftigkeit der früheren Feststellungen des Versorgungsamts dürfe nicht zu ihren Lasten gehen und daher nicht dazu führen, dass sie nicht unter die Vertrauensschutzregelung falle. Die Altersrente für Frauen sei zum 1.4.2002 rechtswidrig bewilligt worden, weil zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen für den Bezug einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen bereits vorgelegen hätten. Die Dauer des Verwaltungsverfahrens bis zur Feststellung der Rechtswidrigkeit früherer Bescheide dürfe ebenfalls nicht zu ihren Lasten gehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.6.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, weil aus dem Bescheid des Versorgungsamts R. zwar hervorgehe, dass der
GdB von 50 bereits am "25".12.2001 vorgelegen habe und damit vor Vollendung des 60. Lebensjahrs der Klägerin. Sie habe den Antrag auf eine solche Rente jedoch erst am 17.2.2003 gestellt, sodass sich der Beginn der Rente am 1.2.2003 ergebe. Der Zugangsfaktor sei für diese Rente unter Beachtung des § 77
SGB VI zutreffend berechnet worden.
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts (SG) vom 26.7.2004 und des Landessozialgerichts (
LSG) vom 18.4.2007). Das
LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Auch wenn die Klägerin bereits zum 1.4.2002 sowohl die Voraussetzungen einer Altersrente für Frauen als auch einer solchen für schwerbehinderte Menschen erfüllt habe, habe sie für die Zeit ab 1.4.2002 lediglich Anspruch auf Gewährung der Altersrente für Frauen. Der Anspruch auf eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen, der ohnehin gemäß § 89 Abs 1
SGB VI nicht neben der Altersrente für Frauen beansprucht werden könne, scheitere daran, dass die Klägerin vor dem 17.2.2003 keinen Antrag auf Gewährung einer solchen Rente gestellt habe. Ihr Rentenantrag vom 4.1.2002 sei durch entsprechendes Ankreuzen ausdrücklich auf die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahrs beschränkt gewesen; es habe auch keine Veranlassung bestanden, Altersrente für schwerbehinderte Menschen zu beantragen, weil bei ihr zu diesem Zeitpunkt die Schwerbehinderteneigenschaft nicht festgestellt gewesen sei. Die Einleitung eines Neufeststellungsverfahrens beim zuständigen Versorgungsamt - mit offenem Ausgang - bereits vor dem 4.1.2002 könne der Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaften nicht gleichgestellt werden. Auch unter dem Gesichtspunkt eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs könne die Klägerin aus diesem Umstand Rechte für sich nicht herleiten. Die Beklagte habe keinerlei Veranlassung gehabt, sie bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung im Januar 2002 auf die Möglichkeit der Stellung eines Antrags auch auf Gewährung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen hinzuweisen. Ihr Vorbringen am 17.2.2003 sei von der Beklagten nicht als Zugunstenantrag iS des § 44
SGB X angesehen und verbeschieden worden, sondern als Antrag auf Umwandlung der Altersrente für Frauen in eine solche für schwerbehinderte Menschen. Eine solche Umwandlung sei möglich, weil das
SGB VI verschiedenartige Rechte auf Rente wegen Alters eingeführt habe und der Antrag auf Altersrente mithin nicht auf eine bestimmte Rentenart beschränkt sei. Dies habe der Gesetzgeber des Gesetzes zur Sicherung der nachhaltigen Finanzierungsgrundlagen in der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz - RVNG) klargestellt, nachdem der 4. Senat des Bundessozialgerichts (
BSG) in seinen Urteilen vom 2.8.2000 (B 4 RA 40/99 R - SozR 3- 2600 § 100 Nr 1), vom 30.8.2001 (B 4 RA 116/00 R - BSGE 88, 293 = SozR 3-2600 § 42 Nr 1) und vom 9.4.2002 (B 4 RA 58/01 R - SozR 3-2600 § 89 Nr 2) das Bestehen unterschiedlicher Altersrentenansprüche verneint gehabt habe. Zwar bestehe im Rahmen von § 89
SGB VI ein freies Wahlrecht des Versicherten, die Ausübung dieses Wahlrechts setze aber voraus, dass für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener Versicherung bestünden, was vorliegend mangels Antragstellung hinsichtlich der Altersrente für schwerbehinderte Menschen nicht der Fall sei.
Mit der vom
LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung der §§ 89 Abs 1, 236a Satz 5 Nr 2
SGB VI. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Auch wenn sie am 4.1.2002 Altersrente wegen Schwerbehinderung nicht ausdrücklich beantragt habe, weil ihre Schwerbehinderteneigenschaft für diesen Zeitpunkt noch nicht anerkannt gewesen sei, müsse ihr diese - abschlagsfreie - Altersrente ab April 2002 (Folgemonat nach Vollendung des 60. Lebensjahrs) gewährt werden. Denn es gebe nur ein Recht auf Altersrente, das nach der Rechtsprechung des 4. Senats des
BSG (Urteil vom 9.4.2002 - SozR 3-2600 § 89 Nr 2) zum Zeitpunkt einer maßgeblichen Rechtsänderung iS des § 48
SGB X - hier: rückwirkende Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft - iS von § 89 Abs 1 Satz 1
SGB VI neu bewertet werden müsse. Die Schwerbehinderteneigenschaft müsse nur objektiv vorgelegen haben, nicht aber bereits festgestellt worden sein. Dies ergebe sich aus § 236a Satz 5 Nr 1
SGB VI, der allein auf die Schwerbehinderteneigenschaft (bzw das tatsächliche Vorliegen von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit) abstelle. Sie, die Klägerin, habe ihren Antrag auch nicht ausdrücklich auf eine bestimmte Altersrente beschränkt oder gar einen Verzicht ausgesprochen. Das RVNG vom 21.7.2004 könne nur Tatbestände für die Zukunft regeln, sodass ihr Rentenantrag aus dem Jahre 2002 von diesem Gesetz nicht betroffen werde. Wolle man auf den 17.2.2003 als maßgebliches Antragsdatum hinsichtlich ungekürzter Altersrente für schwerbehinderte Menschen abstellen, sei zumindest ab 1. 3.2003 diese ungekürzte Altersrente zu leisten.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Urteile des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.7.2004 und des Landessozialgerichts Baden- Württemberg vom 18.4.2007 zu verurteilen, ihr unter Änderung des Bescheids vom 26.2.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.6.2003 ab 1.4.2002 Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit einem Zugangsfaktor von 1,0 an Stelle der gewährten Altersrente für Frauen zu gewähren,
hilfsweise,
die Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 1.2.2003 mit einem Zugangsfaktor von 1,0 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) einverstanden erklärt.
II
Auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs 2
SGG hat der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden.
Die Revision der Klägerin ist begründet.
LSG und SG haben zu Unrecht den Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,0 an Stelle der ihr geleisteten Altersrente für Frauen bereits ab 1.4.2002 verneint und die gleichlautenden Bescheide der Beklagten vom 26.2. und 27.6.2003 bestätigt. Die Bescheide vom 7.3.2002, 26.2.2003 und 27.6.2003 erweisen sich als fehlerhaft; der Klägerin hätte höhere Altersrente erbracht werden müssen.
Gemäß § 44 Abs 1
SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
Die Beklagte hat der Klägerin auf ihren Antrag vom 4.1.2002 mit Bescheid vom 7.3.2002 Altersrente für Frauen ab 1.4.2002 ( Zugangsfaktor 0,919) und auf ihren Überprüfungsantrag vom 17.2.2003 mit Bescheid vom 26.2.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.6.2003 an Stelle der Altersrente für Frauen (erst) ab Februar 2003 Altersrente für schwerbehinderte Menschen mit einem Zugangsfaktor von 0,970 gewährt. Die Klägerin hat jedoch Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 1.4.2002 unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0. Denn die Voraussetzungen für diese Rente lagen bei Vollendung des 60. Lebensjahrs der Klägerin am 30.3.2002 vor, sodass der Leistungsanspruch ab 1.4.2002 besteht (unten zu 1.); ihr am 4.1.2002 gestellter Rentenantrag bezog sich auch auf diese Leistungsart (unten zu 2.). Die Tatsache, dass die Schwerbehinderung der Klägerin erst nachträglich für Zeiten (auch) vor dem 17.11.2000 festgestellt worden ist, hindert die abschlagsfreie Rentenleistung ab 1.4.2002 nicht (unten zu 3.) Auf die Fragen, ob es eine oder verschiedene Altersrenten gibt
bzw. nach § 89 Abs 1
SGB VI idF des RVNG bereits ab 1.1.1992 gab, und ob ein Wechsel zwischen diesen Rentenarten möglich war, kommt es nicht an (unten zu 4.).
1. Der Anspruch der Klägerin auf die begehrte Leistung ergibt sich aus § 236a
SGB VI. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte, die vor dem 1.1.1951 geboren sind, Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet haben, bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs 2
SGB IX) anerkannt sind und die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben. Die Klägerin ist vor dem 1.1.1951 (am 30.3.1942) geboren; sie hatte am 30.3.2002 das 60. Lebensjahr vollendet und die genannte Wartezeit erfüllt. Sie war auch bei Beginn der Altersrente (1.4.2002) als schwerbehinderter Mensch anerkannt.
Die Klägerin ist seit dem 1.4.1998 schwerbehindert. Denn das Versorgungsamt R. hat durch Bescheid vom 13.2.2003 das Vorliegen eines
GdB von 50 ab diesem Zeitpunkt festgestellt. Dieser
GdB bedingt gemäß § 2 Abs 2
SGB IX die Schwerbehinderteneigenschaft. Unerheblich ist, dass die bescheidmäßige Anerkennung als schwerbehinderter Mensch nicht bereits im Zeitpunkt des Rentenbeginns vorlag, sondern erst im genannten Bescheid des Versorgungsamts enthalten ist. Für die Anerkennung in diesem Sinn kommt es nicht auf das Datum des Bescheids an (vgl VerbandsKomm
SGB VI (Stand März 2004), RdNr 5 zu § 236a; Jörg in Kreikebohm,
SGB VI 2. Aufl 2003, RdNr 3 zu § 236a); es reicht die Rückwirkung einer späteren Anerkennung. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn - wie hier - die rückwirkende Anerkennung erst im Wege eines Überprüfungsantrags nach § 44
SGB X durchgesetzt worden ist. Denn sonst würde man - entgegen dem Grundgedanken des § 44
SGB X - diejenigen benachteiligen, die ihre Ansprüche infolge einer falschen Verwaltungsentscheidung nicht bereits "im ersten Anlauf" durchsetzen konnten (zum Restitutionsgedanken des § 44
SGB X vgl BSGE 85, 151, 159 = SozR 3-2600 § 300 Nr 15 S 79).
Die Altersrente war ihr auch abschlagsfrei zu gewähren. Die in § 236a Satz 2 und 4
SGB VI iVm Anl 22 geregelte Anhebung der Altersgrenze von 60 Jahren findet nicht statt bei Versicherten, die bis zum 16.11.1950 geboren sind und am 16.11.2000 schwerbehindert waren (§ 236a Satz 5 Nr 1
SGB VI).
Die Klägerin war vor dem 16.11.1950 geboren und - wie sich auf Grund der Überprüfung durch das Versorgungsamt R. (Bescheid vom 13.2.2003) herausgestellt hat - bereits ab 1.4.1998 schwerbehindert.
2. Auch bezieht sich der Antrag der Klägerin vom 4.1.2002 auf die Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Zwar hat sie im Antragsvordruck R 100 nicht diese Rentenart angekreuzt, sondern Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahrs. Dies hat die Beklagte nicht gehindert, der Klägerin nach dem Günstigkeitsprinzip Altersrente für Frauen wegen Vollendung des 60. Lebensjahrs zu gewähren. Objektiv noch günstiger - weil abschlagsfrei zu gewähren - ist jedoch die Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
Wie das
BSG bereits im Jahre 1966 entschieden hat (Urteil vom 23.9.1966 - 12 RJ 256/62 - MittRuhrKn 1968, 128 = Praxis 1967, 77 unter Bezugnahme auf das Urteil des
BSG vom 17.9.1964 - 12 RJ 470/61 - SozR Nr 26 zu Art 2 § 42 ArVNG), gilt der Grundsatz, dass in dem Antrag auf Gewährung von Altersruhegeld im Zweifel der Antrag auf Gewährung einer dem Versicherten zustehenden höheren Rente liegt. Denn der Versicherungsträger darf hinsichtlich eines Leistungsbegehrens des Versicherten nicht am Wortlaut seiner Erklärung haften, sondern muss nach § 2 Abs 2 Halbs 2 des Ersten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB I) stets davon ausgehen, dass der Versicherte die ihm günstigste Art der Leistungsgewährung in Anspruch nehmen will (
BSG Urteil vom 10.10.1979 - 3 RK 26/79 - ErsK 1980, 46 = USK 79172; vgl auch
BSG Urteil vom 11.11.1987 - 9a RV 22/85; Bayerisches
LSG Breith 1997, 533, 537, Niesel in: KasselerKomm, RdNr 5 bis 8 zu § 89
SGB VI; jeweils mwN). Ein einmal gestellter Antrag ist also umfassend, dh auf alle nach Lage des Falles in Betracht kommenden Leistungen zu prüfen (Störmann, Rentenantragsverfahren, 1993, 23; vgl auch BSGE 44, 164, 166 f = SozR 4100 § 134 Nr 3 S 2 f,
BSG SozR 3-5850 § 14 Nr 2 S 4; Senatsurteil vom 17.2.2005 - B 13 RJ 1/04 R - veröffentlicht bei Juris). Davon, dass der Versicherte die ihm nach Lage des Sachverhalts günstigste Leistung zuerkannt haben möchte, gehen grundsätzlich auch die Rentenversicherungsträger aus (vgl Verbandskomm (Stand Juni 1997), RdNr 9 zu § 16
SGB I mwN; Störmann, aaO).
Vom einzelnen Versicherten kann nicht erwartet werden, dass er über alle Rentenarten und deren Anspruchsvoraussetzungen informiert ist; daher kann ohne ausdrücklich erklärte Einschränkung nicht angenommen werden, dass er bei der Rentenantragstellung bestimmte Rentenarten ausschließen will. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Antragstellung anhand eines vom Rentenversicherungsträger zur Verfügung gestellten Vordrucks erfolgt und dem Versicherten möglicherweise nicht bewusst ist, dass er auch mehrere Rentenarten ankreuzen kann. Derartige typische Erklärungen können auch vom Revisionsgericht ausgelegt werden (vgl BSGE 76, 203, 204 mwN = SozR 3-5870 § 10 Nr 7 S 49). Hierbei ist nach den §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht allein am Wortlaut zu haften. Vielmehr hat sich die Auslegung eines Leistungsantrags danach zu richten, was als Leistung möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und keine Gründe für ein anderes Verhalten vorliegen (vgl
BSG, aaO, 205, stRspr, vgl auch
BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 14 und BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8 mwN). Im Sinne dieser Rechtsprechung hat die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 4.1.2002 auch als Antrag auf Gewährung von Altersrente für Frauen bei Vollendung des 60. Lebensjahrs behandelt, obwohl diese Rentenart auf dem Vordruck nicht angekreuzt war.
3. Die Klägerin hat Anspruch auf abschlagsfreie Rentengewährung ab 1.4.2002. Denn nach § 236a Satz 5
SGB VI wird die Altersgrenze von 60 Jahren nicht für Versicherte angehoben, die bis zum 16.11.1950 geboren sind und am 16.11.2000 schwerbehindert iS des § 2 Abs 2
SGB IX waren. Das Versorgungsamt R. hat den Beginn der Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin auf den 1.4.1998 datiert; dass diese Feststellung erst am 13.2.2003 - und damit nach Rentenantragstellung am 4.1. 2002 - getroffen worden ist, führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Die Vertrauensschutzregelung des § 236a Satz 5
SGB VI stellt allein auf die Tatsache ab, dass die Schwerbehinderteneigenschaft am 16.11.2000, dem Zeitpunkt der zweiten und dritten Lesung (Gesetzesbeschluss; s Plenarprotokoll 14/133 S 12753A ff) des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl I S 1827), objektiv vorlag (vgl hierzu wie zur Verfassungsgemäßheit dieser Regelung ausführlich Senatsurteil vom 26.7.2007 - B 13 R 44/06 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen); der Zeitpunkt ihrer Feststellung ist nicht rechtserheblich.
Unerheblich ist auch, dass die Klägerin im Fragebogen zur Prüfung der Vertrauensschutzregelungen bei vorzeitigen Altersrenten sowie zum Rentenbeginn (R 240) ua angegeben hat, am 16.11.2000 nicht schwerbehindert gewesen zu sein, und unterschriftlich bestätigt hat, ihr sei bekannt, unter welchen Voraussetzungen eine "Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige und Erwerbsunfähige" in Anspruch genommen werden könne. Beides sind Wissensbekundungen. Die Klägerin hat also lediglich bekundet, dass ihr die Voraussetzungen für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen bekannt seien; ferner hat sie ihr Nichtwissen hinsichtlich des Vorliegens ihrer Schwerbehinderteneigenschaft ausgedrückt. Tatsächlich war sie - ohne dies zu wissen - jedoch schon schwerbehindert, sodass durch den Bescheid des Versorgungsamts vom 13.2.2003 nicht etwa eine nachträgliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen iS des § 48
SGB X eingetreten ist.
4. Damit liegt weder ein Fall des Wechsels von einer Altersrente in die andere (§ 34 Abs 4 Nr 3
iVm § 89 Abs 1
SGB VI) noch ein "Neubewertungsfall" iS der Rechtsprechung des 4. Senats des
BSG (SozR 3-2600 § 89 Nr 2; SozR 3-2600 § 100 Nr 1; BSGE 88, 293 = SozR 3-2600 § 42 Nr 1) vor. Ebenso wenig handelt es sich um einen Fall möglicherweise unzureichender Beratung der Klägerin im Vorfeld der Rentenbeantragung (hierzu BSGE 91, 1 = SozR 4-2600 § 115 Nr 1). Vielmehr hat sich nach Überprüfung des Zeitpunkts des Eintritts der Schwerbehinderung bei der Klägerin durch das Versorgungsamt R. lediglich herausgestellt, dass der Rentenantrag vom 4.1.2002 unzutreffend beschieden worden war. Die Beklagte ist iS des § 44 Abs 1
SGB X von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist; deshalb sind (höhere) Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden.
Die verfahrensrechtlichen Bedenken des
LSG, es fehle an einer Zugunstenentscheidung der Beklagten, tragen nicht. Macht der Betroffene einen Anspruch geltend, dessen Zuerkennung die Rücknahme eines früheren Bescheids voraussetzt, und sieht die Verwaltung hierin fälschlicherweise nur einen Neuantrag, ist vom Gericht dennoch über den Anspruch nach § 44 Abs 1
SGB X mit zu entscheiden; einer Ergänzung des angefochtenen Bescheids oder gar Erhebung der Untätigkeitsklage bedarf es nicht ( vgl Senatsurteil vom 23.5.2006 - B 13 RJ 14/05 R - BSGE 96, 227= SozR 4-2600 § 315a Nr 3 RdNr 12; ferner: BSGE 65, 84, 85 f = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17;
BSG SozR 1300 § 48 Nr 36 S 109;
BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 23).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1
SGG.