Urteil
Zusatzurlaub für Gleichgestellte
Gericht:
LAG Rheinland-Pfalz 3. Kammer
Aktenzeichen:
3 Sa 137/16
Urteil vom:
12.09.2016
Grundlage:
- TVAL II § 34
LAG Rheinland-Pfalz 3. Kammer
3 Sa 137/16
12.09.2016
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 11.02.2016, Az: 2 Ca 1288/15, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob dem Kläger in seinem Arbeitsverhältnis bei den US-Stationierungsstreitkräften tariflicher Zusatzurlaub für Schwerbehinderte zusteht.
Der Kläger ist seit dem 16.11.1987 bei den US-Stationierungsstreitkräften als Feuerwehrmann im 24-Stundenschichtdienst beschäftigt. Das monatliche Grundgehalt beträgt 2.962,50 Euro entsprechend der Gehaltsgruppe P 2 2/E. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Verweisung im Arbeitsvertrag des Klägers der TV AL II Anwendung.
Beginnend ab dem 01.10.2011 ist der Kläger in K. beschäftigt. Zuvor war er in H. eingesetzt. Der Kläger ist aufgrund Bescheides der Bundesagentur für Arbeit seit dem Jahr 2009 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Der Grad der Behinderung des Klägers beträgt 30.
Der Kläger hat vorgetragen,
in Baden-Württemberg habe er einen Anspruch auf 16 Schichten Urlaub sowie zzgl. drei Schichten Sonderurlaub pro Jahr aufgrund eines Grades der Behinderung von 30 gehabt. Bei seinem Wechsel nach K. sei dem Kläger zugesagt worden, dass er auch dort drei Schichten Sonderurlaub pro Jahr erhalte. Diese Praxis sei dann auch tatsächlich umgesetzt worden, weil ihm in den Jahren 2011, 2012 und 2013 sowohl 16 Schichten Urlaub als auch jeweils drei Schichten Sonderurlaub gewährt worden seien. Es bestehe auch ein Anspruch aus betrieblicher Übung.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass der Kläger einen Anspruch auf Zusatzurlaub in Höhe von drei 24-Stundenschichten pro Jahr hat.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen,
nach § 34 TV AL II werde der Sonderurlaub nur Schwerbehinderten im Sinne der jeweils geltenden Fassung des Schwerbehindertengesetzes gewährt. Sollte der Kläger seinen Sachvortrag dahingehend konkretisieren, dass er in Baden-Württemberg drei Schichten Sonderurlaub pro Jahr wegen eines Grades der Behinderung von 30 tatsächlich erhalten habe, werde dies mit Nichtwissen zurückgewiesen. Die Gleichstellung bestehe beim Kläger darüber hinaus erst seit dem Jahre 2009. Auch ein Anspruch auf betriebliche Übung bestehe nicht. Denn der Kläger habe gewusst, dass er nicht schwerbehindert sei. Dass die US-Stationierungsstreitkräfte über den tarifvertraglichen Anspruch hinaus freiwillig oder verbindlich zusätzlich Urlaub gewähren wollten, habe der Kläger zu keiner Zeit ernsthaft annehmen können. Lediglich seine Ehefrau habe den Sonderurlaub vermeintlich geprüft und als zugestanden angesehen. Dabei habe sie aber sämtliche betriebliche Anweisungen außer Acht gelassen und insbesondere keinen Eintrag aus dem Personalsystem vorlegen lassen. Die tatsächliche Handhabe lege aus Sicht der Beklagten den Verdacht nahe, dass ein strafrechtlich relevanter Betrug begangen worden sei, zumindest erscheine dies möglich.
Das Arbeitsgericht Kaiserslautern hat die Klage daraufhin durch Urteil vom 11.02.2016 - 2 Ca 1288/15 - abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 45 bis 50 d. A. Bezug genommen.
Gegen das ihm am 09.04.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger durch am 08.04.2016 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Er hat die Berufung durch Schriftsatz vom 09.06.2016 begründet, nachdem zuvor durch Beschluss vom 09.05.2016 auf seinen begründeten Antrag hin die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 09.06.2016 einschließlich verlängert worden war.
Der Kläger wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, der TV AL II enthalte weder im dem Abschnitt 8 noch in einem allgemeinen Teil noch in den Erläuterungen zu den Urlaubsbestimmungen eine Definition des Begriffs der Schwerbehinderung oder ähnliches. Auch werde nicht zwischen einem Schwerbehinderten auf der einen Seite und einem schwerbehinderten Gleichgestellten auf der anderen Seite differenziert. Der Tarifvertrag spreche nur von Schwerbehinderten. Der Tarifvertrag erwähne den "Gleichgestellten" nicht. Im Abschnitt 8 (Urlaubsbestimmung) sei auch kein Hinweis dahingehend zu finden, dass zumindest beim Zusatzurlaub eine Differenzierung zwischen beiden Gruppen gewollt sei, also ähnlich § 68 Abs. 3 SGB IX, der ausdrücklich vorsehe, dass § 125 SGB IX nicht für Gleichgestellte gelte. Neben § 34 SGB IX finde sich der Begriff "Schwerbehinderung", im TV AL II nur noch in § 46 As. 2 a Abs. 2.
In den Jahren 2011, 2012 und 2013 habe der Kläger auch die drei 24-Stunden-Schichten Zusatzurlaub erhalten. Diesen habe er sich nicht erschlichen, sondern ordnungsgemäß von den US-Streitkräften bewilligt bekommen.
Aufgrund des eindeutigen Wortlaut des § 34 TV AL II liege eine dynamische Verweisung auf die gesetzlichen Regelungen zum Schwerbehindertenrecht vor. Folglich sei insoweit vom aktuellen SGB IX auszugehen. Angesichts dieser dynamischen Verweisungsklausel hätten die Tarifvertragsparteien - wie im SGB IX - einen Gleichlauf zwischen Schwerbehinderten und diesen gleichgestellten Menschen gewollt. Alle Normen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen sollten nach § 68 Abs. 1 SGB IX für Schwerbehinderte und diesen Gleichgestellte gelten. Nur dann, wenn ausdrücklich geregelt sei, dass konkrete Regelungen eben nicht für Gleichgestellte Anwendung fänden, sei diese Personengruppe ausgeschlossen, so in § 68 Abs. 3 SGB IX, der § 125 SGB IX und das 13. Kapitel des SGB IX für Gleichgestellte ausschließe. Der TV AL II habe also, wenn er Menschen von Vorteilen habe ausnehmen wollen, die zum geschützten Personenkreis gehörten, und das seien eben nach der Verweisung auf das SGB IX Schwerbehinderte und Gleichgestellte, dies genauso wie in § 68 Abs. 3 SGB IX ausdrücklich regeln müssen.
Für die Auffassung des Klägers spreche die Systematik des TV AL II. Denn § 46 Ziffer 2 a Abs. 2 TV AL II regele wiederum einen Sachverhalt unter Verweisung auf das SGB IX. Diese Norm des Tarifvertrages gelte aber ersichtlich nicht nur für Schwerbehinderte, weil dies weder zum Wortlaut, zur Systematik und zum Sinn und Zweck des Tarifvertrages und auf das SGB IX passe. Aus dem Tarifvertrag seien insgesamt keine Anhaltspunkte ersichtlich, die eine bewusste Schlechterstellung von Gleichgestellten gegenüber Schwerbehinderten rechtfertigen könnten.
Im Übrigen ergebe sich der Anspruch auch, wenn er sich nicht schon unmittelbar aus dem Tarifvertrag ergeben sollte, aus der Zusage im Zuge des Wechsels nach K.. Herr B. G. habe dem Kläger nach dessen Wechsel von H. nach K. im Oktober 2011 auf dessen Nachfrage, ob der Zusatzurlaub in K. weitergewährt werde, erklärt, dass er ihn selbstverständlich "hier" auch bekomme, wenn er ihn die ganze Zeit über bekommen habe.
Im Übrigen ergebe sich der Anspruch, wenn er sich nicht schon unmittelbar aus der Zusage ergeben sollte, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts aus einer betrieblichen Übung.
Zur weiteren Darstellung des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 09.06.2016 (Bl. 84 bis 95 d. A.) nebst Anlagen (Bl. 96 bis 106 d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 11.02.2016, 2 Ca 1288/15, abzuändern und festzustellen, dass der Kläger einen Anspruch auf Zusatzurlaub in Höhe von drei 24-Stunden-Schichten pro Jahr hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, im TV AL II werde der Begriff des Schwerbehinderten lediglich an zwei Stellen erwähnt, nämlich in § 34 TV AL II und in § 46 Ziffer 2 TV AL II. In letztgenannter Vorschrift werde ausdrücklich formuliert "Arbeitnehmer, der schwerbehindert im Sinne des SGB IX ist". Die tarifvertragliche Vorschrift verweise insoweit im Gegensatz zu § 34 TV AL II, der auf den Schwerbehindertenbegriff im Sinne des Schwerbehindertengesetzes Bezug nehme, auf die Vorschriften des SGB IX.
Hinsichtlich des grundsätzlichen Vorgehens betreffend die Urlaubsgewährung sei darauf hinzuweisen, dass die Mitarbeiter der US-Stationierungsstreitkräfte jährlich ihre Urlaubswünsche dem jeweiligen Vorgesetzten der Beschäftigungsdienststelle mitzuteilen hätten. Der Stationschef überprüfe zunächst die Vereinbarkeit der jeweiligen Urlaubswünsche mit den betrieblichen Belangen und lasse die mitgeteilten Urlaubswünsche im Anschluss dem sogenannten Zeitlistenführer zukommen. Dieser wiederum prüfe, ob der jeweilige Mitarbeiter überhaupt noch Urlaubsansprüche in dem von ihm geltend gemachten Umfang zur Verfügung habe. Das Ergebnis der Prüfung teile er seinem Vorgesetzten mit, der den Urlaub gewähre. Soweit eine Schwerbehinderteneigenschaft vorliege, habe der betroffene Mitarbeiter den Schwerbehindertenausweis in seiner Beschäftigungsdienststelle abzugeben, damit die entsprechende Vorlage im Rahmen einer "Personalmaßnahme" ins Personalsystem eingegeben und der entsprechende Eintrag dem Zeitlistenführer vorgelegt werden könne. Der Zeitlistenführer erhalte auf diesem Weg den Nachweis der Schwerbehinderung und könne den Zusatzurlaub prüfen. Mit Ausnahme des entsprechenden Eintrags habe der Zeitlistenführer keinen Einblick in das Personalsystem. Dieses könne vom Personalbüro der US-Stationierungsstreitkräfte eingesehen werden. Das Personalbüro habe jedoch keine Einsicht in die Zeitlisten des Zeitlistenführers. Durch den Wechsel des Klägers von H. nach K. habe das für den Kläger zuständige Personalbüro gewechselt. Aus der dem derzeit für den Kläger zuständigen Personalbüro vorliegenden Personalakte könne nicht entnommen werden, dass der Kläger während seiner Beschäftigungszeit in H. jemals Zusatzurlaub gewährt bekommen habe. Unmittelbar nach der Umsetzung des Klägers am 01.10.2011 von H. nach K. sei Frau D., beginnend ab dem 01.01.2012, die für den Kläger zuständige Zeitlistenführerin. Frau D. sei die damalige Lebensgefährtin und die nunmehrige Ehefrau des Klägers. Sie habe als zuständige Zeitlistenführerin für den Kläger entgegen der betrieblichen Handhabung Zusatzurlaub vermerkt, ohne jemals einen Eintrag aus dem Personalsystem über das Vorliegen einer Schwerbehinderung vorgelegt bekommen zu haben. Da das Personalbüro der US-Stationierungsstreitkräfte keine Einsicht in die entsprechenden Zeitlisten der Zeitlistenführerin habe, habe das Personalbüro die fehlerhafte Gewährung von Zusatzurlaub an den Kläger nicht bemerken können. Lediglich im Vertrauen auf die Zeitlistenführerin habe der damalige, für den Kläger zuständige Stationschef, Herr N., die beantragten Zusatzurlaubstage in den Jahren 2012 bis 2013 gewährt. Die Gewährung von Zusatzurlaub in den Jahren 2012 bis 2013 beruhe damit offenkundig auf dem bloßen Zusammenspiel des Klägers mit seiner Ehefrau.
Da der TV AL II ausschließlich auf die Schwerbehinderten, nicht jedoch auf die Gleichgestellten im Sinne des § 2 SchwbG verweise, sei auch für den schwerbehinderten Menschen entsprechender Zusatzurlaub von 6 Arbeitstagen zu gewähren.
Da im gesamten Regelwerk des TV AL II der Begriff der Gleichstellung nicht erwähnt werde, müsse der Tarifvertrag auch keine Ausnahmevorschrift für Gleichgestellte vorsehen. Gleichgestellte seien schlichtweg vom Regelungsgehalt des § 34 TV AL II nicht erfasst; einer Ausnahmevorschrift bedürfe es nicht. Der Wortlaut der entsprechenden tarifvertraglichen Norm sei insoweit eindeutig: Zusatzurlaub werde Gleichgestellten nicht gewährt. Etwas anderes folge auch nicht unter Berücksichtigung des Sinn und Zwecks der Regelung. Vielmehr sei festzustellen, dass die Tarifvertragsparteien den Schwerbehindertenbegriff nicht anders hätten verwenden wollen, als dieser zum Zeitpunkt der aktuellen Rechtslage gegolten habe.
Etwas anderes folge auch nicht aus § 46 Ziffer 2 TV AL II. Diese Regelung nehme explizit Bezug auf die Vorschriften des SGB IX; es handele sich um einen bloß deklaratorischen Verweis auf die geltende Rechtslage. Folgerungen für den hier maßgeblichen Streitgegenstand folgten daraus nicht.
Schließlich bestehe auch kein Anspruch aufgrund einer ausdrücklichen Zusage der US-Stationierungsstreitkräfte bzw. kraft betrieblicher Übung. Denn der Kläger habe gewusst, dass er nicht schwerbehindert sei. Er habe auch wissen müssen, dass er als nicht schwerbehinderter Mensch keinen Anspruch auf Zusatzurlaub habe. Dass die US-Stationierungsstreitkräfte über den tarifvertraglichen Anspruch hinaus freiwillig oder verbindlich zusätzlichen Urlaub hätten gewähren wollen, habe der Kläger nicht ernsthaft annehmen können. Dies ergebe sich auch aus den Gesamtumständen der vorherigen Vertragspraxis. Der Zusatzurlaub sei dem Kläger lediglich im Zusammenspiel mit seiner Ehefrau gewährt worden. Vor diesem Hintergrund sei auch keinerlei Raum für eine dem Kläger erteilte gegenteilige Zusage.
Zur weiteren Darstellung des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 11.08.2016 (Bl. 125 bis 132 d. A.) Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.
Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 12.09.2016.
ArbG Kaiserslauterns Urteil vom 11.02.2016 - 2 Ca 1288/15
BAG - Urteil vom 18.07.2017 - 9 AZR 850/16
R/R7274
Informationsstand: 16.05.2017