1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 15. Mai 2019, Az. 4 Ca 160/19, teilweise abgeändert und der Klageantrag zu 2) auf Zahlung von 1.113,65
EUR brutto nebst Zinsen abgewiesen.
2. Die Kosten erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Die Kosten zweiter und dritter Instanz hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten nach Zurückverweisung des Rechtsstreits durch das Bundesarbeitsgericht (
BAG 30. November 2021 -
9 AZR 143/21) über die Abgeltung von Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen aus den Jahren 2016 bis 2018.
Zwischen den Parteien bestand seit dem 22. August 2016 ein Arbeitsverhältnis. Der 1956 geborene Kläger ist seit Oktober 2014 als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (
GdB) von 50 anerkannt. Es ist streitig, ob der Beklagten die Schwerbehinderung des Klägers seit dem Vorstellungsgespräch im Juli 2016 bekannt war.
Die Beklagte beantragte bei der Bundesagentur für Arbeit die Bewilligung eines Eingliederungszuschusses nach
§§ 88 ff. SGB III. In dem Fragebogen zur Prüfung der Förderungsvoraussetzungen führte sie zur Begründung des Antrags fachliche Defizite des Klägers auf. Mit Bescheid vom 5. September 2016 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit der Beklagten einen Eingliederungszuschuss iHv. 50 vH des zu berücksichtigenden Arbeitsentgelts. Der Förderungsgrund ist im Bewilligungsbescheid nicht genannt. Eine Schwerbehinderung des Klägers wird in keinem der genannten Dokumente erwähnt.
Die Beklagte hat den Kläger weder aufgefordert, Urlaub zu nehmen, noch hat sie ihn darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen kann. Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 3. Januar zum 15. Februar 2019. Mit Schreiben vom 23. Januar 2019 beantragte er erfolglos, ihm zwölf Arbeitstage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen, davon zwei Urlaubstage aus 2016 und jeweils fünf Urlaubstage aus 2017 und 2018, zu gewähren. Dem Urlaubsantrag fügte der Kläger eine Kopie seines Schwerbehindertenausweises bei. Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger ua. die Abgeltung seines Zusatzurlaubs aus den Jahren 2016 bis 2018 verlangt.
Der Kläger hat - soweit noch von Interesse - beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.113,65
EUR brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. März 2019 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage - soweit von Bedeutung - stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (14. Januar 2021 -
5 Sa 267/19) hat die Klage auf Abgeltung von Zusatzurlaub abgewiesen und die Revision zugelassen. Das Bundesarbeitsgericht (30. November 2021 -
9 AZR 143/21) hat das Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - zurückverwiesen.
Die Beklagte trägt vor, der Kläger habe sie vor dem Jahr 2019 zu keinem Zeitpunkt über seine Schwerbehinderung informiert. Ihr seien die Probleme des Klägers mit dem Herz bekannt gewesen, weswegen er keinen Nachtdienst habe leisten wollen. Dies habe sie auch weitestgehend berücksichtigt. In diesem Zusammenhang sei aber nie über eine Schwerbehinderung gesprochen worden. Dazu habe auch kein Grund bestanden, weil der Kläger seinen Tagdienst ohne Probleme geleistet habe. In den Gesprächen mit den Sachbearbeitern der Agentur für Arbeit sei nicht über eine Schwerbehinderung des Klägers gesprochen worden. Sie habe keinen Eingliederungszuschuss für schwerbehinderte Menschen beantragt; ihr sei auch kein Eingliederungszuschuss für schwerbehinderte Menschen gewährt worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 15. Mai 2019, Az. 4 Ca 160/19, teil-weise abzuändern und den Klageantrag zu 2) auf Zahlung von 1.113,65
EUR brutto abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger macht geltend, der Beklagten sei seine Schwerbehinderung und seine Herzkrankheit schon vor seiner Einstellung bekannt gewesen. Er trägt im Anschluss an die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts mit Schriftsatz vom 5. April 2022, auf den Bezug genommen wird, weiter vor, er habe bis zum 30. Juni 2016 bei der Firma T-Wachdienst gearbeitet und sei in einer Aufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in A-Stadt eingesetzt worden, die zum 30. Juni 2016 geschlossen worden sei. Am 1. Juli 2016 sei er arbeitslos geworden. Am 28. Juli 2016 habe er sich über das Internetportal Indeed bei der Beklagten auf eine ausgeschriebene Stelle als Sicherheitsmitarbeiter beworben. Aufgrund dieser Bewerbung habe ihn die Beklagte sofort zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Das Gespräch sei vom Geschäftsführer der Beklagten in den Räumlichkeiten des F. (F) in C-Stadt geführt worden. Er habe dem Geschäftsführer in diesem Vorstellungsgespräch mitgeteilt, dass er an einer Herzkrankheit leide, schwerbehindert sei und deshalb die Möglichkeit bestehe, dass seine Einstellung durch die Agentur für Arbeit C-Stadt mit einem Zuschuss zum Lohn gefördert werde. Er habe dem Geschäftsführer die Kontaktdaten der Arbeitsvermittlung der Arbeitsagentur ausgehändigt, damit er dort die Modalitäten des Eingliederungszuschusses klären könne. Er habe dem Geschäftsführer außerdem mitgeteilt, dass er wegen seiner Herzkrankheit keinen Nachtdienst leisten könne. Hierauf habe der Geschäftsführer erklärt, diese Einzelheiten solle er mit dem Mitarbeiter E. klären, der für das Personal verantwortlich sei und auch die Einsatzplanung vornehme. Am 1. August 2016 habe der Geschäftsführer bei der Agentur für Arbeit C-Stadt angerufen und wegen einer Förderung durch Eingliederungszuschuss nachgefragt. Er habe mit dem Sachbearbeiter
S. besprochen, dass ein Eingliederungszuschuss für sechs Monate iHv. 50 vH des Arbeitsentgelts gezahlt werden könne.
S. habe der Beklagten einen entsprechenden Antrag übersandt. Da ein Beschäftigungsverhältnis nach den "Fachlichen Hinweisen Eingliederungszuschuss" von den zuständigen Sachbearbeitern der Agentur für Arbeit nicht gefördert werden dürfe, wenn die vereinbarten Arbeitsbedingungen gegen gesetzliche Vorschriften verstießen, sei bei der Förderung von schwerbehinderten Menschen zu prüfen, ob ihnen der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte gewährt werde. Durch den Sachbearbeiter
S. sei deshalb, um einen möglichen Förderungsausschluss zu prüfen, "bei lebensnaher Betrachtung" bereits in diesem Telefonat Gesprächsinhalt gewesen, dass er "schwerbehindert ist und der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte gewährt werden muss, um eine Förderung zu erhalten". Ursprünglich sei eine Arbeitsaufnahme und Förderung ab dem 15. August 2016 zwischen dem Geschäftsführer und
S. besprochen worden. Zu diesem Datum sei eine Arbeitsaufnahme jedoch nicht zustande gekommen. Am 19. August 2016 habe er der Arbeitsvermittlerin H. anlässlich einer persönlichen Vorsprache in der Agentur für Arbeit A-Stadt mitgeteilt, dass die Arbeitsaufnahme zum 22. August 2016 erfolgen könne. Am 19. August 2016 habe sich H. telefonisch mit dem Geschäftsführer der Beklagten in Verbindung gesetzt und mit ihm besprochen, dass der Antrag auf Eingliederungszuschuss sowie eine Kopie des Arbeitsvertrags an die Agentur für Arbeit gesandt werden solle. Sollte der Beklagten der Antragsvordruck nicht mehr vorliegen, solle sie sich melden, damit ihr vom Arbeitgeberservice ein neuer Antrag übermittelt werde. Am 19. August 2016 habe der Geschäftsführer der Beklagten nochmals bei der Agentur für Arbeit angerufen und dem Sachbearbeiter W. mitgeteilt, dass ihm das Antragsformular für den Eingliederungszuschuss nicht mehr vorliege. Es sei vereinbart worden, dass eine erneute Zusendung des Formulars Anfang der 34. Kalenderwoche erfolgen solle. Nach Eingang der Antragsunterlagen habe W. am 30. August 2016 eine positive Stellungnahme zu einer Förderung mit Eingliederungszuschuss für sechs Monate iHv. 50 vH des Arbeitsentgelts für die Zeit ab dem 22. August 2016 abgegeben. Der Vorgang sei intern zur weiteren Bearbeitung an das Organisationsteam weitergegeben worden. Er (der Kläger) habe die Beschäftigung am 22. August 2016 aufgenommen. Er habe dem zuständigen Mitarbeiter E. mitgeteilt, dass er aufgrund seiner Herzkrankheit keinen Nachtdienst leisten könne. Er sei deshalb lediglich für den Tagdienst eingeplant worden. Nach Aufnahme der Beschäftigung sei es zu Unstimmigkeiten zwischen ihm und seinem Arbeitskollegen R. gekommen. Am 26. September 2016 habe er eine E-Mail (Bl. 211-212 d.A.) an die Beklagte gesandt und sich beim Geschäftsführer sowie dem Mitarbeiter E. darüber beschwert, dass R. gegenüber anderen Kollegen behaupte, er "spiele" seine Krankheit. Auch hieraus ergebe sich, dass der Beklagten seine Herzkrankheit und die bestehende Schwerbehinderung bekannt gewesen sei. Weil bei der Beklagten für das Objekt "Universität C." im Nachtdienst Personalmangel geherrscht habe, habe ihn der Mitarbeiter E. gefragt, ob es ihm ausnahmsweise möglich sei, dort Nachtdienst zu leisten. Er habe zugesagt, dies zu versuchen. Nach seiner Erinnerung habe er maximal vier Nachtdienste geleistet. Danach habe er E. mitgeteilt, dass ihm dies gesundheitlich nicht möglich sei. Er sei anschließend nicht mehr im Nachtdienst eingeplant worden. Er habe aufgrund seiner Herzkrankheit am Sport in einer ambulanten Herzsportgruppe (Rehabilitationssport) teilgenommen. Zu Beginn des Beschäftigungsverhältnisses habe der Herzsport donnerstags stattgefunden. Diesen Termin habe die Beklagte bei der Einsatzplanung entsprechend berücksichtigt. Der Herzsporttermin sei einige Zeit später auf den Mittwoch verlegt worden. Danach habe ihn die Beklagte mittwochs nicht mehr im Dienstplan eingeteilt. Er habe mittwochs regelmäßig frei gehabt, um am Sport der Herzgruppe teilnehmen zu können. In den Schulferien sowie in weiteren therapiefreien Zeiten sei er auch mittwochs im Dienstplan eingeteilt worden und habe mittwochs gearbeitet. In der Zeit vom 13. bis 17. März 2017 sei er stationär im Krankenhaus A-Stadt behandelt worden. Mit E-Mail vom 20. März 2017 (Bl. 213-214 d.A.) habe er der Beklagten die Bescheinigung über den stationären Aufenthalt sowie die nachgehende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom Hausarzt übersandt.
Die Berufungskammer hat darüber Beweis erhoben, ob der Kläger im Vorstellungsgespräch Ende Juli 2016 dem Geschäftsführer der Beklagten mitgeteilt hat, dass er schwerbehindert ist, durch Vernehmung des von der Beklagten benannten Zeugen E.. Außerdem hat die Berufungskammer sowohl den Kläger als auch den Geschäftsführer der Beklagten nach § 141
ZPO persönlich angehört. Insoweit wird Bezug genommen auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 30. März 2023.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch nach § 7
Abs. 4
BUrlG auf Abgeltung von zwölf Tagen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen aus den Jahren 2016 bis 2018 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 1.113,65
EUR brutto nebst Zinsen.
1. Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der mündlichen Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Beklagte in den Jahren 2016 bis 2018 keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Klägers hatte. Ihr war daher die Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in Bezug auf den Zusatzurlaub des Klägers aus den Jahren 2016, 2017 und 2018 unmöglich.
Die Berufungskammer ist davon überzeugt (§ 286
Abs. 1
ZPO), dass der Kläger im Vorstellungsgespräch, das Ende Juli 2016 in den Räumlichkeiten des F. (F) in C-Stadt stattfand, den Geschäftsführer der Beklagten nicht über seine Schwerbehinderung informiert hat. Auch in den Jahren 2017 und 2018 erfolgte zur Überzeugung der Kammer keine derartige Information. Sowohl der Geschäftsführer der Beklagten als auch der Zeuge E. haben bei ihrer Anhörung und Vernehmung am 30. März 2023 ausgesagt, dass sie vom Kläger weder im Vorstellungsgespräch noch zu einem späteren Zeitpunkt von dessen Schwerbehinderung in Kenntnis gesetzt wurden. Der Geschäftsführer der Beklagten hat glaubhaft bekundet, dass er erstmals im Januar 2019 aufgrund der Beantragung des Zusatzurlaubs von der Schwerbehinderung des Klägers erfahren habe.
Der Kläger hat bei seiner persönlichen Anhörung (§ 141
Abs. 1
ZPO) sofort und spontan erklärt, dass er zum Vorstellungsgespräch mit dem Geschäftsführer der Beklagten im Sommer 2016 ein Dokument mitgenommen habe. Dieses Dokument legte er in der mündlichen Verhandlung am 30. März 2023 geradezu als "Trumpfkarte" erstmals vor. Es war ihm sehr wichtig, die Kammer davon zu überzeugen, dass er dieses Dokument dem Geschäftsführer vorgezeigt hat. Weil es aufgrund des starken niederländischen Akzents des Klägers sehr schwierig war, dessen Ausführungen zu folgen, hat sich die Kammer das Dokument aushändigen lassen und kopiert (Bl. 286/287 d.A.). Es handelte sich um ein Formular mit der Überschrift "Antrag auf Kostenübernahme für Rehabilitationssport" mit einer ärztlichen Verordnung vom 23. Januar 2015 für 90 Übungseinheiten in Herzsportgruppen sowie einer Kostenübernahmeerklärung der Krankenkasse
AOK vom 26. Januar 2015 für 24 Monate bis längstens 31. Januar 2017. Für einen medizinischen Laien lässt sich dem Formular allenfalls entnehmen, dass der Kläger an einer koronaren Herzerkrankung litt, denn in der Rubrik "verordnungsrelevante Diagnose(n)" hat der verordnende Arzt handschriftlich folgende Abkürzungen aufgeführt: "KHK, 2 Stents, Hi, Nyha I". Eine Schwerbehinderung des Klägers geht aus diesem Formular nicht hervor. Sie ist bei einer Herzerkrankung auch nicht "offensichtlich"
bzw. "offenkundig". Einen Schwerbehindertenausweis hat der Kläger der Beklagten weder im Vorstellungsgespräch noch zu einem späteren Zeitpunkt vor Januar 2019 vorgelegt.
Der Kläger hat im Vorstellungsgespräch und auch im weiteren Verlauf des Arbeitsverhältnisses auf seine koronare Herzerkrankung (
Abk. KHK) hingewiesen. Es war ihm wichtig, aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtdienste leisten zu müssen und am Herzsport teilnehmen zu können. In der Beweisaufnahme ist deutlich geworden, dass dem Geschäftsführer der Beklagten und dem Kläger die Herzerkrankung des Klägers bekannt war. Sie wusste, dass der Kläger deswegen keine Nachtdienste leisten und Sport in einer Herzgruppe betreiben wollte. Hierauf hat die Beklagte Rücksicht genommen. Die Termine der Herzsportgruppe wurden bei der Dienstplaneinteilung berücksichtigt, Nachtdienste waren beim Einsatz des Klägers als Sicherheitsmitarbeiter im F C-Stadt nicht erforderlich, ein kurzer Einsatz im Objektschutz an der Universität C-Stadt im Nachtdienst wurde wunschgemäß beendet.
Zwar hat der Kläger im Rahmen der Parteianhörung auf Befragen erklärt, er habe dem Geschäftsführer im Vorstellungsgespräch mitgeteilt, dass er schwerbehindert sei. Der Kläger vermochte jedoch nicht zu überzeugen. Die Kammer sieht es vielmehr aufgrund der Aussagen des Zeugen E. und des Geschäftsführers der Beklagten als erwiesen an, dass der Kläger die Beklagte vor Januar 2019 nicht über seine Schwerbehinderung informiert hat. Dafür spricht, dass der Kläger offensichtlich der Ansicht war, die Information über das Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung sowie über seine Nachtdienstuntauglichkeit und die Notwendigkeit der Teilnahme am Herzsport stehe der Unterrichtung über die Schwerbehinderteneigenschaft gleich. Den Schwerbehindertenausweis hat der Kläger der Beklagten vor 2019 nicht vorgezeigt, sondern lediglich ein Formular für Rehabilitationssport. Eine Schwerbehinderung des Klägers war auch nicht "offensichtlich"
bzw. "offenkundig" (
vgl. BAG 02.06.2022 -
8 AZR 191/21 - Rn. 30 mwN), weil er fünf Tage, vom 13. bis 17. März 2017, stationär im Krankenhaus behandelt wurde.
Die Beklagte war im Vorstellungsgespräch nicht verpflichtet, sich nach einer Schwerbehinderung zu erkundigen. Der Arbeitgeber kann nicht verpflichtet sein, mit einer Frage zur Schwerbehinderteneigenschaft Tatsachen zu schaffen, die ihm als Indiztatsachen nach
§ 22 AGG in einem späteren möglichen Prozess entgegengehalten werden können (
vgl. BAG 13.10.2011 -
8 AZR 608/10 - Rn. 43 mwN).
Ganz erheblich für die Glaubhaftigkeit der Aussage des Geschäftsführers der Beklagten, er habe von der Schwerbehinderung des Klägers nichts gewusst, sprechen die Förderungsleistungen der Bundesagentur für Arbeit. Den in den Akten befindlichen Unterlagen lässt sich nicht entnehmen, dass die Beklagte bei der Bundesagentur für Arbeit einen Eingliederungszuschuss für schwerbehinderte Menschen beantragt hätte. Anhaltspunkte dafür ergeben sich weder aus dem Bewilligungsantrag der Beklagten noch aus dem Bewilligungsbescheid. Die Angaben der Beklagten im Fragebogen zur Prüfung der Förderungsvoraussetzungen und die Höhe des bewilligten Eingliederungszuschusses sprechen für das Gegenteil. Der Geschäftsführer der Beklagten hat bei seiner Parteianhörung (§ 141
Abs. 1
ZPO) erklärt, dass für ihn - aufgrund der niedrigen Gewinnmargen - das "Thema Förderung" sehr wichtig gewesen sei. Er hatte ein erhebliches Interesse daran, dass die Beschäftigung des Klägers von der Bundesagentur für Arbeit finanziell gefördert wird. Die Förderung für schwerbehinderte Menschen kann von der Bundesagentur für Arbeit bis zu 24 Monate (statt maximal 12 Monate) gezahlt werden und bis zu 70 vH (statt maximal 50 vH) des Arbeitsentgelts betragen. Hätte der Geschäftsführer der Beklagten von der Schwerbehinderung des Klägers gewusst, hätte er - davon ist die Kammer überzeugt - die wirtschaftlich vorteilhaftere Förderung für schwerbehinderte Menschen beantragt.
Die Ausführungen des Klägers zum Ablauf des Bewilligungsverfahrens bei der Bundesagentur für Arbeit stehen diesem Befund nicht entgegen. Im Gegenteil: Hätten die mit dem Förderverfahren betrauten Sachbearbeiter der Agentur für Arbeit gewusst, dass der Kläger zum Personenkreis der schwerbehinderten Menschen gehört, hätten sie nach Recht und Gesetz bei ihrer Entscheidung auch die erweiterten Fördermöglichkeiten geprüft und bewertet. Das entspricht der vom Kläger selbst geforderten "lebensnahen Betrachtung".
2. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91
Abs. 1, 92
Abs. 1 Satz 1
ZPO. Die Kosten erster Instanz werden (bei einem Streitwert von 3.628,70
EUR) gegeneinander aufgehoben. Die Kosten der Berufung und der Revision hat der Kläger (bei einem Streitwert von 1.113,65
EUR) allein zu tragen.
Die Zulassung der Revision war nicht erneut veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72
Abs. 2
ArbGG) nicht vorliegen.