Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin vom 02.11.2006, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 03.11.2006), ist lediglich im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang hinsichtlich der Dauer der ausgesprochenen Verpflichtung zur vorläufigen Leistungserbringung begründet. Im Übrigen wird sie zurückgewiesen.
Das Sozialgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht im Wege der einstweiligen (Regelungs-) Anordnung gemäß § 86 b
Abs. 2
S. 2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) verpflichtet, vorläufig die Kosten für die Unterbringung der Antragstellerin im Wohnheim für körperbehinderte Studenten des Studentenwerkes Niederbayern/Oberpfalz in S ab dem 11.10.2006 zu übernehmen. Denn die auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erforderliche Interessenabwägung (
vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, NvWZ 2005, 927) geht zugunsten des Antragstellers aus.
Der Senat teilt nicht die mit der Beschwerdebegründung vertretene Auffassung der Antragsgegnerin, dass der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wegen offensichtlicher Unbegründetheit der Forderung auf Hilfe in einer stationären Einrichtung hätte zurückgewiesen werden müssen. Die reklamierte offensichtliche Unbegründetheit ergibt sich insbesondere nicht aus der auf Veranlassung der Antragsgegnerin durch das M-Heim in S im Zeitraum vom 14. bis zum 22.10.2006 erstellten Pflegedokumentation. Vielmehr sind die Erfolgsaussichten der Antragstellerin in einem Hauptsacheverfahren gerade unter Berücksichtigung dieser Pflegedokumentation und der vom Senat vom Pflegedienst des M-Heimes angeforderten und mit Schreiben vom 08.03.2007 übersandten Unterlagen zur Ermittlung des Hilfebedarfs von Menschen mit Behinderung (HBM-Unterlagen) zumindest als offen zu qualifizieren. Als Anspruchsgrundlage für die begehrten Leistungen zum Besuch einer Hochschule ist
§ 54 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch 12. Buch (SGB XII) i.V.m. § 13 der Verordnung nach § 60 des SGB XII (Eingliederungshilfe- Verordnung [EinglVO]) heranzuziehen.
Der dem Hilfesuchenden zustehende Anspruch ist dabei unter Berücksichtigung der Grundsatzbestimmung für die Eingliederungshilfe in
§ 53 SGB XII, der wiederum im Kontext zum Grundgesetz sowie zum
SGB I und
SGB IX zu betrachten ist (
vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf,
SGB XII, § 53
SGB XII RdNr. 3), zu konkretisieren. Das
SGB IX dient insoweit als Auslegungsmaßstab für das
SGB XII, soweit dessen Strukturprinzipien nicht entgegenstehen.
Zweck der Eingliederungshilfe ist es, behinderte Menschen in die Gesellschaft einzugliedern, d.h. ihnen ein selbstbestimmtes Leben innerhalb der Gesellschaft zu ermöglichen (
vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, a.a.O., RdNr. 22).
In Bezug auf ein Hochschulstudium ist es nicht Aufgabe der Eingliederungshilfe, den Lebensunterhalt zur Durchführung eines Studiums sicherzustellen (Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, a.a.O., § 54 RdNr. 23; ebenso Baur, Jahn,
SGB XII, § 54 RdNr. 101) . Die Eingliederungshilfe zielt insoweit nicht auf eine Finanzierung des Studiums ab. Eingliederungshilfe zur Ausbildung an einer Hochschule soll vielmehr allein behinderungsbedingte Hindernisse und Erschwernisse ausräumen, die der Aufnahme und der Durchführung des Studiums entgegenstehen (
vgl. BVerwG, Urteil vom 19.10.1995,
5 C 28/95, zu den Vorgängernormen der §§ 40, 41 Bundessozialhilfegesetz [BSHG]
OVG NRW, Urteil vom 24.11.1992, FEVS 43, 341).
Die Antragstellerin begehrt die Eingliederungshilfe ersichtlich nicht zur Sicherung ihres Lebensunterhalts. Vielmehr verweist sie darauf, dass sie als Rollstuhlfahrerin mit einem Grad der Behinderung von 100 und der daraus resultierenden Hilfebedürftigkeit auf eine behindertengerechte und barrierefreie Wohnung und eine jederzeitige Betreuung zur Sicherung in der Pflege angewiesen ist.
Der Senat verkennt insoweit nicht, dass hinsichtlich des konkreten Umfangs der Hilfe-
bzw. Pflegebedürftigkeit auch unter Berücksichtigung der beigezogenen Verwaltungsakten der zuständigen Pflegekasse
ggf. in einem Hauptsacheverfahren weiterer Ermittlungsbedarf bestehen könnte. Denn insoweit liegen unverkennbar Widersprüche etwa hinsichtlich der Notwendigkeit der Assistenz bei der Körperpflege und der Toilettenbenutzung (Transfer und nächtlicher Grundpflegebedarf) zwischen dem letzten verfügbaren Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 12.02.2004 und dem (aktuelleren) Gutachten zur Ermittlung der Hilfebedürftigkeit nach dem Metzler-Verfahren vom 28.06.2006 vor. Eine abschließende Überprüfung kann im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht erfolgen.
Zunächst dürften allerdings keine Zweifel daran bestehen, dass die Antragstellerin auf eine behindertengerechte Wohnung in räumlicher Nähe zur Universität angewiesen ist. Im Übrigen ist der Pflegedokumentation für den Zeitraum 14.10. bis 22.10. 2006 zu entnehmen, dass in diesem Zeitraum zahlreiche Hilfestellungen insbesondere beim An- und Auskleidens sowie der Körperhygiene erforderlich waren. Darüber hinaus war zu unregelmäßigen Zeiten Hilfe bei der Toilettenbenutzung sicherzustellen. Zu den Besonderheiten im Zusammenhang mit dem Studium der Antragstellerin gehört es, dass letztere regelmäßig auch durch Personal des M-Heimes zu wechselnden Zeiten in der Universität sichergestellt wurde. Da aktuellere medizinische Unterlagen und insbesondere Pflegedokumentationen nicht vorliegen, hält der Senat es einstweilen für gerechtfertigt, auf die vorliegende Pflegedokumentation im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung abzustellen.
Für die streitentscheidende Frage, ob unter Berücksichtigung des Vorranggrundsatzes aus § 13
Abs. 1 Satz 3
SGB XII einstweilen Leistungen in der stationären Einrichtung des M-Heimes zuzusprechen sind, gewinnt die vorliegende Pflegedokumentation insoweit Bedeutung, als sie wegen der Unregelmäßigkeit einzelner Hilfestellungen eine Planbarkeit zur Sicherstellung ambulanter Betreuung in Frage stellt. Bereits das Sozialgericht hat die Notwendigkeit stationärer Hilfe daraus abgeleitet, dass die Antragstellerin, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig sein dürfte, Hilfe insbesondere bei der Blasen- und Darmentlehrung benötigt. Insoweit aber allein auf den in der Tat fraglichen Hilfebedarf zur Nachtzeit abzustellen, erschiene nur dann gerechtfertigt, wenn die Hilfe zur Tageszeit und insbesondere auch während des Besuchs der Universität durch eine ambulante Versorgung konstengünstiger sicherzustellen wäre und nächtlicher Hilfebedarf auszuschließen wäre. Aufgrund insbesondere der durch die Pflegedienstleitung des M- Heimes vorgelegten Unterlagen ist aber ein unregelmäßiger Hilfebedarf zumindest auch bei der Toilettenbenutzung wahrscheinlich. Insoweit verweist der Senat auch auf die im Gutachten des MDK vom 12.02.2004 aufgeführte Stressinkontinenz. Dieses Gutachten vermag die von der Pflegedienstleistung getroffenen Feststellungen weitgehend zu stützen.
Bei dieser Sachlage hält der Senat es nach Abwägung der Folgen der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes für die Antragsgegnerin und derjenigen bei Versagen einstweiligen Rechtsschutzes für die Antragstellerin für gerechtfertigt, die Antragsgegnerin einstweilen zur Leistungserbringung zu verpflichten. Insoweit berücksichtigt der Senat insbesondere die benannte Zweckrichtung der Eingliederungshilfe unter besonderer Betonung der für einen behinderten Menschen bestehenden Besonderheiten bei einem Hochschulstudium. Ob der Zweck der Eingliederung bei Inanspruchnahme ambulanter Pflege und möglicher Eingliederungshilfen durch den örtlichen Träger der Sozialhilfe in gleicher Weise sicherzustellen wäre, hat bereits das Sozialgericht in Frage gestellt. Derzeit hält der Senat es für die Antragstellerin nicht für zumutbar, diese auf entsprechende ambulante Hilfen zu verweisen, zumal die Antragsgegnerin im Rahmen der auch sie treffenden Amtsermittlungspflicht im Vorfeld der Bescheideerteilung vom 15.08.2006 und des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vertiefte Bemühungen zur Feststellung der Hilfebedürftigkeit nicht unternommen hat.
Das Sozialgericht hat darüber hinaus in nachvollziehbarer Weise darauf abgestellt, dass das derzeit von der Antragstellerin bewohnte Wohnheim für körperbehinderte Studenten, für das eine Vereinbarung gemäß §§ 75
ff. SGB XII für den Leistungstyp Eingliederungshilfe für Behinderte gemäß §§ 53
ff. SGB XII mit dem überörtlich zuständigen Sozialhilfeträger für den Bezirk Oberpfalz besteht, in besonderer Weise zur Erreichung des Eingliederungszwecks geeignet ist. Die besondere räumliche Nähe zur Universität, die Verfügbarkeit jederzeit abrufbar Pflege- und Betreuungspersonals auch während des Universitätsbetriebes und etwa die Möglichkeit der Inanspruchnahme des verfügbaren Fahrdienstes garantieren ein Umfeld, das den Erfordernissen des studentischen Alltags bei Vorliegen einer Schwerbehinderung in besonderer Weise gerecht werden dürfte. Das zu Grunde liegende Konzept zielt in besonderer Weise darauf ab, behinderungsbedingte Hindernisse und Erschwernisse auszugleichen.
Dem Hauptsacheverfahren kann insoweit, sofern diesem Aspekt entscheidende Bedeutung beizumessen wäre, auch vorbehalten bleiben abzuklären, ob (und
ggf. in welchem Umfang) die stationäre Unterbringung in einem studentischen Wohnheim, das in besonderer Weise auf die Bedürfnisse behinderter Studenten ausgerichtet ist, im Vergleich zu
ggf. zu gewährenden ambulanten Leistungen mit Mehrkosten verbunden ist.
Abweichend vom Sozialgericht hält der Senat eine Verpflichtung über das Ende des laufenden Semesters im Rahmen des einstweiligen Verfahrens hinaus nicht für geboten und zweckmäßig. Der Senat geht aber davon aus, dass die Antragsgegnerin sich bei im Übrigen unveränderten Verhältnissen bis zur abschließenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren der hier ausgesprochenen Verpflichtung schon zur Vermeidung weiterer gerichtlicher Eilverfahren entsprechend verhalten wird.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193
SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177
SGG.