B - Nationaler rechtlicher Rahmen:
1) Bundesurlaubsgesetz (
BUrlG) vom 08.01.1963 in der Fassung vom 07.05.2002
§ 1 Urlaubsanspruch
Jeder Arbeitnehmer hat in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub.
§ 3 Dauer des Urlaubs
(1) Der Urlaub beträgt jährlich mindestens 24 Werktage.
§ 7 Zeitpunkt, Übertragbarkeit und Abgeltung des Urlaubs
(1) Bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs sind die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, es sei denn, dass ihrer Berücksichtigung betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter solchen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen. ...
(3) Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden. ...
(4) Kann der Urlaub wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden, so ist er abzugelten.
§ 13 Unabdingbarkeit
(1) Von den vorstehenden Vorschriften mit Ausnahme der §§ 1, 2 und 3
Abs. 1 kann in Tarifverträgen abgewichen werden. Die abweichenden Bestimmungen haben zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern Geltung, wenn zwischen diesen die Anwendung der einschlägigen tariflichen Urlaubsregelung vereinbart ist. Im Übrigen kann, abgesehen von § 7
Abs. 2 Satz 2, von den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. ...
2) Sozialgesetzbuch VI
§ 43
SGB VI Rente wegen Erwerbsminderung
1) ...
2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll erwerbsgemindert sind,
...
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des Allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. ...
§ 102
SGB VI1) ...
2) Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ... werden auf Zeit geleistet. Die Befristung erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn. Sie kann verlängert werden; ...
...
3) Gesetz zu dem Übereinkommen
Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24.06.1970 über den bezahlten Jahresurlaub (Neufassung vom Jahre 1970) vom 30.04.1975 (BGBl. II, 745)
Art. 8
1) ...
2) Sofern in einer für den Arbeitgeber und den beteiligten Arbeitnehmer geltenden Vereinbarung nichts anderes vorgesehen ist und der beteiligte Arbeitnehmer aufgrund seiner Dienstzeit Anspruch auf eine solche Zeitspanne hat, hat einer der Teile mindestens zwei ununterbrochene Arbeitswochen zu umfassen.
Art. 9
1) Der in
Art. 8
Abs. 2 dieses Übereinkommens erwähnte ununterbrochene Teil des bezahlten Jahresurlaubs ist spätestens ein Jahr und der übrige Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens 18 Monate nach Ablauf des Jahres, für das der Urlaubsanspruch erworben wurde, zu gewähren und zu nehmen.
...
4) Tarifrecht
Einheitlicher Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 18.12.2003
§ 11 Grundsätze der Urlaubsgewährung
1) Beschäftigte/Auszubildende haben nach Maßgabe der nachstehenden Bestimmungen in jedem Urlaubsjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.
Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, dass er erfolglos geltend gemacht wurde oder dass Urlaub aus betrieblichen Gründen nicht genommen werden konnte.
Konnte der Urlaub wegen Krankheit nicht genommen werden, erlischt der Urlaubsanspruch 12 Monate nach Ablauf des Zeitraums nach
Abs. 2.
...
3) Eine Abgeltung des Urlaubsanspruchs ist nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses/Ausbildungsverhältnis zulässig.
...
§ 19 Geltendmachung und Ausschluss von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis/Ausbildungsverhältnis
1) ...
2) Beschäftigte/Auszubildende haben das Recht, Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis/Ausbildungsverhältnis innerhalb folgender Fristen geltend zu machen:
a) ...
b) alle übrigen Ansprüche innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit.
3) ...
4) Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Fristen geltend gemacht werden, sind ausgeschlossen, es sei denn, dass Anspruchsberechtigte trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert waren, diese Fristen einzuhalten.
...
C - Zu der Vorlagefrage
Nach nationalem Recht ist der Urlaubsanspruch des Klägers für das Jahr 2006 erloschen. § 11
Nr. 1
Abs. 3 EMTV bestimmt, dass der Urlaub, der wegen Krankheit nicht genommen werden konnte, 12 Monate nach Ablauf des in Absatz 2 geregelten dreimonatigem Übertragungszeitraums erlischt. Dieser Zeitpunkt war im vorliegenden Fall der 31.03.2008.
In seinem Urteil vom 20.01.2009 in der Rechtssache C-350/06 (S5-H5) hat der Gerichtshof grundsätzlich eine nationale Regelung für zulässig erklärt, die für die Ausübung des mit
Art. 7
Abs. 1 der Richtlinie 2003/88 verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub Modalitäten vorsieht, die sogar den Verlust des Anspruchs beinhalten. Der Gerichtshof hat einen solchen Anspruchsverlust jedoch an die Voraussetzung geknüpft, dass der Arbeitnehmer, dessen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erloschen ist, tatsächlich die Möglichkeit hatte, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch auszuüben (RdNr. 43).
Im Streitfall hatte der Kläger diese Möglichkeit nicht. Er war über den Übertragungszeitraum hinaus aus gesundheitlichen Gründen voll erwerbsgemindert. Zwar bezieht sich die Beklagte darauf, dass die volle Erwerbsminderung nicht mit einer Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen sei, ohne allerdings die Erkrankung des Klägers in Abrede zu stellen. Die Kammer geht demgegenüber davon aus, dass die Erkrankung des Klägers, die seine volle Erwerbsminderung zur Folge hatte, zugleich zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt hat. Nach § 43
Abs. 2 Unterabs. 2
SGB VI sind Versicherte, die u.a. wegen Krankheit auf absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, voll erwerbsgemindert. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist im Rahmen des Verfahrens auf Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung festzustellen. Dies geschieht auf der Grundlage ärztlicher Befunde und Gutachten. Nach § 102
Abs. 2 Satz 1
SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zunächst befristet gewährt. Mit der Anerkennung der vollen Erwerbsminderung durch den Rentenversicherungsträger steht deshalb zugleich fest, dass der Kläger auch arbeitsunfähig war. Er konnte aus diesem Grund den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei Ablauf des Übertragungszeitraums nicht ausüben. Seine Arbeitsunfähigkeit hielt bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses an.
Dennoch hat das vorlegende Gericht Zweifel, dass der Kläger seinen Mindesturlaub für das Jahr 2006 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31.08.2008 behalten hat.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Gemeinschaft anzusehen, von dem nicht abgewichen werden darf und den die zuständigen nationalen Stellen nur in den in der Richtlinie 93/104/
EG des Rates vom 23.11.1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung selbst ausdrücklich gezogenen Grenzen umsetzen dürfen. Der Arbeitnehmer muss normalerweise über eine tatsächliche Ruhezeit verfügen können, damit ein wirksamer Schutz seiner Sicherheit und seiner Gesundheit sichergestellt ist, denn nur für den Fall, dass das Arbeitsverhältnis beendet wird, lässt
Art. 7
Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 zu, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub durch eine finanzielle Vergütung ersetzt wird. Dabei gehört
Art. 7 der Richtlinie 2003/88 nicht zu den Vorschriften, von denen diese Richtlinie ausdrücklich Abweichungen zulässt. Mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wird bezweckt, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen (RdNr. 22 bis 25 des Urteils vom 20.01.2009 in der Rechtssache C-520/06).
Dieser mit
Art. 7 der Richtlinie 2003/88 verfolgte Zweck erfordert eine Ansammlung von Urlaubsansprüchen für mehrere Jahre nach Ansicht der Kammer nicht. Dies wird im Entscheidungsfall exemplarisch deutlich: Ohne eine zeitliche Begrenzung seiner Ansprüche stünde dem Kläger seit dem Jahre 2006 bereits ein gesetzlicher Mindestanspruch von 60 Arbeitstagen Urlaub zu. Der Kläger hat von sich aus seine Ansprüche auf den Zeitraum ab dem Jahre 2006 beschränkt. Wäre die gesamte Zeitspanne, in der der Kläger wegen Arbeitsunfähigkeit seinen Urlaub nicht hat nehmen können, einzubeziehen, so ständen ihm ab dem Jahre 2002 weitere 80 Arbeitstage gesetzlichen Urlaubs zu - der Kläger war seit dem 23.01.2002 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Wäre das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden, sondern der Kläger wieder genesen, so hätte ein allein auf den Zeitraum ab 2006 gestützter Anspruch eine Arbeitsbefreiung im Umfang von 60 Arbeitstagen, d.h. 12 Wochen zur Folge. Es erscheint zweifelhaft, dass
Art. 7 der Richtlinie 2003/88 eine tatsächliche Ruhezeit in einem solchen Umfang erfordert, um es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen.
Der Gerichtshof hat zu der Frage, ob nationale Regelungen, durch die eine Ansammlung von Urlaubsansprüchen für mehrere Jahre verhindert wird, zulässig sind, noch nicht Stellung nehmen müssen. Er hat allerdings in seiner Rechtsprechung betont, dass sich die positive Wirkung des bezahlten Jahresurlaubs für die Sicherheit und die Gesundheit des Arbeitnehmers zwar dann vollständig entfaltet, wenn der Urlaub in dem hierfür vorgesehenen, also dem laufenden Jahr genommen wird, diese Ruhezeit ihre Bedeutung insoweit nicht verliert, wenn sie zu einer späteren Zeit genommen wird (Urteil vom 06.04.2006, Federatie Nederlandse Vakbeweging, C-124/05
Rdnr. 30, Urteil vom 20.01.2009 Stinger C-520/06,
Rdnr. 30). Damit ist jedoch nicht gesagt, dass eine Akkumulation von Urlaubsansprüchen für mehrere Jahre geboten ist. Wird des Weiteren berücksichtigt, dass, worauf der Gerichtshof in der Rechtssache C-350/06 hingewiesen hat, die Richtlinie 2003/88 ausweislich ihres 6. Erwägungsgrundes den Grundsätzen der internationalen Arbeitsorganisation hinsichtlich der Arbeitszeitgestaltung Rechnung getragen hat (
Rdnr. 37), so erscheint es nicht ausgeschlossen, dass
Art. 7
Abs. 1 der Richtlinie einer Auslegung zugänglich ist, wonach der Anspruch auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen zeitlich befristet ist.
Art. 9
Abs. 1 des Übereinkommens
Nr. 132 der internationalen Arbeitsorganisation vom 24.06.1970 über den bezahlten Jahresurlaub sieht Fristen für die Verwirklichung des jährlichen Mindesturlaubsanspruchs vor. Danach ist der ununterbrochene Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens ein Jahr und der übrige Teil des bezahlten Jahresurlaubs spätestens 18 Monate nach Ablauf des Jahres, für das der Urlaubsanspruch erworben wurde, zu gewähren und zu nehmen. Nach nationalem Recht ist
Art. 9
Abs. 1 des IAO-Übereinkommens
Nr. 132 vom 24.06.1970 keine unmittelbar anwendbare völkerrechtliche Norm. Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Übereinkommen zwar durch Gesetz vom 30.04.1975 zugestimmt. Hierdurch ist das Übereinkommen
Nr. 132 allerdings nicht innerstaatliches Recht in dem Sinne geworden, dass seine Vorschriften normativ auf alle Arbeitsverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland einwirken (
BAG vom 07.12.1993, 9 AZR 683/92, BAGE 75, 171 bis 185).
Im Übrigen ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass die Ansprüche des Klägers weder aufgrund der tarifvertraglichen Ausschlussfristen verfallen sind noch nach innerstaatlichem Recht ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses anzunehmen ist. Für die Entscheidung des Gerichts hinsichtlich der Ansprüche des Klägers für das Jahr 2006 kommt es deshalb auf die Auslegung der Richtlinie 2003/88 an.