Urteil
Anspruch auf Nachgewährung von nach nationalem Recht verfallenem Erholungsurlaub aufgrund Unionsrecht

Gericht:

OVG Hamburg 1. Senat


Aktenzeichen:

1 Bf 155/11 | 1 Bf 155.11


Urteil vom:

19.04.2013


Grundlage:

  • UrlV HA § 13 |
  • EGRL 88/2003

Leitsatz:

Unionsrecht gewährt keinen Anspruch auf Erholungsurlaub aus den Jahren 2005 und 2006, der zum 1. Januar 2009 nach nationalem Recht verfallen war.

Rechtsweg:

VG Hamburg Urteil vom 19.07.2011 - 8 K 383/11

Quelle:

Justizportal Hamburg

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Juli 2011 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger zu 2/5.

Hinsichtlich der Kosten des gesamten Verfahrens ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der auf Grund des Urteils vollstreckbaren Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe der zu vollstreckenden Kosten leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Nachgewährung von Erholungsurlaub für die Jahre 2005 (anteilig) und 2006 sowie des Schwerbehindertenzusatzurlaubs für das Jahr 2006.

Der 1957 geborene Kläger ist Beamter auf Lebenszeit im Polizeidienst der Beklagten. Er trat 1974 zunächst in den nordrhein-westfälischen Polizeidienst ein und wechselte 1981 als Beamter in den Polizeidienst der Beklagten. Der Kläger ist zuletzt 1992 zum Polizeihauptkommissar (Besoldungsgruppe A 11) befördert worden. Mit Feststellungsbescheid vom 7. März 2007 stellte das Versorgungsamt Hamburg fest, dass der Kläger ab dem 2. Oktober 2006 zum Personenkreis der schwerbehinderten Menschen gehört und der Grad der Behinderung 50 beträgt.

Vom 14. März 2006 bis zum 30. November 2007 war der Kläger dienstunfähig erkrankt; er nahm den Dienst am 3. Dezember 2007 wieder auf und übte diesen bis zum 9. Mai 2008 im Rahmen einer Maßnahme des betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements eingeschränkt dienstfähig im Halbtagsinnendienst aus. Seit dem 10. Mai 2008 ist er im Innendienst voll dienstfähig.

Der Europäische Gerichtshof entschied mit Urteil vom 20. Januar 2009 (C-350/06 u.a., Schultz-Hoff, Slg. 2009, I 179), dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299/9) - Richtlinie 2003/88/EG - , wonach jedem Arbeitnehmer ein Anspruch auf bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen einzuräumen ist, Rechtsvorschriften entgegensteht, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugs- und ggf. Übertragungszeitraums krankgeschrieben war und dies bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses fortgedauert hat. Demgegenüber sah § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO vom 7. Dezember 1999 (HmbGVBl. S. 279 - HmbEUrlVO a.F.) vor, dass Erholungsurlaub verfällt, der nicht innerhalb von neun Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres genommen worden ist. Die Vorschrift wurde im März 2010 rückwirkend zum 1. Januar 2009 (HmbGVBl. S. 252 - HmbEUrlVO n.F.) dahingehend ergänzt, dass der Erholungsurlaub nicht verfällt, den Beamte aufgrund des Eintritts einer vorübergehenden Dienstunfähigkeit nicht spätestens bis zum Ende des Übertragungszeitraums erhalten haben. Dieser "Resturlaub" ist bis zum Ende des nächsten Urlaubsjahres zu nehmen, das der Rückkehr in den Dienst folgt.

Der Kläger beantragte am 20. August 2009 die Nachgewährung von 30 Tagen Erholungsurlaub für das Urlaubsjahr 2006 sowie den Resturlaub aus dem Jahr 2005 von 18 Tagen, den er krankheitsbedingt nicht habe nehmen können und der nach § 13 HmbEUrlVO a.F. verfallen sei, ihm aber aus Unionsrecht zustehe. Am 3. November 2009 beantragte der Kläger zudem die Nachgewährung von 5 Tagen Zusatzurlaub nach dem Schwerbehindertengesetz für das Jahr 2006.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2009 wies die Beklagte den Antrag des Klägers und mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2011 den hiergegen erhobenen Widerspruch zurück: Der (Rest-) Urlaub für 2005 und 2006 sei nicht zu gewähren, da dieser im Zeitpunkt der Beantragung der Nachgewährung sowohl unter Anwendung von § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO a. F. als auch nach dessen Neufassung verfallen sei und nicht mehr gewährt werden könne. Nach § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO n.F. wären die Urlaubsansprüche zum Ende des nächsten Urlaubsjahres, das der Rückkehr in den Dienst folgt, und somit spätestens Ende 2008 verfallen. Der Kläger sei am 3. Dezember 2007 in den Dienst zurückgekehrt, so dass der Resturlaub bis Ende 2008 zu nehmen gewesen wäre. Die Dienstunfähigkeit sei nicht erst mit Abschluss der Wiedereingliederungsmaßnahme im Mai 2008 entfallen. Für den Zusatzurlaub würden nach § 125 Abs. 3 SGB IX ebenfalls die Hamburger Erholungsurlaubsverordnung gelten, so dass auch dieser Anspruch verfallen sei.

Der Kläger hat mit seiner am 23. Februar 2011 erhobenen Klage sein Begehren weiterverfolgt und vertiefend ausgeführt: Der Urlaubsanspruch in Höhe von insgesamt 53 Tagen sei nicht verfallen. § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO n.F. verstoße gegen Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG und sei daher nicht anzuwenden. Bei richtlinienkonformer Auslegung von § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO n.F. hätte der Urlaub aus den Jahren 2005 und 2006 erstmalig im Mai 2008 beantragt und genehmigt werden können. Ihm, dem Kläger, könne nicht vorgeworfen werden, dass er seine Urlaubsansprüche erst im August 2009 geltend gemacht habe, da er erstmalig im Juli 2009 seitens des Personalamts auf die neue Rechtslage aufmerksam gemacht worden sei. Auch hätte er nach Wiedererlangung der Dienstfähigkeit keinen Urlaubsantrag stellen können und dürfen, da dies gegen § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO a.F. und somit zugleich gegen seinen Diensteid - die geltenden Gesetze zu wahren - verstoßen hätte. Er sei nicht verpflichtet gewesen, während der Wiedereingliederung Urlaub zu beantragen; dies hätte das Ziel der Wiedereingliederung konterkariert. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gelte auch für den beantragten Schwerbehindertenzusatzurlaub; dieser teile das Schicksal des Mindesturlaubsanspruchs. Art. 9 des IAO-Übereinkommen könne den unionsrechtlichen Urlaubsanspruch nicht begrenzen und sei kein innerstaatliches Recht.


Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Polizei Hamburg (Verkehrsdirektion VD 31) vom 14. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger 18 Tage Erholungsurlaub aus dem Jahr 2005, 30 Tage Erholungsurlaub aus dem Jahr 2006 sowie 5 Tage Zusatzurlaub nach dem Schwerbehindertengesetz des SGB IX für das Jahr 2006 zu gewähren.


Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte beruft sich ergänzend zu den Ausführungen im Widerspruchsbescheid darauf, dass der Kläger nach Wiedererlangung der Dienstfähigkeit zunächst seinen Erholungsurlaub hätte nehmen und sodann die Wiedereingliederungsmaßnahme hätte beginnen können. Die unionsrechtlichen Ansprüche seien auf die Gewährung des vierwöchigen Mindesturlaubs beschränkt. Der Schwerbehindertenzusatzurlaub hätte dem Kläger ohnehin nur zeitanteilig für November und Dezember 2006 in einem Umfang von einem weiteren Tag zustehen können. Sie erhebe zudem die Einrede der Verjährung.

Das Verwaltungsgericht Hamburg hat die Klage mit Urteil vom 19. Juli 2011 abgewiesen. Dem Kläger stehe der geltend gemachte Urlaubsanspruch nicht zu, da er verfallen sei. Zwar sei der Anspruch auf Gewährung von Erholungsurlaub nicht nach § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO a.F. verfallen, da dem Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG entgegenstehe. Der Verfall ergebe sich jedoch aus einer analogen Anwendung von § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO n.F.

Auf den Antrag des Klägers ist die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg durch Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 17. Dezember 2012 zugelassen worden, soweit der Kläger für das Jahr 2005 Mindesturlaub in Höhe von weiteren 8 Tagen, für das Jahr 2006 Mindesturlaub in Höhe von 20 Tagen und den Schwerbehindertenzusatzurlaub in Höhe von 5 weiteren Tagen begehrt. Der Beschluss ist dem Kläger am 20. Dezember 2012 zugestellt worden.

Der Kläger hat die Berufung nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist am 20. Februar 2013 begründet: § 13 Abs. 2 Satz 2 HmbEUrlVO n.F. könne nicht analog angewendet werden, da dies den unionsrechtlichen Regelungen widerspreche. Der unionsrechtliche Mindesturlaubsanspruch sei zwar auch dann erfüllt, wenn nach der nationalen Regelung der Urlaubsanspruch nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von mindestens 15 Monaten nach Wiedererlangung der Dienstfähigkeit genommen werden könne. § 13 HmbEUrlVO erfülle diese Voraussetzungen aber weder in der alten noch in der neuen Fassung und könnte daher nicht angewendet werden. Er, der Kläger, habe effektiv keine Möglichkeit gehabt, den Erholungsurlaub in Anspruch zu nehmen. Denn er habe weder Kenntnis von dieser Möglichkeit gehabt noch sei er durch die Beklagte darauf hingewiesen worden, dass ihm ein entsprechender Anspruch zustehe. Die Gewährung von Urlaub hätte während der Eingliederungsmaßnahme deren Zielen widersprochen. Auch hätte er gegen seinen Diensteid und seine Treuepflicht verstoßen, wenn er einen Urlaubsantrag gestellt hätte. Die Anforderungen an einen klagenden Beamten würden überstrapaziert. Die Neufassung der Hamburgischen Erholungsurlaubsverordnung verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, da kein sachlicher Grund ersichtlich sei, warum diese nur die Urlaubsansprüche aus den Jahren 2008 und später, nicht aber solche aus den Jahren 2005, 2006 und 2007 erfasse. In unionsrechtskonformer Auslegung sei § 13 HmbEUrlVO n.F. dahingehend auszulegen, dass eine umfassende Rückwirkung zugelassen werde, so dass sämtliche nicht verjährte Urlaubsansprüche, die aus krankheitsbedingten Gründen nicht genommen werden konnten, noch beantragt und gewährt werden könnten. Der Schwerbehindertenzusatzurlaub sei zwar nicht unionsrechtlich gewährleistet, nehme jedoch an der nationalen Akzessorietät des allgemeinen Urlaubsanspruchs zum Unionsrecht teil. Soweit das Bundesverwaltungsgericht nach neuester Rechtsprechung unter Rückgriff auf Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der ILO vom 24. Juni 1970 einen Verfall des Urlaubs spätestens 18 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres im Hinblick auf die Nichterreichung des Urlaubszweckes annehme, könne dies nicht auf den Kläger übertragen werden. Denn nach seiner jahrelangen Arbeitsüberlastung, die seine langandauernde Erkrankung begründet und zu einem Überstundenberg geführt habe, bestehe bei ihm ein massives Erholungsdefizit. Jedenfalls im Ausnahmewege sei daher der Urlaub nachzugewähren.

Auf Nachfrage des Gerichts hat der Kläger mitgeteilt, dass er im Jahr 2005 zunächst 19 Tage Resturlaub aus dem Jahr 2004 und sodann 12 Urlaubstage aus dem Jahr 2005 genommen habe. Für das Jahr 2005 verblieben somit noch 18 Tage Resturlaub.


Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 19. Juli 2011 den Bescheid vom 14. Dezember 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. Januar 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger 8 Tage Erholungsurlaub aus dem Jahr 2005 und 20 Tage Erholungsurlaub aus dem Jahr 2006 sowie 5 Tage Zusatzurlaub nach dem Schwerbehindertenrecht für das Jahr 2006 zu gewähren.


Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie könne nicht mehr nachvollziehen, in welchem Umfang der Kläger für die Jahre 2005 und 2006 Urlaub erhalten habe. Unbestritten sei jedoch der klägerische Vortrag, dass diesem im Jahr 2005 mindestens 12 Tage Erholungsurlaub gewährt worden seien. Unabhängig davon sei die Berufung zurückzuweisen. Der Kläger könne seinen Anspruch nur auf Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG stützen. Diese Norm gelte nicht für den Schwerbehindertenzusatzurlaub. Aber auch der unionsrechtliche Mindesturlaubsanspruch sei verfallen, da der Kläger seine Dienstfähigkeit am 3. Dezember 2007 wiedererlangt habe und der Anspruch auf Gewährung von Erholungsurlaub daher spätestens 18 Monate danach - und damit bereits vor Geltendmachung des Anspruchs am 20. August 2009 - verfallen sei.

Entscheidungsgründe:

A.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Dem Kläger steht weder aus nationalem (I.) noch aus Unionsrecht (II.) ein Anspruch auf Gewährung von weiterem Erholungsurlaub für die Jahre 2005 und 2006 sowie eines Schwerbehindertenzusatzurlaubs nach § 125 SGB IX für das Jahr 2006 (III.) zu.

I.
1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Gewährung von zusätzlichem Erholungsurlaub für die Jahre 2005 und 2006 aus § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO zu.

Maßgeblich für den Umfang und den Verfall des Erholungsurlaubs ist § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO a.F., da dieser bei Entstehung des Anspruchs auf Erholungsurlaub und dessen nach dieser Vorschrift vorgesehenen Verfall galt. Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 HmbEUrlVO a.F. verfällt Erholungsurlaub, der nicht innerhalb von neun Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres genommen worden ist. Die Ansprüche auf Gewährung von Erholungsurlaub für 2005 verfielen daher Ende September 2006, solche für 2006 Ende September 2007.

§ 13 Abs. 2 HmbEUrlVO n.F. ist hingegen nicht anzuwenden, da dieser gemäß Artikel 3 der Verordnung zur Änderung der hamburgischen Elternzeitverordnung und zur Änderung der Hamburgischen Erholungsurlaubsverordnung vom 16. März 2010 erst rückwirkend zum 1. Januar 2009 in Kraft getreten ist. Die rückwirkende Neuregelung umfasst die Urlaubsansprüche ab dem Jahr 2009, da diese bei Erlass der Neuregelung im März 2010 noch nicht verfallen waren. Hingegen sind Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2008 und früher nicht mehr von der Neuregelung erfasst, da diese bei Erlass der Neuregelung nach § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO a.F. bereits verfallen waren.

§ 13 Abs. 2 HmbEUrlVO n.F. ist nicht analog auf Urlaubsansprüche anzuwenden, die vor dem 1. Januar 2009 verfallen sind, da es an der dafür erforderlichen Regelungslücke fehlt. Der Verordnungsgeber hat die Neufassung von § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO ausdrücklich auf den Zeitpunkt 1. Januar 2009 zurückwirken lassen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass versehentlich eine darüber hinausgehende Regelungsanordnung auch für die hier streitgegenständlichen Zeiträume 2005 und 2006 unterblieben ist.

Die Ungleichbehandlung von Urlaubsansprüchen aus dem Jahr 2009, für die die Neuregelung gilt, und solchen, die bis einschließlich 2008 entstanden sind, verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Danach ist wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches seiner Eigenart entsprechend ungleich zu behandeln. Zu einer Differenzierung bei ungleichen Sachverhalten ist der Gesetzgeber allerdings nur verpflichtet, wenn die tatsächliche Ungleichheit so groß ist, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht unberücksichtigt bleiben darf (vgl. BVerfG, Beschl. v. 15.7.1998, BVerfGE 98, 365, juris Rn. 63).

Die Änderung der Rechtslage zu einem bestimmten Stichtag ist dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber möglich und unterliegt regelmäßig keinen Bedenken. Insoweit steht dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber ein weiter Spielraum zu, der insbesondere dann, wenn sachliche Gründe für die Wahl des Stichtages gegeben sind (vgl. von Münch/Kunig, GG, 6. Auflage 2012, Art. 3 Rn. 94 - 96; BVerfG, Urt. v. 7.7.1992, 1 BvL 51/86 u.a., BVerfGE 87, 1, juris Rn. 145), rechtlich nicht zu beanstanden ist. So liegt der Fall hier. Denn von der Rückwirkung sind nur solche Urlaubsansprüche erfasst, die nach den bei Erlass der Neuregelung geltenden Regelungen der Hamburgischen Erholungsurlaubsverordnung noch nicht verfallen waren. Zudem dürfte der Verordnungsgeber zeitlich auch an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Januar 2009 (a.a.O.) angeknüpft haben wollen; dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.

2. Soweit der Kläger meint, jedenfalls im Wege der Ausnahmeregelung seien ihm die Erholungsurlaubsansprüche für 2005 und 2006 nachzugewähren, fehlt es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage; die Hamburgische Erholungsurlaubsverordnung sieht eine derartige Ausnahmeregelung nicht vor. Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger auch nicht ihre Fürsorgepflicht verletzt. Denn auch für die Beklagte war frühestens mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 20. Januar 2009 deutlich, dass § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO a.F. nicht mit Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG in Einklang steht. Zu diesem Zeitpunkt waren die Ansprüche des Klägers auf Gewährung von Erholungsurlaub für 2005 und 2006 bereits nach der damals geltenden Erholungsurlaubsverordnung verfallen.

II.
Dem Kläger steht kein Anspruch auf Gewährung von weiterem Erholungsurlaub für 2005 bzw. des vollständigen Mindesturlaubs für 2006 aus Unionsrecht zu.

1. Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG steht jedem Arbeitnehmer ein bezahlter Mindesturlaub in einem Umfang von vier Wochen im Jahr zu, wobei Arbeitnehmer i.S.d. Richtlinie 2003/88/EG auch Beamte sind (BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, 2 C 10/12, juris Rn. 11 m.w.N.). Aus der Richtlinie folgt u.a. die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, nationale Rechtsvorschriften zu erlassen, wonach Arbeitnehmern, die im Urlaubsjahr teilweise arbeits- bzw. dienstfähig waren und in dieser Zeit den ihnen zustehenden Mindesturlaub nicht oder nicht vollständig nehmen konnten, die Möglichkeit zusteht, den Mindesturlaub nach Ablauf des Urlaubsjahres während eines hinreichend langen Übertragungszeitraumes zu nehmen. Der Übertragungszeitraum muss deutlich länger als das Urlaubsjahr sein; der Europäischen Gerichtshof hat einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten als hinreichend angesehen (BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, a.a.O., juris Rn. 20 f. m.w.N.). Dem entspricht § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO a.F. nicht, da dort nur ein Übertragungszeitraum von neun Monaten vorgesehen ist und der Urlaubsanspruch im Anschluss daran verfällt. Gibt es - wie vorliegend - keine hinreichend langen nationalstaatlichen Verfallsregelungen, dann tritt auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ein Verfall des Urlaubsanspruches 18 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres ein. Hierzu hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt (Urt. v. 31.1.2013, a.a.O., juris Rn. 22):

"Der EuGH leitet aus dem Umstand, dass die RL 2003/88/EG nach ihrem sechsten Erwägungsgrund den Grundsätzen der Internationalen Arbeitsorganisation hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung Rechnung getragen hat, her, dass bei der Berechnung des Übertragungszeitraums der Zweck des Anspruchs auf Jahresurlaub, wie er sich aus Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1970 über den bezahlten Jahresurlaub ergibt, berücksichtigt werden muss. Nach Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens ist der ununterbrochene Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens ein Jahr und der übrige Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens 18 Monate nach Ablauf des Jahres, für das der Urlaubsanspruch erworben wurde, zu gewähren und zu nehmen. Diese Vorschrift beruht nach der Rechtsprechung des EuGH auf der Erwägung, dass der Zweck der Urlaubsansprüche bei Ablauf der dort vorgesehenen Fristen nicht mehr vollständig erreicht werden kann (Urteil vom 22. November 2011 a.a.O. Rn. 41 f.). Das rechtfertigt die Annahme, dass der Urlaubsanspruch 18 Monate nach Ende des Urlaubsjahres verfällt."

In Anwendung dieser Grundsätze ist der unionsrechtliche Anspruch des Klägers auf die Gewährung von Mindesturlaub für das Jahr 2005 am 1. Juli 2007 und der für das Jahr 2006 am 1. Juli 2008 und damit vor Beantragung der Gewährung von Erholungsurlaub durch den Kläger am 20. August 2009 verfallen. Der Verfall tritt unabhängig davon ein, ob der Kläger effektiv die Möglichkeit hatte, den Urlaub in Anspruch zu nehmen oder eine Erholungsbedürftigkeit besteht (vgl. auch: EuGH, Urt. v. 22.11.2011, C-214/10, "KHS", NJW 2012, 290, juris Rn. 28 ff.).

2. Dem Kläger steht aus Unionsrecht kein Anspruch auf Gewährung von Schadenersatz in Form der Naturalrestitution zu, da die Bundesrepublik Deutschland bzw. die Freie und Hansestadt Hamburg nicht gegen unionsrechtliche Vorgaben in qualifizierter Weise verstoßen haben. Ein qualifizierter Verstoß ist insbesondere dann gegeben, wenn die nationale Rechtslage offenkundig in Widerspruch zur unionsrechtlichen Rechtslage bzw. zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs steht (vgl. EuGH, Urt. v. 25.11.2010, C-429-09, "Fuß", Slg 2010, I. 12167). Dies ist hinsichtlich der Ansprüche auf Gewährung von Erholungsurlaub für die Jahre 2005 und 2006 nicht zu erkennen. Nach Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG ist jedem Arbeitnehmer ein bezahlter Mindestjahresurlaub von vier Wochen zu gewähren, der außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf. Eine Regelung zur Dauer des Übertragungszeitraumes im Krankheitsfall ist hierin nicht getroffen worden. Der Europäische Gerichtshof hat erst in seiner Entscheidung vom 20. Januar 2009 (a.a.O.) deutlich gemacht, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegensteht, nach denen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums auch dann erlischt, wenn der Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums oder eines Teils davon krankgeschrieben war und seine Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende seines Arbeitsverhältnisses fortgedauert hat, weshalb er seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht ausüben konnte. Für den Fall einer länger andauernden Erkrankung hat der Europäische Gerichtshof diese Rechtsprechung zudem mit der Entscheidung vom 22. November 2011 (C-214/10, "KHS", NJW 2012, 290, juris Rn. 28 ff.) dahingehend nuanciert, dass auch der unionsrechtliche Mindesturlaubsanspruch nur während einer begrenzten Zeitspanne übertragbar ist. Die Regelungen der Hamburgischen Erholungsurlaubsverordnung für Erholungsurlaubsansprüche für die Jahre 2005 und 2006 haben daher nicht in qualifizierter Weise gegen unionsrechtliche Vorgaben verstoßen.

Soweit der Kläger meint, die Anforderungen an einen Rechtssuchenden würden überfordert, kann er hieraus keine weitergehenden Rechte herleiten. Insoweit obliegt es auch im Beamtenrecht grundsätzlich dem Beamten, seine Rechte selbst zu wahren, z.B. durch Geltendmachung der seiner Meinung nach bestehenden Ansprüche gegenüber dem Dienstherrn bzw. deren Verfolgung im Klagewege. Mit einer entsprechenden Geltendmachung hätte der Kläger auch nicht gegen seinen Diensteid verstoßen, sondern innerhalb der Rechtsordnung seine Rechte wahrgenommen.

III.
Dem Kläger steht kein Anspruch auf Gewährung von anteiligem Zusatzurlaub für Schwerbehinderte nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX für das Jahr 2006 zu.

Auf den schwerbehinderten Beamten zustehenden Zusatzurlaub finden die jeweiligen beamtenrechtlichen Regelungen Anwendung, die für die Ansprüche des Beamten auf die Gewährung von allgemeinen Urlaub gelten (BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, a.a.O., juris Rn. 8). Danach ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung von anteiligem (vgl. § 125 Abs. 2 SGB IX) Zusatzurlaub für Schwerbehinderte nach § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO a.F. neun Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres und somit am 1. Oktober 2007 verfallen.

Dem Kläger steht kein über § 13 Abs. 2 HmbEUrlVO a.F. hinausgehender Anspruch auf Gewährung von Zusatzurlaub für Schwerbehinderte aus Unionsrecht zu. Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG gewährt dem Kläger keine weitergehenden Rechte, da diese nur die Gewährung von Mindesturlaub zum Gegenstand hat und auf den Zusatzurlaub für Schwerbehinderte keine Anwendung findet (BVerwG, Urt. v. 31.1.2013, a.a.O., juris Rn. 9).

B.
Der Kläger trägt als unterlegener Rechtsmittelführer die Kosten des Berufungsverfahrens, § 154 Abs. 2 VwGO. Im Zulassungsverfahren war der Kläger hinsichtlich der Ansprüche auf Gewährung von 20 von insgesamt 53 geltend gemachten Tagen Erholungsurlaub (20/53 = ca. 2/5) unterlegen; insoweit hat er die Kosten zu tragen (KV 5120 Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Referenznummer:

R/R6454


Informationsstand: 26.02.2015