Urteil
Zur Bewilligung von Übergangsgeld für die Dauer der Teilnahme an einer Maßnahme zur Abklärung der beruflichen Eignung und Arbeitserprobung - Einkommensverlust für den Empfänger von Arbeitslosen- oder Krankengeld Verfassungskonforme Ungleichbehandlung

Gericht:

LSG Nordrhein-Westfalen 3. Senat


Aktenzeichen:

L 3 R 849/16


Urteil vom:

08.02.2017


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 09.08.2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Bewilligung von Übergangsgeld für die Dauer der Teilnahme an einer Maßnahme zur Abklärung der beruflichen Eignung und Arbeitserprobung (nachfolgend: Eignungsabklärung/Arbeitserprobung).

Der am 00.00.1968 geborene Kläger nahm in der Zeit vom 14.08. bis zum 18.09.2012 an einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der "M C", M, teil. Aus dieser Maßnahme wurde der Kläger aufgrund der Diagnosen mittelgradige depressive Episode und ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung zwar arbeitsunfähig, aber grundsätzlich leistungsfähig in einem Umfang von arbeitstäglich sechs Stunden und mehr für seine zuletzt verrichtete Tätigkeit als Kommunikationselektroniker entlassen. Es wurde die Durchführung von Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben empfohlen. Seit dem 16.07.2013 bezog der Kläger - auch für den hier streitgegenständlichen Zeitraum vom 03.02.2014 bis zum 07.03.2014 - Arbeitslosengeld (Bescheid der Agentur für Arbeit Bochum vom 03.08.2013).

Mit Bescheid vom 25.07.2013 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach. In dem Bescheid ist ausgeführt, dass der Kläger über Art und Umfang dieser Leistungen noch einen weiteren Bescheid erhalten werde. Mit Schreiben vom 06.11.2013 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass es zur Auswahl einer für ihn zweckmäßigen Leistung erforderlich sei, seine berufliche Eignung abzuklären und eine Arbeitserprobung durchzuführen. Als Beginn sei der 03.02.2014 vorgesehen. Den Antrag des Klägers vom 13.01.2014 auf Bewilligung von Übergangsgeld für die Dauer der Eignungsabklärung/Arbeitserprobung lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.01.2014 ab. Die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung nach § 33 Abs 4 S 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) sei keine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, sondern Bestandteil des Verwaltungsverfahrens. Nach § 20 Abs 1 S 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) bestehe ein Anspruch auf Übergangsgeld wie bei berufsfördernden Leistungen nur für die Zeit, in der der Kläger wegen der Teilnahme an der Eignungsabklärung/Arbeitserprobung kein oder geringeres Arbeitsentgelt erziele. Soweit er unmittelbar zuvor eine Lohnersatzleistung (z.B. Krankengeld, Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe) erhalten habe, sei diese von dem zuständigen Leistungsträger weiter zu zahlen.

Der Kläger legte am 11.02.2014 Widerspruch ein. Die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung sei wegen Art und Ausgestaltung eine Rehabilitationsmaßnahme, für die Übergangsgeld zu erbringen sei. § 33 Abs 3 SGB IX enthalte keine abschließende Regelung, so dass auch andere als die dort genannten Leistungen solche zur Teilhabe am Arbeitsleben sein könnten. Weder im SGB VI noch im SGB IX gebe es eine Verordnungsermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung, die näheres zur Eignungsabklärung / Arbeitserprobung regeln könne. Dies sei jedoch erforderlich, weil für den Personenkreis der Arbeitslosengeld- oder Krankengeldbezieher Klärungsbedarf bestehe. In § 45 SGB IX sei nicht hinreichend bestimmt, ob für einen Anspruch auf Übergangsgeld der dort genannte Personenkreis abschließend oder beispielhaft sei. Es gelte daher § 20 SGB VI als spezialgesetzliche Regelung. Hiernach bestünde für Teilnehmer an einer Maßnahme zur Teilnahme am Arbeitsleben ein Anspruch auf Übergangsgeld. Die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung sei eine solche Maßnahme, ansonsten würde die Beklagte Leistungen erbringen, die sie nach dem Gesetz nicht erbringen könne oder müsse. Im Übrigen würden Arbeitslose aufgrund ihres Erwerbsstatus diskriminiert, wenn sie kein Übergangsgeld erhielten. Für diese Ungleichbehandlung gebe es keine Rechtsgrundlage.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.04.2014 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Nach § 45 Abs 3 SGB IX bestehe für behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen ein Anspruch auf Übergangsgeld wie bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für den Zeitraum, in dem die berufliche Eignung abgeklärt oder eine Arbeitserprobung durchgeführt werde und sie wegen der Teilnahme kein oder ein geringeres Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielten. Das Übergangsgeld sei selbst dann nicht zu zahlen, wenn der Leistungsempfänger wegen der Anspruchsdauer (z.B. Aussteuerung) keine Entgeltersatzleistungen mehr erhalte. Eine Ausnahmeregelung gebe es nur für Versicherte, die durch die Teilnahme an der Eignungsabklärung/Arbeitserprobung Einkommenseinbußen hätten. Das sei der Fall, wenn der Leistungsempfänger ohne die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung entweder als Arbeitnehmer ein (höheres) Arbeitsentgelt oder als Selbstständiger ein (höheres) Arbeitseinkommen erzielt hätte. Die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung sei keine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Der Gesetzgeber habe sie dem Verwaltungsverfahren zugeordnet, weil sie das Mittel zur Auswahl einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben sei. Da der Kläger durch die Teilnahme an der Eignungsabklärung/Arbeitserprobung keine Einkommenseinbußen habe, bestehe kein Anspruch auf Übergangsgeld.

Der Kläger hat am 16.05.2014 Klage erhoben. Mit Bescheid vom 25.07.2013 habe die Beklagte die angekündigte Maßnahme ausdrücklich als Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben bezeichnet. Der nachfolgende Bescheid vom 06.11.2013 habe die angekündigte Maßnahme nur konkretisiert. Es sei widersprüchlich, wenn die Beklagte nunmehr vortrage, die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung sei keine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben. Nach Wiederholung seines Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren hat der Kläger ergänzend vorgetragen, dass die Beklagte mit ihrer Auslegung lediglich die Protokollnotizen zu § 20 Abs 1 S 2 SGB VI wiederhole, der jedoch nicht mehr existiere. Hätte der Gesetzgeber Bezieher von Arbeitslosengeld von dem Bezug des Übergangsgeldes ausschließen wollen, hätte er dies gesetzlich regeln müssen. Während der Teilnahme an der Eignungsabklärung/Arbeitserprobung stünden Arbeitslose der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung und erfüllten auch nicht die Anforderungen der Erreichbarkeitsanordnung, was zu Leistungskürzungen führen könne. Es könne auch nicht sein, dass die Beklagte die Kostenträgerschaft für die Absicherung der Betroffenen ohne gesetzliche Grundlage der Arbeitsagentur zuschiebe. Zur Stützung seiner Auffassung hat der Kläger auf die Entscheidung des Landessozialgerichtes Brandenburg Berlin vom 08.09.2005 - L 21 RJ 151/04 - Bezug genommen.

Durch Urteil vom 09.08.2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass es für die Gewährung von Übergangsgeld an einer Anspruchsgrundlage fehle. Das Fehlen einer Rechtsgrundlage schließe die Gewährung einer Leistung aus und könne nicht zu deren Bewilligung führen. Die Beklagte berufe sich zu Recht auf § 45 Abs 3 SGB IX, dessen Voraussetzungen der Kläger nicht erfülle, denn er habe während der Teilnahme an der Eignungsabklärung/Arbeitserprobung Arbeitslosengeld I, das bewilligt worden war, beziehen können. Soweit die Formulierung "wie bei Leistungen zur Teilhabe" verwendet werde, zeige dies darüber hinaus, dass das Gesetz die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung ausdrücklich von den Teilhabemaßnahmen absetze und nur in dem besonderen Fall, dass kein oder ein geringeres Entgelt erzielt werde, eine Gleichstellung hinsichtlich des Übergangsgeldes vorsehe. Die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung sei auch keine Teilhabeleistung, sondern vielmehr ein Teil des Verwaltungsverfahrens, weil sie die Beklagte erst in die Lage versetzen solle, eine geeignete Teilhabemaßnahme zu erkennen und zu bewilligen. Dies und die relative Kürze solcher Maßnahmen könnten die Gründe dafür sein, dass der Gesetzgeber keinen regelmäßigen Übergangsgeldanspruch vorgesehen habe. Das Urteil des Bundessozialgerichts vom 07.09.2010 - B 5 R 104/08 R - scheine dies vorauszusetzen.

Gegen das am 25.08.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.09.2016 Berufung eingelegt. Er vertritt weiterhin die Auffassung, dass ihm ein Anspruch auf Übergangsgeld aus § 20 Abs 1 SGB VI zustehe. Die spezialgesetzlichen Regelungen des SGB IX regelten nicht den Fall des "Arbeitslosengeldempfängers, der an einer Eignungsabklärung/Arbeitserprobung" teilnehme. Das Bundessozialgericht habe in seinem Urteil vom 07.09.2010 ausgeführt, dass Eignungsabklärung/Arbeitserprobung und die nachfolgende Ausbildung funktional ineinandergreifende und zusammenwirkende Teilleistungen einer übergreifenden (Gesamt-)Maßnahme seien. Das Bundessozialgericht habe festgestellt, dass wegen der "funktionellen Verknüpfung" mit der späteren Hauptmaßnahme ein einheitlicher Übergangsgeldanspruch ab Beginn der Arbeitserprobung entstanden sei. Ähnlich habe bereits das LSG Berlin Brandenburg entschieden. Die Einschränkung eines gesetzlich zuerkannten Anspruchs (hier § 20 Abs 1 SGB VI) könne nur durch ein Gesetz erfolgen. Dies sei vorliegend nicht geschehen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 09.08.2016 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2014 zu verurteilen, ihm für die Dauer der Teilnahme an der Maßnahme zur Berufsfindung/Arbeitserprobung vom 03.02. bis zum 07.03.2014 Übergangsgeld nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten (Az: 000), Bezug genommen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Rechtsweg:

SG Münster, Urteil vom 09.08.2016 - S 14 R 330/14
BSG, Beschluss vom 18.07.2017 - B 13 R 110/17 B

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat für die Dauer der Teilnahme an der Eignungsabklärung/Arbeitserprobung vom 03.02.2014 bis zum 07.03.2014 keinen Anspruch auf Übergangsgeld.

Nach § 45 Abs 3 SGB IX haben behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen Anspruch auf Übergangsgeld wie bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, für den Zeitraum, in dem die berufliche Eignung abgeklärt oder eine Arbeitserprobung durchgeführt wird (§ 33 Abs 4 Satz 2) und sie wegen der Teilnahme kein oder ein geringeres Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielen.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht. Wegen der Durchführung der Eignungsabklärung/Arbeitserprobung hat der Kläger keinen Ausfall an Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen. Er hat zuvor weder Arbeitsentgelt erhalten noch Arbeitseinkommen erzielt. Der Kläger hat Arbeitslosengeld erhalten, das während der Dauer der Eignungsabklärung/Arbeitserprobung weiter geleistet wurde. Dies hat der Kläger auch bestätigt.

Gemäß § 20 Nr 1 SGB VI haben unter anderem solche Versicherte, die von einem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten, Anspruch auf Übergangsgeld. Welche Leistungen die Rentenversicherungsträger zur Teilhabe am Arbeitsleben erbringen können, richtet sich gemäß § 16 SGB VI nach §§ 33 ff SGB IX. Die von dem Kläger durchgeführte Eignungsabklärung/Arbeitserprobung ist keine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Nach § 33 Abs 1 SGB IX werden Leistungen zur Teilhabe erbracht, um die Erwerbsfähigkeit behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern.

Dabei umfassen die Leistungen nach § 33 Abs 3 SGB IX insbesondere

1. Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes einschließlich Leistungen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung,

2. Berufsvorbereitung einschließlich einer wegen der Behinderung erforderlichen Grundausbildung,

2a. individuelle betriebliche Qualifizierung im Rahmen Unterstützter Beschäftigung,

3. berufliche Anpassung und Weiterbildung, auch soweit die Leistungen einen zur Teilnahme erforderlichen schulischen Abschluss einschließen,

4. berufliche Ausbildung, auch soweit die Leistungen in einem zeitlich nicht überwiegenden Abschnitt schulisch durchgeführt werden,

5. Gründungszuschuss entsprechend § 93 des Dritten Buches durch die Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 5,

6. sonstige Hilfen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben, um behinderten Menschen eine angemessene und geeignete Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit zu ermöglichen und zu erhalten.

Leistungen nach Absatz 3 Nr. 1 und 6 umfassen nach Abs. 8 der Vorschrift auch

1. Kraftfahrzeughilfe nach der Kraftfahrzeughilfe-Verordnung,

2. den Ausgleich unvermeidbaren Verdienstausfalls des behinderten Menschen oder einer erforderlichen Begleitperson wegen Fahrten der An- und Abreise zu einer Bildungsmaßnahme und zur Vorstellung bei einem Arbeitgeber, einem Träger oder einer Einrichtung für behinderte Menschen durch die Rehabilitationsträger nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 5,

3. die Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz für schwerbehinderte Menschen als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes,

4. Kosten für Hilfsmittel, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufsausübung, zur Teilnahme an einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zur Erhöhung der Sicherheit auf dem Weg vom und zum Arbeitsplatz und am Arbeitsplatz erforderlich sind, es sei denn, dass eine Verpflichtung des Arbeitgebers besteht oder solche Leistungen als medizinische Leistung erbracht werden können,

5. Kosten technischer Arbeitshilfen, die wegen Art oder Schwere der Behinderung zur Berufsausübung erforderlich sind und

6. Kosten der Beschaffung, der Ausstattung und der Erhaltung einer behinderungsgerechten Wohnung in angemessenem Umfang.

Die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung unterfällt keiner dieser Bestimmungen.

Zwar ist diese Aufzählung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht abschließend, so dass auch andere im Gesetz nicht genannte "Maßnahmen" Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sein können. Dies trifft aber auf die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung nicht zu. Diese ist nach dem Willen des Gesetzgebers keine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben, sondern geht - soweit sie erforderlich ist - einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben voraus. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 33 Abs 4 SGB IX: "Bei der Auswahl der Leistungen werden Eignung, Neigung, bisherige Tätigkeit sowie Lage und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt angemessen berücksichtigt. Soweit erforderlich, wird dabei die berufliche Eignung abgeklärt oder eine Arbeitserprobung durchgeführt; " Die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung ist somit ein Mittel zur Prüfung, welche Leistung zur Teilhabe erbracht werden soll.

Der Gesetzgeber hat dies bei Einführung des SGB VI zu § 20 Abs 1 Satz 2 SGB VI, dessen Regelung in § 45 Abs 3 SGB IX übernommen wurde, in der Gesetzesbegründung klar zum Ausdruck gebracht. Er hat ausgeführt (BT-Drs 11/4121, S. 156): "Berufsfindung oder Arbeitserprobung dienen der Ermittlung der Leistungsfähigkeit und der beruflichen Neigungen des Versicherten als Grundlage für die Entscheidung über berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation; sie bilden eine Ergänzung des Verwaltungsverfahrens, wenn ein Rehabilitationsträger sich aufgrund der Beurteilung durch seine eigenen Fachdienste noch kein abschließendes Urteil bilden konnte. Es erscheint daher sachgerecht, sie nicht mehr als eigenständige berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation auszuweisen, sondern sie dem Verwaltungsverfahren zuzuordnen; sie können dann auch so frühzeitig eingesetzt werden, wie dies im Einzelfall von der Sache her geboten ist. Absatz 2 Satz 3 stellt sicher, dass während Berufsfindung und Arbeitserprobung auch Haushaltshilfe und Reisekosten erbracht werden können."

Diesem Grundgedanken folgend hat der Gesetzgeber besondere rechtliche Regelungen zur materiellen Absicherung der Versicherten während der Durchführung einer Eignungsabklärung/Arbeitserprobung geschaffen. In § 45 SGB IX, in dem die Leistungen zum Lebensunterhalt geregelt sind, ist in Abs 3 der Anspruch auf Übergangsgeld für die Zeit der Eignungsabklärung/Arbeitserprobung geregelt. § 33 Abs 4 SGB IX bestimmt, welche "ergänzenden" Leistungen bei Durchführung einer Eignungsabklärung/Arbeitserprobung ggf. zu erbringen sind (Kosten für die auswärtige Unterbringung nach Absatz 7, Reisekosten nach § 53 SGB IX sowie Haushaltshilfe und Kinderbetreuungskosten nach § 54 SGB IX). Diese gesonderten Regelungen für die Zeit der Teilnahme an der Eignungsabklärung/Arbeitserprobung wären nicht erforderlich, wenn es sich hierbei um eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben handeln würde. Dann ergäben sich die Ansprüche auf ergänzende Leistungen bereits direkt aus §§ 45 Abs 2 (Übergangsgeld), 33 Abs 7, 53 und 54 SGB IX.

Dabei belegt insbesondere der Wortlaut des § 45 Abs 3 SGB IX, dass die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung keine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben ist. Hiernach besteht bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen für den Zeitraum, in dem die berufliche Eignung abgeklärt oder eine Arbeitserprobung durchgeführt wird, ein Anspruch auf Geldleistungen "wie" bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Hierbei handelt es sich um eine Rechtsfolgenverweisung, die für die Zeit der Teilnahme an einer Eignungsabklärung/Arbeitserprobung anordnet, dass das Übergangsgeld entsprechend den Vorschriften über die Berechnung des Übergangsgeldes bei Teilnahme an eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben zu berechnen ist. Diese Rechtsfolgenverweisung wäre nicht erforderlich, wenn die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben wäre.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus den von dem Kläger in Bezug genommenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Urteil vom 07.09.2010 - B 5 R 104/08 R) und des Landessozialgerichts Brandenburg Berlin (Urteil vom 08.09.2005 - L 21 RJ 151/04). Beide Entscheidungen ergingen zu einem anderen Sachverhalt. Es war darüber zu befinden, welches Entgelt der Berechnung des Übergangsgeldes für eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben zu Grunde zu legen war, die nach Durchführung einer Eignungsabklärung/Arbeitserprobung - mit Bezug von Übergangsgeld - bewilligt worden war. Der Umstand, dass die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung als Teil des Rehabilitationsgeschehens angesehen wird (LSG Brandenburg Berlin) bzw., dass auf Grund einer "funktionalen Verknüpfung" zwischen Eignungsabklärung/Arbeitserprobung und einer nachfolgenden Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben ein ganzheitliches Rehabilitationsgeschehen angenommen wird (BSG), bedeutet nicht, dass die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung eine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben ist. Das LSG Brandenburg-Berlin hat insoweit auch ausgeführt, dass es auf die Frage, "ob die Berufsfindung und Arbeitserprobung eine eigentliche Leistung zur Beruflichen Rehabilitation ist" nicht ankomme (Rdz. 31).

Nicht nachvollziehen kann der Senat die Auffassung des Klägers, die Berufsfindung sei eine Maßnahme zur Teilnahme am Arbeitsleben, weil die Beklagte zuvor mit Bescheid vom 25.07.2013 dem Grunde nach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bewilligt habe. Die Beklagte hat in ihrem Schreiben vom 06.11.2013 ausgeführt, dass es zur Auswahl der zweckmäßigen Leistung erforderlich sei, die berufliche Eignung des Klägers abzuklären und eine Arbeitserprobung durchzuführen. Damit ist für den verständigen Empfänger zweifelsfrei ersichtlich, dass die Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben, die bewilligt werden soll, noch nicht ausgewählt ist.

Ebenso begründet die Form der Durchführung der Eignungsabklärung/Arbeitserprobung deren Eigenschaft als Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht. Die Eignungsabklärung/Arbeitserprobung bleibt unabhängig von der Art und Weise der Durchführung, ein Mittel zur Auswahl einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben.

Entgegen der Auffassung des Klägers musste der Gesetzgeber nicht regeln, dass ein Bezieher von Arbeitslosengeld während der Teilnahme an einer Eignungsabklärung/Arbeitserprobung keinen Anspruch auf Übergangsgeld hat. Denn der Gesetzgeber hat positiv geregelt hat, unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Übergangsgeld besteht.

Zur Überzeugung des Senats liegt auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art 3 Grundgesetz -GG-) vor. Dieser verbietet es, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen. Vordergründig werden zwar Bezieher von Arbeitslosengeld/Krankengeld anders behandelt als Erwerbstätige. Entscheidend für die Bewilligung von Übergangsgeld nach § 45 Abs 3 SGB IX ist jedoch, ob wegen der Teilnahme an der Eignungsabklärung/Arbeitserprobung ein Einkommensverlust eintritt. Ein solcher tritt bei Empfängern von Arbeitslosengeld/Krankengeld nicht ein, da diese Leistungen weiter gezahlt werden. Der fehlende Einkommensverlust rechtfertigt die ungleiche Behandlung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 oder 2 SGG).

Referenznummer:

R/R7499


Informationsstand: 13.02.2018