Urteil
Mehrbedarf für behinderte Menschen - kein Leistungsausschluss bei Teilnahme an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 26. Senat


Aktenzeichen:

L 26 AS 2360/11 B ER


Urteil vom:

16.01.2012


Grundlage:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Dezember 2011 geändert.

Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 12. bis 31. Dezember 2011 in Höhe von 84,93 EUR und für die Zeit vom 1. Januar bis 29. Februar 2012 in Höhe von monatlich 130,90 EUR zu gewähren.

Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat jeweils die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren und das Antragsverfahren auf Aussetzung der Vollstreckung zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner bewilligte der 1986 geborenen Antragstellerin mit Bescheid vom 9. Juni 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2011 in Höhe von (iHv) monatlich 649,26 EUR.

Mit Bescheid vom 9. August 2011 bewilligte die Agentur für Arbeit Berlin Mitte der Antragstellerin zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 97 ff Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) iVm §§ 33, 44 ff Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) für die Zeit vom 5. September 2011 bis 4. August 2012 Ausbildungsgeld iHv monatlich 465,00 EUR und Reisekosten iHv monatlich 53,00 EUR. Nach der Teilnahmebestätigung der ajb GmbH vom 2. September 2011 nimmt die Antragstellerin vom 5. September 2011 bis 4. August 2012 an einer rehaspezifischen Berufsvorbereitungsmaßnahme teil.

Der Antragsgegner hob mit Bescheid vom 18. August 2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 19. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2011 die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen vom 9. Juni 2011 mit Wirkung ab 5. September 2011 wegen einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen ganz auf und bewilligte der Antragstellerin mit Bescheid vom 2. September 2011 einen Zuschuss zu den angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 27 Abs. 3 SGB II in der ab 1. April 2011 geltenden Fassung (nF) für die Zeit vom 5. bis 30. September 2011 iHv 132,83 EUR sowie für die Zeit vom 1. Oktober 2011 bis 29. Februar 2012 iHv monatlich 153,26 EUR.

Mit Bescheid vom 12. Oktober 2011 lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin vom 9. September 2011 auf Mehrbedarf für behinderte Menschen nach § 21 Abs. 4 SGB II ab mit der Begründung, dass bei vorliegender Hilfebedürftigkeit für den Auszubildenden Leistungen für Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 2, 3 und 5 sowie für Bedarfe nach § 23 Abs. 3 SGB II zu zahlen seien. Ausgenommen sei der Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II. Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin am 31. Oktober 2011 Widerspruch eingelegt mit der Begründung, dass ihr aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung und insbesondere wegen ihrer psychischen Behinderung ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II zustehe.

Am 12. Dezember 2011 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, gerichtet auf die "Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II (Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II)." Das Sozialgericht Berlin hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 21. Dezember 2011 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für die Zeit vom 12. Dezember 2011 bis zum 29. Februar 2012, längstens jedoch bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iHv monatlich 288,66 EUR zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass einiges für ein Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache spreche. Soweit die Beteiligten den Ausschluss der Antragstellerin von den Leistungen nach § 7 Abs. 5 SGB II diskutierten, werde diese Frage in der obergerichtlichen Rechtsprechung weit überwiegend im Sinne der Antragstellerin beantwortet (Bezugnahme u.a. auf LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 6. September 2011, L 5 AS 429/10 B ER). Es könne dahinstehen, ob und ggf. in welcher Höhe das bezogene Ausbildungsgeld als Einkommen bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II zu berücksichtigen sei. Dies sei obergerichtlich nicht geklärt. Die Höhe des tenorierten Zahlungsbetrages ergebe sich aus dem Gesamtbedarf iHv 776,66 EUR (Regelleistung, Mehrbedarf, Unterkunft und Heizung) abzüglich eines anrechenbaren Einkommens iHv 488,00 EUR. Der Mehrbedarf ergebe sich aus § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II.

Gegen den ihm am 23. Dezember 2011 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 30. Dezember 2011 Beschwerde eingelegt und zugleich die Aussetzung der Vollstreckung der einstweiligen Anordnung aus dem Beschluss beantragt. Zur Begründung führt er aus, dass die Antragstellerin nach § 7 Abs. 5 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II, die über die Leistungen des § 27 SGB II hinausgingen, ausgeschlossen sei. Die Leistungen nach § 27 SGB II umfassten nicht die Gewährung eines Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II. Zudem habe die Antragstellerin nur die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 4 SGB II beantragt. Dieser betrage 127,40 EUR bis 31. Dezember 2011 und 130,90 EUR ab 1. Januar 2012. Weshalb das Sozialgericht die Zahlung eines höheren Betrages anordne, als tatsächlich beantragt, könne er nicht nachvollziehen. Der Grundsicherungsbedarf der Antragstellerin nach dem SGB II iHv 649,26 EUR sei durch das gezahlte Ausbildungsgeld und den gewährten Zuschuss nach § 27 Abs. 3 SGB II gedeckt.

Hinweis:

Einen Fachbeitrag zum Einstweiligen Rechtsschutz finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
Homepage: https://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren...

Rechtsweg:

SG Berlin Urteil vom 21.12.2011 - S 203 AS 32641/11 ER

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Dezember 2011 geändert.

Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 12. bis 31. Dezember 2011 in Höhe von 84,93 EUR und für die Zeit vom 1. Januar bis 29. Februar 2012 in Höhe von monatlich 130,90 EUR zu gewähren.

Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat jeweils die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das Beschwerdeverfahren und das Antragsverfahren auf Aussetzung der Vollstreckung zu erstatten.


Gründe:

I.

Der Antragsgegner bewilligte der 1986 geborenen Antragstellerin mit Bescheid vom 9. Juni 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 2011 in Höhe von (iHv) monatlich 649,26 EUR.

Mit Bescheid vom 9. August 2011 bewilligte die Agentur für Arbeit Berlin Mitte der Antragstellerin zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß §§ 97 ff Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) iVm §§ 33, 44 ff Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) für die Zeit vom 5. September 2011 bis 4. August 2012 Ausbildungsgeld iHv monatlich 465,00 EUR und Reisekosten iHv monatlich 53,00 EUR. Nach der Teilnahmebestätigung der ajb GmbH vom 2. September 2011 nimmt die Antragstellerin vom 5. September 2011 bis 4. August 2012 an einer rehaspezifischen Berufsvorbereitungsmaßnahme teil.

Der Antragsgegner hob mit Bescheid vom 18. August 2011 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 19. September 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2011 die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen vom 9. Juni 2011 mit Wirkung ab 5. September 2011 wegen einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen ganz auf und bewilligte der Antragstellerin mit Bescheid vom 2. September 2011 einen Zuschuss zu den angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 27 Abs. 3 SGB II in der ab 1. April 2011 geltenden Fassung (nF) für die Zeit vom 5. bis 30. September 2011 iHv 132,83 EUR sowie für die Zeit vom 1. Oktober 2011 bis 29. Februar 2012 iHv monatlich 153,26 EUR.

Mit Bescheid vom 12. Oktober 2011 lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin vom 9. September 2011 auf Mehrbedarf für behinderte Menschen nach § 21 Abs. 4 SGB II ab mit der Begründung, dass bei vorliegender Hilfebedürftigkeit für den Auszubildenden Leistungen für Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 2, 3 und 5 sowie für Bedarfe nach § 23 Abs. 3 SGB II zu zahlen seien. Ausgenommen sei der Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II. Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin am 31. Oktober 2011 Widerspruch eingelegt mit der Begründung, dass ihr aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung und insbesondere wegen ihrer psychischen Behinderung ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II zustehe.

Am 12. Dezember 2011 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, gerichtet auf die "Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II (Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II)." Das Sozialgericht Berlin hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 21. Dezember 2011 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für die Zeit vom 12. Dezember 2011 bis zum 29. Februar 2012, längstens jedoch bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iHv monatlich 288,66 EUR zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass einiges für ein Obsiegen der Antragstellerin in der Hauptsache spreche. Soweit die Beteiligten den Ausschluss der Antragstellerin von den Leistungen nach § 7 Abs. 5 SGB II diskutierten, werde diese Frage in der obergerichtlichen Rechtsprechung weit überwiegend im Sinne der Antragstellerin beantwortet (Bezugnahme u.a. auf LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 6. September 2011, L 5 AS 429/10 B ER). Es könne dahinstehen, ob und ggf. in welcher Höhe das bezogene Ausbildungsgeld als Einkommen bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II zu berücksichtigen sei. Dies sei obergerichtlich nicht geklärt. Die Höhe des tenorierten Zahlungsbetrages ergebe sich aus dem Gesamtbedarf iHv 776,66 EUR (Regelleistung, Mehrbedarf, Unterkunft und Heizung) abzüglich eines anrechenbaren Einkommens iHv 488,00 EUR. Der Mehrbedarf ergebe sich aus § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II.

Gegen den ihm am 23. Dezember 2011 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 30. Dezember 2011 Beschwerde eingelegt und zugleich die Aussetzung der Vollstreckung der einstweiligen Anordnung aus dem Beschluss beantragt. Zur Begründung führt er aus, dass die Antragstellerin nach § 7 Abs. 5 SGB II von den Leistungen nach dem SGB II, die über die Leistungen des § 27 SGB II hinausgingen, ausgeschlossen sei. Die Leistungen nach § 27 SGB II umfassten nicht die Gewährung eines Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II. Zudem habe die Antragstellerin nur die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 4 SGB II beantragt. Dieser betrage 127,40 EUR bis 31. Dezember 2011 und 130,90 EUR ab 1. Januar 2012. Weshalb das Sozialgericht die Zahlung eines höheren Betrages anordne, als tatsächlich beantragt, könne er nicht nachvollziehen. Der Grundsicherungsbedarf der Antragstellerin nach dem SGB II iHv 649,26 EUR sei durch das gezahlte Ausbildungsgeld und den gewährten Zuschuss nach § 27 Abs. 3 SGB II gedeckt.

Referenznummer:

R/R3973


Informationsstand: 24.07.2012