Unter teilweiser Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 22. Juni 2004 und des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2005 wird der Beklagte verpflichtet, ab dem 01. Februar 2002 einen monatlichen Zuschuss in Höhe von 1.820,00
EUR und ab dem 01. Juli 2003 bis zum 31. Januar 2005 einen Betrag in Höhe von 1.925,00
EUR zu bewilligen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in einer der Kostenfestsetzung entsprechenden Höhe vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz.
Der im Jahre 1964 geborene Kläger leidet an Spinaler Muskelathrophie. Bei dem Kläger besteht seit 1976 ein Grad der Behinderung von 100 %. Nach dem Sozialmedizinischen Gutachten vom 17. Dezember 2002 ist der Kläger in die Pflegestufe III eingestuft. Der Kläger ist auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen und benötigt 24 Stunden täglich die Betreuung durch eine Pflegekraft für die hauswirtschaftliche und die Grundversorgung. Dreiviertel des täglichen Pflegebedarfs werden durch den C.-Verein, ein Viertel durch Bekannte und Studenten abgedeckt.
Seit dem 01. Februar 2002 ist der Kläger als Leiter des "Instituts für ...
GmbH" tätig. Er ist zugleich der einzige Mitarbeiter des Instituts. Der Aufgabenbereich des Klägers beinhaltet nach § 6 des Arbeitsvertrags die Beantragung, Durchführung und Abwicklung von Projekten sowie im Einvernehmen mit der Geschäftsleitung die wissenschaftliche Leitung des Instituts. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt 38,5 Stunden. Überstunden werden nicht bezahlt. Der Kläger erhält eine Vergütung nach
BAT 2 a. Die Stadt Mainz gewährt dem Kläger im Rahmen der Sozialhilfe Hilfe zur Pflege, durch die die ungedeckten Kosten des Klägers übernommen werden.
Der Kläger beantragte am 14. Januar 2002 die Übernahme der Kosten einer Arbeitsassistenz unter Hinweis auf sein Arbeitsverhältnis.
Nach Einschaltung des beratenden Ingenieurs des Integrationsamtes bewilligte das Integrationsamt mit Bescheid vom 22. Juni 2004 für den Zeitraum von Februar 2002 bis Januar 2005 einen Pauschalbetrag zur Abgeltung der dem Kläger durch die Beschäftigung einer Arbeitsassistenz entstehenden Kosten. Der Pauschalbetrag wurde ab Januar 2002 auf 1.274,00
EUR und ab Juli 2003 auf 1.348,00
EUR monatlich festgesetzt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Arbeitsassistenz ausschließlich der Unterstützung der Arbeitsausführung diene und sich nicht auf pflegerische und betreuerische Maßnahmen beziehe. Bei einer täglichen Arbeitszeit von 7 Stunden 42 Minuten entfielen etwa 40 Minuten auf pflegerische Unterstützung. In den restlichen 7 Stunden werde nur zu 70 % der Arbeitszeit die Unterstützung durch die Arbeitsassistenz benötigt, also 4,9 Stunden täglich. Der von dem Kläger für die Arbeitsassistenz gezahlte Stundenlohn von 17,13
EUR sei nicht angemessen. Unter Zugrundelegung der Beträge für die Regelförderung sei ein Stundenlohn von 12,66
EUR als angemessen zu betrachten. Darüber hinaus geleistete Vergütungen unterfielen der Sozialhilfe, da insoweit der Sozialhilfeträger für die Sicherstellung der Pflege verantwortlich sei.
Hiergegen legte der Kläger am 24. August 2004 Widerspruch ein mit der Begründung, seine Arbeitszeit betrage täglich 7 Stunden, während dieser Zeit werde die Arbeitsassistenz benötigt. Der Stundenlohn von 17,13
EUR sei vom C..-Club vorgegeben. Außerdem seien die von ihm geleisteten Überstunden nicht berücksichtigt worden.
Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 20. April 2005 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die für die Notwendigkeit der Arbeitsassistenz anzusetzende Arbeitszeit von 4,9 Stunden sei zutreffend, da nur die aktive Unterstützung am Arbeitsplatz maßgeblich sei und Bereitschaftszeiten außer Betracht blieben. Der Anspruch auf Arbeitsassistenz gehe nicht zwingend auf die Übernahme der tatsächlich anfallenden Kosten. Der Kläger könne sich insoweit auch nicht auf sein Wahlrecht berufen, da Wünschen nur entsprochen werden könne, wenn diese angemessen seien. Die geleisteten Überstunden seien nicht zu berücksichtigen, da nach dem Arbeitszeitgesetz hierfür ein Anspruch auf Zeitausgleich bestehe. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 25. April 2005 zugestellt.
Der Kläger hat am 09. Mai 2005 Klage erhoben, zu deren Begründung er sein Vorbringen wiederholt und vertieft.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 22. Juni 2004 und des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2005 zu verpflichten, die Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz vollständig zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist darauf, dass der Kläger während der Arbeitszeit zwei Bedarfslagen habe, nämlich Arbeitsassistenz und Pflegebedarf, die aus einer Hand erbracht würden, jedoch durch Kostenteilung zwischen den beteiligten Leistungsträgern zu regeln seien. Außerdem gebe es mittlerweile ein preisgünstigeres Angebot für Arbeitsassistenz durch das Zentrum für selbstbestimmtes Leben. Hier habe im Jahre 2004 der Stundensatz bei 12,60
EUR gelegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsakten des Beklagten, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Die zulässige Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, denn der Kläger hat gemäß § 102
Abs. 4
SGB IX einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine notwendige Arbeitsassistenz in Höhe von 1.820,00
EUR ab dem 01. Februar 2002 und in Höhe von 1.925,00
EUR ab dem 01. Juli 2003 bis zum 31. Januar 2005.
Nach
§ 38 Abs. 8 Nr. 3 SGB IX und
§ 102 Abs. 4 SGB IX hat ein Schwerbehinderter im Rahmen der Zuständigkeit des Integrationsamtes für die begleitende Hilfe im Arbeitsleben aus dem dem Integrationsamt aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe zur Verfügung stehenden Mitteln einen Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, insbesondere ist beim Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum eine Arbeitsassistenz im Umfang von 7 Stunden je Arbeitstag "notwendig" im Sinne des § 102
Abs. 4
SGB IX.
Das Gesetz enthält keine näheren Angaben darüber, wann eine Arbeitsassistenz "notwendig" im Sinne des § 102
Abs. 4
SGB IX ist. Ebenso hat der Gesetzgeber es bisher unterlassen, von der Ermächtigung in
§ 108 SGB IX Gebrauch zu machen und die dort vorgesehene Verordnung zur Regelung der Voraussetzungen sowie der Höhe, Dauer und Ausführung der Arbeitsassistenz zu regeln. Es erscheint daher sachgerecht, für den Begriff der Notwendigkeit die Begriffsbestimmung in Ziffer 2.3. der Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (
BIH) für die Erbringung finanzieller Leistungen zur Arbeitsassistenz schwerbehinderter Menschen gemäß § 102
Abs. 4
SGB IX (im Folgenden: Empfehlungen) zugrunde zu legen.
Danach ist eine Arbeitsassistenz "notwendig" im Sinne des § 102
Abs. 4
SGB IX, wenn dem schwerbehinderten Menschen erst dadurch eine den Anforderungen des allgemeinen Arbeitsmarktes entsprechende Erbringung der jeweils arbeitsvertraglich
bzw. dienstrechtlich geschuldeten Tätigkeit ermöglicht wird. Indem hierbei auf die individuelle vertraglich geschuldete Tätigkeit abgestellt wird, kommt zugleich zum Ausdruck, dass die im konkreten Einzelfall erheblichen Merkmale der Arbeitsleistung für die Bestimmung des "notwendigen" Umfangs der Arbeitsassistenz maßgeblich sind. Diese Auslegung entspricht auch § 33 Satz 2
SGB I, der für alle Bereiche des Sozialgesetzbuches gilt. Nach § 33 Satz 1
SGB I sind bei der Ausgestaltung von Rechten, die nach Art oder Umfang nicht im Einzelnen bestimmt sind, die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Entgegenstehende Rechtsvorschriften
- insbesondere des
SGB IX - sind hier nicht ersichtlich, da der Verordnungsgeber von der Ermächtigung des § 108
SGB IX bisher noch keinen Gebrauch gemacht hat.
Nach der anschaulichen und glaubhaften Schilderung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung geht die Kammer davon aus, dass bei dem Kläger an 7 Stunden je Arbeitstag ein Bedarf für eine Arbeitsassistenz besteht. Nach den unwidersprochenen Angaben des Klägers ist sein Institut bundesweit die einzige Stelle, die Fragen der Barrierefreiheit behandelt. Das Institut erstellt Gutachten, Forschungsberichte und Stellungnahmen für auswärtige Auftraggeber aus Industrie und Politik. Der Kläger ist der einzige Mitarbeiter des Instituts und bearbeitet die Aufgaben des Instituts allein. Hierzu sind Recherchen in Nachschlagewerken, technischen Regelwerken oder Bundestagsdrucksachen erforderlich. Der Kläger ist in der Bewegungsfreiheit seiner Arme eingeschränkt und kann seine Hände nur in sehr beschränktem Umfang benutzen. Er ist lediglich in der Lage einzelne lose Blätter umzuwenden, jedoch kann er dies schon nicht, wenn sich diese in einem Aktenordner befinden. Ein speziell angeschafftes, leichtgewichtiges Telefon kann der Kläger selbst bedienen, wobei er Probleme hat, dieses zu greifen. Handschriftlich kann der Kläger zwei bis drei Sätze niederlegen. Für Schreibarbeiten am Computer bedient sich der Kläger eines Spracherkennungsprogramms. Die bloße Spracheingabe ist die einzige Tätigkeit, die der Kläger selbst erledigen kann. Bei der Bedienung der Maus und den Korrekturen benötigt der Kläger Hilfe. Der Arbeitstag des Klägers wird geprägt von der Beantwortung kurzfristiger Anfragen per Telefon oder E-Mail. Hierbei gehen täglich etwa 10 Anfragen ein, deren Beantwortung fast den gesamten Arbeitstag in Anspruch nimmt, da diese zeitnah bearbeitet werden müssen. Insoweit ist seine Arbeitsaufgabe nicht planbar, insbesondere würde die Schaffung fester Telefonzeiten hinsichtlich der Anfragen die Arbeitsorganisation nicht grundlegend ändern, sondern nur zeitlich verlagern.
Ausgehend von dieser Darstellung des Arbeitsablaufs des Klägers kann nicht festgestellt werden, dass für die Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung des Klägers eine Arbeitsassistenz von weniger als 7 Stunden je Arbeitstag notwendig ist. Es ist davon auszugehen, dass die tägliche Arbeitszeit laut Arbeitsvertrag 7 Stunden und 42 Minuten beträgt, wovon
rd. 40 Minuten ausschließlich auf pflegerische Unterstützung entfallen, so dass für die Erbringung der arbeitsvertraglichen Leistung 7 Stunden täglich verbleiben, was auch der Kläger in seinem Widerspruch vom 21. August 2004 einräumt. Für diese 7 Stunden kann keine rechnerische Trennung dahingehend vorgenommen werden, dass lediglich die Zeiten einer reinen, d.h. aktiven, Unterstützung errechnet werden mit der Folge, dass lediglich 70 % von 7 Stunden, also 4,9 Stunden, für die Bemessung der Notwendigkeit der Arbeitsassistenz angerechnet werden. Wie oben dargelegt kommt es gemäß § 33 Satz 1
SGB I auf die persönlichen Verhältnis, den Bedarf und die Leistungsfähigkeit des Klägers an. Diese sind vorliegend dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger keinerlei Bücher, Akten o.ä. heben oder bewegen kann; andererseits hierauf jedoch zur Leistung seiner Arbeit jederzeit Zugriff haben muss. Ferner arbeitet der Kläger stets alleine, d.h. es gibt keine Arbeitskollegen, die ihm assistieren könnten. Ebenso besteht für den Kläger nicht die Möglichkeit, seinen Arbeitsablauf so zu organisieren, dass er über nennenswerte Zeiträume imstande wäre, ohne Unterstützung einer Arbeitsassistenz auszukommen. Insgesamt ist die körperliche Leistungsfähigkeit des Klägers derartig eingeschränkt, dass er für jede Handreichung Hilfe benötigt. Da die zeitliche Erforderlichkeit dieser Hilfeleistungen durch den Arbeitsablauf bedingt und vom Kläger nicht beeinflussbar ist, ist die Anwesenheit der Arbeitsassistenz für 7 Stunden je Arbeitstag notwendig im Sinne des § 102
Abs. 4
SGB IX.
Hinsichtlich der Berechnung des zeitlichen Umfangs der Arbeitsassistenz hat der Kläger keinen Anspruch auf Berücksichtigung der an 4 Sonntagen im August 2004 geleisteten Überstunden. Grundsätzlich haben Arbeitnehmer, die an Sonntagen beschäftigt werden, gemäß § 11
Abs. 3 Satz 1 des Arbeitszeitgesetzes (
ArbZG) Anspruch auf einen Ersatzruhetag in den nächsten zwei Wochen. Soweit § 14
Abs. 1
ArbZG hiervon Abweichungen zulässt, sind diese nur gestattet bei vorübergehenden Arbeiten in Notfällen und in außergewöhnlichen Fällen, die unabhängig vom Willen des Betroffenen eintreten und deren Folgen nicht auf andere Weise zu beseitigen sind, wenn Arbeitsergebnisse zu misslingen drohen. Der Kläger hat insoweit geltend gemacht, dass diese Überstunden wegen eines termingebundenen Gutachtens erforderlich waren. Da die Tätigkeit an vier Wochenenden kontinuierlich erforderlich war, kann nach dem Vorbringen des Klägers weder von vorübergehenden Arbeiten gesprochen werden, noch von einem Fall, der unabhängig vom Willen des Klägers eingetreten ist und dessen Folgen - etwa durch Verlegung des Abgabetermins - anderweitig zu vermeiden gewesen wären.
Ebenso kommt eine Abweichung von § 11
Abs. 3
ArbZG nicht gemäß § 14
Abs. 2
ArbZG in Betracht. Danach ist eine Abweichung in bestimmten Fällen gestattet, wenn dem Arbeitgeber andere Vorkehrungen nicht zugemutet werden konnten. Hier ist nichts dafür vorgetragen, dass der Arbeitgeber des Klägers nicht zumutbare organisatorische Vorkehrungen hätte treffen können, um die Sonntagsarbeit des Klägers zu vermeiden.
Hinsichtlich der Vergütung der Arbeitsassistenz ist von den in Ziffer 4.1. der Empfehlungen genannten Beträge der Regelförderung auszugehen, da deren Anwendung in Ermangelung einer konkretisierenden Verordnung gemäß § 108
SGB IX sachgerecht erscheint. Daher ist unter Beachtung der im Falle des Klägers erforderlichen Stundenzahl ein Betrag von 260,00
bzw. ab dem 01. Juli 2003 ein Betrag von 275,00
EUR monatlich zugrunde zu legen, woraus sich die aus dem Tenor ersichtlichen Monatsbeträge errechnen.
Demgegenüber kann der Kläger sich nicht auf sein Wahlrecht gemäß
§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB IX berufen, da nach § 9
Abs. 1 Satz 2
SGB IX die Vorschrift des § 33
SGB I Anwendung findet. Nach § 33 Satz 2
SGB I soll Wünschen des Berechtigten entsprochen werden, soweit sie angemessen sind. Dies bedingt eine Begrenzung der Leistungshöhe, wenn und soweit preisgünstigere Alternativen verfügbar sind. Vorliegend hat der Beklagte dargetan, dass durch das Zentrum für selbstbestimmtes Leben eine preisgünstigere Alternative für die Stellung einer Arbeitsassistenz besteht, so dass insoweit eine Erhöhung des monatlichen Betrags für die Arbeitsassistenz des Klägers unter Zugrundelegung der Stundensätze des C.- Clubs nicht angemessen erscheint.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155
Abs. 1 Satz 3
VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2
VwGO nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus § 167
VwGO i.V.m. §§ 708
Nr. 11 und 711
ZPO.