Urteil
Urlaubsanspruch und Urlaubsabgeltung bei langjähriger Arbeitsunfähigkeit - Vorläufiges Ende des Streits um Urlaubsanspruch und Arbeitsunfähigkeit im EuGH-Fall

Gericht:

LAG Hamm 16. Kammer


Aktenzeichen:

16 Sa 1176/09


Urteil vom:

22.03.2012


Grundlage:

  • EGV Art. 234 |
  • EGRL 88/2003 § 7 Abs. 1 |
  • MTV-Metall NRW § 11

Pressemitteilung:

Der schwerbehinderte Kläger war in der Zeit vom 01.04.1964 bis zum 31.08.2008 im Dortmunder Betrieb der Beklagten als Schlosser beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Einheitliche Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vom 18.12.2003 (im Folgenden: EMTV) Anwendung. Der Kläger war zunächst seit dem 23.01.2002 arbeitsunfähig krank und bezog ab dem 01.10.2003 jeweils befristet eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 31.08.2008 durch Aufhebungsvereinbarung beendet. Am 18.03.2009 hat der Kläger beim Arbeitsgericht Dortmund Klage auf Abgeltung seines Urlaubs für die Jahre 2006, 2007 und 2008 in Höhe von jeweils 35 Arbeitstagen eingereicht. Das Arbeitsgericht hat dem Kläger mit Urteil vom 28.08.2009 die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs von 60 Arbeitstagen und des Schwerbehindertenurlaubs von 15 Arbeitstagen für die Jahre 2006, 2007 und 2008 zugesprochen. Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht Hamm mit Beschluss vom 15.04.2010 dem europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob Urlaubsansprüche für langjährig arbeitsunfähige Arbeitnehmer angesammelt werden können oder ob sie zeitlich befristet sind. Die 16. Kammer hatte daran Zweifel, ob der Zweck des Urlaubsanspruchs die Ansammlung von Urlaubsansprüchen über viele Jahre erfordert. Mit Urteil vom 22.11.2011 hat der europäische Gerichtshof entschieden, dass Artikel 7 I. der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates dahingehend auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften wie Tarifverträgen, die das Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub aus vergangener Zeit auf einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten beschränken, nicht entgegensteht.

Mit Urteil vom 22.03.2012 hat das Landesarbeitsgericht der Entscheidung des EuGH folgend die Beklagte verurteilt, für 15 Monate den Urlaub abzugelten und im Übrigen die Klage gewiesen. Nach dem Urteil des EuGH ist der § 11 Abs. Unterabs. 3 des EMTV, der einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten bei Krankheit vorsieht, nicht zu beanstanden und verstößt nicht gegen Europarecht.

Entgegen der Ansicht der Beklagten war der Kläger auch berechtigt, die Ansprüche noch geltend zu machen, obwohl er die im EMTV geregelte 3-Monats-Frist nach Fälligkeit nicht eingehalten hat. Denn dieser Tarifvertrag hat die Besonderheit, dass diese Frist nicht gilt, wenn der Arbeitnehmer trotz Anwendung der nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt gehindert war, die Frist einzuhalten. Dieser Fall war hier anzunehmen, weil zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Ansprüche des Klägers nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts solche Ausschlussfristen für Urlaubsansprüche noch keine Anwendung fanden und der Kläger zum damaligen Zeitpunkt die Frist gar nicht einhalten musste.

Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen.

Leitsätze:

1) Entsprechend dem Urteil des EuGH vom 22.11.2011 im Vorabentscheidungsverfahren des vorliegenden Rechtsstreits (Schulte ./. KHS - C-214/10) ist der Urlaubsanspruch des Klägers für das Jahr 2006 nach Ablauf des tariflichen Übertragungszeitraums von 15 Monaten erloschen (§ 11 Nr. 1 Abs. 2 EMTV NRW)

2) Zwar hat der Kläger seinen aus den Jahren 2007 und 2008 herrührenden Urlaubsabgeltungsanspruch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.08.2009 nicht innerhalb der dreimonatigen Ausschlussfrist des § 19 Nr. 2 b EMTV NRW geltend gemacht. Ein Verfall des Anspruchs ist jedoch nicht eingetreten, weil er in Anwendung der tariflichen Bestimmung des § 19 Nr. 4 EMTV NRW vor der Entscheidung des EuGH in der Sache Schultz-Hoff vom 20.01.2009 (C-350/06) trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, diese Frist einzuhalten.

Rechtsweg:

ArbG Dortmund, Urteil vom 20.08.2009 - 4 Ca 1334/09
LAG Hamm, Urteil vom 15.04.2010 - 16 Sa 1176/09
Generalanwalt beim EuGH, 07.07.2011 - C-214/10
EuGH, Urteil vom 22.11.2011 - C-214/10
BAG, Urteil vom 10.12.2013 - 9 AZR 494/12

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 20.08.2009 - 4 Ca 1334/09 - unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert und wie folgt gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.363,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 23.03.2009 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 52,38 %, die Beklagte zu 47,62 %.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses darüber, ob die Beklagte dem Kläger Urlaubsabgeltung für die Jahre 2006 bis 2008 schuldet.

Der am 22.02.1950 geborene Kläger war in der Zeit vom 01.04.1964 bis zum 31.08.2008 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Schlosser beschäftigt. Ausweislich der Entgeltabrechnung für den Monat Februar 2002 erhielt er zu dieser Zeit ein Monatsentgelt von 2.651,48 EUR brutto. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die Tarifverträge für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen Anwendung. Danach beträgt der tarifliche Urlaubsanspruch jährlich 30 Arbeitstage.

Am 23.01.2002 erlitt der Kläger einen Herzinfarkt. In der Zeit vom 26.02. bis 16.04.2002 unterzog er sich einer Reha-Maßnahme, aus der er arbeitsunfähig entlassen wurde. Seit dem Jahre 2002 ist der Kläger schwerbehindert. In der Zeit vom 17.04.2002 bis zum 30.09.2003 bezog der Kläger Krankengeld in Höhe von 1.871,40 EUR monatlich. Ab dem 01.10.2003 wurde ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von monatlich 1.420,91 EUR jeweils befristet bewilligt. Außerdem erhielt er auf seinen Antrag eine Invalidenrente gemäß der Ruhegeldordnung der Firma H1 und K1 AG vom 30.11.1959 in Höhe von 78,39 EUR brutto monatlich.

Am 25.08.2008 vereinbarten die Parteien die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 31.08.2008. Die Aufhebungsvereinbarung hat den folgenden Wortlaut:

"1. Es besteht Einigkeit zwischen den Parteien, dass das Arbeitsverhältnis auf Veranlassung von K2 aus gesundheitlichen Gründen mit Ablauf des 31.08.2008 sein Ende finden wird, da Herr S1 seine Tätigkeit als Schlosser nicht mehr ausüben kann. Die Parteien sind sich darüber einig, dass ein anderer Arbeitsplatz, auf dem Herr S1 ohne Gefährdung seiner Gesundheit beschäftigt werden könnte, nicht vorhanden ist.

2. Das Arbeitsverhältnis wird bis zu seiner Beendigung gemäß den bestehenden vertraglichen Vereinbarungen und den gesetzlichen bzw. tariflichen Vorschriften abgewickelt.

3. Zur Aufrechterhaltung ungekürzter Ansprüche auf Arbeitslosengeld ist Herr S1 verpflichtet, sich unverzüglich nach Abschluss dieses Aufhebungsvertrages persönlich beim Arbeitsamt arbeitssuchend zu melden.

4. Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind alle gegenseitigen Ansprüche aus und in Verbindung mit dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung seien sie bekannt oder nicht bekannt, gleich aus welchem Rechtsgrund, erledigt. Rechte gegen die betrieblichen Altersversorgungseinrichtungen bleiben davon unberührt."

Mit seiner am 18.03.2009 beim Arbeitsgericht Dortmund eingegangenen Klage verfolgt der Kläger einen Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs für die Jahre 2006, 2007 und 2008, wobei er von jeweils 35 Arbeitstagen ausgegangen ist. Seinen Tagesverdienst hat er mit 87,26 EUR berechnet und insgesamt einen Anspruch von 9.162,30 EUR brutto geltend gemacht.

Der Kläger hat sich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesarbeitsgerichts berufen, wonach bei Arbeitsunfähigkeit ein Urlaubsanspruch nicht verfalle.


Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.162,30 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.


Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, der Kläger habe für den Zeitraum vom 01.10.2003 bis zu seinem Ausscheiden, dem 31.08.2008 keinen Urlaubsanspruch erworben, da die Parteien aufgrund des Antrages des Klägers auf Invalidenrente konkludent das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart hätten. Außerdem hat sie sich auf einen Verfall sämtlicher Urlaubsansprüche des Klägers aufgrund der tariflichen Ausschlussfristen bezogen. Im Übrigen sei der Urlaubsanspruch von der Ausgleichsklausel in der Vereinbarung vom 25.08.2008 erfasst.

Durch Urteil vom 20.08.2009, auf das zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht der Klage in Höhe eines Betrages von 6.544,80 EUR brutto nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger könne für die Jahre 2006 bis 2008 eine Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs von insgesamt 75 Urlaubstagen verlangen, nicht jedoch den tarifvertraglichen Mehrurlaub. Dieser werde von der tarifvertraglichen Ausschlussfrist des § 19 Abs. 2 a des einheitlichen Manteltarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen (EMTV) erfasst. Dies gelte jedoch nicht für den gesetzlichen Urlaubsanspruch, denn dieser sei gemäß §§ 1, 3 Abs. 1, 13 Abs. 1 BUrlG unabdingbar und unterliege auch als Abgeltungsanspruch nicht den Ausschlussfristen. Diese seien entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts insoweit unwirksam. Wegen der Unabdingbarkeit habe der Urlaubsabgeltungsanspruch auch nicht von der Ausgleichsklausel in Ziffer 4 der Vereinbarung vom 25.08.2008 erfasst werden können. Die Beklagte könne auch nicht einwenden, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch des Klägers deshalb nicht bestehe, weil das Arbeitsverhältnis der Parteien ab Bezug der Erwerbsunfähigkeitsrente geruht habe. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses trete nicht kraft Gesetzes ein. Auch wenn der Kläger einen Antrag auf Invalidenrente gestellt habe, könne aus der Einstellung der Arbeit nicht ohne weiteres auf eine Ruhensvereinbarung geschlossen werden.

Gegen dieses ihr am 28.08.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14.09.2009 Berufung eingelegt und diese am 27.10.2009 begründet. Die Berufungsbegründung ist dem Kläger am 05.11.2009 zugestellt worden. Er hat mit einem am 12.02.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Anschlussberufung eingelegt, diese in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht jedoch wieder zurückgenommen.

Die Beklagte beruft sich darauf, dass jedenfalls der Urlaubsanspruch für das Jahr 2006 auch im Falle der Arbeitsunfähigkeit des Klägers spätestens am 31.03.2008 gemäß § 11 Abs. 1 Abs. 3 EMTV wegen des Ablaufs des Übertragungszeitraums erloschen sei. Es überzeuge außerdem nicht, dass die Ausgleichs- und Verfallsklausel in Ziffer 4 der Vereinbarung vom 25.04.2008 nicht den gesetzlichen Urlaubsanspruch erfasse, da dieser unabdingbar sei. Schließlich seien die Ausschlussfristen nach dem Tarifvertrag anwendbar. Der Kläger habe seinen Anspruch nicht innerhalb der Frist von drei Monaten seit Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht. Dies sei im vorliegenden Fall auch nicht entbehrlich gewesen.


Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 20.08.2009, 4 Ca 1334/09, abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.


Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil und trägt im Übrigen vor, dass er bei Abschluss der Aufhebungsvereinbarung an Urlaub nicht gedacht habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Kammer hat durch Beschluss vom 15.04.2010 das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft um Vorabentscheidung ersucht. Durch Urteil vom 22.11.2011 in der Rechtssache C-214/10 hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten wie etwa Tarifverträgen nicht entgegensteht, die die Möglichkeit für einen während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist teilweise begründet.

Der Kläger kann Urlaubsabgeltung für aus den Jahren 2007 und 2008 herrührende Urlaubsansprüche verlangen, nicht jedoch für Urlaubsansprüche, die im Jahre 2006 entstanden sind.

I.

Urlaubsansprüche des Jahres 2006 sind gemäß § 11 Abs. 1 Unterabs. 3 EMTV NRW erloschen.

Nach § 11 Abs. 1 Unterabs. 1 EMTV ist Urlaubsjahr das Kalenderjahr. Dieser Urlaubsanspruch erlischt, wie Unterabs. 2 bestimmt, drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres. Hiervon sieht Unterabs. 2 für den Fall, dass der Urlaub wegen Krankheit nicht genommen werden konnte, eine Ausnahme vor. Die Frist für das Erlöschen des Urlaubsanspruchs verlängert sich um 12 Monate nach Ablauf des Übertragungszeitraums von drei Monaten nach Abs. 2. Ein Urlaub, der wegen Krankheit nicht genommen werden konnte, muss demnach bis zum 31.03. des Folgejahres genommen werden.

Der Kläger war im ganzen Jahr 2006 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31.08.2008 durchgehend arbeitsunfähig krank. Zwischen den Parteien ist nunmehr unstreitig, dass eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers vorlag. Sein im Jahre 2006 begründeter Urlaubsanspruch ist entsprechend der tariflichen Regelung am 31.03.2008 erloschen.

Europarechtliche Bedenken stehen dem Erlöschen des Urlaubsanspruchs nicht entgegen. Nach der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes im Urteil vom 22.11.2011 ist Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten wie etwa Tarifverträgen nicht entgegensteht, die die Möglichkeit für einen während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt. Diese im vorliegenden Rechtsstreit ergangene Entscheidung ist für das Gericht bindend. Sie führt dazu, dass der Kläger, der wegen seiner Arbeitsunfähigkeit über mehrere Jahre bis zu seinem Ausscheiden Urlaubsansprüche angesammelt hat, seinen Abgeltungsanspruch nicht auf den Urlaub des Jahres 2006 stützen kann.

II.

Jedoch kann der Kläger gemäß § 11 Abs. 3 EMTV i.V.m. § 7 Abs. 4 BUrlG die Abgeltung seines aus den Jahren 2007 und 2008 herrührenden Urlaubsanspruchs verlangen.

1) Der den Abgeltungsanspruch des Klägers begründende Urlaubsanspruch der Jahre 2007 und 2008 ist entstanden. Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis nicht deshalb geruht hat, weil der Kläger auf seinen Antrag hin ab dem Jahre 2003 aufgrund der auf sein Arbeitsverhältnis Anwendung findenden Ruhegeldordnung für Betriebsangehörige der Firma H1 und K1 AG vom 30.11.1989 in Höhe von monatlich 78,39 EUR brutto Invalidenrente bezogen hat.

Zwar kann bei Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit anders als bei durch Erkrankung bedingter Arbeitsunfähigkeit ein Ruhenstatbestand vorliegen. Dieser tritt jedoch nicht automatisch ein, sondern bedarf der Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien, die auch konkludent geschlossen werden kann. Gegenstand der Ruhensvereinbarung ist die Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten und der Fortbestand der Nebenpflichten. Aus der tatsächlichen Einstellung der wechselseitigen Hauptpflichten kann nicht ohne weiteres auf ein vereinbartes Ruhen des Arbeitsverhältnisses der Parteien geschlossen werden (so BAG vom 07.06.1990, 6 AZR 52/89, NZA 1990, 993).

Der vorliegende Fall weist jedoch die Besonderheit auf, dass der Kläger nicht nur seine Arbeit eingestellt hat, sondern darüber hinaus einen Antrag auf Gewährung der Invalidenrente nach der für ihn geltenden betrieblichen Ruhegeldordnung gestellt hat. In den Fällen, in denen Arbeitnehmer, die aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sind, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen und Arbeitslosengeld beantragen, nachdem der Bezug des Krankengeldes wegen Ablauf des Befristungszeitraums nach § 48 SGB V ausgelaufen ist, ist zwar anerkannt, dass eine konkludente Ruhensvereinbarung vorliegt, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine Bescheinigung nach § 312 SGB III vorlegt (BAG vom 14.03.2006, 9 AZR 312/05, NZA 2006, 1232 m.w.N.). Indem der Arbeitgeber diese zur Vorlage bei der Agentur für Arbeit bestimmte Bescheinigung ausfüllt, nimmt er das Angebot des Arbeitnehmers, das Ruhen des Arbeitsverhältnisses zu vereinbaren, an. Im Ergebnis verzichtet er auf die Ausübung des Direktionsrechts. Damit sind die wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis, nämlich die Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung und die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der vereinbarten Vergütung suspendiert. Hiervon unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt jedoch. Die Invalidenrente erfüllt nach der Legaldefinition in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG einen Versorgungszweck, der der Absicherung im Fall u.a. der Invalidität dient. In diesem Fall ist sie dazu bestimmt, den Einkommensausfall zumindest zum Teil auszugleichen, der sich daraus ergibt, dass ein Arbeitnehmer in Folge gesundheitlich bedingter Minderung seiner Erwerbsfähigkeit auf nicht absehbare Zeit nicht mehr oder in reduziertem Umfang zu einer Erwerbstätigkeit in der Lage ist. Schon der Umstand, dass sie auch die Fälle teilweiser Erwerbsminderung erfasst (vgl. zuletzt BAG vom 11.10.2011, 3 AZR 795/09, juris m.w.N.), lässt erkennen, dass der Antrag auf Invalidenrente sich nicht auf die Hauptleistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis bezieht. Im Falle der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist gerade nicht ausgeschlossen, dass der Arbeitnehmer seiner Arbeit weiter nachgeht, wenn auch unter veränderten Bedingungen. Der Antrag auf Invalidenrente hat damit lediglich zum Gegenstand, in den Genuss einer vom Arbeitgeber zugesagten Versorgungsleistung zu gelangen.

2) Der Urlaubsanspruch des Klägers ist nicht wegen Ablaufs des Übertragungszeitraums erloschen. Der Übertragungszeitraum sowohl des Urlaubs aus dem Jahre 2007 als auch der des Jahres 2008 lief erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab.

Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt es nicht mehr darauf an, ob die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers auch über das Ende des Übertragungszeitraums hinaus fortdauert. Der gesetzliche Mindesturlaub ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses unabhängig von der Erfüllbarkeit des Freistellungsanspruchs in einem gedacht fortbestehenden Arbeitsverhältnis nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Der Urlaubsabgeltungsanspruch stellt bei andauernder Arbeitsunfähigkeit eine auf eine finanzielle Vergütung im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie gerichtete reine Geldforderung dar. Er ist auch im Fall der andauernden Arbeitsunfähigkeit nicht mehr befristet. Während unter Geltung der Surrogatstheorie der Urlaubsabgeltungsanspruch nur erfüllbar und damit fällig wurde, soweit der Arbeitnehmer spätestens vor dem Ablauf der Übertragungsdauer seine Arbeitsfähigkeit wieder erlangte, hat nach der Aufgabe der Theorie der Ablauf des Bezugs- bzw. Übertragungszeitraums keine rechtliche Bedeutung mehr. Als reiner Geldanspruch entsteht der Abgeltungsanspruch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. BAG vom 09.08.2011, 9 AZR 365/10, NZA 2011, 1421, 1423 m.w.N.).

3) Dem Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung steht auch die unter Ziffer 4 der Aufhebungsvereinbarung vom 25.08.2008 getroffene große Ausgleichsklausel nicht entgegen. Diese erfasst, wie sich aus Ziffer 2 ergibt, die streitgegenständliche Forderung nicht. Nach Nr. 2 wird das Arbeitsverhältnis bis zu seiner Beendigung gemäß den bestehenden vertraglichen Vereinbarungen und den gesetzlichen bzw. tariflichen Vorschriften abgewickelt. Mit seiner vorliegenden Klage verfolgt der Kläger einen solchen gesetzlichen Anspruch.

4) Der Anspruch des Klägers ist nicht gemäß § 19 Nr. 2 b, Nr. 4 EMTV verfallen.

Danach haben Beschäftigte das Recht, Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit geltend zu machen. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, sind ausgeschlossen, es sei denn, dass Anspruchsberechtigte trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert waren, diese Fristen einzuhalten.

a) Der Anspruch auf Abgeltung des nach langandauernder Arbeitsunfähigkeit bestehenden gesetzlichen Mindesturlaubs kann nach geänderter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aufgrund tariflicher Ausschlussfristen verfallen. Er unterscheidet sich nicht mehr von sonstigen Entgeltansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis und unterfällt deshalb den Bedingungen, die nach dem anwendbaren Tarifvertrag für die Geltendmachung von Geldansprüchen vorgeschrieben sind. Das ist mit Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie und den hierzu vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Grundsätzen vereinbar. Diese stehen grundsätzlich einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach die Beachtung von Modalitäten der Inanspruchnahme dazu führt, dass der Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs am Ende eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraumes untergeht. Der Arbeitnehmer muss nur tatsächlich die Möglichkeit haben, den ihm mit der Arbeitszeitrichtlinie verliehenen Anspruch auszuüben (vgl. BAG vom 09.08.2011, 9 AZR 365/10, a.a.O.).

b) Der Kläger hat die tarifliche Ausschlussfrist des § 19 Nr. 2 b EMTV nicht eingehalten. Das Arbeitsverhältnis endete am 31.08.2008, erstmalig mit der der Beklagten am 23.03.2009 zugestellten Klage hat der Kläger ihr gegenüber seine Ansprüche geltend gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war die dreimonatige Ausschlussfrist bereits abgelaufen. Der Urlaubsabgeltungsanspruch war zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht nur entstanden, sondern nach § 271 BGB fällig (BAG vom 09.08.2011, 9 AZR 365/10, a.a.O., Rn. 18 m.w.N.).

c) Auch wenn der Kläger danach die tarifliche Ausschlussfrist nicht eingehalten hat, so ist sein Anspruch dennoch nicht ausgeschlossen, weil er trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt - objektiv - verhindert war, seinen Urlaubsabgeltungsanspruch fristgerecht geltend zu machen.

aa) Im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erklärt hat, nicht an Urlaub gedacht und insoweit nichts unternommen.

bb) Freilich hätte der Kläger die tarifliche Ausschlussfrist durch eine einfache mündliche Geltendmachung wahren können. Insoweit waren lediglich geringe, leicht zu erfüllende Anforderungen zu beachten. Andererseits besagt eine "Geltendmachung" nichts anderes, als dass die Gegenseite aufzufordern ist, den nach Grad und Höhe zu kennzeichnenden Anspruch zu erfüllen. Eine solche Zahlungsaufforderung wäre angesichts der gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Verfall von Urlaubsansprüchen langfristig erkrankter Arbeitnehmer jedoch ins Leere gelaufen. Hieran hätte auch der Vorlagebeschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 02.08.2006 in der Sache Schultz-Hoff nichts geändert, könnte überhaupt davon ausgegangen werden, dass er dem Kläger oder der Beklagten bekannt gewesen wäre. Insoweit geht es vorliegend nicht darum, ob der Kläger im Hinblick auf die Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist Vertrauensschutz in Anspruch nehmen kann, sondern um die Frage, ob die Voraussetzungen des Tarifvertrages für den Verfall des Anspruchs vorliegen. Der Maßstab des Tarifvertrages ist ein anderer als der allgemeiner Vertrauensschutzerwägungen oder auch der der höheren Gewalt nach § 206 BGB, der als allgemein gültiges Rechtsprinzip auch auf tarifliche Ausschlussfristen angewandt wird (vgl. BAG vom 09.08.2011, 9 AZR 365/10, a.a.O., Rn. 34).

cc) Hätte der Kläger alle nach Lage der Umstände ihm zuzumutenden Sorgfalt aufgewandt, so hätte er sich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Ausschlussfrist am 30.11.2008 juristisch mit dem Ergebnis beraten lassen, dass nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in seinem Fall, wenn er nicht bis zum Ablauf des Übertragungszeitraums wieder arbeitsfähig würde, sein Abgeltungsanspruch verfiele. Im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 02.08.2006 in der Sache Schultz-Hoff hätte ein fachkundiger Berater darauf hingewiesen, dass aus europarechtlichen Gründen möglicherweise an dieser Rechtsprechung nicht festgehalten werden könnte. Er hätte zu dem Zeitpunkt eines möglichen Beratungsgesprächs es jedoch für unnötig gehalten, dass der Kläger seine Ansprüche - vorsorglich - geltend macht, weil er des Weiteren von der ebenfalls gefestigten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass tarifliche Ausschlussfristen auf Urlaubsabgeltungsansprüche keine Anwendung finden, ausgegangen wäre. Zum Zeitpunkt einer solchen möglichen Beratung wurde eine solche Weiterung der sich aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in dem Vorlageverfahren des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf ergebenden Konsequenzen, soweit ersichtlich, in keiner Weise diskutiert.

Selbst nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 20.01.2009 und der sich daran anschließenden Rechtsprechungsänderung des Bundesarbeitsgerichts durch Urteil vom 24.03.2009 (9 AZR 983/07, NZA 2009, 538) ist die Konsequenz der Anwendung tariflicher Ausschlussfristen erst mit Verspätung erörtert worden. Im vorliegenden Verfahren, wie auch in zahlreichen anderen vor der Fachkammer des Landesarbeitsgerichts Hamm geführten Rechtsstreiten hat das Arbeitsgericht die Anwendung tariflicher Ausschlussfristen in der Folgezeit abgelehnt. Das Bundesarbeitsgericht hat zwar - ohne weitere Begründung - in seiner Entscheidung vom 09.08.2011 (9 AZR 365/10, a.a.O., Rn. 31) ausgeführt, dass Vertrauensschutz auch nicht im Hinblick auf die Rechtsprechungsgrundsätze zum Nichteingreifen von tariflichen Ausschlussfristen gelte. Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht an, denn, wie bereits ausgeführt, geht es um die Voraussetzungen einer tariflichen Ausschlussklausel, die die Anforderungen gegenüber anderen weit verbreiteten Ausschlussfristen senkt.

dd) Unter den Voraussetzungen der in § 19 Nr. 4 EMTV bestimmten Einschränkungen war der Kläger - wie es für den infrage stehenden Zeitpunkt auch für andere dem Tarifvertrag unterfallende Arbeitnehmer gilt - trotz Anwendung aller nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert, die Ausschlussfrist einzuhalten. Nach Bekanntwerden der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 20.01.2009 hat der Kläger mit seiner der Beklagten am 23.03.2009 zugestellten Klage die Dreimonatsfrist gewahrt. Damit kommt es nicht darauf an, ob die Ausschlussfrist überhaupt noch anwendbar war.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Kammer hat die Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen.

Referenznummer:

R/R5160


Informationsstand: 23.04.2012