Urteil
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben - Erstattungsanspruch

Gericht:

LSG Berlin-Brandenburg 8. Senat


Aktenzeichen:

L 8 AL 142/08


Urteil vom:

10.02.2011


Grundlage:

  • SGB IX § 14 |
  • SGB IX § 40 |
  • SGB X § 102 |
  • SGB X § 104 |
  • SGB X § 105 |
  • SGB VII § 1 |
  • SGB VII § 7 |
  • SGB VII § 35 |
  • SBG VI § 10 |
  • SGB VI § 11

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. März 2008 geändert.

Die Beigeladene wird verurteilt, der Klägerin die erbrachten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Zusammenhang mit der vom 19. Februar 2005 bis 19. Mai 2007 in der Werkstatt für Behinderte für die Versicherte N H durchgeführten Maßnahmen in dem Umfang zu erstatten, in dem die Beigeladene ihrerseits hätte Leistungen erbringen müssen.

Die Beigeladene hat die Gerichtskosten für beide Rechtszüge sowie die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Rechtszüge, die Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Beklagten für beide Rechtszüge zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für das Verfahren vor dem Landessozialgericht auf 58.783,73 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von Aufwendungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Die im Juni 1976 geborene Versicherte N H nahm 1995 nach dem Ende ihrer Schulzeit eine Ausbildung als Friseurin auf, die sie im August 1998 abschloss. Danach war sie mit Unterbrechungen zunächst im erlernten Beruf bei verschiedenen Arbeitgebern, ab November 1999 bis November 2000 und nochmals im April 2001 über Zeitarbeitsfirmen in unterschiedlichen Berufszweigen tätig. Seit 30. November 2006 ist bei ihr ein Grad der Behinderung nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) von 70 anerkannt.

Im Januar 1998 hatten die Hautärzte der Versicherten, bei denen sie seit 1996 in Behandlung war, bei der Klägerin den Verdacht auf eine beruflich bedingte Hauterkrankung angezeigt.

Nach Ermittlungen der Klägerin und nachdem die Versicherte erklärt hatte, die berufliche Tätigkeit als Friseurin endgültig aufzugeben (Schreiben vom 11. Mai 2001), erkannte die Klägerin ein irritatives Handekzem als Berufskrankheit nach Nr. 5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung ohne Rentenanspruch an (Bescheid vom 12. September 2001, der Beklagten mit Schreiben vom selben Tag in Kopie übersandt).

Bereits vor der förmlichen Anerkennung der Berufskrankheit hatte die Klägerin der Versicherten eine Maßnahme der Berufsfindung und Arbeitserprobung im Berufsförderungswerk Berlin bewilligt (Bescheid vom 15. Juni 2001; der Beklagten mit Schreiben vom 15. Juni 2001 in Kopie übersandt). Die am 3. September 2001 begonnene Maßnahme brach die Versicherte am 5. September 2001 ab, der Maßnahmeträger äußerte den Verdacht auf eine beginnende psychiatrische Störung (Schizophrenie, akute Psychose) und berichtete, dass die Versicherte bereits vom 15. Dezember 2000 bis zum 2. Januar 2001 wegen einer paranoiden Psychose stationär behandelt worden sei (Ergebnisbericht des Berufsförderungswerks B vom 12. September 2001). Ebenfalls wegen psychischer Leiden wurde eine am 14. Oktober 2002 begonnene Maßnahme der Berufsfindung und Arbeitserprobung im Berufsförderungswerk B abgebrochen, für die die Klägerin ebenfalls Kostenträgerin war (letzter Tag der Teilnahme 25. Oktober 2002, Ergebnisbericht vom 4. November 2002). Eine erweiterte Arbeitserprobungs- und Feststellungsmaßnahme beim A-L-Berufsbildungswerk B besuchte die Versicherte vom 15. Juni bis zum 27. August 2004 (reguläres Ende 31. August 2004), eine weitere Maßnahme der erweiterten Arbeitserprobung beim Berufsförderungswerk B (mit Hospitation in den Werkstätten für Behinderte der FSE L Werkstätten gGmbH - im folgenden: L Werkstätten) vom 18. Oktober bis zum 26. November 2004 (Ergebnisbericht vom 8. Dezember 2004); auch für diese beiden Maßnahmen war die Klägerin Kostenträgerin.

Als Ergebnis einer Besprechung der Maßnahmeergebnisse mit dem Berufshelfer der Klägerin erklärte die Versicherte am 29. November 2004 gegenüber der Klägerin, dass sie in einer Werkstatt für behinderte Menschen tätig sein wolle. Die Klägerin meldete die Versicherte darauf hin mit Schreiben vom 6. Dezember 2004 bei den L Werkstätten zum Eingangsverfahren für Werkstätten für Behinderte an.

Durch Bescheid vom 19. Januar 2005 bewilligte die Klägerin der Versicherten Leistungen (Übergangsgeld - ausgezahlt durch die IKK Brandenburg und Berlin, Fahrtkosten, Vergütung der Einrichtung) während der Teilnahme an einer Maßnahme der Eignungsabklärung und Arbeitserprobung bei den L Werkstätten für die Zeit vom 19. Februar bis zum 18. Mai 2005.

Durch formlose Schreiben gab sie der Versicherten dann jeweils bekannt, dass sich die Leistungen während der Teilnahme am Grundkurs des Berufsbildungsbereichs vom 19. Mai 2005 bis zum 18. Mai 2006 und vom 19. Mai 2006 bis zum 19. Mai 2007 verlängerten.

Mit Schreiben vom 6. Dezember 2004 hatte die Klägerin gegenüber der Beigeladenen vorsorglich einen Erstattungsanspruch angemeldet und um "Prüfung der Zuständigkeit" für die Zeit ab 27. November 2004 gebeten. Die rechtlich wesentliche Ursache für die Notwendigkeit des Eingangsverfahrens sei nicht die Berufskrankheit. Die Beigeladene erwiderte mit Schreiben vom 23. Dezember 2004 (bei der Beklagten eingegangen am 28. Dezember 2004), dass ihre Zuständigkeit nicht gegeben sei, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) nicht erfüllt seien.

Mit Schreiben vom 12. Januar 2005 machte die Klägerin daraufhin einen Erstattungsanspruch gegenüber der Beklagten geltend und bat sie um Prüfung ihrer Zuständigkeit ab 27. November 2005; auf die Antwort der Beigeladenen zur Zuständigkeit des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung wies sie hin.

Die Beklagte lehnte mit einem mit "Bescheid" bezeichneten Schreiben vom 27. Januar 2005 einen Erstattungsanspruch der Klägerin ab. Die Zuständigkeit für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben liege nach dem SGB IX bei der Klägerin. Diese verwies mit Schreiben an die Beklagte vom 15. Februar, 27. April und 3. Juni 2005 nochmals darauf, dass der Rehabilitationsbedarf nicht auf die von ihr zu entschädigende Berufskrankheit zurückgehe, die Beklagte verblieb in einem "Widerspruchsbescheid" vom 28. Juni 2005 bei ihrer Auffassung. Es handle sich um ein laufendes Rehabilitationsverfahren, währenddessen die Zuständigkeit nicht wechsle.

Am 14. September 2005 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben, mit der sie zuletzt die Verurteilung der Beklagten beantragt hat, ihr die erbrachten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Zusammenhang mit dem Arbeitstraining in der Werkstatt für Behinderte für die Versicherte N H in dem Umfang zu erstatten, in dem die Beklagte ihrerseits hätte Leistungen erbringen müssen. Eine Leistungsklage sei zulässig, weil nicht durch Verwaltungsakt zu entscheiden gewesen sei. Der Rehabilitationsfall sei zeitnah an die Beklagte weitergeleitet worden, nachdem die Beigeladene mitgeteilt habe, dass sie wegen der fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht zuständig sei. Für sie (die Klägerin) sei nicht erkennbar gewesen, dass die Beigeladene nicht zuständig sei. Ein Erstattungsanspruch bestehe auf der Grundlage des Sozialgesetzbuchs Zehntes Buch (SGB X). In einem Schreiben an die Beklagte vom 7. September 2007 bezifferte die Klägerin den Erstattungsanspruch für den Leistungszeitraum 27. November 2004 bis 19. Mai 2007 mit 64.365,42 EUR.

Durch Urteil vom 13. März 2008 hat das Sozialgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Die Klage sei als reine Leistungsklage statthaft. Dem Erstattungsanspruch stehe der von der Beklagten erlassene Bescheid nicht entgegen. Er sei gegenüber der Klägerin nicht wirksam geworden, weil er nichtig sei. Die Erstattungspflicht ergebe sich daraus, dass die Klägerin als unzuständiger Leistungsträger Leistungen an die Versicherte erbracht habe. Sie sei nicht formal aufgrund der Regelungen des SGB IX zuständig geworden, da sie den Antrag der Versicherten vom 29. November 2004 innerhalb von zwei Wochen an den Träger der Rentenversicherung weitergeleitet habe. Die Zuständigkeit der Klägerin ergebe sich auch nicht daraus, dass sie ein Rehabilitationsverfahren wegen der anerkannten Berufskrankheit eingeleitet habe. Die im Lauf dieses Verfahrens sichtbar gewordene psychische Erkrankung der Versicherten stehe auch mittelbar nicht im Zusammenhang mit der anerkannten Berufskrankheit. Zuständig für die Leistungen sei die Beklagte gewesen, da die Beigeladene ihre Zuständigkeit zu Recht verneint habe. Die Klägerin habe die Leistung ferner nicht aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erbracht, sodass die Voraussetzungen für den Erstattungsanspruch auch von daher nicht erfüllt seien. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richte sich nach den für die Beklagte geltenden Rechtsvorschriften.

Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen ihre Verurteilung. Zur Begründung wiederholt sie ihre Ausführungen aus dem erstinstanzlichen Verfahren.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. März 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. März 2008 zu ändern und die Beigeladene zu verurteilen ihr die erbrachten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vom 19. Februar 2005 bis 19. Mai 2007 in der Werkstatt für Behinderte für die Versicherte N H in dem Umfang zu erstatten, in dem die Beigeladene ihrerseits hätte Leistungen erbringen müssen.

Sie hält weiterhin die Beklagte oder die Beigeladene für erstattungspflichtig. Die Erstattungsforderung betrage 58.783,73 EUR (Schriftsatz vom 2. September 2008).

Im laufenden Verfahren hat sich die Klägerin nach einem richterlichen Hinweis zunächst selbst an die Beigeladene gewandt, um deren Zuständigkeit nochmals prüfen zu lassen. Die Beigeladene hat der Klägerin daraufhin mit Schreiben vom 17. Dezember 2008 und 26. Februar 2009 mitgeteilt, dass sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen auch nach erneuter Prüfung nicht als gegeben ansehe. Das Leistungsvermögen der Versicherten sei zwar bereits im November 2004 aufgehoben gewesen, die verminderte Erwerbsfähigkeit habe aber nicht durch Leistungen zur Teilhabe gebessert werden können.

Die mit Beschluss des Senats vom 23. April 2009 beigeladene Deutsche Rentenversicherung Berlin-Brandenburg beantragt,

die gegen sie gerichtete Klage abzuweisen.

Sie vertritt auch nach ihrer Beiladung die Auffassung, dass sie zu keinem Zeitpunkt ein für die Leistungen zur Teilhabe zuständiger Träger gewesen sei, da die Versicherte nicht die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt habe. Die Beigeladene gewährt der Versicherten seit 1. Juni 2007 jeweils befristete Renten wegen voller Erwerbsminderung.

Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten der Klägerin und die Rehabilitationsakten der Beklagten und der Beigeladenen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

Rechtsweg:

SG Berlin Urteil vom 13.03.2008 - S 60 AL 2853/05

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist begründet, da sie der Klägerin nicht zur Erstattung verpflichtet ist. Stattdessen war jedoch gemäß § 75 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Hilfsantrag der Klägerin hin die Verpflichtung der Beigeladenen auszusprechen.

Das Sozialgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin den Erstattungsanspruch im Wege der allgemeinen Leistungsklage geltend machen kann und die von der Beklagten erlassenen Bescheide der Zulässigkeit der Klage nicht entgegenstehen.

Der Klägerin steht auch ein Erstattungsanspruch zu, jedoch nicht gegenüber der Beklagten, sondern gegenüber der Beigeladenen.

Als Rechtsgrundlage für einen Erstattungsanspruch kommt nicht § 14 Abs. 4 Satz 1 SGB IX in Betracht. Diese Vorschrift bestimmt: "Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach Abs. 1 Satz 2 bis 4 festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger, der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften."

Die Klägerin hat die streitigen Leistungen nicht als "zweitangegangener" Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 1 Satz 2 (bis 4) SGB IX gewährt (s. zu diesem Erfordernis BSG, Urteil vom 2. November 2010 - B 1 KR 9/10 R, zur Veröffentlichung vorgesehen, ferner u. a. BSG SozR 4-3250 § 14 Nr. 4, 9 und 12). Sie war in jedem Fall der erste Leistungsträger, mit dem die Versicherte nach Inkrafttreten des § 14 SGB IX am 1. Juli 2001 aufgrund eines Sachverhalts Kontakt hatte, der Ansprüche auf Leistungen zur Teilhabe gegen andere Leistungsträger als die Klägerin begründen konnte. Das hat, jedenfalls ursprünglich, gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 (ggf. i.V. mit Abs. 3) SGB IX die Zuständigkeit der Klägerin als Träger der Leistungen zur Teilhabe begründet (Umkehrschluss aus Art. 67 Abs. 1 des SGB IX-Artikelgesetzes).

Offen bleiben kann, ob die Zuständigkeit eines Trägers von Leistungen zur Teilhabe während eines laufenden Leistungsverfahrens überhaupt noch nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 Satz 1 (ggf. i. V. mit Abs. 3) SGB IX wechseln kann und ob - so dies zuträfe - die von der Klägerin als "Antrag" bewertete Erklärung der Versicherten vom 29. November 2004 innerhalb der Zweiwochenfrist des § 14 Abs. 1 Satz 1 (ggf. i.V . mit Abs. 3) SGB IX an die Beigeladene weitergeleitet worden ist (was ausschließlich bei ihr eine "endgültige" nachrangige Zuständigkeit begründen konnte, s. mittlerweile ständige Rechtsprechung des BSG, stellvertretend in SozR 4-3250 § 14 Nr. 1, 4 und 7).

Ob die Klägerin nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nachrangig zuständiger Leistungsträger geworden war oder ob sie die Leistungen in der Annahme einer wenigstens "vorübergehenden" Zuständigkeit erbracht hat, kann dahinstehen. Im ersten Fall ergibt sich ein Erstattungsanspruch aus § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X (s. BSG, Urteil vom 2. November 2010 - B 1 KR 9/10 R). Die Vorschrift lautet: "Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat." Die gesetzlichen Voraussetzungen wären in diesem Fall erfüllt, weil die Klägerin durch die Zuständigkeitszuweisung des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX der im Verhältnis zur Versicherten alleinzuständige Leistungsträger geworden wäre; weil damit eine originäre Zuständigkeit begründet worden ist, liegt kein Fall des § 103 SGB X vor. Die Zuständigkeit der Klägerin ist auch nicht dadurch begründet worden, dass sie wegen eines Zuständigkeitsstreits die Frist zur Weitergabe des "Antrags" versäumt hätte (was zu einem Anspruch aus § 102 Abs. 1 SGB X führen würde, s. BSG SozR 4-3250 § 14 Nr. 9).

Im zweiten Fall ergibt sich der Erstattungsanspruch aus § 105 Abs. 1 SGB X. Diese Vorschrift lautet: "Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs. 1 vorliegen, ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat." Die gesetzlichen Voraussetzungen wären erfüllt. Die Klägerin hätte Leistungen nicht im Sinne von § 102 Abs. 1 SGB X aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung (s. dazu BSG SozR 4-3250 § 14 Nr. 9), sondern in der unzutreffenden Annahme ihrer Zuständigkeit erbracht.

Beide Ansprüche richten sich gegen die Beigeladene. Sie wäre im Sinne des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X der "vorrangig verpflichtete", im Sinne des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X der "zuständig gewesene" Leistungsträger.

Die von der Klägerin gewährten Leistungen im Eingangsbereich und im Berufsbildungsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen (§ 40 Abs. 1 SGB IX) fallen nicht in ihre Zuständigkeit. Zwar gehören sie grundsätzlich zum Katalog der von der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringenden Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 35 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch [SGB VII]). Leistungen aus diesem Versicherungszweig werden jedoch nur gewährt, sofern sie auf einen dort versicherten Versicherungsfall zurückzuführen sind (§ 1 Nr. 2 SGB VII). Es steht nicht infrage, dass die bei der Versicherten bestehende psychische Erkrankung weder unmittelbar noch mittelbar ihre Ursache in der bei ihr anerkannten Berufskrankheit als Versicherungsfall der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 7 Abs. 1 SGB VII) hat.

Die Versicherte erfüllte im Zeitpunkt des Beginns der Maßnahme, für die die Klägerin Erstattungen fordert, die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach dem SGB VI. Die Beigeladene selbst hat nach eigener Prüfung mitgeteilt, dass die Versicherte bereits im November 2004 im Sinne des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung aus medizinischen Gründen voll erwerbsgemindert war, sodass das die persönlichen Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI vorliegen.

Sie bestehen auch von daher, als die geminderte Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert, jedenfalls aber deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann (§ 10 Nr. 2 Buchstabe b) SGB VI). Zwar ergibt sich aus diesem Erfordernis, dass die Träger der Rentenversicherung Teilhabeleistungen nur dann erbringen, wenn sich dadurch (prognostisch) ihre Einstandspflicht für Rentenleistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vermeiden lässt (BSG SozR 3-2200 § 1237 Nr. 1). Dies ist hier aber der Fall. Rechtfertigt bereits die Tatsache, dass ein behinderter Mensch in einer Werkstatt für Behinderte tätig ist, noch nicht den Schluss, dass auch (auf Dauer) verminderte Erwerbsfähigkeit vorliegt (BSG SozR 3-2600 § 44 Nr. 6), so spricht der Umstand, dass Versicherte nur für Tätigkeiten in Werkstätten für Behinderte in Betracht kommen, ebenfalls nicht dagegen, dass eine "positive" Prognose im Sinne des § 10 Nr. 2 Buchstabe b) SGB VI gestellt werden kann. Dies auch deshalb, weil die Leistungen im Eingangsbereich und im Berufsbildungsbereich der Werkstätten für behinderte Menschen gerade zum Leistungskatalog der gesetzlichen Rentenversicherung gehören (§ 16 SGB VI i. V. mit § 40 SGB IX). Anders als es bei der Beigeladenen anklingt, ergibt sich ferner aus den Akten nichts dafür, dass die Versicherte zu irgendeinem Zeitpunkt während der von der Klägerin gewährten Teilhabeleistung auf Dauer erwerbsgemindert gewesen sein könnte. Vielmehr hat der von der Beigeladenen beauftragte Gutachter Dr. H noch im März 2007 - also kurz vor Ablauf der geförderten Maßnahme - keine Leistungsminderung für voraussichtlich mehr als drei Jahre feststellen können. Die Beigeladene hat der Versicherten folgerichtig bislang auch nur Zeitrenten wegen voller Erwerbsminderung gewährt.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllte die Versicherte aufgrund von § 11 Abs. 2a Nr. 1 SGB VI. Die Beigeladene hat - wie bereits erwähnt selbst festgestellt, dass die Versicherte ab November 2004 voll erwerbsgemindert war. Hätte die Beigeladene das Leistungsverfahren durchgeführt, hätte sie nach Abschluss der Maßnahme zu prüfen gehabt, ob der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe gemäß § 116 Abs. 2 (Nr. 2) SGB VI als Rentenantrag gilt. Dementsprechend schloss die Gewährung der Teilhabeleistung (zu der auch das Übergangsgeld gehört hätte, § 20 Nr. 1 SGB VI) die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (zunächst) aus. Der Ausschlusstatbestand des § 12 Abs. 1 Nr. 4a SGB VI ist ebenfalls nicht erfüllt. Zum einen sind Renten wegen Erwerbsminderung keine Leistungen, die "regelmäßig" bis zum Beginn der Altersrente gezahlt werden, da seit 1. Januar 2001 die Rentengewährung auf Zeit der gesetzliche Regelfall ist (§ 102 Abs. 2 SGB VI). Zum anderen schließt auch nur der tatsächliche Bezug solcher Dauerleistungen die Leistungen zur Teilhabe aus. Die Versicherte bezog während der hier fraglichen Maßnahmen aber gerade keine Rente.

Da die Klägerin nur die Verurteilung "dem Grunde nach" beantragt hat, muss die Höhe der Erstattungsforderung nicht überprüft werden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. mit § 154 Abs. 2 und 3 Verwaltungsgerichtsordnung, die Entscheidung über den Streitwert auf § 63 Abs. 2 Satz 1 i. V. mit § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.

Referenznummer:

R/R3976


Informationsstand: 24.07.2012