Die Parteien streiten - zweitinstanzlich noch - über die Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2018 und 2019.
Der 1961 geborene Kläger war vom 01.04.2002 bis zum 15.06.2019 bei der Beklagten als Fahrer zu einem Stundenlohn von zuletzt
EUR 11,00 brutto und einer täglichen Arbeitszeit von acht Stunden in der Fünftagewoche angestellt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag war ein Jahresurlaub von 30 Arbeitstagen vereinbart. Mit Wirkung ab 17.02.2017 wurde der Kläger als schwerbehinderter Mensch mit einem
GdB von 50 anerkannt. Seit dem 24.08.2017 war er bis zum Beendigungstermin ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Mit Bescheid vom 19.09.2018 wurde ihm auf Antrag vom 09.05.2017 eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung mit Wirkung ab 01.09.2017 zuerkannt. Mit Schreiben vom 10.01.2019 teilte der Kläger der Beklagten mit, er sei bereit, über eine Vertragsbeendigung zu verhandeln. In diesem Zusammenhang müssten jedoch die Urlaubsansprüche für die Jahre 2017 und 2018 abgegolten werden. Die Beklagte antwortete ihm mit Schreiben vom 01.02.2019, sie sehe keinen Anlass, über die Konditionen einer sofortigen Vertragsbeendigung zu verhandeln. Es bestehe auch kein Anlass, die Urlaubsansprüche gerichtlich zu klären. Das Arbeitsverhältnis endete durch eine Kündigung des Klägers zum 15.06.2019. Mit seiner am 16.08.2019 erhobenen Klage forderte er Abgeltung von neun restlichen Urlaubstagen aus dem Jahr 2017, 34 Urlaubstagen aus dem Jahr 2018 und 15 Urlaubstagen aus dem Jahr 2019.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn als Urlaubsabgeltung für 58 Urlaubstage
EUR 5.432,86 brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit dem 21.08.2019 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, das Urlaubsabgeltungsverlangen des Klägers sei unbillig und rechtsmissbräuchlich. Der Kläger habe bereits bei Stellung des Rentenantrags im Mai 2017 gewusst, dass er wegen seines Gesundheitszustands seinen arbeitsvertraglichen Pflichten in Zukunft nicht mehr nachkommen könne. Aufgrund der bestehenden Rücksichtnahmepflichten im Arbeitsverhältnis hätte er sie über den Rentenantrag unverzüglich in Kenntnis setzen müssen. Sie hätte dann das Arbeitsverhältnis beenden und das Entstehen weiterer Urlaubsansprüche verhindern können. Die Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2017 seien zum 31.03.2019 verfallen, Schwerbehindertenzusatzurlaub habe der Kläger in den Jahren 2017 und 2018 nicht geltend gemacht.
Das Arbeitsgericht Trier hat mit Urteil vom 11.02.2020 die Klage auf Abgeltung des Urlaubs für das Jahr 2017 abgewiesen. Der weitergehenden Klage auf Abgeltung von 34 Urlaubstagen aus 2018 sowie 15 Urlaubstagen aus 2019 in einer Gesamthöhe von
EUR 4.303,67 brutto nebst Zinsen hat das Arbeitsgericht stattgegeben und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, der restliche Urlaubsanspruch aus 2017 sei mit Ablauf des 31.03.2019 verfallen. In den Jahren 2018 und 2019 habe der Kläger trotz seiner Arbeitsunfähigkeit und trotz des Rentenbezugs Urlaubsansprüche erworben. Der Kläger verhalte sich nicht rechtsmissbräuchlich. Er sei nicht verpflichtet gewesen, die Beklagte über das Rentenverfahren zu informieren, so dass ihm kein arglistiges Verschweigen vorgeworfen werden könne. Nach dem Vortrag der Beklagten sei der Kläger während seiner Erkrankung regelmäßig im Betrieb erschienen und habe die Wiederaufnahme der Arbeit in Aussicht gestellt. Dies zeige, dass der Kläger selbst nicht davon ausgegangen sei, dauerhaft nicht mehr arbeiten zu können. Das Argument der Beklagten, sie hätte das Arbeitsverhältnis beenden und damit das Entstehen weiterer Urlaubsansprüche verhindern können, wenn sie vom Rentenantrag gewusst hätte, greife nicht durch. Die Erwerbsminderung allein sei kein Kündigungsgrund. Ob die Beklagte das Arbeitsverhältnis wegen der langandauernden Arbeitsunfähigkeit des Klägers hätte kündigen können, sei hier nicht zu beurteilen. Der Kläger habe selbst gekündigt. Für das Jahr 2018 könne er die Abgeltung von 30 Tagen Erholungsurlaub und von fünf Tagen Schwerbehindertenzusatzurlaub beanspruchen. Er habe jedoch nur 34 Tage eingeklagt (§ 308
Abs. 1 Satz 1
ZPO). Es sei unerheblich, ob er der Beklagten bereits im Jahr 2017 oder erst im Januar 2019 seine Schwerbehinderung mitgeteilt und wann er den Zusatzurlaub verlangt habe. Die von der Beklagten zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.01.1982 (
6 AZR 636/79) und vom 26.06.1986 (
8 AZR 266/84) seien überholt. Für das Jahr 2019 könne der Kläger Urlaubsabgeltung für 15 Urlaubstage (5/12) verlangen. Wegen weiterer Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 11.02.2020 Bezug genommen.
Gegen das am 03.03.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 30.03.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 03.06.2020 verlängerten Frist mit einem am 28.05.2020 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Sie meint, die Geltendmachung von Ansprüchen auf Urlaubsabgeltung für die Jahre 2018 und 2019 verstoße, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts, gegen Treu und Glauben (§ 242
BGB). Der Kläger sei im Verlauf seiner langandauernden Arbeitsunfähigkeit häufiger im Betrieb erschienen und habe erklärt, dass er wieder zurückkehren wolle. Tatsächlich habe er dies nicht beabsichtigt, sondern einen Rentenantrag gestellt. Erst mit Schreiben vom 10.01.2019 habe er ihr die Kopie des Rentenbescheids übermittelt. Danach sei der Rentenantrag bereits im Mai 2017 gestellt worden. Der Kläger verhalte sich rechtsmissbräuchlich. Er habe seine Rechtsposition unredlich erworben, indem er sie über seine Unfähigkeit zur Erbringung der Arbeitsleistung getäuscht habe. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei der Kläger gemäß § 241
Abs. 2
BGB verpflichtet gewesen, sie über die dauerhafte Arbeitsunfähigkeit und die Stellung eines Rentenantrags zu informieren. Wäre sie informiert worden, hätte sie auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinwirken und damit die Entstehung von Urlaubsansprüchen verhindern können. Der Kläger müsse sich den Vorwurf der "unclean hands" gefallen lassen.
Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,
das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 11.02.2020, Az. 2 Ca 823/19, teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
I.
Die nach § 64
Abs. 1 und 2
ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist
gem. §§ 66
Abs. 1, 64
Abs. 6
ArbGG iVm. §§ 519, 520
ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie genügt noch den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 520
Abs. 3 Satz 2
ZPO und erweist sich auch sonst als zulässig.
II.
In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage auf Abgeltung von insgesamt 49 Urlaubstagen aus den Jahren 2018 und 2019 in rechnerisch unstreitiger Höhe von
EUR 4.303,67 brutto nebst Zinsen zu Recht stattgegeben. Die Berufungskammer folgt den ausführlichen und sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69
Abs. 2
ArbGG fest. Die Berufungsangriffe der Beklagten bleiben erfolglos.
1. Der Anspruch des Klägers folgt aus § 7
Abs. 4
BUrlG. Nach dieser Vorschrift ist der Urlaub abzugelten, wenn er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann.
Wie das Arbeitsgericht bereits ausgeführt hat, ist für das Entstehen des Urlaubsanspruchs nach dem Bundesurlaubsgesetz allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses Voraussetzung. Der Urlaubsanspruch nach §§ 1, 3
Abs. 1
BUrlG steht ebenso wie der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach
§ 208 SGB IX nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat. Der Urlaubsanspruch entsteht auch dann, wenn der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen im Bezugszeitraum nicht arbeitet (st. Rspr.
vgl. BAG 07.08.2012 -
9 AZR 353/10 - Rn. 8 mwN). In Bezug auf den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub sind Arbeitnehmer, die wegen einer Krankschreibung während des Bezugszeitraums der Arbeit ferngeblieben sind, mit Arbeitnehmern gleichgestellt, die während dieses Zeitraums tatsächlich gearbeitet haben (
vgl. BAG 22.01.2019 - 9 AZR 10/17 - Rn. 32 mwN).
Das Arbeitsgericht hat außerdem zutreffend erkannt, dass für den Urlaubsanspruch ohne Bedeutung ist, dass dem Kläger mit Bescheid der gesetzlichen Rentenversicherung vom 19.09.2018 rückwirkend ab 01.09.2017 eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt worden ist. Die Zuerkennung einer solchen Rente führt - abgesehen von hier nicht vorliegenden tariflichen Regelungen - nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Es bedarf der Kündigung oder eines Auflösungsvertrags. Der Bezug einer Erwerbsminderungsrente vermindert die Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers grundsätzlich nicht (
vgl. BAG 16.07.2013 -
9 AZR 914/11 - Rn. 25 mwN).
Wie das Arbeitsgericht ebenfalls zutreffend aufgezeigt hat, ist der im Jahr 2018 entstandene Urlaubsanspruch des Klägers nicht am 31.03.2019 verfallen. In richtlinienkonformer Auslegung von § 7
Abs. 3 Satz 3
BUrlG erlischt der gesetzliche Urlaubsanspruch nicht vor Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums krank und deshalb arbeitsunfähig ist (
vgl. BAG 19.06.2018 - 9 AZR 615/17 - Rn. 28 mwN). So liegt der Fall hier. Weil der Kläger seit 24.08.2017 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt war, ist der Urlaub aus dem Jahr 2018 nicht vor dem Ausscheiden des Klägers verfallen. Da der Arbeitsvertrag der Parteien nicht zwischen gesetzlichem Urlaub und dem übergesetzlichen vertraglichen Urlaub unterscheidet, ist von einem Gleichlauf auszugehen (
vgl. BAG 03.12.2019 - 9 AZR 33/19 - Rn. 38 mwN).
Ebenfalls zutreffend hat das Arbeitsgericht angenommen, dass es unerheblich ist, wann der Kläger die Beklagte auf seine Schwerbehinderteneigenschaft hingewiesen hat. Der Anspruch auf Zusatzurlaub entsteht aufgrund der Schwerbehinderteneigenschaft unabhängig von der Kenntnis des Arbeitgebers. Der Abgeltungsanspruch entsteht auch ohne vorherige Geltendmachung des Freistellungsanspruchs bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Das gilt auch, wenn der Schwerbehinderte erstmals nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf seine Schwerbehinderteneigenschaft hinweist (
vgl. BAG 25.06.1996 -
9 AZR 182/95;
LAG Rheinland-Pfalz 22.09.2016 -
2 Sa 29/16 - Rn. 25 mwN).
Das Arbeitsgericht hat ferner zutreffend angenommen, dass zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung des Klägers zum 15.06.2019 noch 35 Urlaubstage aus dem Jahr 2018 und 15 Urlaubstage aus dem Jahr 2019 offenstanden. Der vom Kläger im Kalenderjahr 2019 erworbene Vollurlaubsanspruch war wegen seines Ausscheidens in der ersten Hälfte des Kalenderjahres iSv. § 5
Abs. 1 Buchst. c
BUrlG zu kürzen. Der Gesamtanspruch setzte sich aus dem gesetzlichen Mindesturlaub, dem arbeitsvertraglichen Mehrurlaub und dem Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen zusammen. Da der Kläger für 2018 nur 34 Tage verlangt hat, sind ihm gemäß § 308
ZPO für insgesamt 49 offene Urlaubstage
EUR 4.303,67 brutto zuzusprechen. Einwendungen gegen die Berechnung des Abgeltungsanspruchs hat die Beklagte nicht geltend gemacht. Prozesszinsen stehen dem Kläger nach §§ 291, 288
Abs. 1 Satz 2, § 187
Abs. 1
BGB mit dem Folgetag der Rechtshängigkeit zu.
2. Entgegen den Ausführungen der Beklagten hat sich der Kläger nicht unredlich verhalten, weil er ihr im Jahr 2017 nicht offenbart hat, einen Antrag auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gestellt zu haben. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Da der Kläger nicht verpflichtet war, die Beklagte über den Rentenantrag aufzuklären, ist er auch nicht wegen treuwidrigen Verhaltens (§ 242
BGB) an der Durchsetzung des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung gehindert. Der von der Berufung erhobene Vorwurf der "unclean hands" greift nicht durch. Die Berufung übersieht, dass eine Kündigung wegen langandauernder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, die die Beklagte - nach ihrem Vortrag - bei Aufklärung über den Rentenantrag erklärt hätte, nicht ohne Weiteres iSd.
§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt gewesen wäre. Die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit und die sozialrechtlichen Voraussetzungen einer Erwerbsminderung sind nicht die gleichen. Auch eine Rente wegen voller Erwerbsminderung setzt gemäß § 43
Abs. 2
SGB VI nicht zwingend voraus, dass der Arbeitnehmer seine bisher vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausüben kann (
vgl. BAG 13.05.2015 -
2 AZR 565/14 - Rn. 21 mwN).
III.
Die Beklagte hat nach § 97
Abs. 1
ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.
Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72
Abs. 2
ArbGG) nicht vorliegen.