Urteil
Urlaubsabgeltung und langandauernde Erkrankung

Gericht:

LAG Baden-Württemberg 13. Kammer


Aktenzeichen:

13 Sa 73/13


Urteil vom:

19.03.2014


Leitsätze:

1. Bei Erkrankung des Arbeitnehmers tritt nach Ablauf von 15 Monaten seit dem Ende des Urlaubsjahres ein Verfall der Urlaubsansprüche ein.

2. Dies gilt auch für über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehende Urlaubsansprüche aus dem Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Baden-Württemberg.

3. Für die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs und des tariflichen Mehrurlaubs spielt es keine Rolle, ob der Arbeitnehmer nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis und vor Ablauf des Übertragungszeitraums seine Arbeitsfähigkeit wieder erlangt.

Rechtsweg:

ArbG Karlsruhe Urteil vom 25.10.2013 - 9 Ca 212/13

Quelle:

Justizportal des Landes Baden-Württemberg

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 25. Oktober 2013 (Az.: 9 Ca 212/13) unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, über den in diesem Urteil der Klägerin zugesprochenen Betrag weitere EUR 20,13 brutto an die Klägerin zu zahlen.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 25. Oktober 2013 (Az.: 9 Ca 212/13) wird zurückgewiesen.

3. Hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens bleibt es bei der Entscheidung des Arbeitsgerichts in dem mit der Berufung angegriffenen Urteil. Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin 65% und die Beklagte 35%.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten weitere Urlaubsabgeltung und zusätzliches Urlaubsgeld für die Jahre 2010 bis 2013. Die Beklagte macht widerklagend einen Anspruch auf Rückzahlung zu viel bezahlter Urlaubsabgeltung geltend.

Die am 00.00.1952 geborene Klägerin arbeitete auf Grundlage eines schriftlichen Vertrages vom 20. Juli 2007 (vgl. Akten 1. Instanz Bl. 6 bis 8; I/6-8) seit dem 1. Juli 2007 bei der Beklagten, die Baumärkte betreibt, als Mitarbeiterin in der Gartenabteilung eines Baumarkts. Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass auf ihr Arbeitsverhältnis kraft individualvertraglicher Bezugnahme die vom Einzelhandelsverband Baden-Württemberg und der Gewerkschaft ver.di abgeschlossenen Tarifverträge für den Einzelhandel in Baden-Württemberg Anwendung finden, insbesondere der Manteltarifvertrag für die Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmer/innen des Einzelhandels in Baden-Württemberg vom 13. Januar 1994, in der Fassung vom 10. Juli 2008 mit den Änderungen durch den Ergänzungstarifvertrag vom 10. Juni 2011 (künftig: MTV; vgl. I/31-56). Die wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin betrug 18,41 Stunden - verteilt auf fünf Arbeitstage in der Woche-, was 49,09 % der vollen tariflichen Wochenarbeitszeit entspricht. Die letzte tarifliche Vergütung der Klägerin bei dieser Arbeitszeit betrug EUR 1.103,32 brutto.

Die Klägerin ist seit Juni 2010 durchgehend arbeitsunfähig krank. Seit 30. Januar 2012 ist bei ihr die Schwerbehinderteneigenschaft mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete mit Ablauf des 28. Februar 2013. Seit dem 1. März 2013 bezieht die Klägerin Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

Bereits mit Schreiben vom 18. Januar 2013 (vgl. I/10) forderte die Klägerin die Beklagte unter Hinweis auf die bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf, zum 28. Februar 2013 den aufgelaufenen Urlaub abzugelten. Mit Abrechnung vom 20. Februar 2013 (vgl. I/11) zahlte die Beklagte an die Klägerin eine Urlaubsabgeltung in Höhe von EUR 3.097,78 brutto. Mit Schreiben vom 11. März 2013 (vgl. Akten 2. Instanz Bl. 37 f.; II/37 f.) beanstandete die Klägerin diese Abrechnung und verlangte eine höhere Urlaubsabgeltung für die Zeit von 2010 bis 28. Februar 2013 unter Berücksichtigung des Zusatzurlaubs für Menschen mit Schwerbehinderung. Mit einem Schreiben vom 12. März 2013 (vgl. I/12) erläuterte die Beklagte ihre Abrechnung und teilte mit, dass Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2010 vollständig und aus dem Jahr 2011 insoweit verfallen seien, als sie den gesetzlichen Urlaubsanspruch überstiegen. Für das Jahr 2012 und das anteilige Jahr 2013 bestehe der gesetzliche und tarifliche Urlaubsanspruch sowie der Zusatzurlaub gemäß SGB IX, so dass insgesamt 73 Urlaubstage (in der 6-Tage-Woche) abzugelten seien. Die Klägerin widersprach dem mit Schreiben vom 4. April 2013 (vgl. II/40 f.), mit welchem sie nunmehr auch Ansprüche auf zusätzliches tarifliches Urlaubsgeld für die Jahre 2010 bis 2013 geltend machte.

Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 11. April 2013 (vgl. I/13) weitere Zahlungen ablehnte, verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche mit einer am 6. Mai 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 13. Mai 2013 zugestellten Klage weiter. Mit einer am 22. Mai 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Klägerin am 24. Mai 2013 zugestellten Widerklage stellt sich die Beklagte auf den Standpunkt, sie habe bereits 14 Tage Urlaub zu viel abgegolten und verlangt von der Klägerin die Rückzahlung von EUR 594,09 (brutto).

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, ihr stehe nach § 16 Nr. 1 MTV ein jährlicher Urlaubsanspruch von 36 Tagen zu, der sich seit dem Ergänzungstarifvertrag ab 2012 aus einem gesetzlichen Urlaubsanspruch von 24 Tagen und einem tariflichen Mehrurlaub von 12 Tagen zusammensetze. Ferner stehe ihr ab 2012 ein jährlicher Zusatzurlaub nach § 125 SGB IX in Höhe weiterer sechs Tage zu. Dies ergebe für den Gesamtzeitraum von 2010 bis 28. Februar 2013 einen Urlaubsanspruch von 115 Tagen (zur Berechnung vgl. I/2), der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nunmehr abzugelten sei. Nachdem die Beklagte bereits 73 Urlaubstage abgegolten habe, stehe der Klägerin somit noch ein Abgeltungsanspruch für 42 Tage zu, welcher mit EUR 2.138,12 zu berechnen sei (dabei legt die Klägerin für die Zahl von Arbeitstagen in drei Monaten einen Divisor von 65 zugrunde). Ferner sei die Berechnung der Urlaubsabgeltung der Beklagten für die gewährten 73 Tage Urlaubsabgeltung fehlerhaft und müsse EUR 619,56 höher sein (auch hier legt die Klägerin für die Zahl von Arbeitstagen in drei Monaten einen Divisor von 65 zugrunde). Schließlich stehe der Klägerin ein Anspruch auf tarifliches Urlaubsgeld nach § 19 MTV zu. Für 2010 sei dieses von der Beklagten gezahlt worden. Für die Jahre 2011 bis 2013 ergebe sich ein noch offener Betrag von EUR 1.158,19 (zur Berechnung vgl. I/3 f.). Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2010 seien nicht verfallen. § 7 Abs. 3 BUrlG sei europarechtskonform so auszulegen, das Urlaubsansprüche nach dem BUrlG nicht verfielen. Die entgegenstehende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei verfassungsrechtlich zweifelhaft und nicht vom Rechtsstaatsgrundsatz gedeckt. Dies gelte auch für den tarifvertraglichen Urlaub, zumal für das Urlaubsjahr 2011 dort nicht zwischen gesetzlichem und tariflichem Urlaub unterschieden werde. Ab 2012 treffe der Tarifvertrag zwar eine solche Unterscheidung. Die Beklagte habe aber erklärtermaßen mit der Abrechnung vom 20. Februar 2013 für das Jahr 2012 insgesamt 42 Tage abgegolten, so dass dieses Jahr zwischen den Parteien unstreitig sei. Gleiches gelte für das Jahr 2013. Soweit die Beklagte nunmehr Rückzahlungsansprüche geltend mache, seien diese nach den tarifvertraglichen Ausschlussfristen verfallen. Da im Betrieb der Beklagten die 5-Tage-Woche gelte, müsse bei der Berechnung gemäß § 7 MTV mit einem Divisor von 22 und nicht von 26 gerechnet werden. Die Fälligkeit des zusätzlichen Urlaubsgeldes sei nicht an den Ablauf des Urlaubsjahres, sondern die tatsächliche Gewährung von Urlaub geknüpft, so dass ein Verfall nicht habe eintreten können.


Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin den Betrag von brutto 3.915,87 EUR zu zahlen.


Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen

und widerklagend:

Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte 594,09 EUR seit Zustellung der Widerklage zu bezahlen.


Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

die Widerklage abzuweisen.


Die Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2010 seien nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vollständig verfallen. Aus den Jahren 2011 und 2012 bestehe nur der Anspruch auf den gesetzlichen Urlaub, da weitergehende tarifliche Ansprüche verfallen seien, insbesondere nach den Änderungen durch den Ergänzungstarifvertrag. Für das Jahr 2011 habe die Beklagte der Sache nach auch von der Kürzungsmöglichkeit nach § 16 Nr. 5 MTV Gebrauch gemacht. Seit dem Jahr 2012 sei der Gleichlauf zwischen Gesetz und Tarif ausdrücklich aufgehoben. Für das Jahr 2013 hänge der anteilige tarifliche Urlaubsanspruch davon ab, ob die Klägerin rechtzeitig vor Mai 2014 wieder arbeitsfähig werde, was zu verneinen sei. Unabhängig davon bestehe die Kürzungsmöglichkeit nach § 16 Nr. 5 MTV. Die Klägerin könne damit die Abgeltung von 24 Urlaubstagen für 2011, 30 Urlaubstagen für 2012 und 5 Urlaubstagen für 2013 verlangen, insgesamt also 59 Urlaubstage, so dass die Beklagte bereits 14 Urlaubstage - entsprechend EUR 594,09 - zu viel abgegolten habe. Bei der Berechnung sei die Beklagte nach Maßgabe der tariflichen Vorschriften von der 6-Tage-Woche ausgegangen (zur Berechnung vgl. I/24 und I/70). Ansprüche auf tarifliches Urlaubsgeld nach § 19 A MTV seien nach § 26 Nr. 1 Buchstabe b MTV verfallen. Allenfalls für das Jahr 2013 könne ein Anspruch in Höhe von EUR 91,96 brutto bestehen, der hilfsweise mit der überzahlten Urlaubsabgeltung getilgt werden solle.

Das Arbeitsgericht hat mit einem am 25. Oktober 2013 verkündeten Urteil der Klage in Höhe von EUR 971,31 brutto stattgegeben, sie im Übrigen aber - und die Widerklage der Beklagten insgesamt - abgewiesen. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Abgeltung von insgesamt 61 Urlaubstagen (in der 5-Tage-Woche) á EUR 50,92 brutto, so dass ihr über die von der Beklagten bereits gezahlten EUR 3.097,78 brutto noch weitere EUR 8,34 brutto zustünden. Nach dem MTV bestehe in der 5-Tage Woche ein jährlicher Urlaubsanspruch von 30 Tagen. Die Klägerin vermenge bei ihrer Berechnung unzulässig Regelungen zur 6-Tage-Woche mit der 5-Tage-Woche. Urlaubsansprüche der Klägerin aus dem Jahr 2010 seien zum 28. Februar 2013 bereits verfallen gewesen. Für den gesetzlichen Mindesturlaub des Jahres 2011 (20 Urlaubstage) sei dagegen noch kein Verfall eingetreten gewesen. Aufgrund der Kürzungsmöglichkeit in § 16 Nr. 5 MTV bestehe aber kein Anspruch auf weitergehenden tarifvertraglichen Urlaub. Hinsichtlich des Urlaubsanspruchs für 2012 sei weder der gesetzliche noch der tarifliche Urlaub verfallen (35 Urlaubstage unter Berücksichtigung des Zusatzurlaubs nach § 125 SGB IX). Von der Kürzungsmöglichkeit nach § 16 Nr. 5 MTV habe die Beklagte keinen Gebrauch gemacht, sondern der Klägerin mit Schreiben ausdrücklich mitgeteilt, dass ein Anspruch auf Abgeltung dieses tariflichen Mehrurlaubs bestehe und dieses auch durchgeführt. Das so von der Beklagten ausgeübte einseitige Leistungsbestimmungsrecht nach § 16 Nr. 5 MTV sei nicht widerruflich. Auch für das anteilige Jahr 2013 bestehe ein Abgeltungsanspruch von insgesamt 6 Tagen. Die Klägerin habe Anspruch auf 20/30 (2011), 30/30 (2012) und 5/30 (2013) des tariflichen Urlaubsgeldanspruchs, insgesamt EUR 962,97 brutto (zur Berechnung vgl. I/94). Zwischen dem Urlaubsanspruch und dem Urlaubsgeldanspruch bestehe nach § 19 A Nr. 5 MTV Akzessorietät.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde den Parteien am 13. November 2013 zugestellt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, die am 9. Dezember 2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist und innerhalb verlängerter Frist mit einem am 31. Januar 2014 eingegangenen Schriftsatz begründet wurde. Die Klägerin hat ebenfalls Berufung eingelegt, die am 12. Dezember 2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist und mit einem am 13. Januar 2014 eingegangenen Schriftsatz begründet wurde.

Die Beklagte trägt vor, der Klägerin stünden für die Jahre 2011 bis 2013 nur 24, 30 und 5 Tage Urlaub [in der 6-Tage-Woche] zu, so dass insgesamt nur 59 Tage abzugelten seien (zur Berechnung vgl. II/27 ff.). Spätestens seit dem Jahr 2012 sei der Gleichlauf zwischen Gesetz und Tarifvertrag hinsichtlich des Urlaubs ausdrücklich aufgehoben worden. Letztlich sei der tarifliche Mehrurlaub der Klägerin für die Jahre 2011 bis 2013 verfallen. Damit habe die Beklagte der Klägerin 14 Tage zu viel abgegolten, so dass sie EUR 594,09 brutto oder jedenfalls sich den daraus ergebenden Nettobetrag von EUR 266,46 erstatten müsse. Dies habe die Beklagte auch rechtzeitig innerhalb der tariflichen Ausschlussfristen geltend gemacht. Das Arbeitsgericht spreche der Beklagten zu Unrecht ein Kürzungsrecht nach § 16 Nr. 5 MTV für das Jahr 2012 ab. Die Beklagte habe vorprozessual keine Gestaltungserklärung abgegeben. Das Schreiben vom 12. März 2013 (vgl. I/12) stelle keine Willenserklärung dar. Vielmehr habe die Beklagte - nach Prüfung der Sach- und Rechtslage - ihre Sicht dargestellt. Ein rechtsgestaltender Wille, von der Kürzungsmöglichkeit keinen Gebrauch machen zu wollen, komme darin nicht zum Ausdruck. Der Klägerin stehe kein Anspruch auf zusätzliches Urlaubsgeld für die Jahre 2011 bis 2013 zu. Dem stehe schon die Ausschlussfrist des § 26 Nr. 1 Buchstabe b MTV entgegen. Es fehle aber auch schon an den tariflichen Voraussetzungen des § 19 A Nr. 4 MTV. Urlaubsansprüche der Klägerin für das Jahr 2010 seien verfallen. Die Kürzung des Urlaubsanspruchs [für 2011] gemäß § 16 Nr. 5 MTV sei rechtlich nicht zu beanstanden.


Die Beklagte beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 25.10.2013, Az.: 9 Ca 212/13, wird in seinen Punkten 1 bis 3 abgeändert, die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte 594,09 EUR brutto, hilfsweise 266,46 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Zustellung der Widerklage zu bezahlen

3. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.


Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Karlsruhe vom 25.10.2013 - Az.: 9 Ca 212/13 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen über den dort zugesprochenen Betrag hinaus weitere 2.944,56 Euro brutto an die Klägerin zu zahlen,

2. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin trägt vor, Urlaubsabgeltungsansprüche der Klägerin für das Jahr 2010 seien nicht verfallen. Die Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG in der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei vom Rechtsstaatsgrundsatz nicht gedeckt und daher verfassungs- und europarechtswidrig. Ein Verfall tariflicher Mehrurlaubsansprüche für das Jahr 2011 sei nicht eingetreten. Die Beklagte habe auch nicht von der Kürzungsmöglichkeit nach § 16 Nr. 5 MTV Gebrauch gemacht, sondern sich lediglich auf einen Verfall berufen. Daher stehe der Klägerin auch das zusätzliche Urlaubsgeld für das Jahr 2011 zu. Das zusätzliche Urlaubsgeld für die Jahre 2012 und 2013 habe das Arbeitsgericht unzutreffend berechnet und liege um EUR 15,71 beziehungsweise EUR 4,42 höher, als ihr mit dem Urteil zugesprochen. Das Kürzungsrecht nach § 16 Nr. 5 MTV sei von der Beklagten nicht ausgeübt worden. Auch für 2013 stehe der Klägerin tariflicher Mehrurlaub zu. Der Anspruch auf tarifliches Urlaubsgeld sei nicht nach § 26 Nr. 1 Buchstabe b MTV verfallen, da die Ausschlussfrist erst mit Entstehung des Abgeltungsanspruchs zu laufen beginnen könne. Die Widerklage sei abzuweisen, da sich keine Überzahlung von Urlaubsabgeltung durch die Beklagte ergebe.

Im Übrigen wird hinsichtlich des Vortrags der Parteien auf die zwischen ihnen in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A. Berufung der Klägerin

I.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 600,00 übersteigt, § 64 Abs. 2 Buchstabe b ArbGG. Die Berufung ist auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO.

II.
Die Berufung der Klägerin ist - bis auf einen geringen Teil hinsichtlich der Berechnung des tariflichen Urlaubsgeldes, bezüglich dessen das erstinstanzliche Urteil abzuändern war - aber nicht begründet und war im Wesentlichen zurückzuweisen.

1. Der Klägerin steht keine höhere Urlaubsabgeltung zu, als ihr mit dem Urteil des Arbeitsgerichts im Umfang von 61 Tagen in der 5-Tage-Woche zugesprochen wurde. Im Berufungsverfahren macht die Klägerin eine noch weitergehende Urlaubsabgeltung betreffend die kompletten Urlaubsansprüche für das Jahr 2010 und die über die gesetzlichen Urlaubsansprüche für das Jahr 2011 hinausgehenden tarifvertraglichen Urlaubsansprüche geltend. Diese stehen ihr aber nicht zu, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat.

a) Urlaubsansprüche der Klägerin für das Urlaubsjahr 2010 sind in vollem Umfang verfallen. Die Klägerin hat im Jahr 2010 wegen ihrer Erkrankung keinen Urlaub in Anspruch genommen. Nach Ablauf von 15 Monaten seit dem Ende des Urlaubsjahres, also mit dem 31. März 2012, tritt nach unionsrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ein Verfall der Urlaubsansprüche ein.

aa) Zwar kann nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG und nach § 15 Nr. 8 Satz 2 MTV der Urlaub in diesen Fällen nur bis 31. März des Folgejahres übertragen werden. Zumindest für den gesetzlichen Mindesturlaub kann aber nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 20. Januar 2009 (C-350/06 u.a.; NZA 2009, 135 [Schultz-Hoff]) nicht angenommen werden, dass ein Verfall von Urlaubsansprüchen mit Ablauf des ersten Quartals des Folgejahres unionsrechtskonform wäre. Allerdings steht Unionsrecht nicht der Möglichkeit entgegen, dass einzelstaatliche Rechtsvorschriften angesammelten Urlaub arbeitsunfähiger Arbeitnehmer dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt (EuGH 22. November 2011 - C-214/10 - NZA 2011, 1333 [KHS]). In diesem Sine ist § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass gesetzliche Urlaubsansprüche 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen (vgl. BAG 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 - NZA 2012, 1216 ff.).

bb) Die erkennende Kammer schließt sich dieser Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an und teilt die von der Klägerin hiergegen vorgebrachten Zweifel nicht. Insbesondere ist diese Auslegung nicht verfassungswidrig. Die Auslegung von § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG muss einerseits die unionsrechtlichen Vorgaben beachten. Dies führt aber nicht zu einer völligen Unanwendbarkeit der Norm, da auch der gesetzgeberische Wille des nationalen Gesetzgebers zu berücksichtigen ist, der eine weitgehende Rückkehr zum Auslegungsergebnis der früheren Rechtsprechung zum Urlaubsrecht gebietet. Diesen - auch verfassungsrechtlichen - Überlegungen des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG (vgl. BAG 7. August 2012, a.a.O., Rn. 29 ff.) schließt sich erkennende Kammer an. Die Auslegung verstößt auch nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip, sondern hält sich innerhalb der anerkannten Grenzen der Auslegung von Rechtsnormen durch Gerichte.

cc) Auch der über den gesetzlichen Mindesturlaub für das Jahr 2010 hinausgehende Tarifurlaub ist spätestens mit Ablauf des 31. März 2012 verfallen. Soweit man den Jahresurlaubsanspruch 2010 als einen einheitlichen Anspruch betrachtet, da § 15 MTV in der damals geltenden Fassung kein "eigenständiges Fristenregime" beinhaltet, gelten die oben stehenden Ausführungen entsprechend. Soweit man ein eigenständiges Fristenregime annehmen wollte, würde ein Verfall bereits aus § 15 Nr. 8 Satz 2 MTV folgen.

b) Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehender tariflicher Urlaub für das Jahr 2011 zu, der für sie abzugelten wäre. Insoweit hat die Beklagte jedenfalls konkludent von der Kürzungsmöglichkeit in § 16 Nr. 5 MTV Gebrauch gemacht.

aa) § 16 Nr. 5 MTV gestattet die Kürzung des Jahresurlaubsanspruch um 1/12 für jeden weiteren Monat nach einer viermonatigen vorangegangenen Krankheitszeit, wobei der gesetzliche Urlaubsanspruch erhalten werden muss. Vorliegend war die Klägerin im ganzen Jahr 2011 arbeitsunfähig krank, so dass eine Kürzung um 8/12 des Jahresurlaubs vorzunehmen wäre, wobei ihr aber der gesetzliche Mindesturlaub von 24 Tagen in der 6-Tage-Woche, entsprechend 20 Tage in der 5-Tage Woche verbleibt, wie er ihr vom Arbeitsgericht auch zugesprochen wurde.

bb) Die Beklagte hat das Kürzungsrecht aus § 16 Nr. 5 MTV jedenfalls konkludent ausgeübt. Sie hat der Klägerin mit der Abrechnung vom 20. Februar 2013 (vgl. I/11) nur eine Urlaubsabgeltung zukommen lassen, die unter anderem den gesetzlichen Mindesturlaub für das Jahr 2011, nicht aber diesbezüglichen tarifvertraglichen Mehrurlaub beinhaltet. Dies hat die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 12. März 2013 (vgl. I/12) deutlich herausgestellt und in ihrem Schreiben vom 11. April 2013 (vgl. I/13) weitergehende Ansprüche der Klägerin zurückgewiesen. Dabei spielt es keine entscheidende Rolle, dass die damals nicht anwaltlich vertretene Beklagte in ihrem Schreiben vom 12. März 2013 von einem "Verfall" von Urlaubsansprüchen spricht und nicht von einem "Abzug", wie es in § 16 Nr. 5 MTV angesprochen wird. Die Beklagte hat jedenfalls klar herausgestellt, dass sie nicht bereit ist, der Klägerin tariflichen Mehrurlaub für das Jahr 2011 zu gewähren, da sie sich nicht dafür verpflichtet hält, wobei ausdrücklich eine Differenzierung zwischen gesetzlichen und tariflichen Ansprüchen vorgenommen wird. Damit ist zumindest klargestellt, dass die Beklagte Urlaubsansprüche der Klägerin für das Jahr 2011 nur im Rahmen der tarifvertraglichen Regeln abgelten will und sie für dieses Jahr von einer Abgeltung tariflichen Mehrurlaubs absieht. Zwischenzeitlich hat die Beklagte im Rechtsstreit, ohne dass vorher entsprechende Zahlungen erbracht worden wären, auch ausdrücklich die Kürzungsmöglichkeit nach § 16 Nr. 5 MTV für sich in Anspruch genommen. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

c) Die Klägerin hat zur konkreten Berechnung der ihr vom Arbeitsgericht zugesprochenen Urlaubsabgeltungsansprüche im Berufungsrechtszug keine Einwendungen erhoben. Die Berechnung durch das Arbeitsgericht (vgl. II.1.a und f der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung, dort Seite 4 und 9; I/91 und 94) ist auch nicht zu beanstanden. Insbesondere hat das Arbeitsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin in ihrer erstinstanzlichen Berechnung, bei welcher sie auch einen größeren Differenzbetrag hinsichtlich der von der Beklagten tatsächlich abgegoltenen Urlaubstage bemängelt hat, in unzulässiger Weise Berechnungsfaktoren aus der Betrachtung einer 6-Tage-Wochen und 5-Tage-Woche zu ihren Gunsten vermengt.

2. Der Klägerin stehen keine Ansprüche auf tarifvertragliches Urlaubsgeld für das Jahr 2011 in weiterem Umfang zu, wie sie ihr mit dem erstinstanzlichen Urteil zugesprochen wurden. Lediglich für die Jahre 2012 und 2013 ergibt sich ein geringfügig höherer Betrag, als das Arbeitsgericht der Klägerin zugesprochen hat, weshalb die erstinstanzliche Entscheidung diesbezüglich abzuändern war.

a) Die Klägerin steht gegen die Beklagte für das Jahr 2011 kein höherer Urlaubs- / Urlaubsabgeltungsanspruch zu, als ihr vom Arbeitsgericht im angefochtenen Urteil mit 20 Urlaubstagen in der 5-Tage-Woche zugesprochen wurde (vgl. oben 1. b). Daher kann die Klägerin gegen die Beklagte auch keinen höheren Anspruch auf ein tarifliches Urlaubsgeld geltend machen, als ihr vom Arbeitsgericht mit 20/30 entsprechend der Regelung in § 19 A MTV zugesprochen wurde. Die konkrete Berechnung durch das Arbeitsgericht mit EUR 350,17 brutto entspricht den Vorgaben des § 19 A Nr. 1, 2, 3, 5 MTV und dem maßgeblichen tariflichen Entgeltanspruch für das letzte tariflich vereinbarte Berufsjahr einer Verkäuferin mit abgeschlossener Berufsausbildung (Tarifgruppe II des Tarifvertrages über Gehälter, Löhne, Ausbildungsvergütungen und Sozialzulagen für Arbeitnehmer/innen und Auszubildende des Einzelhandels in Baden-Württemberg), der zum maßgeblichen Stichtag 1. Januar 2011 (§ 19 A Nr. 2 MTV) EUR 2.140,00 brutto bei einer Vollzeitbeschäftigung betragen hat (EUR 2.140,00 mal 50 % (§ 19 A Nr. 1 a MTV), mal 49,09 % (Umfang der persönlichen Wochenarbeitszeit der Klägerin, § 19 A Nr. 3 MTV) mal 20/30 (Umfang des Urlaubsanspruchs, § 19 A Nr. 5 MTV). Gegen diesen Berechnungsweg hat die Klägerin keine Einwendungen erhoben.

b) Hinsichtlich des tariflichen Urlaubsgeldes für die Jahre 2012 und 2013 hat das Arbeitsgericht offenkundig versehentlich nicht berücksichtigt, dass sich der tariflich maßgebliche Entgeltanspruch der beschriebenen Tarifgruppe II ausgehend von EUR 2.140,00 brutto erhöht hat und zum Stichtag 1. Januar 2012 EUR 2.204,00 brutto und zum Stichtag 1. Januar 2013 EUR 2.248,00 betragen hat. Wenn man diese erhöhten Beträge in die Berechnung, deren Weg im Übrigen von der Klägerin nicht in Frage gestellt wird, einstellt, ergibt sich für das Jahr 2012 statt der der Klägerin vom Arbeitsgericht zugesprochenen EUR 525,26 brutto ein Betrag von EUR 540,97 brutto und für das Jahr 2013 statt der zugesprochenen EUR 87,54 brutto ein Betrag von EUR 91,96, wie von der Klägerin in der Klageschrift (vgl. I/4) beantragt. Im Umfang dieses Mehrbetrages von EUR 20,13 brutto ist die Berufung der Klägerin begründet und war das arbeitsgerichtliche Urteil entsprechend abzuändern.


B. Berufung der Beklagten

I.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 600,00 übersteigt, § 64 Abs. 2 Buchstabe b ArbGG. Die Berufung ist auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO.

II.
Die Berufung der Beklagten ist aber nicht begründet und war zurückzuweisen.

1. Soweit die Beklagte mit ihrer Berufung eine Zurückweisung der Klage betreffend die Urlaubsabgeltung erstrebt, liegt lediglich eine Beschwer der Beklagten in Höhe von EUR 8,34 brutto vor. Insoweit hat die Beklagte aber keine konkreten Einwendungen gegen den Rechenweg des Arbeitsgerichts vorgetragen oder sich auch nur mit dessen Berechnung auseinandergesetzt, so dass die diesbezügliche Berufung schon deshalb keinen Erfolg haben kann.

a) Das Arbeitsgericht hat der Sache nach der Klägerin nicht mehr an Urlaubsabgeltung zugesprochen, als die Beklagte im Rahmen ihrer Abrechnung vom 20. Februar 2013 (vgl. I/11) und der nachfolgenden Erläuterung im Schreiben vom 12. März 2013 (vgl. I/12) tatsächlich bereits an sie gezahlt hat und ihr nur im Rahmen der konkreten Berechnung einen um EUR 8,34 brutto höheren Betrag an Urlaubsabgeltung zugesprochen. Allerdings ist dies im Rahmen der jeweiligen Schriftsätze und des Urteils nicht immer unmittelbar offenkundig, da die Parteien durchweg von den Zahlen einer 6-Tage-Woche ausgehen (36 Tage gesetzlicher und tariflicher Urlaub pro Jahr, 6 Tage Zusatzurlaub nach § 125 SGB IX), die das Leitbild des BUrlG und des MTV ist, während das Arbeitsgericht seine Berechnung an einer 5-Tage-Woche orientiert (30 Tage gesetzlicher und tariflicher Urlaub, 5 Tage Zusatzurlaub nach § 125 SGB IX), in welcher im konkreten Fall die Klägerin gearbeitet hat. Der Sache nach hat das Arbeitsgericht damit aber der Klägerin nicht mehr zugesprochen, als sie bereits tatsächlich an Urlaubsabgeltung von der Beklagten erhalten hat, so beispielsweise 20 Urlaubstage in der 5-Tage-Woche für 2011, bei 24 Urlaubstagen in der 6-Tage-Woche, welche die Beklagte bereits abgegolten hatte. Die Mehrforderung der Klägerin für 2011 (insgesamt 36 Tage in der 6-Tage-Woche) blieb ohne Erfolg. Im Jahr 2012 decken sich der Sache nach sogar die Forderung der Klägerin und die tatsächlich von der Beklagten gezahlte Abfindung (30 Tage gesetzlicher Urlaub und Zusatzurlaub nach § 125 SGB IX sowie weitere 12 Tage tariflicher Urlaub, jeweils in der 6-Tage-Woche) mit den vom Arbeitsgericht bestimmten Werten (25 Tage gesetzlicher Urlaub und Zusatzurlaub nach § 125 SGB IX sowie weitere 10 Tage tariflicher Urlaub, jeweils in der 5-Tage-Woche). Eine Beschwer der Beklagten durch das erstinstanzliche Urteil liegt hier nicht vor. Entsprechendes gilt für die Zahlen betreffend das anteilige Jahr 2013.

b) Soweit die Beklagte durch das erstinstanzliche Urteil hinsichtlich die der Klägerin zuerkannte Urlaubsabgeltung beschwert ist, betrifft dies nur den unter II. der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils ausgewiesenen Differenzbetrag von EUR 8,34 brutto. Insoweit lässt die konkrete Berechnung des Arbeitsgerichts unter II.1. der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils aber keine Fehler erkennen. Auch die Beklagte zeigt solche Fehler nicht auf oder setzt sich auch nur ansatzweise damit auseinander. Insoweit konnte der Berufung der Beklagten kein Erfolg beschieden sein.

2. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet, soweit sie damit das Ziel verfolgt, wiederklagend die Klägerin zur Zahlung von EUR 594,09 brutto oder hilfsweise EUR 266,46 netto verurteilen zu lassen. Der Beklagten steht ein solcher Zahlungsanspruch gegen die Klägerin, welcher der Sache nach nur auf die Grundsätze der ungerechtfertigten Bereicherung, §§ 812 ff. BGB, gestützt werden könnte, nicht zu.

a) Klarstellend ist darauf hinzuweisen, dass der von der Beklagten im Wege der Widerklage geltend gemachte Zahlungsanspruch der Sache nach die an die Klägerin gezahlte Urlaubsabgeltung für tariflichen Mehrurlaub im Jahre 2012 (12 Tage in der 6-Tage-Woche) und 2013 (2 Tage in der 6-Tage-Woche) betrifft. Die Beklagte geht in der Begründung ihrer Widerklage und der Berufungsbegründung davon aus, dass sie insgesamt nur 59 Tage Urlaubsabgeltung in der 6-Tage-Woche schuldet, also 14 Tage weniger, als sie im Rahmen von Abrechnung und Begründung im Jahr 2013 mit 73 Tagen geleistet hat. Aus der Gegenüberstellung der Positionen in dem erläuternden Schreiben vom 12. März 2013 und den Schriftsätzen der Beklagten ergibt sich, dass die Differenz allein den abgerechneten und gezahlten tariflichen Mehrurlaub für 2012 und 2013 betrifft.

b) Insoweit besteht aber kein Rückforderungsanspruch der Beklagten.

aa) Die entsprechende Zahlung der Beklagten an die Klägerin ist nicht ohne Rechtsgrund im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB geleistet worden. Vielmehr stand der Klägerin ein entsprechender Urlaubsabgeltungsanspruch gegen die Beklagte zu.

(1) Unabhängig von der bereits oben zitierten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts zur Unionsrechtswidrigkeit des § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG konnten in Bezug auf die Jahre 2012 und 2013 sogar nach der Regelung in § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG Urlaubsansprüche nicht bis zum Ausscheiden der Klägerin aus dem Arbeitsverhältnis am 28. Februar 2013 verfallen. Anderes sieht auch § 15 Nr. 8 MTV nicht vor. Mit Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis wandelt sich der gesetzliche Urlaubsanspruch in einen reinen Zahlungsanspruch auf Urlaubsabgeltung um, so dass es nicht darauf ankommt, ob die Klägerin bis zum Ablauf des Übertragungszeitraums ihre Arbeitsfähigkeit wieder erlangt (BAG 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - BAGE 130, 119 ff. = NZA 2009, 538 ff.). Dies gilt auch für den tariflichen Mehrurlaub nach § 16 MTV (vgl. zum Folgenden BAG 22. Mai 2012 - 9 AZR 618/10 - BAGE 141, 374 ff. = NZA 2012, 987 ff.).

Allerdings sind Tarifvertragsparteien bei der Regelung der Abgeltung tariflichen Mehrurlaubs durch europarechtliche Vorgaben nicht gehindert, den Abgeltungsanspruch an die Erfüllbarkeit des Urlaubsanspruchs zu binden. Sie können regeln, dass der den Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigende tarifliche Mehrurlaub bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht oder nur dann abzugelten ist, wenn der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist, und insofern die früher von der Rechtsprechung bei dauerhaft erkrankten Arbeitnehmern angewandte Surrogatstheorie (vgl. zur Entwicklung: BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 14 ff., BAGE 134, 196) für sich vereinnahmen. Für die Annahme einer solchen tariflichen Regelung bedarf es freilich eindeutiger, über das Regelungsziel des § 7 Abs. 4 BUrlG hinausgehender Bestimmungen im Tarifvertrag. Dies gilt vorliegend umso mehr, als die maßgeblichen tarifvertraglichen Bestimmungen des MTV nach der Verkündung der "Schultz-Hoff"-Entscheidung am 20. Januar 2009 durch den Ergänzungstarifvertrag aus dem Jahr 2011 sogar modifiziert worden sind. Für die Beantwortung der Frage, ob Tarifvertragsparteien die Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs abweichend von der gesetzlichen Bestimmung in § 7 Abs. 4 BUrlG geregelt haben, bedarf es einer eigenständigen Prüfung. Diese hat unabhängig von der Beurteilung zu erfolgen, ob die Tarifvertragsparteien hinsichtlich der Befristung, der Übertragung und des Verfalls des tariflichen Mehrurlaubs Sonderregelungen getroffen haben. Beinhaltet ein Tarifvertrag eigenständige Fristen für die Übertragung und den Verfall des Urlaubs, schließt dies nicht aus, dass die Tarifvertragsparteien die gesetzliche Urlaubsabgeltungsregelung für angemessen gehalten und deshalb insoweit auf eine Sonderreglung für den tariflichen Mehrurlaub verzichtet haben. Umgekehrt ist denkbar, dass Tarifvertragsparteien auch für den tariflichen Mehrurlaub am gesetzlichen Fristenregime festhalten wollten, allerdings bei der Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs, zum Beispiel im Falle andauernder Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers, von der Übernahme der gesetzlichen Regelung abgesehen und besondere Regelungen getroffen haben. Im Hinblick auf das Bestehen eines Abgeltungsanspruchs bezüglich des tariflichen Mehrurlaubs im Falle der Arbeitsunfähigkeit bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses bedarf es mithin der Untersuchung der tariflichen Regelungen zur Urlaubsabgeltung.

Vorliegend haben die Tarifvertragsparteien die Frage der Urlaubsabgeltung nur in § 17 Nr. 3 MTV angesprochen und darin die gesetzliche Regelung im BUrlG, insbesondere in § 7 Abs. 4 BUrlG, bestätigt, wonach eine Urlaubsabgeltung nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses stattfindet. Eine eigenständige anderweitige Regelung der Urlaubsabgeltung, mit welcher die Tarifvertragsparteien von den gesetzlichen Vorgaben abweichen, besteht nicht. Damit erfolgt die Abgeltung tariflichen Mehrurlaubs nach denselben Grundsätzen, wie die des gesetzlichen Mindesturlaubs mit der Folge, dass es keine Rolle spielt, ob die Klägerin nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis und vor Ablauf des Übertragungszeitraums ihre Arbeitsfähigkeit wieder erlangt (so auch die 15. Kammer des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg in dem von der Beklagten vorgelegten Urteil vom 24. Juli 2012 - 15 Sa 142/11 - unter II. 3. a) bb) der Entscheidungsgründe; dort Seite 17).

(2) Soweit der Rückzahlungsanspruch der Beklagten tariflichen Mehrurlaub nach § 16 Nr. 1 MTV betrifft ist dieser auch nicht dadurch gemindert, dass die Beklagte von der Abzugsmöglichkeit nach § 16 Nr. 5 MTV Gebrauch gemacht hat. Das Arbeitsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend erkannt, dass die Beklagte diese Kürzungsmöglichkeit gerade nicht in Anspruch genommen hat und sich nunmehr auch nicht mehr darauf berufen kann. Anders als für das Jahr 2011 hat die Beklagte mit der Abrechnung vom 20. Februar 2013 und dem erläuternden Schreiben vom 12. März 2013 gerade nicht eine Zahlung verweigert, sondern der Klägerin eine Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs für 2012 ausdrücklich zugestanden und diese auch geleistet. Sie hat sogar ausweislich des Schreibens vom 11. April 2013 (vgl. I/13) nach Prüfung der Sach- und Rechtslage an ihrer Auffassung festgehalten. Erst im Rahmen einer Widerklage von Ende Mai 2013 stellt sie dies in Frage. Der Beklagten kann nicht in der Ansicht gefolgt werden, ihren schriftlichen Äußerungen gegenüber der Klägerin und der tatsächlichen Zahlung von Urlaubsabgeltung auch für den tariflichen Mehrurlaub der Jahre 2012 und 2013 komme kein hier maßgeblicher Erklärungswert zu. Vielmehr konnte die Klägerin nach einem objektiven Empfängerhorizont die Erklärungen und Handlungen der Beklagten nicht anders verstehen, als dass sie von der Kürzungsmöglichkeit des § 16 Nr. 5 MTV für die Jahre 2012 und 2013 keinen Gebrauch macht. Die Beklagte hat diese Urlaubsabgeltung mit der Abrechnung vom 20. Februar 2013 (I/11) tatsächlich an die Klägerin geleistet. In dem Schreiben vom 12. März 2013 (I/12) hat die Beklagte diese Leistung erläutert und dabei nach den verschiedenen Jahren sowie dem gesetzlichen und tariflichen Urlaub differenziert, für einzelne Zeiten (2010) Ansprüche insgesamt abgelehnt, für andere Zeiten (2011) dies nur auf den tariflichen Mehrurlaub bezogen und für die Jahr 2012 und 2013 vorbehaltlos sowohl gesetzliche als auch tarifvertragliche Urlaubsansprüche als gegeben angesehen. Diese Auffassung hat sie im Schreiben vom 11. April 2013 (I/13) auch "nach Prüfung der Sach- und Rechtslage" nicht in Frage gestellt. Dies kann nicht anders verstanden werden, als dass eine Kürzung von Urlaubsansprüchen nach § 16 Nr. 5 MTV nicht durchgeführt wird. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist damit das einseitige Leistungsbestimmungsrecht ausgeübt und kann nicht mehr widerrufen werden. Andere Gründe, warum sich die tatsächliche Leistung von Urlaubsabgeltung für tariflichen Mehrurlaub der Jahre 2012 und 2013 als rechtsgrundlos im Sinne von § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB darstellen könnte, sind nicht ersichtlich.

bb) Hilfsweise ist für den Fall, dass man - wie die Beklagte offenkundig meint - eine Leistung ohne Rechtsgrund annehmen wollte, eine Rückforderung des an die Klägerin Geleisteten nach den Grundsätzen des § 814 BGB ausgeschlossen. Die Beklagte hat die Zahlung an die Klägerin abgerechnet, konkret einzeln aufgeschlüsselt und nach eigenen Angaben rechtlich und tatsächlich geprüft. Die Beklagte trägt selbst nicht vor, dass sie bei der Leistung einem Irrtum unterlegen war oder diese auf einem Versehen beruht. Angesichts dessen ist keine Rechtsgrundlage erkennbar auf deren Grundlage die Zahlung zurückgefordert werden kann.

3. Die Berufung der Beklagten ist ebenfalls unbegründet, als sie sich gegen die Verurteilung zur Zahlung eines tariflichen Urlaubsgeldes für die Jahre 2011 bis 2013 an die Klägerin wendet.

a) Nach § 19 A Nr. 5 MTV ist das Urlaubsgeld entsprechend dem Urlaubsanspruch zu gewähren. Damit ist klar zum Ausdruck gebracht, dass der Urlaubsgeldanspruch dem Urlaubsanspruch folgt. An dessen Stelle tritt bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 17 Nr. 3 MTV der Urlaubsabgeltungsanspruch. Soweit der Klägerin gegen die Beklagte nach den vorstehenden Ausführungen Urlaubsabgeltungsansprüche zustehen, hat sie auch Ansprüche auf tarifliches Urlaubsgeld gemäß § 19 A MTV.

b) Dem Anspruch der Klägerin steht nicht die Ausschlussfrist des § 26 Nr. 1 Buchstabe b MTV entgegen. Diese betrifft nur Ansprüche auf "rückständigen Urlaub und Urlaubsgeld". Bis zum 1. März 2013 war der Anspruch der Klägerin auf Zahlung des tariflichen Urlaubsgeldes nicht "rückständig". Nach § 19 A Nr. 5 Satz 1 MTV ist das Urlaubsgeld entsprechend dem Urlaubsanspruch zu gewähren. Ein Fall von § 19 A Nr. 4 MTV liegt erkennbar nicht vor. Damit war das tarifliche Urlaubsgeld der Jahre 2011 bis 2013 nicht vor dem 1. März 2013 fällig. Für diese Jahre ist der Klägerin bis zum 28. Februar 2013 kein Urlaub gewährt worden, da dies aufgrund ihrer bestehenden Arbeitsunfähigkeit auch nicht möglich war. Damit ist das Urlaubsgeld für diese Jahre bis zum 28. Februar 2013 nicht fällig geworden. Ansprüche, die nicht fällig sind, können nicht "rückständig" im Sinne von § 26 Nr. 1 Buchstabe b MTV sein. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 28. Februar 2013 hat sich der Urlaubsanspruch der Klägerin für die Jahre 2011 bis 2013 in einen Urlaubsabgeltungsanspruch umgewandelt, dessen Zahlung zum Ende des Arbeitsverhältnisses die Klägerin bereits mit Schreiben vom 18. Januar 2013 (vgl. I/10) verlangt hat. Damit ist der Urlaubsabgeltungsanspruch und damit auch der Anspruch auf tarifliches Urlaubsgeld ab 1. März 2013 fällig geworden. Mit dem Schreiben vom 4. April 2013 (vgl. II/40) und mit der am 13 Mai 2013 zugestellten Klage hat die Klägerin gegenüber der Beklagten den Urlaubsgeldanspruch geltend gemacht und damit die tarifvertraglichen Ausschlussfristen sowohl aus § 26 Nr. 1 Buchstabe b MTV als auch nach § 26 Nr. 3 MTV (drei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses) eingehalten.

c) Soweit die Beklagte in ihrem Berufungsbegründungsschriftsatz (dort Seite 10; II/35 auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 3. April 2010 (Karsamstag; mit diesem Datum gibt es keine veröffentlichten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts) mit dem zu diesem Datum nicht passenden Aktenzeichen 9 AZR 166/10 Bezug nimmt (mit diesem Aktenzeichen gibt es keine veröffentlichte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts) stimmt die Kammer der von der Beklagten geschilderten Rechtsauffassung zu: Der Urlaubsgeldanspruch richtet sich im Entstehen und Erlöschen nach dem (tariflichen) Urlaubsanspruch. Urlaubsansprüche der Klägerin für die Jahre 2011 bis 2013 waren in dem oben beschrieben Umfang nicht verfallen, daher nicht erloschen und wandelten sich mit der Beendigung in einen Urlaubsabgeltungsanspruch um. Der Urlaubsgeldanspruch folgt diesem Urlaubsabgeltungsanspruch. Damit ist auch die Ansicht der Beklagten unzutreffend, § 19 A Nr. 4 MTV stehe einem Urlaubsgeldanspruch der Klägerin entgegen. Denn der nicht verfallene Urlaubsanspruch hat sich mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Urlaubsabgeltungsanspruch umgewandelt.

d) Zur Berechnung des Urlaubsgeldanspruchs der Klägerin kann auf die Ausführungen unter A II. 2. Bezug genommen werden. Konkrete anderweitige Berechnungen hat die Beklagte nicht vorgelegt.


C.
Da die Parteien teils obsiegt haben, teils unterlegen sind, waren die Kosten der Berufung verhältnismäßig zu teilen, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens bleibt es bei der Entscheidung des Arbeitsgerichts im angegriffenen Urteil. Die nur geringfügige Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung ändert nichts an der dort zutreffend bestimmten Kostenquote. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht erfüllt sind.

Referenznummer:

R/R6405


Informationsstand: 15.01.2015