I.
Die an sich statthafte und in der gehörigen Form und Frist eingelegte und ausgeführte und damit zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg; dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Urlaubsabgeltungsanspruch für das Jahr 1999 in Höhe von 9.468,80 DM brutto zu.
Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus § 2.3 UA. Danach wird der Urlaub ausnahmsweise abgegolten bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses, bei längerer Krankheit und beim Tod des Beschäftigten. Gemäß § 2.10 UA ist der Urlaub des Klägers, soweit er ihn bis zum 31.12.1999 wegen seiner Arbeitsunfähigkeit nicht in Freizeit nehmen konnte, somit in Höhe von 30 Tagen Tarifurlaub sowie 2 Tagen Zusatzurlaub nach
§ 47 SchwbG auf das Folgejahr 2000 übertragen worden. Da der Kläger auch weiterhin bis zum 31.03.2000 arbeitsunfähig blieb, wäre der Urlaub grundsätzlich erloschen. § 2.3 UA bestimmt allerdings, dass der Arbeitnehmer die Abgeltung seines Urlaubsanspruchs verlangen kann, wenn er diesen wegen längerer Krankheit nicht nehmen konnte. Diese Regelung, eine Abweichung von § 7
Abs. 3 Satz 3
BUrlG, ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als den Arbeitnehmer begünstigende Bestimmung im Sinne des § 13
Abs. 1 Satz 3
BUrlG wirksam (AP
Nr. 16 zu § 7
BUrlG).
Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten hat die Abgeltung auch bei einer Krankheitsdauer wie der des Klägers (im Zeitpunkt des Entstehens des Abgeltungsanspruchs: über 10 Monate) gegeben. Ihre Ausführungen dazu, dass beim Abgeltungsanspruch entsprechend der Fallgruppen, die die Rechtsprechung für das Kündigungsschutzgesetz entwickelt hat, differenziert werden müsse, überzeugen nicht. Zunächst sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Tarifvertragsparteien bei der Formulierung ihres Urlaubsabkommens auf die Terminologie des Kündigungsschutzrechts zurückgreifen wollten. Es ist auch unzutreffend, dass die Tarifvertragsparteien das Adjektiv "länger" hätten weglassen können oder müssen, wenn die hier vorliegende Konstellation anspruchsbegründend wirken sollte. Für eine ersatzlose Streichung des Adjektivs käme ein Abgeltungsanspruch auch bei einer kurzen, unmittelbar vor Ende des Übertragungszeitraums eintretenden Erkrankung in Betracht. Ersichtlich wollten die Tarifvertragsparteien für diesen Fall keine Abgeltung ermöglichen, was durch die Formulierung "längere Krankheit" klargestellt ist. Diese Auslegung entspricht der des Bundesarbeitsgerichts, das entschieden hat, ein Arbeitnehmer sei länger erkrankt im Sinne des § 2.3 UA, wenn er nicht nur kurze Zeit arbeitsunfähig erkrankt sei (AP
Nr. 61 zu § 7
BUrlG Abgeltung).
Schließlich ergibt auch die systematische Auslegung des Urlaubsabkommens, dass eine langanhaltende Krankheit anspruchsbegründend ist: In § 2.9 UA haben die Tarifvertragsparteien eine Regelung für eine Krankheitsdauer von über 9 Monaten getroffen, wonach der Urlaubsanspruch auf bis zu 9/12 gekürzt wird. Ist somit die Urlaubsdauer von Langzeiterkrankten im Urlaubsabkommen ausdrücklich geregelt, so kann ausgeschlossen werden, dass für die Übertragung und gegebenenfalls Abgeltung eines solchen (unter Umständen gekürzten) Urlaubsanspruchs das Urlaubsabkommen nicht gilt. Den Tarifvertragsparteien kann jedenfalls nicht unterstellt werden, sie hätten den Urlaubsanspruch des Langzeiterkrankten unvollständig geregelt, hinsichtlich der Urlaubsdauer eine den Arbeitnehmer verschlechternde Vorschrift aufgenommen und seien im Übrigen von der Geltung des Bundesurlaubsgesetzes ausgegangen. Das Urlaubsabkommen ist vielmehr dahin auszulegen, dass es auch für den lange, insbesondere sogar über 9 Monate im Kalenderjahr hinaus erkrankten Arbeitnehmer gilt und damit auch für den Kläger, der im Jahr 1999 nur 8 Monate erkrankt war.
Die Kammer vermochte der Beklagten auch nicht dahin zu folgen, Erwerbsunfähigkeit im Übertragungszeitraum hindere den Abgeltungsanspruch. Das Urlaubsabkommen sieht eine entsprechende Leistungseinschränkung nicht vor. Die von der Beklagten zur Begründung ihrer Auffassung herangezogene Argumentation, die Krankheit müsse die einzige Ursache für die fehlende Urlaubsverwirklichung in Natur sein, ist nicht zwingend. Erwerbsunfähig ist, wer infolge von Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das 1/7 der monatlichen Bezugsgröße übersteigt (§ 44
Abs. 2
SGB VI). Die Erwerbsunfähigkeit setzt somit nicht voraus, dass der Arbeitnehmer eine bisher vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Bei der Prüfung der Erwerbsunfähigkeit findet keine Beschränkung auf den bisherigen Beruf oder auf die Berufsgruppe statt. Es ist somit nicht ausgeschlossen, dass ein Arbeitnehmer erwerbsunfähig zugleich aber dennoch arbeitsfähig ist (
BAG, Urteil vom 10.03.1988 - 8 AZR 603/85, JURIS). Im Falle des Klägers, der unstreitig in der Zeit vom 17.04.1999 bis über den 31.03. 2000 hinaus arbeitsunfähig krankgeschrieben war steht somit durchaus nicht fest, dass er seinen Erholungsurlaub auch wegen der (nachträglich festgestellten) Erwerbsunfähigkeit nicht nehmen konnte. Fest steht dagegen, dass er den Urlaub wegen seiner Krankheit nicht nehmen konnte, was den Anspruch aus § 2.3 UA begründet.
Mit dem Arbeitsgericht ist die Kammer auch davon ausgegangen, dass der Abgeltungsanspruch den Zusatzurlaub für Schwerbehinderte umfasst. Dies ergibt ebenfalls eine systematische Auslegung des Urlaubsabkommens. Dieses erwähnt den Zusatzurlaub der Schwerbehinderten nur einmal, nämlich unter § 3.4 UA. Diese Bestimmung regelt ausschließlich die Urlaubsdauer, bestimmt Zusatzurlaub für Jubilare und Gießereiarbeiter, enthält besondere Berechnungsvorschriften insbesondere für flexible Arbeitszeit und Teilzeitbeschäftigte sowie Voraussetzungen für Werksferien. Hinsichtlich des Zusatzurlaubs der Schwerbehinderten, der Erziehungsurlauber und der Teilnehmer an Wehr- oder Ersatzdienst verweist die Vorschrift auf die gesetzlichen Bestimmungen. Dagegen sind die maßgeblichen Bestimmungen zu Entstehen und Erlöschen des Anspruchs, zur zeitlichen Festlegung, Wartezeit
etc. in § 2, die Urlaubsvergütung in §4 UA geregelt. Das ist nach Auffassung der Kammer so zu verstehen, dass § 3.4 UA auf das Schwerbehindertengesetz, dort § 47 deklaratorisch verweist, mit anderen Worten für die Dauer des Zusatzurlaubs für Schwerbehinderte keine eigene Regelung treffen will. Dagegen kann § 3.4 UA nicht dahin verstanden werden, es solle (auch) auf das Bundesurlaubsgesetz verwiesen werden. Hätten die Tarifvertragsparteien dies gewollt, so hätten sie auch in den §§2 und 4 UA, in denen vom Bundesurlaubsgesetz abweichende Bestimmungen getroffen werden, die Schwerbehinderten erwähnen müssen, alternativ in einem besonderen Paragraphen die Geltung der gesetzlichen Bestimmungen für den Zusatzurlaub der Schwerbehinderten hervorheben müssen. Die Erwähnung des Zusatzurlaubs der Schwerbehinderten nur in § 3 UA ist demnach so zu verstehen, dass insbesondere für die Urlaubsvergütung, Übertragung und Abgeltung des Zusatzurlaub dem Tarifurlaub folgen soll. Es erscheint dies auch die einzige sinnvolle und praktikable Handhabung dieses Zusatzurlaubs. Die von der Beklagten gewünschte Auslegung hätte zur Folge, dass sich der Arbeitgeber mit zwei, in Entstehen, Vergütung und Erlöschen teilweise erheblich differierender Urlaubsansprüche konfrontiert sieht, wogegen die Behandlung des Zusatzurlaubs als Teil des Gesamturlaubs eine rationelle Bearbeitung ermöglicht. Im Übrigen hat das Bundesarbeitsgericht bisher - allerdings ohne dies zu problematisieren - den Zusatzurlaub der Schwerbehinderten als Teil des nach § 2.3 UA abzugeltenden Urlaubs behandelt:
vgl. BAG, DB 83, 2522f.; Urteil vom 26.05. 1983 - 6 AZR 321/82, JURIS (beide zum Urlaubsabkommen für Arbeiter und Angestellte in der Metallindustrie in Südwürttemberg/Hohenzollern vom 23.01.1979, das insoweit jedoch gleichlautend mit dem streitgegenständlichen Urlaubsabkommen ist).
Schließlich ist die Klage auch nicht deshalb unschlüssig, weil der Kläger anzurechnende Lohnersatzleistungen (Krankengeld) nicht angegeben hat. Der Kläger braucht sich nach dem Urlaubsabkommen keine derartigen Leistungen auf seinen Abgeltungsanspruch anrechnen zu lassen. Eine solche Anrechnung müsste im Urlaubsabkommen selbst geregelt sein, denn die Tarifvertragsparteien waren sich bewusst, mit der Urlaubsabgeltung bei längerer Krankheit einen zusätzlichen Zahlungsanspruch für Zeiten zu geben, hinsichtlich derer nicht feststeht, ob und in welcher Höhe der Arbeitnehmer sonstige Leistungen bezieht. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass der Abgeltungsanspruch nach § 2.3 UA sogar bei einer kürzer als 6 Wochen dauernden Krankheit gegeben ist (AP
Nr. 61 zu § 7
BUrlG Abgeltung). Für diese Zeit erhält der Arbeitnehmer jedoch Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Schaffung eines eigenen Urlaubsabgeltungsanspruchs, der durch die Anrechnung von Entgeltfortzahlung sofort wieder erlöschen würde, ist offensichtlich sinnlos. Die Tarifvertragsparteien haben dies mit Sicherheit nicht gewollt. Im Übrigen gilt, dass ihnen die Existenz sonstiger, den Urlaubsabgeltungsanspruch nicht voll erreichender Lohnersatzleistungen wie insbesondere das hier gewährte Krankengeld sehr wohl bekannt waren. Das Fehlen von Anrechnungsvorschriften im Urlaubsabkommen ist als beredtes Schweigen dahin zu verstehen, dass der Abgeltungsanspruch von solchen Lohnersatzleistungen unberührt bleiben sollte.
Weitere Einwendungen gegen die Höhe des Klageanspruchs hat die Beklagte nicht vorgebracht. Ihre Berufung ist deshalb insgesamt als unbegründet zurückgewiesen worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§64
Abs. 6
ArbGG i.V.m. §97
Abs. 1
ZPO.
Die Revisionszulassung beruht auf § 72
Abs. 2 Ziff. 1
ArbGG. Zur Auslegung des § 2.3 UA sind in den vergangenen 3 Jahren mehrere, allerdings nicht divergierende Urteile des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg ergangen. Die Kammer ist deshalb von Klärungsbedarf ausgegangen. Da das Urlaubsabkommen noch in Kraft ist und für zahlreiche Arbeitsverhältnisse in der Metallindustrie in Nordwürttemberg/ Nordbaden gilt, ist die zu erwartende Klärung von allgemeiner, über den konkreten Einzelfall hinausgehender Bedeutung.