III.
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die unter II 2 c dargestellte zweite Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts.
Sie hält die Verfassungsbeschwerde ungeachtet der inzwischen eingetretenen Entwicklung aufrecht. Ihr Rechtsschutzbedürfnis an der Aufhebung des angegriffenen Beschlusses bestehe fort. Es bliebe eine verfassungsrechtliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung ungeklärt, wenn über die Verfassungsbeschwerde nicht entschieden würde; auch betreffe der gerügte Eingriff ein besonders bedeutsames Grundrecht.
In der Sache rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG.
Bereits die Auslegung des § 4 NSchG durch das Oberverwaltungsgericht begegne durchgreifenden Bedenken, weil sich aus dieser Norm ein Vorrang der gemeinsamen Beschulung behinderter und nichtbehinderter Schüler als Regel vor der Beschulung in einer Sonderschule als Ausnahme ergebe.
Die Zweifel des Oberverwaltungsgerichts an der Anwendbarkeit des
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG auf den vorliegenden Fall seien unbegründet. In Anknüpfung an § 3
SchwbG seien als Behinderte jedenfalls die Personen anzusehen, die von Auswirkungen einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung betroffen seien, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruhe. Der Begriff der Funktionsbeeinträchtigung sei Bestandteil nicht nur der Definition einer Behinderung, sondern auch der Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs. Mit der Feststellung eines solchen Bedarfs werde deshalb zugleich eine Behinderung im Sinne des
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG festgestellt.
Das falsche Verständnis des Oberverwaltungsgerichts vom Begriff der Behinderung führe auch zu einer fehlerhaften Bewertung des Benachteiligungsverbots. Dies gelte namentlich für die Feststellung, die Wirkung des
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG im Schulbereich werde durch die staatliche Schulaufsicht begrenzt. Der Staat habe die Grundrechte der Schülerinnen und Schüler auch im Rahmen seiner Schulaufsicht zu beachten.
In der Überweisung auf die Sonderschule liege eine Benachteiligung. Die Beschwerdeführerin empfinde diese Maßnahme als Degradierung und nicht etwa als Chance. Das Oberverwaltungsgericht habe nur festgestellt, daß der sonderpädagogische Förderbedarf an der Integrierten Gesamtschule nicht erfüllt werde. Hingegen lasse sich der Entscheidung nicht entnehmen, daß es unmöglich sei, ihn dort zu erfüllen. Unberücksichtigt bleibe, daß die notwendigen Förderstunden der Integrierten Gesamtschule von der Bezirksregierung angeboten, von der Schule jedoch nicht in Anspruch genommen worden seien.
IV.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Niedersächsische Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten sowie die zuständige Bezirksregierung als Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.
1. Das Ministerium führt aus, es bedürfe keiner abschließenden Auslegung des Begriffs der Behinderung, weil das Oberverwaltungsgericht bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens davon ausgegangen sei, daß bei der Beschwerdeführerin eine Behinderung im Sinne von
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG vorliege. Überwiegendes spreche dafür, daß im Ausschluß vom Besuch der Regelschule und in der Überweisung auf eine Sonderschule eine Benachteiligung liege, die besonderer Rechtfertigung bedürfe. Eine an das grundsätzlich verbotene Unterscheidungsmerkmal der Behinderung anknüpfende Benachteiligung erweise sich nur dann als zulässig, wenn sie unerläßlich sei, um einer behindertenbedingten Besonderheit Rechnung zu tragen. Dabei sei ein besonders strenger Maßstab anzuwenden. Daraus folge auch, daß für den Fall der Rechtfertigung einer Benachteiligung besondere Anforderungen an die insoweit gegebene Begründung zu stellen seien.
Wenngleich
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG sich in erster Linie als Abwehrrecht erweise, also keinen verfassungsunmittelbaren subjektiven Anspruch auf nachteilsausgleichende Leistungen verleihe, dürfe ein Zusammenhang von
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG und verfassungsrechtlichen Anspruchspositionen nicht übersehen werden. Aus
Art. 3
Abs. 1
GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und einem anderen einschlägigen Grundrecht könne sich ein verfassungsrechtlich gewährleistetes derivatives Teilhaberecht auf Zugang zu einer Bildungseinrichtung nach Maßgabe des Vorhandenen ergeben. Das Benachteiligungsverbot zugunsten Behinderter trete verstärkend hinzu.
Trotz der strengen Anforderungen an die Rechtfertigung einer Benachteiligung im Sinne von
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG könne eine gerichtliche Entscheidung, die die Überweisung eines Behinderten auf eine Sonderschule bestätige, im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle nur in engen Grenzen nachgeprüft werden. Erwiesen sich die Ablehnung der integrativen Beschulung und die Überweisung auf die Sonderschule als nachvollziehbar, spreche Überwiegendes dafür, daß
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG nicht verletzt sei.
2. Nach Auffassung der Bezirksregierung wird ein Schüler durch die Überweisung auf eine Sonderschule nicht benachteiligt, weil er auch dort sämtliche Abschlüsse des allgemeinbildenden Schulwesens erwerben könne.
B. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
Der Beschwerdeführerin war es im Hinblick auf die voraussichtliche Dauer des Verfahrens über ihre Klage nicht zuzumuten, vor einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts den Hauptsacherechtsweg zu erschöpfen (
vgl. BVerfGE 86, 15 (22)).
Auch ist ihr Rechtsschutzbedürfnis nicht deshalb entfallen, weil die Bezirksregierung während des Verfassungsbeschwerdeverfahrens die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Überweisung der Beschwerdeführerin an die Schule für Körperbehinderte aufgehoben hat und die Beschwerdeführerin inzwischen die 7. Klasse einer Hauptschule besucht. Das Rechtsschutzinteresse besteht trotz Erledigung des ursprünglich mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens fort, weil andernfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe und ein besonders schwerwiegender Grundrechtseingriff gerügt wird (
vgl. BVerfGE 91, 125 (133)
m.w.N.; stRspr). Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Die Frage, ob und mit welchen Konsequenzen
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG in Schulrechtsfällen der vorliegenden Art Beachtung finden muß, ist von erheblicher verfassungsrechtlicher Bedeutung und vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden.
C. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht begründet. Der angegriffene Beschluß ist im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
I. 1. Nach der - durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994 (BGBl I
S. 3146) neu geschaffenen - Vorschrift des
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
a) Was unter Behinderung zu verstehen ist, läßt sich den Gesetzesmaterialien (
vgl. BTDrucks 12/6000,
S. 52f.; 12/6323,
S. 11f.; 12/8165,
S. 28f.) nicht unmittelbar entnehmen. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat aber erkennbar an das Begriffsverständnis angeknüpft, das im Zeitpunkt der Verfassungsänderung gebräuchlich war. Dieses hat vor allem in § 3
Abs. 1 Satz 1 des Schwerbehindertengesetzes Ausdruck gefunden. Behinderung ist danach die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Dasselbe Verständnis von Behinderung liegt dem Behindertenbegriff des Dritten Berichts der Bundesregierung über die Lage der Behinderten und die Entwicklung der Rehabilitation zugrunde, der seinerseits mit den international üblichen Begriffsabgrenzungen übereinstimmt (
vgl. BTDrucks 12/7148,
S. 2). Es spricht nichts dagegen, von dieser Definition grundsätzlich auch bei der Auslegung des
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG auszugehen (
vgl. auch Osterloh in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 1996,
Art. 3 Rn. 309f.; Rüfner in: Bonner Kommentar,
Art. 3 Rn. 870 (Stand: Mai 1996)). Ob mit ihm das Merkmal der Behinderung abschließend bestimmt ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Der Fall der Beschwerdeführerin gibt dazu keinen Anlaß.
b) Auch der Begriff der Benachteiligung sowie Bedeutung und Reichweite des Benachteiligungsverbots des
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG erschließen sich nur unvollkommen aus der Entstehungsgeschichte. Sie lassen sich aber aus dem Gesamtinhalt des
Art. 3
Abs. 3
GG entnehmen.
aa)
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG schließt zwar bewußt an das Diskriminierungsverbot des früheren
Art. 3
Abs. 3 und jetzigen
Art. 3
Abs. 3 Satz 1
GG an. Darin kommt zum Ausdruck, daß Satz 2 wie Satz 1 den Schutz des allgemeinen Gleichheitssatzes nach
Art. 3
Abs. 1
GG für bestimmte Personengruppen verstärken soll und der staatlichen Gewalt insoweit engere Grenzen vorgeben will, als die Behinderung nicht als Anknüpfungspunkt für eine - benachteiligende - Ungleichbehandlung dienen darf (
vgl. BVerfGE 85, 191 (206) und im Anschluß daran insbesondere BTDrucks 12/6323,
S. 12). Ebenso bewußt hat der verfassungsändernde Gesetzgeber aber davon abgesehen, die Merkmale im bisherigen
Art. 3
Abs. 3
GG lediglich um das der Behinderung zu erweitern. Das läßt erkennen, daß
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG auch eigenständige Bedeutung hat. Ersichtlich hängt dies mit dem besonderen Merkmal der Behinderung zusammen.
Wie bei den schon von
Art. 3
Abs. 3 Satz 1
GG erfaßten Merkmalen etwa des Geschlechts, der Abstammung, der Rasse oder der Sprache handelt es sich dabei um eine persönliche Eigenschaft, auf deren Vorhandensein oder Fehlen der Einzelne keinen oder nur einen begrenzten Einfluß nehmen kann. Doch bezeichnet Behinderung nicht nur ein bloßes Anderssein, das sich für den Betroffenen häufig erst im Zusammenwirken mit entsprechenden Einstellungen und Vorurteilen im gesellschaftlichen Umfeld nachteilig auswirkt, bei einer Veränderung dieser Einstellungen die Nachteilswirkung aber auch wieder verlieren kann. Behinderung ist vielmehr eine Eigenschaft, die die Lebensführung für den Betroffenen im Verhältnis zum Nichtbehinderten unabhängig von einem solchen Auffassungswandel grundsätzlich schwieriger macht.
Diese besondere Situation soll nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers weder zu gesellschaftlichen noch zu rechtlichen Ausgrenzungen führen. Solche Ausgrenzungen sollen im Gegenteil verhindert oder überwunden werden können (
vgl. BTDrucks 12/8165,
S. 28). Das erklärt, daß Satz 2 des
Art. 3
Abs. 3
GG Differenzi erungen nicht wie Satz 1 schlechthin untersagt. Nur an die Behinderung anknüpfende Benachteiligungen sind nach der Neuregelung verboten. Bevorzugungen mit dem Ziel einer Angleichung der Verhältnisse von Nichtbehinderten und Behinderten sind dagegen erlaubt, allerdings nicht ohne weiteres auch verfassungsrechtlich geboten.
bb) Eine Benachteiligung liegt vor diesem Hintergrund nicht nur bei Regelungen und Maßnahmen vor, die die Situation des Behinderten wegen seiner Behinderung verschlechtern, indem ihm etwa der tatsächlich mögliche Zutritt zu öffentlichen Einrichtungen verwehrt wird oder Leistungen, die grundsätzlich jedermann zustehen, verweigert werden. Vielmehr kann eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluß von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert wird.
Wann ein solcher Ausschluß durch Förderungsmaßnahmen so weit kompensiert ist, daß er nicht benachteiligend wirkt, läßt sich nicht generell und abstrakt festlegen. Ob die Ablehnung einer vom Behinderten erstrebten Ausgleichsleistung und der Verweis auf eine andere Entfaltungsalternative als Benachteiligung anzusehen sind, wird regelmäßig von Wertungen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und prognostischen Einschätzungen abhängen. Nur aufgrund des Gesamtergebnisses dieser Würdigung kann darüber befunden werden, ob eine Maßnahme im Einzelfall benachteiligend ist.
2. Für den Bereich des Schulwesens gilt im Grundsatz nichts anderes.
a) aa) Zwar gibt
Art. 7
Abs. 1
GG mit der Regelung über die staatliche Schulaufsicht dem Staat die Befugnis zur Planung und Organisation des Schulwesens mit dem Ziel, ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen jungen Menschen gemäß ihren Fähigkeiten die den heutigen gesellschaftlichen Anforderungen entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet. Deshalb sind etwa die organisatorische Gliederung der Schule, die Entscheidung über die strukturelle Ausgestaltung des Ausbildungssystems und die Festlegung der Ausbildungsgänge und Unterrichtsziele Sache des Staates (
vgl. BVerfGE 34, 165 (182); 45, 400 (415); 53, 185 ( 196)).
Dabei haben die für das Schulwesen zuständigen Länder eine weitgehende Entscheidungsfreiheit (
vgl. BVerfGE 59, 360 (377)
m.w.N.). Sie ist jedoch eingeschränkt, soweit übergeordnete Normen des Grundgesetzes ihr Grenzen setzen (
vgl. BVerfGE 6, 309 (354); 34, 165 (181); 59, 360 (377)). Das geschieht nicht nur durch das - seinerseits einschränkbare - Recht des Schülers auf möglichst ungehinderte Entwicklung seiner Persönlichkeit, Anlagen und Befähigungen nach
Art. 2
Abs. 1
GG (
vgl. dazu BVerfGE 45, 400 (417)
m.w.N.) und das elterliche Erziehungsrecht aus
Art. 6
Abs. 2 Satz 1
GG, das dem Erziehungsauftrag des Staates nach
Art. 7
Abs. 1
GG gleichgeordnet zur Seite gestellt ist (
vgl. BVerfGE 52, 223 (236); stRspr). Grenzen setzt vielmehr auch das durch
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG neu geschaffene Benachteiligungsverbot.
Unabhängig davon, ob sich aus diesem Grundrecht originäre Leistungsansprüche herleiten lassen (dagegen einhellig das Schrifttum;
vgl. etwa Osterloh, a.a.O.,
Art. 3 Rn. 305; Scholz in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar,
Art. 3
Abs. 3 Rn. 174 (Stand: Oktober 1996)), folgt aus ihm doch, zumal im Zusammenwirken mit den vorbezeichneten Freiheitsrechten aus
Art. 2
Abs. 1 und
Art. 6
Abs. 2 Satz 1
GG, daß der Staat und die Schulgesetzgeber der Länder für behinderte Schüler eine besondere Verantwortung tragen.
Auch für ihre Erziehung und Unterrichtung im Bereich der Schulen hat der Staat das zumindest faktische Monopol, auch für sie besteht wie für Nichtbehinderte grundsätzlich die Pflicht zum Besuch der öffentlichen Schulen. Mit Rücksicht darauf ist der Staat nach
Art. 2
Abs. 1,
Art. 6
Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG grundsätzlich gehalten, für behinderte Kinder und Jugendliche schulische Einrichtungen bereitzuhalten, die auch ihnen eine sachgerechte schulische Erziehung, Bildung und Ausbildung ermöglichen. Art und Intensität der Behinderung sowie den Anforderungen der Schulart und Unterrichtsstufe ist dabei unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der pädagogisch-wissenschaftlichen Erkenntnis Rechnung zu tragen.
bb) Nach dem gegenwärtigen pädagogischen Erkenntnisstand ließe sich ein genereller Ausschluß der Möglichkeit einer gemeinsamen Erziehung und Unterrichtung von behinderten Schülern mit nichtbehinderten derzeit verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Ungeachtet auch kritischer Stimmen wird die integrative Beschulung, wie die unter A I 1 und 2 wiedergegebenen Äußerungen belegen, von der pädagogischen Wissenschaft wie von maßgeblichen politischen Gremien überwiegend positiv beurteilt und als verstärkt realisierungswürdige Alternative zur Erziehung und Unterrichtung in Sonder- und Förderschulen befürwortet. Dem hat der niedersächsische Landesgesetzgeber dadurch Rechnung getragen, daß er für Schülerinnen und Schüler, die sonderpädagogischer Förderung bedürfen, neben der Sonderschule (§ 14 NSchG) "an allen Schulen" (§ 4 NSchG) und in Integrationsklassen mit zieldifferenter Beschulung (§ 23
Abs. 4 NSchG) die Möglichkeit der gemeinsamen Erziehung und Unterrichtung mit anderen Schülern geschaffen hat.
Nach § 4 in Verbindung mit § 68
Abs. 1 NSchG soll die Unterrichtung integrativ und zielgleich erfolgen, wenn auf diese Weise - erforderlichenfalls unter Bereitstellung sonderpädagogischer Förderung (
vgl. insbesondere § 14
Abs. 4 Satz 2 NSchG) - dem individuellen Förderbedarf der förderungsbedürftigen Schülerinnen und Schüler entsprochen werden kann und soweit es die organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten erlauben. Diese Regelung ermöglicht es auf sonderpädagogische Förderung angewiesenen Kindern und Jugendlichen sowie ihren Erziehungsberechtigten, sich unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen für eine der Formen integrativer Beschulung oder für die Unterrichtung in einer Sonderschule auszusprechen, deren Fortbestand als eigenständige Schulform im gegliederten Schulwesen des Landes damit zu Recht nicht in Frage gestellt wird.
Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß nach diesem Konzept die zielgleiche wie die zieldifferente integrative Erziehung und Unterrichtung unter den Vorbehalt des organisatorisch, personell und von den sächlichen Voraussetzungen her Möglichen gestellt ist (
vgl. §§ 4, 23
Abs. 4
i.V.m. Abs. 5 NSchG). Dieser Vorbehalt ist Ausdruck dessen, daß der Staat seine Aufgabe, ein begabungsgerechtes Schulsystem bereitzustellen, von vornherein nur im Rahmen seiner finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten erfüllen kann (
vgl. BVerfGE 34, 165 (183f.)), und erklärt sich daraus, daß der Gesetzgeber bei seinen Entscheidungen auch andere Gemeinschaftsbelange berücksichtigen und sich die Möglichkeit erhalten muß, die nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Mittel für solche anderen Belange einzusetzen, wenn er dies für erforderlich hält (
vgl. BVerfGE 40, 121 (133); 75, 40 (68); 82, 60 (80); 90, 107 (116)).
Der Gesetzgeber ist deshalb, wenn er sich in seinem Regelungskonzept für das Angebot einer sowohl zielgleichen als auch zieldifferenten integrativen Beschulung entscheidet, verfassungsrechtlich nicht gehindert, die tatsächliche Verwirklichung dieser Integrationsformen von einschränkenden Voraussetzungen der hier in Rede stehenden Art abhängig zu machen. Ein Einschätzungsspielraum sowie der Vorbehalt des tatsächlich Machbaren und des finanziell Vertretbaren bestehen aber auch bei der Ausgestaltung des Regelungskonzepts durch den Gesetzgeber. Er ist durch
Art. 2
Abs. 1,
Art. 6
Abs. 2 Satz 1 und
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG nicht verpflichtet, für das jeweilige Land alle Formen integrativer Beschulung bereitzuhalten. Im Rahmen seiner Entscheidungsfreiheit kann er vielmehr von der Einführung solcher Integrationsformen absehen, deren Verwirklichung ihm aus pädagogischen, aber auch aus organisatorischen, personellen und finanziellen Gründen nicht vertretbar erscheint. Voraussetzung dafür ist, daß die verbleibenden Möglichkeiten einer integrativen Erziehung und Unterrichtung den Belangen behinderter Kinder und Jugendlicher ausreichend Rechnung tragen.
b) Auch Auslegung und Anwendung des Schulrechts sind an die Vorgaben des Benachteiligungsverbots des
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG gebunden.
aa) Bei der Entscheidung der Schulbehörde darüber, an welcher Schule behinderte Kinder und Jugendliche im Einzelfall zu erziehen, zu unterrichten und auf das spätere Leben in der Gemeinschaft mit Nichtbehinderten vorzubereiten sind, sind nicht nur das Recht des Schülers auf eine seine Anlagen und Befähigungen möglichst weitgehend berücksichtigende Ausbildung (
Art. 2
Abs. 1
GG) und das Recht der Eltern aus
Art. 6
Abs. 2 Satz 1
GG zu beachten, den Bildungsweg in der Schule für ihr Kind im Rahmen von dessen Eignung grundsätzlich frei zu wählen (
vgl. BVerfGE 34, 165 (184)). Zu berücksichtigen sind vielmehr auch die zusätzlichen Bindungen, die sich für die Schulbehörde aus
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG ergeben.
Da, wie oben unter C I 1 b bb dargelegt, der benachteiligende Charakter einer Maßnahme nicht ohne Rücksicht auf eine mit ihr einhergehende spezifische Förderung beurteilt werden kann, bedeutet das in dieser Regelung enthaltene Benachteiligungsverbot allerdings nicht, daß die Überweisung eines behinderten Schülers an eine Sonderschule schon für sich eine verbotene Benachteiligung darstellt. Das gilt auch dann, wenn die Entscheidung der Schulbehörde gegen den Willen des Behinderten oder seiner Erziehungsberechtigten ergeht. Nur die Überweisungsverfügung, die den Gegebenheiten und Verhältnissen des jeweils zu beurteilenden Falles ersichtlich nicht gerecht wird, ist durch
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG untersagt.
Eine solche Entscheidung ist nicht nur dann anzunehmen, wenn ein Kind oder Jugendlicher wegen seiner Behinderung auf eine Sonderschule verwiesen wird, obwohl seine Erziehung und Unterrichtung an der allgemeinen Schule seinen Fähigkeiten entspräche und ohne besonderen Aufwand möglich wäre. Eine Benachteiligung im Sinne des
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG kommt vielmehr auch dann in Betracht, wenn die Sonderschulüberweisung erfolgt, obgleich der Besuch der allgemeinen Schule durch einen vertretbaren Einsatz von sonderpädagogischer Förderung ermöglicht werden könnte.
Ob letzteres der Fall ist, ob sich also beispielsweise durch die Bereitstellung einer zusätzlichen sonderpädagogischen Lehrkraft oder, soweit gesetzlich vorgesehen, durch die Einrichtung einer Integrationsklasse eine integrative Beschulung erreichen läßt, die das behinderte Kind mit Aussicht auf Erfolg durchlaufen kann, ist das Ergebnis einer Gesamtbetrachtung im Einzelfall, bei der Art und Schwere der jeweiligen Behinderung ebenso zu berücksichtigen sind wie Vor- und Nachteile einerseits einer integrativen Erziehung und Unterrichtung an einer Regelschule und andererseits einer Beschulung in einer Sonder- oder Förderschule. Dabei sind, soweit es um die Bewertung einer integrativen Beschulung geht, in den Gesamtvergleich nicht nur die dem behinderten Kind oder Jugendlichen damit eröffneten Chancen für seine Ausbildung und sein späteres Erwachsenenleben einzustellen, sondern auch die mit einer solchen Maßnahme möglicherweise verbundenen Belastungen zu würdigen. Letzteres gilt mit Blick auf das behinderte Kind selbst, das sich vor allem bei zielgleicher Unterrichtung zunehmend höheren Leistungsanforderungen ausgesetzt sehen wird, ist aber darauf nicht zu beschränken.
Vielmehr sind auch denkbare Belastungen für Mitschüler und Lehrpersonal sowie die schultypische gemeinsame Unterrichtung in Klassen oder Kursen in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Zu berücksichtigen ist schließlich auch, daß staatliche Maßnahmen zum Ausgleich einer Behinderung nur nach Maßgabe des finanziell, personell, sachlich und organisatorisch Möglichen verlangt und gewährt werden können (
vgl. BVerfGE 40, 121 ( 133)). Der insoweit mit der integrativen Beschulung an allgemeinen Schulen verbundene Aufwand darf nicht zu Lasten solcher Kinder gehen, deren Teilnahme an einem gemeinsamen Unterricht aufgrund der Art oder des Grades ihrer Behinderung ausgeschlossen ist oder pädagogisch nicht wünschenswert erscheint und die deshalb auf eine der besonderen pädagogischen Aufgabe personell und sachlich angemessene Ausstattung der Sonder- und Förderschulen angewiesen sind.
Die jeweiligen Vor- und Nachteile einer integrativen oder separierenden schulischen Ausbildung sind weder allein aus der Sicht der behinderten Schüler und ihrer Eltern noch ausschließlich aus der Sicht der Schulverwaltung zu beurteilen. Die Vorstellungen der Eltern und der Kinder und Jugendlichen darüber, wie deren schulische Erziehung und Unterrichtung gestaltet und an welcher Schule sie begonnen oder fortgesetzt werden sollen, haben allerdings im Hinblick auf die grundrechtlichen Gewährleistungen des
Art. 6
Abs. 2 Satz 1 und des
Art. 2
Abs. 1
GG verfassungsrechtlich großes Gewicht.
Entscheiden sich die Eltern im aus ihrer Sicht so gewürdigten Interesse ihres Kindes für eine Beschulung gemeinsam mit nichtbehinderten Schülern, darf sich die Schulbehörde darüber nicht einfach etwa mit der nicht näher fundierten Begründung hinwegsetzen, die Überweisung an eine Sonderschule und die Unterrichtung dort seien in Wahrheit besser geeignet, dem wohlverstandenen Interesse des behinderten Kindes zu dienen. Erforderlich sind vielmehr eine eingehende Prüfung des Elternwunsches und eine Auseinandersetzung mit dem in ihm zum Ausdruck gebrachten elterlichen Erziehungsplan.
In der niedersächsischen Verordnung über sonderpädagogische Förderung vom 16. November 1994 (GVBl
S. 502) ist hierfür beispielsweise vorgesehen, daß die Schulbehörde, bevor sie über einen Antrag auf Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs entscheidet, eine Lehrkraft, die das Kind unterrichtet oder voraussichtlich unterrichten wird, mit der Erstellung eines Berichts und eine Sonderschullehrkraft mit der Fertigung eines Beratungsgutachtens beauftragt (§ 2 der Verordnung).
Vorgesehen ist weiter die vom Antrag der Erziehungsberechtigten abhängige Berufung einer Förderkommission, der auch die Erziehungsberechtigten angehören und die, gestützt auf Bericht und Beratungsgutachten, Empfehlungen zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs und zum weiteren Schulbesuch abgibt und der Schulbehörde beim Nichtzustandekommen einer einvernehmlichen Empfehlung die verschiedenen Auffassungen mitteilt (§ 3 der Verordnung). Bericht, Beratungsgutachten und gegebenenfalls die Empfehlung oder die unterschiedlichen Stellungnahmen der Förderkommission werden von der Schulbehörde bei deren Entscheidung über eine sonderpädagogische Förderung berücksichtigt (§ 4 der Verordnung).
Dieses Verfahren, das einerseits um eine weitgehende Objektivierung der behördlichen Entscheidungsfindung bemüht ist und andererseits die Erziehungsberechtigten in den Entscheidungsprozeß einbindet, letzteres erkennbar in der Absicht, möglichst zu einer auch von ihnen akzeptierten Entscheidung zu gelangen, trägt dem möglichen Konflikt zwischen Eltern und Kindern sowie Schulverwaltung sachgerecht Rechnung. Es schafft nicht nur einen äußeren Rahmen, in dem die Grundrechtspositionen des behinderten Schülers und seiner Eltern aus
Art. 2
Abs. 1 und
Art. 6
Abs. 2 Satz 1
GG angemessen zur Geltung gebracht werden können, es erscheint vielmehr im Schulbereich grundsätzlich auch geeignet, als verfahrensmäßige und organisatorische Absicherung des Benachteiligungsverbots des
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG zugunsten Behinderter zu dienen (zum Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung
vgl. etwa BVerfGE 53, 30 (65); 84, 34 (45f.)).
Die Letztverantwortlichkeit der Schulbehörde für die Entscheidung über die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs und über die Form des Schulbesuchs für förderungsbedürftige Kinder und Jugendliche wird durch die Verordnungsregelung allerdings nicht berührt. Die Schulbehörde ist an Inhalt und Ergebnis des über den einzelnen Schüler erstatteten Berichts und des Beratungsgutachtens ebensowenig gebunden wie an die Empfehlungen der Förderkommission. Sie ist also auch dann, wenn diese Entscheidungshilfen sich im Einzelfall - ausschließlich oder alternativ - für eine Beschulung in integrativer Form aussprechen, verfahrensrechtlich nicht gehindert, die Überweisung an eine Sonderschule anzuordnen. Im Lichte des
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG obliegt der Behörde aber gerade in diesem Fall eine gesteigerte Begründungspflicht.
Das Benachteiligungsverbot zugunsten Behinderter verlangt in verfahrensmäßiger Hinsicht, daß Entscheidungen, die im Zusammenhang mit einer Behinderung ergehen und eine Benachteiligung des Behinderten darstellen können, substantiiert begründet werden, also bei einem an einer integrativen Beschulung interessierten behinderten Kind oder Jugendlichen erkennen lassen, auf welchen Erwägungen der Schulbehörde dessen Überweisung an die Sonderschule im einzelnen beruht. Dabei sind die Gesichtspunkte darzulegen, deren Beachtung
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG verlangt.
Anzugeben sind danach je nach Lage des Falles Art und Schwere der Behinderung und die Gründe, die die Behörde gegebenenfalls zu der Einschätzung gelangen lassen, daß Erziehung und Unterrichtung des Behinderten am besten in einer Sonderschule gewährleistet erscheinen. Gegebenenfalls sind auch organisatorische, personelle oder sächliche Schwierigkeiten sowie die Gründe darzulegen, warum diese Schwierigkeiten im konkreten Fall nicht überwunden werden können. Im einen wie im anderen Fall setzt eine ausreichende Begründung der Entscheidung zugunsten einer Sonder- oder Förderschulunterrichtung schließlich ein Eingehen auf entgegengesetzte Erziehungswünsche des Behinderten und seiner Erziehungsberechtigten voraus. Sie sind in Beziehung zu setzen zu den Erwägungen der Schulbehörde und mit deren Vorstellungen in einer Weise abzuwägen, die die staatliche Maßnahme nachvollziehbar und damit auch gerichtlich überprüfbar macht.
bb) Die Entscheidung der Verwaltungsgerichte, daß eine schulbehördliche Überweisungsverfügung diesen Anforderungen entspricht, unterliegt nur eingeschränkter verfassungsgerichtlicher Kontrolle. Feststellung und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts sowie Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Landesschulrechts sind Aufgabe der Verwaltungsgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen (
vgl. BVerfGE 18, 85 (92 f.); 86, 122 (128 f.)).
Sache des Bundesverfassungsgerichts ist es auch nicht, zu kontrollieren, wie die Gerichte den Schutz, den die Grundrechte, hier neben
Art. 2
Abs. 1 und
Art. 6
Abs. 2 Satz 1
GG insbesondere
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG, den Beteiligten des Rechtsstreits gewähren, im einzelnen auf der Grundlage des einfachen Rechts konkretisieren und umsetzen und ob dabei jeweils der bestmögliche Schutz erreicht wird (
vgl. BVerfGE 89, 276 (286); 92, 140 (153)). Das Bundesverfassungsgericht greift vielmehr korrigierend nur ein, wenn die angegriffenen Entscheidungen den allgemeinen Gleichheitssatz des
Art. 3
Abs. 1
GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot verletzen (
vgl. dazu BVerfGE 89, 1 (13f.)) oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (
vgl. BVerfGE 89, 1 (9f.)
m.w.N.).
II.
Der angegriffene Beschluß ist vor diesem Hintergrund im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar wird er nicht in allen Punkten den unter C I entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäben gerecht (1.). Doch läßt dies die Beurteilung des Oberverwaltungsgerichts unberührt, im Hinblick auf die konkreten tatsächlichen Umstände des Falles der Beschwerdeführerin spreche Überwiegendes dafür, daß die mit der Klage angefochtene Überweisungsverfügung rechtmäßig sei (2.).
1. Inhalt und Bedeutung des Benachteiligungsverbots des
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG werden in der angegriffenen Entscheidung nicht durchweg zutreffend erkannt.
a) Allerdings ist dem Oberverwaltungsgericht darin zu folgen, daß
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG weder den in Niedersachsen eingerichteten Sonderschulen noch der Zuständigkeit der Schulbehörde für Entscheidungen über den Besuch solcher Schulen nach Maßgabe des § 68
Abs. 2 Satz 1 NSchG die rechtliche Grundlage entzogen hat (
vgl. C I 2 a bb). Auch trifft es, wie unter C I 2 b aa ausgeführt, zu, daß in der Verweisung eines behinderten Kindes auf eine Sonderschule gegen seinen und seiner Erziehungsberechtigten Willen nicht schon für sich eine nach
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG verbotene Benachteiligung liegt.
Dagegen kommt, anders als das Oberverwaltungsgericht annimmt, ein Verstoß gegen
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG nicht nur in Betracht, wenn ein Schüler wegen seiner Behinderung gegen seinen Willen in die Sonderschule "abgeschoben" werden soll, obwohl er für die normale Schule geeignet ist. Die Überweisung in eine Sonderschule benachteiligt den an integrativer Beschulung interessierten behinderten Schüler auch dann, wenn die erforderliche Gesamtbetrachtung ergibt, daß seine Erziehung und Unterrichtung an der Regelschule mit sonderpädagogischer Förderung möglich sind, der dafür benötigte personelle und sächliche Aufwand mit vorhandenen Personal- und Sachmitteln bestritten werden kann und auch organisatorische Schwierigkeiten sowie schutzwürdige Belange Dritter, insbesondere anderer Schüler, der integrativen Beschulung nicht entgegenstehen. In diesem Fall verstößt die gesonderte Beschulung gegen
Art. 3
Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit
Art. 2
Abs. 1 und gegebenenfalls
Art. 6
Abs. 2 Satz 1
GG.
b) Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts läßt sich dies nicht mit Hinweis darauf bezweifeln, daß der Begriff der Behinderung im Sinne von
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG und der Begriff des sonderpädagogischen Förderbedarfs, wie ihn hier § 14
Abs. 2 Satz 1 NSchG definiert, nicht identisch seien. Zwar ist nicht jedes behinderte Kind förderungsbedürftig; umgekehrt können auch nichtbehinderte Kinder sonderpädagogischen Förderungsbedarf haben. Die Überweisung an eine Sonder- oder Förderschule statt sonderpädagogischer Förderung an der allgemeinen Schule berührt aber jedenfalls dann
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG, wenn der Bedarf an einer solchen Förderung durch die Folgen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigung ausgelöst wird.
c) Dem Oberverwaltungsgericht kann auch in der Beurteilung des Verhältnisses von
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG zur staatlichen Schulaufsicht nach
Art. 7
Abs. 1
GG nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. Zwar haben die Bundesländer, wie ausgeführt (
vgl. oben C I 2 a), im Bereich des Schulwesens eine weitgehende Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit. Diese Freiheit schließt grundsätzlich die Entscheidung des Landesgesetzgebers darüber ein, wie und in welcher Schulform den spezifischen Erziehungs- und Ausbildungsbedürfnissen behinderter Schüler Rechnung getragen werden soll. Jedoch wird die staatliche Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit durch
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG eingeschränkt. Als Grundrecht bindet diese Norm wie jedes andere Grundrecht die gesamte staatliche Gewalt (
vgl. Art. 1
Abs. 3
GG). Deshalb kann nicht diese die Wirkung der Grundrechte begrenzen, wie es das Oberverwaltungsgericht für die staatliche Schulaufsicht in ihrer Beziehung zu
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG annimmt.
d) Auch im Lichte der vorstehenden Ausführungen besteht für das Bundesverfassungsgericht kein Anlaß zu prüfen, ob die Auslegung insbesondere der §§ 4 und 68 NSchG durch das Oberverwaltungsgericht einfachrechtlich zutreffend ist. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich aus
Art. 3
Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit
Art. 2
Abs. 1 und
Art. 6
Abs. 2 Satz 1
GG für die Schulbehörde ergeben, kann im Rahmen des Niedersächsischen Schulgesetzes auch dann Rechnung getragen werden, wenn sich diesem, wie das Oberverwaltungsgericht annimmt, ein vorrangiger Anspruch auf integrative Beschulung nicht entnehmen läßt. § 68
Abs. 2 Satz 1 NSchG, nach dem die Schulbehörde über die Verpflichtung zum Besuch einer Sonderschule entscheidet, gibt in der Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht den Eltern eines Kindes mit sonderpädagogischem Förderbedarf einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung; die Überweisung an eine Sonderschule sei dann rechtswidrig, wenn die Voraussetzungen der notwendigen Förderung auch an einer allgemeinen Schule erfüllt seien und die Eltern deren Besuch für ihr Kind wünschten. Es ist nicht ersichtlich, daß anderes gelten könnte, wenn - wie hier - das behinderte Kind selbst seine Erziehung und Unterrichtung an einer solchen Schule begehrt. Auch in diesem Fall kann und muß die Schulbehörde die Anforderungen des
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG an eine behindertengerechte Entscheidung im Rahmen der Betätigung ihres Ermessens beachten.
2. Die angegriffene Entscheidung hat trotz der teilweise unzutreffenden Auffassungen des Oberverwaltungsgerichts von Inhalt und Bedeutung des
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG verfassungsrechtlich Bestand.
a) Daß die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die Auswirkungen ihrer auf schweren Körperschäden beruhenden Funktionsbeeinträchtigungen behindert ist, hat das Oberverwaltungsgericht nicht in Zweifel gezogen. Es hat weiter festgestellt, daß die Schulbehörde in ihrem Überweisungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids auf der Grundlage insbesondere des Beratungsgutachtens und der Empfehlung der Förderkommission einen erheblichen sonderpädagogischen Förderbedarf der Beschwerdeführerin angenommen hat. Konkret bedürfe sie im Fach Mathematik der erweiterten sonderpädagogischen Förderung in Form von wöchentlich fünf Stunden Einzelunterricht und in weiteren - insbesondere den naturwissenschaftlichen - Fächern, in denen eine zielgleiche Unterrichtung nicht möglich sei, zusätzlicher Hilfe im Wege der Unterrichtsbegleitung durch eine pädagogisch oder therapeutisch vorgebildete "Stützkraft".
Diese besondere Förderung könne in der von der Beschwerdeführerin besuchten Integrierten Gesamtschule in einer Klasse mit 27 Schülern nicht erbracht werden, weil dafür die Sonderschullehrer(stunden) in der erforderlichen Zahl nicht zur Verfügung stünden. Aus demselben Grund, aber auch im Hinblick auf die notwendige Relation von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu Schülern ohne einen solchen Bedarf sei auch eine Aufnahme der Beschwerdeführerin in die an der Integrierten Gesamtschule eingerichtete Integrationsklasse nicht möglich. Die Bildung anderer Integrationsklassen, in die die Beschwerdeführerin aufgenommen werden könnte, scheitere daran, daß die dafür erforderlichen personellen Ressourcen nicht vorhanden und bereits eingerichtete Integrationsklassen im Hinblick auf den Vertrauensschutz der dort unterrichteten Schüler weiterzuführen seien.
b) Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, ist nicht näher belegt und zwingt nicht zu der Annahme, daß der Sachverhalt vom Oberverwaltungsgericht aus sachfremden Erwägungen falsch oder unvollständig ermittelt worden ist. Das Bundesverfassungsgericht muß deshalb von diesem Sachverhalt ausgehen. Nicht zu beanstanden ist auch die Würdigung, daß die Schulbehörde, die sich insbesondere im Widerspruchsbescheid mit den Vor- und Nachteilen einer integrativen Beschulung der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt und dabei auch die Vorstellungen und Wünsche ihrer Eltern berücksichtigt hat, angesichts des erheblichen sonderpädagogischen Förderbedarfs der Beschwerdeführerin und der sowohl schulorganisatorischen als auch personellen Schwierigkeiten und Engpässe die Überweisung der Beschwerdeführerin an eine Sonderschule anordnen durfte. Alle für den Fall der Beschwerdeführerin wesentlichen Gesichtspunkte sind damit hinreichend berücksichtigt. Es kann deshalb nicht angenommen werden, daß die rechtliche Beurteilung des Oberverwaltungsgerichts, es spreche Überwiegendes dafür, daß die im Hauptsacheverfahren angefochtene Sonderschulüberweisung rechtmäßig, also auch mit
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG zu vereinbaren sei, auf einer fehlerhaften Auslegung dieser Vorschrift beruht.