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Urteil
Anfechtungsklage als statthafte Klage gegen die Zustimmung des Integrationsamts zu einer Kündigung - Ermittlungs- und Abwägungsdefizit

Gericht:

VG München 18. Kammer


Aktenzeichen:

M 18 K 11.5932 | 18 K 11.5932


Urteil vom:

20.02.2013


Grundlage:

Tenor:

I. Der Bescheid des Integrationsamtes vom .... November 2011 wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Hälfte, der Beklagte und die Beigeladene jeweils ein Viertel der Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgegner vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Mit der Klage wendet sich der Kläger gegen den Bescheid des Integrationsamtes vom .... November 2011, mit dem die Zustimmung zur Kündigung seines Arbeitsverhältnisses erteilt wurde.

Der am ... 1952 geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von Hundert und den Merkzeichen G und B. Ausweislich des Änderungsbescheides vom .... Juni 2006 leidet er an einer erworbenen Immunschwäche, einer Polyneuropathie, einer seelischen Störung und Bluthochdruck. Seit .... April 2008 war er bei der Beigeladenen in Vollzeit als Leiter der Bilanzbuchhaltung beschäftigt.

Das Arbeitsverhältnis wurde von der Bundesagentur für Arbeit mit einem Eingliederungszuschuss für ältere, besonders betroffene schwerbehinderte Arbeitnehmer gefördert, der für die Zeit vom .... April 2008 bis .... März 2010 monatlich 3.045,60 EUR betrug (60 % des Gehaltes von 5.076,-- EUR).

Die Beigeladene beantragte mit Schreiben vom .... März 2010 beim Integrationsamt die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Klägers aus krankheitsbedingten Gründen. Der Kläger sei seit .... November 2009 arbeitsunfähig krank, ein Ende sei nicht absehbar. Die Position könne nicht auf Dauer unbesetzt bleiben, die internen Überbrückungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft.

Der Kläger äußerte sich auf Anfrage des Integrationsamtes mit E-Mail vom .... April 2010 dahin, dass er sich auf dem Weg der Besserung befinde und mit einer Kündigung nicht einverstanden sei. Er warte nur noch auf eine Zusage der Krankenkasse für eine Burnout-Behandlung in der ...-Klinik für vier bis sechs Wochen, dann könne er seine Arbeit wieder aufnehmen. Die Firma versuche, ihn loszuwerden, da sie keine Mittel mehr für ihn bekomme. Seine Vertretung sei durch verschiedene Kollegen sichergestellt, außerdem könne man jemanden von einer Zeitarbeitsfirma einstellen, was durchaus üblich sei. Im ... 2009 sei seine Mutter, im ... dann eine sehr gute Freundin verstorben. Seine Bitte, zu diesem Todestag eine Woche Urlaub zu erhalten, habe die Beigeladene trotz eines Urlaubsguthabens abgelehnt. Er wolle die Stelle behalten, da er in seinem Alter nichts mehr finde, zumal er in zwei Jahren, mit 60, in Rente gehen werde. Durch die Todesfälle und den Stress sei er im November 2009 erkrankt und wäre schon längst gesund, wenn seine Krankenkasse nicht schon zweimal die Burn-out-Behandlung abgelehnt hätte.

In einem vorgelegten psychiatrisch-psychotherapeutischen Attest von ... vom .... Dezember 2009 wurde auf Grund einer depressiven Episode ein Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik empfohlen. Ein orthopädisches Attest von .... vom .... Dezember 2009 hielt eine stationäre Behandlung zur Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Klägers für dringend erforderlich. Seine Verspannungen im Schulter-Nacken-Bereich hätten sich verstärkt, er leide an Burnout und einer depressiven Episode.

Das Integrationsamt befragte mit Schreiben vom .... April 2010 den Hautarzt, ... und den Orthopäden des Klägers, ... zu dessen Arbeitsfähigkeit, Einsatzmöglichkeiten, Gesundheitsprognose und ggf. verbessernden Maßnahmen. Die Befragung seines Psychiaters hatte der Kläger abgelehnt.

.... teilte mit Schreiben vom .... April 2010 mit, der Kläger sei geistig und körperlich in der Lage, seinen Beruf als Bilanzbuchhalter auszuüben. Nach Abschluss der Rehamaßnahme in einer psychosomatischen Einrichtung sei mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu rechnen, allerdings seien auf Grund verschiedener chronischer Krankheiten Fehlzeiten in zumutbarem Umfang nicht auszuschließen. Auch .... hielt in dem Attest vom .... Mai 2010 eine Rehamaßnahme im psychiatrischen Bereich für erforderlich, konnte sich jedoch zu den weiteren Fragen nicht äußern. Aus orthopädischer Sicht bestehe volle Arbeitsfähigkeit.

Die Beigeladene teilte mit Schreiben vom .... April 2010 mit, dass der Eingliederungszuschuss der Bundesagentur für die Einstellung des Klägers nicht maßgebend gewesen sei. Man habe davon erst nach der Einstellung erfahren. Die Ausführungen des Klägers zur personellen Situation seien nicht zutreffend; seine Stelle müsse nach kostenintensiven Überbrückungsmaßnahmen nun neu besetzt werden. Die Androhung einer Kündigung bei Einreichung von Urlaub entspreche nicht der Unternehmenskultur, der Kläger habe auf Grund seiner langwierigen Arbeitsunfähigkeit keinen Urlaub beantragt. Ausbezahlung von Urlaub sei im Unternehmen nicht üblich. Die Einlassungen des Klägers hätten nun auch die Vertrauensbasis zerstört und würden eine Weiterbeschäftigung unmöglich machen.

Der Kläger teilte mit E-Mail vom ....Mai 2010 mit, die Krankenkasse habe zunächst 30 Sitzungen bei einem Psychiater genehmigt. Er habe die Hälfte absolviert, es gehe ihm besser, aber noch fehle Selbstvertrauen, um wieder in die Arbeit gehen zu können. Die Beigeladene habe von seiner Schwerbehinderung bei einem Anruf des Arbeitsamtes wegen eines Zuschusses erfahren. Während der Zeit bei der Beigeladenen sei er an Gürtelrose, Magengeschwüren und Burn-out erkrankt. Er sei nicht bereit, seine Stelle gegen eine Abfindung aufzugeben.

Mit Schreiben vom .... Juni 2010 bat das Integrationsamt die Deutsche Rentenversicherung und die Krankenkasse des Klägers um die vorhandenen ärztlichen Gutachten.

Der Kläger schlug am .... Juni 2010 vor, er verzichte auf seinen Posten als Leiter der Finanzbuchhaltung, erwarte aber von der Beigeladenen, dass sie ihm eine Stelle in der Finanzbuchhaltung zu gleichen Vertragsbedingungen freihalte und auf die Kündigung verzichte. Er wechsle zu einem neuen Psychiater.

Die Krankenkasse des Klägers bestätigte mit Schreiben vom .... Juli 2010, dass der Kläger vom .... November 2009 bis .... Mai 2010 arbeitsunfähig war und legte zwei Gutachten vor. Das Gutachten zur Arbeits-/Berufsunfähigkeit vom .... April 2010 kam zu dem Ergebnis, es bestehe Arbeitsunfähigkeit wegen Beschwerden auf psychiatrisch-psychologischem Gebiet, die fachärztlich umfassend behandelt werden müssten. Die vertrauensärztliche psychiatrische Untersuchung der Krankenkasse hielt dagegen die gegenwärtige ambulante Therapie für ausreichend. Eine mehr als 50 %-ige Erwerbsminderung bestehe nicht.

Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ...., führte in der Stellungnahme vom .... Juli 2010 aus, der Kläger sei momentan, aber nicht dauernd, arbeitsunfähig. Die Wiederherstellung hänge u.a. von der Genehmigung einer stationären Behandlung ab, frühestens könne mit ihr in drei Monaten gerechnet werden.

Auf die Sachstandsanfrage der Beigeladenen hin teilte das Integrationsamt mit Schreiben vom .... August 2010 mit, die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen. Derzeit bestehe keine negative Prognose bezüglich der Einsatzfähigkeit des Klägers. Es werde angeregt, die Entscheidung über die stationäre Behandlung abzuwarten.

Am .... März 2011 wurde der Kläger in der ...-Klinik aufgenommen. Das Integrationsamt teilte der Beigeladenen mit, dass mit der Entscheidung bis zum Ergebnis der Rehamaßnahme gewartet werde.

Mit E-Mail vom .... Mai 2011 teilte der Kläger mit, er habe die Klinik am .... Mai 2011 verlassen müssen, da die Krankenkasse nicht länger gezahlt habe. Seit zwei Wochen habe er sich deutlich besser gefühlt, leide allerdings noch unter Tinnitus und Lichtempfindlichkeit und beabsichtigte, vor Arbeitsantritt das Vorliegen einer Alzheimerkrankheit abklären zu lassen.

In der fachärztlichen Stellungnahme vom .... Juni 2011 teilte .... auf Anfrage des Integrationsamtes mit, der Kläger sei gegenwärtig noch nicht arbeitsfähig, jedoch sei eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in drei bis sechs Monaten denkbar. Bei Bleiben einer Restsymptomatik sei ein erneuter Aufenthalt in dieser Klinik ratsam.

Im Abschlussbericht der Klinik vom .... Mai 2011 wurde Besserung festgestellt, jedoch die Weiterführung der Psychotherapie dringend empfohlen.

Mit E-Mail vom .... Juli 2011 teilte der Kläger dem Integrationsamt mit, dass er ab .... August 2011 wieder arbeiten werde, allerdings noch 18 Tage Urlaub habe. Dies habe er auch der Beigeladenen mitgeteilt. Deren Bevollmächtigter bat mit Schreiben vom .... Juli 2011 das Integrationsamt um eine Entscheidung über den Antrag bis .... August 2011.

Mit Schreiben vom .... Oktober 2011 teilte der Bevollmächtigte der Beigeladenen mit, dass der Kläger vom .... August 2011 bis .... September 2011 seinen genehmigten Urlaub genommen und im Anschluss daran seine Arbeitsunfähigkeit ab .... Oktober 2011 für drei Wochen mitgeteilt habe. Die Weiterbeschäftigung sei nicht mehr zumutbar.

Auf erneute Anhörung des Klägers vom .... Oktober 2011 zu einer negativen Gesundheitsprognose teilte der Kläger mit Schreiben vom .... November 2011 mit, er habe von der Beigeladenen erfahren, dass sein Arbeitsplatz nicht habe erhalten werden können. Es werde nach wie vor versucht, ihn loszuwerden. Ab September 2012 werde er in Rente gehen. Er legte Korrespondenz mit der Beigeladenen bezüglich einer Vertragsauflösung mit Abfindung vor.

Mit Bescheid vom .... November 2011 erteilte das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Es ging von einem Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigungsgrund aus, traf aber eine Interessenabwägung zu Gunsten der Beigeladenen. Da auch der Erholungsurlaub nicht zu einer Stabilisierung der Gesundheit des Klägers geführt habe, habe sich die positive Prognose von .... nicht bewahrheitet. Bei der Ausfallzeit des Klägers von fast zwei Jahren könne nicht mehr von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Beschäftigungs- und Ausfallzeit gesprochen werden. Dem Arbeitgeber sei die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zuzumuten.

Der Kläger erhob durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2011 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München gegen den Bescheid.

Der Beklagte äußerte sich mit Schriftsatz vom 9. Januar 2012 und beantragte

Klageabweisung.

Mit Beschluss vom 11. November 2012 wurde die Arbeitgeberin des Klägers zum Verfahren beigeladen.

Der Klägerbevollmächtigte beantragte nach Akteneinsicht mit Schriftsatz vom 29. Juni 2012,

den Bescheid des Beklagten vom .... November 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den Antrag auf Zustimmung zur Kündigung des Klägers abzulehnen.

Hilfsweise wurde beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom .... November 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag neu zu entscheiden.

Zur Begründung wurde vorgetragen, die Beigeladene treffe eine erhebliche Mitschuld an der Dauererkrankung des Klägers. Er sei von Mitarbeitern gemobbt worden. Sein Urlaubsantrag anlässlich des Todes einer guten Freundin sei abgelehnt worden. Am .... Oktober 2011 sei der Kläger an einem Magengeschwür erkrankt, das in keinem Zusammenhang mit der vorherigen Erkrankung stehe. Der Kläger sei seit .... Januar 2012 wieder voll arbeitsfähig, was er auch der Beigeladenen mitgeteilt habe. Vor der Kündigung habe kein Eingliederungsmanagement oder Präventionsverfahren stattgefunden. Der Bescheid sei bereits rechtswidrig, da im Tenor nicht zwischen einer ordentlichen und einer außerordentlichen Kündigung unterschieden worden sei. Zu einer außerordentlichen Kündigung sei der Kläger nicht angehört worden. Der Beklagte habe nicht ausreichend ermittelt. Die positiven Prognosen hätten sich bewahrheitet. Auch der Beklagte hätte erkennen können, dass die neue Krankheit nicht in Verbindung mit der alten stehe. Der Beklagte habe den Eingliederungszuschuss der Bundesagentur außer Acht gelassen. Damit sei einem Arbeitgeber auch die Überbrückung eines längeren Krankheitszeitraumes des Schwerbehinderten zumutbar. Die Stelle des Klägers sei schon 2011 wieder besetzt worden, so dass keine Mehrbelastung bei der Beigeladenen bestanden habe. Die Beschäftigungszeit des Klägers könne nicht in Relation mit der Ausfallzeit gesetzt werden. Der Beklagte sei von einer betriebs-, nicht von einer verhaltensbedingten Kündigung ausgegangen. Er habe nicht berücksichtigt, dass der Kläger im September 2012 in Rente gehen werde und für die Kürze der Zeit keine andere Arbeit finden könne. Schließlich habe der Beklagte weder berücksichtigt, dass die Erkrankung des Klägers maßgeblich auf den Arbeitsbedingungen bei der Beigeladenen beruhe, noch habe er die Möglichkeit einer Umsetzung des Klägers geprüft. Wie der Genesungsverlauf zeige, sei die Fortführung des Arbeitsverhältnisses nicht unzumutbar gewesen.

Beigefügt war ein Attest des Hautarztes und Allergologen .... vom .... April 2012, wonach der Kläger seit Ende der Rehamaßnahme im Mai 2011 arbeitsfähig gewesen sei sowie ein Attest des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie .... vom .... April 2012 gleichen Inhaltes und mit der Feststellung, dass das Verhalten der Beigeladenen zur erneuten Arbeitsunfähigkeit des Klägers geführt habe.

Der Beklagte erwiderte im Schriftsatz vom .... August 2012, es sei eindeutig, dass die Zustimmung nur zur ordentlichen Kündigung erteilt worden sei. Der Eingliederungszuschuss sei nicht entscheidend gewesen; er sei ein Ausgleich für die Minderleistung des Schwerbehinderten und werde nur ausbezahlt, wenn dieser tatsächlich arbeite. Zu Gunsten des Klägers sei die Rehamaßnahme abgewartet worden. Ab August habe eine positive Prognose nicht mehr gehalten werden können. Auch die ärztlichen Aussagen vor Bescheidserlass hätten keine eindeutig positive Prognose ergeben, wären vielmehr abwartend gewesen. Die erhobenen Mobbingvorwürfe seien nicht belegt, im Übrigen von den Arbeitsgerichten zu prüfen. Ein Präventionsverfahren sei keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung.

Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2012 führte der Klägerbevollmächtigte aus, die Krankmeldung am .... Oktober 2011 sei eine Erstbescheinigung gewesen, die mit der vorigen Erkrankung nichts zu tun gehabt habe. Eine neue Burn-out-Erkrankung des Klägers habe es nicht gegeben. Die neue Einschätzung der Prognose habe wohl mit einem Sachbearbeiterwechsel beim Beklagten zu tun. Die Möglichkeit zu einem Präventionsverfahren habe sehr wohl bestanden. Eine betriebliche Beeinträchtigung bei der Beigeladenen habe zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses nicht mehr bestanden, da die Stelle des Klägers längst anderweitig besetzt gewesen sei und dem Kläger eine andere Stelle hätte angeboten werden können.

Dem Schriftsatz war das nicht rechtskräftige Urteil des Arbeitsgerichtes München vom .... Juni 2012 beigefügt, in dem festgestellt worden war, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beigeladenen vom .... November 2012 nicht aufgelöst worden war und mit dem die Beigeladene zur Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzprozess verpflichtet wurde.

Der Beklagte wies im Schriftsatz vom 4. Oktober 2012 darauf hin, dass der Kläger direkt nach seinem Urlaub wieder erkrankt sei. Das Arbeitsgericht habe die Gesundheitsprognose offen gelassen.

In der mündlichen Verhandlung am 10. Oktober 2012 wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Zum Verlauf wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Nach einem Aufklärungsschreiben des Gerichtes an die Beteiligten zur Antragstellung und zu einem möglichen Verzicht auf weitere mündliche Verhandlung teilte der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 8. November 2012 mit, er halte an den gestellten Haupt- und Hilfsanträgen fest. Der Kläger habe als obligatorisch Anzuhörender einen Anspruch auf eine verfahrensbeendende Entscheidung des Beklagten, die nach dem Gesetz innerhalb eines Monats ab Antragstellung erfolgen solle. Dem Kläger sei mit der bloßen Aufhebung des Bescheides vom .... November 2011 nicht gedient. Der Antrag der Beigeladenen sei auf Grund der Entscheidung des Beklagten verbraucht, so dass es nicht der Dispositionsfreiheit der Beigeladenen unterliege, wie sie das weitere Vorgehen mit dem Antrag gestalten möge. Das alte Verwaltungsverfahren werde nicht unverändert fortgeführt, allenfalls könne der Beklagte aus der Sicht des Stichtages unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichtes neu entscheiden. Nach Auffassung des Klägers komme nur eine Ablehnung der Zustimmung in Betracht, so dass in erster Linie der Verpflichtungsantrag hierzu aufrechterhalten werde. Mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren bestehe Einverständnis.

Der Beklagte wies mit Schriftsatz vom 12. November 2012 darauf hin, dass das Zuwarten mit einer Entscheidung im Interesse des Klägers erfolgt sei. Im Übrigen gebe es die Möglichkeit der Untätigkeitsklage.

Mit Schreiben vom 5. Dezember 2012 erklärte der Beklagte, mit Schreiben vom 22. Januar 2013 auch der Bevollmächtigte der Beigeladenen sein Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Entscheidungsgründe:

Mit dem Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung entscheiden.

Soweit der Kläger die Verpflichtung des Beklagten zur Ablehnung des Antrages der Beigeladenen auf Zustimmung zu seiner Kündigung bzw. im Hilfsantrag auf Verpflichtung zur Neubescheidung beantragt, ist die Klage nicht statthaft und damit unzulässig.

Gegen die Erteilung der Zustimmung zu seiner Kündigung kann sich der betroffene Arbeitnehmer nur im Wege der Anfechtungsklage zur Wehr setzen (vgl. Lachwitz/Schellhorn, Welti, Handkommentar SGB IX, 3. Auflage, § 85, Rn. 52, und § 88, Rn. 89, sowie den Wortlaut von § 88 Abs. 4: "Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Zustimmung des Integrationsamtes ..."). Bei der Erteilung der Zustimmung zur Kündigung handelt es sich um einen (den Arbeitgeber begünstigenden) Verwaltungsakt mit (den Arbeitnehmer belastender) Drittwirkung (Lachwitz und andere, a.a.O., § 88, Rn. 54). Der Kläger ist in dem vorangehenden Verwaltungsverfahren nicht Antragsteller, sondern Beteiligter, dem die Entscheidung, die das Verwaltungsverfahren abschließt, gemäß § 88 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) IX zuzustellen ist, da er durch die Regelung bei Erteilung der Zustimmung beschwert wird.

Eine Klage auf Verpflichtung zum Erlass eines bestimmten Verwaltungsaktes ist in der Regel dagegen nur statthaft, wenn der Kläger vorher bei der Behörde erfolglos einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Eine Verpflichtungsklage ist daher im Zustimmungsverfahren nach §§ 85 f. SGB IX grundsätzlich nur für den Arbeitgeber möglich. Dagegen ist die Anfechtungsklage auf Aufhebung des Verwaltungsaktes zu wählen, wenn der Kläger auf diesem Weg sein Ziel erreichen kann (Schoch, Schneider, Bier, VwGO, § 42, Rn. 5), wie dies in der Regel bei einer Drittanfechtung der Fall ist. Mit der rechtskräftigen Aufhebung des Zustimmungsbescheides ist die Kündigung des Klägers unheilbar nichtig (§ 134 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -).

Die Anfechtungsklage auf Aufhebung des Bescheides des Integrationsamtes vom .... November 2011 ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, so dass er aufzuheben war (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Der Kläger ist schwerbehindert im Sinne von § 2 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches, IX. Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -, (SGB IX). Damit bedarf die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Das Integrationsamt trifft eine Ermessensentscheidung, bei der es die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe mit den Interessen des Arbeitnehmers abwägt. Die Abwägung ist an Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes für Schwerbehinderte auszurichten, d.h., sie nimmt für das Interesse des Schwerbehinderten, seinen Arbeitsplatz zu behalten, eine Einschränkung der Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitgebers in Kauf (vgl. BayVGH, Urteil vom 5.10.2011, Az.: 12 B 10.2811 m.w.N., recherchiert in Juris). Vor dem Hintergrund, dass das Gesetz die Nachteile Schwerbehinderter auf dem Arbeitsmarkt ausgleichen will, bestehen besonders hohe Anforderungen an die Zumutbarkeit für den Arbeitgeber, wenn die Kündigung auf Gründen beruht, die ihre Ursache in der Behinderung haben. Andererseits sind die Anforderungen umso niedriger, je geringer der Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigungsgrund ist. Mit dem Sonderkündigungsschutz soll nur eine Angleichung der Schwerbehinderten an die nicht behinderten Arbeitnehmer erfolgen, nicht jedoch eine zusätzliche umfassende Kontrolle der Kündigung an sich. Daher hat das Integrationsamt auch nicht die arbeitsrechtlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, wie etwa die Sozialwidrigkeit einer Kündigung, soll aber auch nicht an einer offensichtlich arbeitsrechtlich rechtswidrigen Kündigung mitwirken (BayVGH, a.a.O.).

Das Integrationsamt hat für seine Entscheidung, ausgehend vom Antrag des Arbeitgebers, alles zu ermitteln, was erforderlich ist, um die gegensätzlichen Interessen des Arbeitgebers und des betroffenen Arbeitnehmers angemessen berücksichtigen und sachgerecht gegeneinander abwägen zu können (BVerwG, Urteil vom 19.10.1995, BVerwGE 99, 336).

Vom Gericht kann die Ermessensentscheidung im Rahmen des § 114 VwGO nur daraufhin überprüft werden, ob das Integrationsamt die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat, nicht alles in seine Erwägungen eingestellt und damit nicht in der dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise von seinem Ermessen Gebrauch gemacht hat oder ob das Integrationsamt sein Ermessen nicht erkannt oder gar nicht ausgeübt hat.

Maßgeblich für die Überprüfung ist dabei der Sachverhalt bis zum Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung (BayVGH, Urteil vom 29.9.2010, Az.: 12 B 10.1088 m.w.N., Juris).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist der angefochtene Bescheid fehlerhaft.

Nicht zu beanstanden ist, dass aus dem Tenor nicht ersichtlich ist, dass die Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung erteilt wurde. So wurde dem Kläger im Rahmen seiner schriftlichen Anhörung vom .... März 2010 (Bl. 7 der Verwaltungsakten) u.a. der Antrag der Beigeladenen übersandt. Auf diesem Formblatt ist nur der Antrag auf Zustimmung zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung angekreuzt. Auch aus dem Betreff und den Gründen des Bescheides ergibt sich eindeutig, dass nur die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung von der Beigeladenen beantragt, nur eine solche geprüft und nur über eine solche entschieden wurde.

Zutreffend hat der Beklagte, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist, einen Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und den im Schwerbehindertenausweis festgestellten Behinderungen bejaht. Das Integrationsamt hat jedoch nicht alle für den vorliegenden Fall relevanten Tatsachen ermittelt bzw. teilweise eine falsche Gewichtung getroffen.

Das Integrationsamt hat seine Entscheidung zu Gunsten der Beigeladenen wesentlich auf den Umstand gestützt, dass sich die positive Prognose, die der Psychiater des Klägers in seiner fachärztlichen Stellungnahme vom .... Juni 2011 getroffen hat, nicht bewahrheitet habe. ... hat auf Grund des Verlaufes der Erkrankung nach der stationären Behandlung eine völlige Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers für wahrscheinlich gehalten und dafür einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten angegeben. Die Stellungnahme deckt sich mit den früheren ärztlichen Stellungnahmen, die für eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers eine stationäre Rehamaßnahme für unumgänglich, aber auch Erfolg versprechend hielten (so z.B. die Stellungnahmen vom ...12.2009, ...12.2009, ....4.2010 und ....7.2010, Bl. 19, 22, 51 und 104 der Verwaltungsakten). Ehe das Integrationsamt die Zustimmung erteilte, hätte es abwarten müssen, ob sich diese Prognose erfüllte (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall BayVGH, B.v. 10.3.2006, 9 ZB 05.2600).

Es hat weiterhin nicht ermittelt, ob für den Kläger bei der Beigeladenen ein anderweitiger leidensgerechter Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden hätte, auf den der Kläger, insbesondere unter Berücksichtigung seines Angebotes, auf die Leitungsposition in der Buchhaltung zu verzichten, hätte um- bzw. versetzt werden können. In diesem Zusammenhang hätte auch geklärt werden müssen, ob für den Kläger beispielsweise ein Arbeitsplatz in Betracht gekommen wäre, der von einem Mitarbeiter einer Zeitarbeitsfirma besetzt war, wie es laut seinem unwidersprochenen Vortrag bei der Beigeladenen häufiger vorkam.

Bezüglich der Aussagen zu einer (vorübergehenden) Besetzung des Arbeitsplatzes des Klägers hat sich das Integrationsamt allein auf die Aussagen der Beigeladenen verlassen, dass eine Überbrückung nicht bzw. nur äußerst kostenintensiv möglich sei. Mit dem Angebot des Klägers wurde die Beigeladene gar nicht konfrontiert. Damit hat es gegen seine Pflicht verstoßen, sich von der Richtigkeit der für seine Entscheidung wesentlichen Behauptungen eine eigene Überzeugung zu verschaffen (vgl. BVerwG, B.v. 10.11.2008, 5 B 79/08).

Da es sich vorliegend nicht um betriebsbedingte, sondern um personenbedingte Kündigungsgründe handelt, hat das Integrationsamt aber vor allem nicht ausreichend geklärt und in seine Abwägung eingestellt, ob die Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber im Hinblick auf den Schutzgedanken des Sonderkündigungsschutzes schon erreicht bzw. überschritten war.

Wie bereits ausgeführt, sind an die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn, wie hier, zwischen der Kündigung und der Behinderung ein Zusammenhang besteht. Der Arbeitgeber ist in diesen Fällen gehalten, jede mögliche und zumutbare geeignete Maßnahme zu ergreifen, die im Rahmen der betrieblichen Interessen hilft, die Kündigung zu vermeiden (vgl. Lachwitz/Schellhorn/Welti, a.a.O., § 88, Rn. 19 f.). Überschritten wird die Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber, wenn die Weiterbeschäftigung nicht mehr zu einem wirtschaftlich sinnvollen Austausch von Leistung und Gegenleistung führt und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses allen Gesetzen wirtschaftlicher Vernunft widerspricht, insbesondere dem Arbeitgeber einseitig die Lohnzahlungspflicht auferlegt würde (vgl. hierzu BayVGH, Urteil vom 31.1.2013, Az.: 12 B 12.860, unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerwG). Im Rahmen der wirtschaftlichen Zumutbarkeit sind auch öffentliche Leistungen, die zur Förderung der Eingliederung von schwerbehinderten Menschen in das Arbeitsleben oder zum Ausgleich einer möglichen Minderleistung von schwerbehinderten Menschen gewährt werden, zu berücksichtigen (vgl. BayVGH vom 31.1.2013, a.a.O.). Das Integrationsamt hätte daher bei der Wertung der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch den von der Bundesagentur für den Kläger gewährten Zuschuss in seine Erwägungen miteinstellen müssen, die die finanziellen Aufwendungen der Beigeladenen für den Kläger erheblich reduziert haben.

Aus den genannten Gründen war der Bescheid des Beklagten aufzuheben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Anfechtungs- und Verpflichtungsklage wurden gleich entsprechend ihrer Bedeutung gewichtet.

Die Entscheidung über die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO. Die Kostenentscheidung bezüglich des Beigeladenen folgt aus §§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat einen Antrag gestellt und sich somit in ein Kostenrisiko begeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 f. Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO nicht vorliegen.

Referenznummer:

R/R5982


Informationsstand: 13.01.2014